Die guten Kapitalisten
Pensionsfonds nehmen Einfluss auf Konzerne und Politik von Nicola Liebert
Im Grunde ist der Sozialismus Realität – zumindest in den USA. Die Unternehmen befinden sich zu einem beträchtlichen Teil im Besitz der Arbeitnehmer, wenn auch nicht direkt. Denn sehr viele US-Amerikaner zahlen in Pensionsfonds ein, die vom Staat, von ihren Arbeitgebern oder von Gewerkschaften betrieben werden. Und diese Fonds wiederum legen das Geld in Aktien an. Schon 1976 beschrieb der Ökonom und Managementpapst Peter Drucker diese Entwicklung als eine „unsichtbare Revolution“.1
Begonnen hat die Eroberung der Finanzwelt durch die Pensionsfonds 1950. Damals richtete der Autogigant General Motors einen Pensionsfonds für seine Mitarbeiter ein, der anders als die bisherigen Fonds in Aktien und nicht zum größten Teil in festverzinsliche Wertpapiere investierte. Die Anlage in Aktien ist riskanter, aber langfristig meist lukrativer als die in festverzinsliche Anleihen. Das Modell machte damals schnell Schule. Heute kontrollieren Pensionsfonds 60 Prozent der Anteile an den tausend größten Unternehmen der USA. Fast jeder zweite US-Amerikaner besitzt somit indirekt Anteile an den Firmen und ist damit Arbeiter und Kapitalist zugleich.
Das ist natürlich eine sehr milde Form des Sozialismus. Lange haben die betroffenen Unternehmen kaum gemerkt, dass sie sich mehrheitlich in Volkseigentum befinden. Doch inzwischen lassen die neuen Eigentümer immer öfter ihre Muskeln spielen. Die Banken kontrollieren das Management immer weniger, je stärker die Wirtschaft entflochten wird. Deshalb haben die Pensionsfonds die Kontrolle zunehmend selbst in die Hand genommen. Zunächst beschränkte sich ihr Interesse allerdings darauf, möglichst viel für die Aktionäre herauszuholen, zu denen sie – respektive ihre Rentenversicherten – schließlich gehören.
Forderung nach einem Fünfjahresplan
Mitte der 1980er-Jahre gründeten die Pensionsfonds eine gemeinsame Lobby, das Council of Institutional Investors (IIC), hinter dem inzwischen die geballte Macht von 130 Pensionsfonds steht, die zusammengenommen drei Billionen Dollar repräsentieren. Anfangs mischten sich die Fonds vorwiegend in Managemententscheidungen einzelner Firmen ein. So setzte das IIC zum Beispiel einen Katalog von Rechten durch, die den Aktionären auf Hauptversammlungen zustehen. Damit sollten die Manager gehindert werden, gegen die Interessen der Anteilseigner zu handeln – etwa indem sie einfach neue Aktien ausgeben, wodurch sich der Anteil der bisherigen Aktionäre prozentual verringert und der Wert jeder einzelne Aktie sinkt.
Vor kurzem ging das IIC weiter und verlangte – gemeinsam mit Gewerkschaften und einem Unternehmerverband – den Verzicht auf Quartalsbilanzen. Denn die verleiten dazu, Managementerfolge allein am Erreichen extrem kurzfristiger Finanzziele zu messen, was dazu führt, dass die längerfristige Stabilität des Unternehmens vernachlässigt wird. Stattdessen würden die Fonds gern etwas sehen, was man ansonsten eher aus sozialistischen Systemen kennt: einen Fünfjahresplan.
Seit langem prangern die Fonds auch überhöhte Vorstandsbezüge und exorbitante Abfindungen für ausscheidende Vorstandsmitglieder an. Einer der jüngsten Fälle betraf den Chef der Baumarktkette Home Depot, Robert Nardelli. Der ließ sich satte 210 Millionen Dollar bewilligen, obwohl während seiner Amtszeit Aktienkurs und Marktanteil des Unternehmens zurückgegangen waren. Anfang 2007 forderten zahlreiche große Fonds die US-Aufsichtsbehörden und Börsen auf, Empfehlungen der Aktionäre für die Vorstandsvergütung zuzulassen.
Lange Zeit begnügten sich die Pensionsfonds damit, ihre Interessen direkt gegenüber dem Management einzelner Firmen durchzusetzen. Doch inzwischen gehen sie einen entscheidenden Schritt weiter – nämlich in die Politik. Dahinter steckt ein einfaches Kalkül: Ihre Investitionen dürften sich besser amortisieren, wenn nicht nur die Unternehmensführung erfolgreich arbeitet, sondern auch das wirtschafts- und sozialpolitische Umfeld stimmt.
In dem Präsidentschaftswahlkampf von 2004 forderten zum Beispiel New Yorker Pensionsfonds von der Sinclair Broadcast Group, die zahlreiche lokale Fernsehsender betreibt, auf die Ausstrahlung eines äußerst umstrittenen Films zu verzichten, der Teil einer Rufmordkampagne gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry war. In dem Film wurden Kerrys Leistungen im Vietnamkrieg von Veteranen, die der republikanischen Partei nahestanden, in Zweifel gezogen. Der Fonds verwies auf die angedrohten Gegendarstellungen und zu erwartenden Schadenersatzforderungen der demokratischen Partei, die den Aktienkurs des Medienunternehmens nach unten ziehen könnten. Sinclair zog den Film zurück, was allerdings nicht allein am Proteste der Pensionsfonds lag.
Als Nächstes nahmen sich diverse Pensionsfonds das Thema Wahlkampfspenden vor. 2006 forderte eine Gruppe von Pensionsfonds sechs US-Konzerne auf, alle Spenden an Politiker und Parteien offenzulegen. Die Fonds halten Aktien im Gesamtwert von einer Milliarde Dollar an den sechs Unternehmen, zu denen die Warenhauskette Wal-Mart und der Ölkonzern Chevron gehören.
Ob die Konzerne den Forderungen nachkommen, lässt sich oft schwer belegen, denn solche Absprachen werden meist hinter den Kulissen getroffen. Immerhin lässt sich heute auf der Chevron-Website nachlesen, was der Konzern im Jahre 2006 ausgegeben hat: zum Beispiel rund 38 Millionen Dollar für eine Kampagne gegen Steuern auf Ölförderung, 2 Millionen für weniger strenge Gesetze zur Produkthaftung und viele kleine Beträge für einzelne Politiker.
In jüngster Zeit machten Pensionsfonds von sich reden, weil sie sich – jenseits von Fragen der so genannten Corporate Governance – direkt in die Umweltpolitik einmischen. Im März 2007 forderten mehrere Fonds die Kongressabgeordneten direkt auf, eine drastische Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen (um mindestens 60 Prozent bis 2050) zu beschließen. Ihre Begründung lautete, der Klimawandel sei ein Risiko für die Unternehmensentwicklung, dem man rechtzeitig begegnen müsse.
Die Politiker haben die Macht der Pensionsfonds durchaus erkannt – und möchten sie sich zunutze machen. Der demokratische Expräsidentschaftskandidat Al Gore et- wa forderte die Fondsmanager bei einem Kongress britischer Pensionsfonds auf, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Selbst die Einmischung in die internationalen Beziehungen ist kein Tabu. In Florida wurde vor kurzem ein Gesetz beschlossen, das den staatlichen Pensionsfonds untersagt, Gelder in Energiekonzerne zu stecken, die mit dem Iran oder dem Sudan Geschäfte machen. Auf diese Weise gewinnen Politiker in Florida direkten Einfluss auch auf nichtamerikanische Firmen wie Royal Dutch Shell oder Total. Innerhalb eines Jahres müssen die Pensionsfonds aus Florida nun ihre Anteile an diesen und anderen betroffenen Firmen verkaufen. Dabei geht es immerhin um Aktien im Wert von einer Milliarde Dollar.
In Deutschland spielen die Pensionsfonds noch eine höchst bescheidene Rolle. Noch verlassen sich hier die meisten Menschen auf die staatliche Rentenversicherung, die gar kein Geld investiert, sondern die von den Arbeitnehmern eingezahlten Beträge im Umlageverfahren gleich wieder an die heutige Rentnergeneration auszahlt. Die beliebteste Zusatzaltersversorgung, die Lebensversicherung, darf nur 35 Prozent ihrer Mittel in Aktien anlegen. Erst die Rentenreform 2003 erlaubte die Schaffung von Pensionsfonds, die in ihren Anlageentscheidungen einigermaßen ungebunden sind.
Deshalb sind es in Deutschland eher die Investmentfonds, die sich einmischen. Da einzelne Fonds ihr Kapital breit gestreut haben und deshalb an einzelnen Unternehmen meist nur geringe Anteile halten, agieren sie immer häufiger gemeinsam – etwa um eine verantwortungsvollere Unternehmensführung anzumahnen. Als machtvoller Block traten sie beispielsweise im Mai 2007 bei der Hauptversammlung des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline auf, wo sie das allzu großzügige Vergütungspaket für den Vorstandschef ablehnten. Ein solches Votum ist zwar nicht bindend, aber ein Konzern, der sich über den ausdrücklichen Willen großen Anteilseigner hinwegsetzt, wäre sehr schlecht beraten.
Auch in Deutschland weckt daher der wachsende Einfluss institutioneller Investoren hohe Erwartungen, und zwar vor allem an Pensionsfonds und weniger an Investmentfonds. Denn wie sich aus empirischen Untersuchungen ergibt, sind es vor allem die Pensionsfonds, die eher langfristig denken und Nachhaltigkeit fördern, da sie ja künftige Rentnergenerationen zu versorgen haben. Normale Investmentfonds sind dagegen eher am guten Management der Firmen und an einer soliden Rendite interessiert. Sie füllen also vor allem die Lücke aus, die entstanden ist, seit sich die Großbanken von vielen ihrer Firmenbeteiligungen getrennt haben.
So sprach sich der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust in der Debatte über ein neues CDU-Grundsatzprogramm Anfang des Jahres dafür aus, öffentliches Eigentum nur zu privatisieren, wenn sich die Investoren auch dem jeweiligen Standort verpflichtet fühlen und die soziale Grundversorgung gewährleistet sei. Als Beispiel für solche Investoren nannte von Beust nicht zufällig die Pensionsfonds. Diese gelten mittlerweile als Gegenmodell sowohl zu den hoch spekulativen Hedgefonds als auch zu den als Heuschrecken geschmähten Private-Equity-Fonds, die als Investoren immer wieder Angst und Schrecken verbreiten.
Die völlig unkontrolliert mit Riesensummen jonglierenden Hedgefonds, die statt an langfristigen Investitionen oft nur an optimaler Ausnutzung kurzfristiger Kursschwankungen interessiert sind, gelten als Stabilitätsrisiko für das ganze Weltfinanzsystem. Wenn sie das Management eines Unternehmens unter Druck setzen, dann nicht etwa im Sinne einer besseren Unternehmensführung, sondern rascher und maximaler Gewinnausschüttung. Das bekam auch die Deutsche Börse zu spüren, deren Versuch, die Londoner Börse zu übernehmen, von Hedgefonds gestoppt wurde, die an derart langfristigen Investments nicht interessiert sind.
Wenn Arbeitnehmer von Heuschrecken profitieren
Die Private-Equity-Fonds wiederum sind in Verruf gekommen, weil manche von ihnen Firmen aufkaufen, auf deren Namen sie dann Schulden aufnehmen, sie anschließend ausschlachten, zerlegen und am Ende die einzelnen Teile weiterverkaufen oder notfalls in Konkurs gehen lassen. An einem langfristigen Engagement sind auch sie in den meisten Fällen nicht interessiert.
An dieser Stelle bekommt das glänzende Bild der langfristig und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Pensionsfonds allerdings hässliche Risse. Schließlich wollen und müssen auch sie Renditeerwartungen bedienen. Mit sicheren Anleihen erzielen sie angesichts niedriger Zinsen seit Jahren nur geringe Erträge. Mit Aktien ging es in den letzten Jahren besser. In dieser Periode machten die geschmähten Hedgefonds und Private-Equity-Fonds kräftige Gewinne. Die erfolgreicheren von ihnen stellten jährliche Profite von 30 Prozent und mehr in Aussicht. Da glaubten auch die Manager der Pensionsfonds nicht widerstehen zu können. Denn sie stehen unter dem Druck der Anleger, die sich eine möglichst hohe Rente versprechen. Die Anleger sind damit in einer schizophrenen Lage. Als Arbeitnehmer müssen sie hoffen, dass ihre Firma nicht einer Heuschrecke zum Opfer fällt. Als künftige Rentner aber können sie von den radikalen Methoden der Gewinnmaximierung profitieren.
Pensionsfonds waren einer der wichtigsten Motoren des Private-Equity-Booms der vergangenen zwei Jahre. Ihre Manager investieren in Hedgefonds, weil die anders als Pensionsfonds in ihren Anlageentscheidungen keinen Beschränkungen unterliegen. Damit umgehen die Pensionsfondsmanager ganz einfach die gesetzlichen Auflagen, die zum Schutz der Anleger und deren Altersversorgung üblicherweise gelten.
Manche Pensionsfonds investieren 10 Prozent und mehr ihres Kapitals in riskante Fonds. Im Wall Street Journal war die Schätzung zu lesen, dass sich die von Pensionsfonds in Private-Equity-Fonds angelegten Summen im Zeitraum 1994 bis 2004 auf 100 Milliarden Dollar vervierfacht haben - und der Private-Equity-Boom hatte 2004 erst richtig begonnen.2
Doch wie wir neuerdings wieder erleben, kann das Streben nach immer höheren Renditen ins Auge gehen. 105 Millionen Dollar verlor der Pensionsfonds der öffentlichen Angestellten von San Diego, als 2006 der Hedgefonds Amaranth kollabierte, nachdem er sich mit Erdgas verspekuliert hatte. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Fußnoten:
Nicola Liebert lebt als freie Journalistin in Berlin.
© Le Monde diplomatique, Berlin