09.09.2011

Dienen und Versorgen

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Dienen und Versorgen

von Geneviève Fraisse

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Häusliche Dienstleistungen – ob traditionelle Haushaltsarbeit oder Pflege von Hilfsbedürftigen – werfen eine Vielzahl schwieriger Fragen auf: Wie steht es dabei um die soziale Stellung der „Dienstleister“, ihre politische Rolle und die Gleichberechtigung der Geschlechter? Hausarbeit ist seit Urzeiten ein unverzichtbarer Teil des Alltagslebens. Die Ausbeutung der Frau, ob als bezahlte Hausangestellte oder als unbezahlte Hausfrau, bleibt hier meistens unsichtbar. Jeder kritische Denkansatz erweist sich als problematisch. Einfache Lösungen gibt es nicht, Paradoxa und Widersprüche sind unvermeidbar.

Gegenwärtig ist das Thema auf zwei Ebenen präsent, bei denen sich die Frage nach Demokratie mit der nach dem Privatleben mischt. Da geht es auf der einen Seite um die Geschichte eines Zimmermädchens in einem großen New Yorker Hotel und auf der anderen um die Diskussion über die Zukunft der Dienstleistung am Menschen.

Ein öffentlicher Aufmarsch von Zimmermädchen ist ein starkes Bild. Als sie im Mai 2011 während einer gerichtlichen Anhörung in der Affäre Strauss-Kahn in den Straßen von New York demonstrierten, überschritten sie eine Grenze: Sie traten heraus aus der Unsichtbarkeit, aus den Mauern der Privatsphäre, zu der sie gerechnet werden. Denn Hotelzimmer, Wohnung und Privathaus sind in unserer Vorstellung vor der Öffentlichkeit geschützte Räume.

Dies illustriert ein Paradox unserer Zeit. Wie gehen Dienstleistung und Demokratie, häusliche Hierarchie und soziale Gleichberechtigung zusammen? Der Aufmarsch der Zimmermädchen erstaunte Journalisten und Zuschauer. Vor ihren Augen verband sich die moderne demokratische Kundgebung mit der archaischen Tradition des Dienens. Diener und Dienerin sind schließlich ein unverwüstlicher Archetyp.

Nicht nur in der Hegel’schen Dialektik von Herr und Knecht, die dieses Verhältnis analysiert, oder im Theater der Aufklärung, wo gern die Rollen zwischen Dienern und Herren vertauscht werden, ist der Diener eine hybride soziale Kategorie: Er steht zugleich innerhalb und außerhalb der Familie, wirkt vertraut und fremd, ist arm und lebt bei den Reichen. Außerdem gehört er (siehe Aristoteles) irgendwie zu den Frauen und Kindern. In der Französischen Revolution zählte der (männliche) Diener übrigens nicht zu den Bürgern. Da er von anderen abhängig ist, erscheint seine politische Autonomie in der Tat problematisch.

Öffentlicher Raum, öffentliche Wortmeldungen: Dem Dienstpersonal und zumal den Dienstmädchen war der Zugang dazu verwehrt. Doch seit mehr als einem Jahrhundert erheben sie den Anspruch, „Angestellte wie alle anderen“ zu sein. Von der Gründung der Gewerkschaft des Hauspersonals Ende des 19. Jahrhunderts über die „Sektion Hausangestellte“ des französischen Gewerkschaftsverbands (CFDT) in den 1970er Jahren bis hin zum Manifest der brasilianischen Hausangestellten an die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) im Juni 2011 – stets wurde das politische und soziale Ziel formuliert, der Klasse der Arbeiter und Angestellten anzugehören. Um 1900 misstrauten die Arbeiter dieser Forderung noch, weil diese Angestellten den Chefs allzu nahe standen.

Die Magd hat keinen Namen

Außerhalb der häuslichen Mauern taten Angestellte wie Portiers oder Chauffeure einst vor allem den Status ihrer Herren nach außen kund. Sie wurden seltener, als Ende des 19. Jahrhunderts mit fortschreitender Industrialisierung die Hausangestellten knapp wurden. Durch den Ersten Weltkrieg verstärkte sich diese Tendenz noch. Nun mussten sich viele Haushalte auf das einfache Dienstmädchen beschränken, das „Mädchen für alles“, eine gesichtslose Gestalt, die nicht einmal einen Namen hat.

Die „Thrakische Magd“, von der Platon seinen Sokrates im Dialog Theaitetos berichten lässt, wurde berühmt, weil sie lachte, als der Gelehrte Thales, die Augen auf die Sterne gerichtet, in einen Brunnen fiel. Einen Namen hat sie nicht, weil sie austauschbar ist.1 Sie ist eine soziale Funktion, eine häusliche Notwendigkeit. Der Mächtige, der Politiker, der Gelehrte aber hat immer einen Namen und ein Gesicht.

Doch plötzlich wird das Dienstmädchen sichtbar, tritt politisch in Erscheinung. Denn die Diskussion über die Notwendigkeit der „Dienstleistung am Menschen“ im Sinne von Versorgen, Pflege und Fürsorge der einen Generation durch die andere und der einen vereinzelten Privatperson durch die andere gewinnt an Brisanz und verändert die Perspektive. Es geht mittlerweile nicht mehr darum, jemandem zu dienen, der privilegierter ist, sondern um Dienste, die einfach notwendig sind. Die heutige „Dienstleistung am Menschen“ geschieht also unter einem völlig anderen Blickwinkel. Üblicherweise bezeichnet man die dienende Person als „Lohnempfänger des privaten Sektors“ – was für ein Euphemismus.

Der Versuch, das Wort „dienen“ zu umgehen, hat eine lange Geschichte. Zunächst sollte die „Hausangestellte“, dann die „Familienangestellte“ die im Begriff „Dienstmädchen“ enthaltene Stigmatisierung oder die Herabsetzung zur „Putzfrau“ vermeiden. So wollte man die dienende Person auch in Zeiten der Globalisierung den Arbeitnehmern zuordnen. Zwischen dem „Zimmermädchen“ im Hotel und der privaten „Putzfrau“ bestehen allerdings große Unterschiede. Man kann die sogenannten privaten Dienstleistungen von ihrem angenehmeren (den menschenfreundlichen) bis zu ihrem unangenehmsten Aspekt (dem Schmutz) abstufen; man kann auch zwischen notwendiger Hilfe, also menschlicher Solidarität, und vermeidbarer sozialer Unterdrückung unterscheiden. Eines aber bleibt: Die Rolle der Frauen in der häuslichen Dienstleistung hat über die Jahrhunderte ständig an Bedeutung gewonnen. Vielleicht war sie nie so weiblich wie in unserer Zeit. Schließlich hat sie ihren Ursprung in der unbezahlten Hausarbeit der Frauen. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass manche für das bezahlt werden, was andere unentgeltlich tun: Haushalt, Versorgung, Pflege. Erstaunlich, dass dieser Teil unseres Lebens politisch noch immer fast ein Tabu ist.

Paradoxerweise ist der zunehmende Frauenanteil in diesem Berufszweig mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden: mit der Entwicklung der Lohnarbeit einerseits und mit der zunehmenden Berufstätigkeit der Frauen trotz Haushalt und Kindern andererseits. Man muss sich ernsthaft wundern, dass die „Lohnempfänger des privaten Sektors“ so geschlechtsneutral bezeichnet werden, obwohl es sich dabei zu 98 Prozent um Frauen handelt.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Diskussionen über Pflege, Fürsorge und Versorgung hilfsbedürftiger Menschen den Status und die Rolle der Personen, die sich „in den Dienst“ von jemandem stellen, grundlegend verändern. Die Hierarchie, die durch das Verhältnis zwischen Herrn und Diener oder Herrin und Dienerin festgelegt war, ist über alle politischen Systeme hinweg bestehen geblieben. In der Monarchie war sie ebenso selbstverständlich, wie sie es in einer um Gleichberechtigung bemühten demokratischen Gesellschaft zu sein scheint.

Eine Beziehung zwischen zwei Schwachen

Doch wie lässt sich heute eine soziale Ordnung schaffen, die der längeren Lebenserwartung und dem Bedarf an Kinderbetreuung Rechnung trägt und zugleich die jahrhundertealte Unterordnung aufhebt?

Vielleicht kann man die demokratische Entwicklung fördern, indem man Dienstleistung nicht als Unterwerfung und Dienstbarkeit, sondern als Geschenk und zwischenmenschliche Beziehung wahrnimmt. Diesen Ansatz vertreten die Pflegedienste. So gesehen braucht die Asymmetrie zwischen Dienendem und Bedientem keine Rolle zu spielen und kein politisches Problem zu sein. Außerdem, heißt es, bedeute „Dienstleistung am Menschen“, dass die Person, der man dient, die schwache ist. Mithin würden soziale Notwendigkeit und die Solidarität zwischen Individuen die Aussichten für eine Veränderung der Gesellschaft verbessern. Es ist aber unbestreitbar, dass derjenige, der dient, ebenfalls schwach ist. Die „Dienstleistung am Menschen“ ist also eine Beziehung zwischen zwei Schwachen.

Damit wäre vorstellbar, dass sich soziale Bindungen – ausgehend von der primären Dienstleistungsarbeit – wieder beleben und mit Sinn erfüllen lassen. Das würde eine komplette Umkehrung der Situation bedeuten: Während die Dienstleistung im letzten Jahrhundert an Bedeutung verlor, würde sie in der künftigen Gesellschaft zur zentralen Aufgabe werden, denn sie würde das, was eine private Notwendigkeit ist, von vornherein öffentlich machen. Unter diesem Blickwinkel muss die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum womöglich neu definiert werden.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die Sorge um andere, um Schwache, Kranke, Alte, Kinder könnte auf die Vielfalt der menschlichen Qualitäten zurückgreifen, die traditionell weiblich, häuslich, mütterlich sind, und sie ebenfalls in den öffentlichen Raum überführen, sie externalisieren, wie man heute sagt. Die als weiblich betrachteten Eigenschaften würden außerhalb der häuslichen Welt aufgewertet.

Schon Jeanne Deroin, eine radikale Feministin der Revolution von 1848, sprach von dem „großen, schlecht geführten Haushalt des Staats“, in dem sie in Zukunft arbeiten wollte. Sie schlug vor, die häuslichen Erfahrungen außerhalb des privaten Heims politisch zu nutzen. Ihr Standpunkt wurde damals als übertrieben abgetan, und wir wissen heute, dass er historisch belanglos geblieben ist.

Zwei Pole begrenzen also das Begriffsfeld der Dienstleistung: Archaik und Zukunft. Auf der einen Seite die Magd, ferngehalten vom öffentlichen Raum und vom Recht, vor Gericht Anklage zu erheben. Auf der anderen Seite die weiblichen Tugenden, die weibliche Verfügbarkeit für Sex und die Zuständigkeit der Frauen für Sauberkeit, Fürsorge und Ernährung – alles Eigenschaften, die privates und öffentliches Leben auf eine Weise verbinden, die der Gleichheit keinen Abbruch tun muss. Sicher ist: Bei den „Dienstleistungen am Menschen“ werden sich auch in Zukunft die Geschlechter nicht mischen.

Fußnote: 1 „Wie auch den Thales […], als er, um die Sterne zu beschauen, den Blick nach oben gerichtet in den Brunnen fiel, eine artige und witzige thrakische Magd soll verspottet haben, daß er, was im Himmel wäre, wohl strebte zu erfahren, was aber vor ihm läge und zu seinen Füßen, ihm unbekannt bliebe. Mit diesem nämlichen Spotte nun reichte man noch immer aus gegen Alle, welche in der Philosophie leben.“ Siehe auch: Hans Blumenberg, „Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie“, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1987.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Geneviève Fraisse ist Philosophin. Auf Deutsch erschien von ihr: „Geschlecht und Moderne. Archäologien der Gleichberechtigung“, Frankfurt am Main (Fischer) 1998.

Le Monde diplomatique vom 09.09.2011, von Geneviève Fraisse