Rechts und rechts
Der französische Front National macht auf Demokratie, die britischen Nationalisten bleiben sich treu von K Biswas
Als die Proteste gegen die Regierung Cameron Anfang August eskalierten, witterte der Vorsitzende der British National Party (BNP) Nick Griffin seine Chance: „Wir stehen in diesem Land am Rand eines richtig heißen Rassenkrieges“, verkündete er. „Leute wie ich haben ich die politische Elite gewarnt, dass ihr großes multikulturelles Experiment scheitern wird.“1
Wer die betroffenen Londoner Viertel kennt oder auch nur die Fernsehbilder verfolgt hat, weiß, dass sowohl die Randalierer als auch die Polizisten, Ladeninhaber und Anwohner, die sich an den Aufräumarbeiten beteiligten, unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind. Doch für Nick Griffin stand fest, dass man es hier mit einem „Rassenproblem“ zu tun habe: Englands schwarze Community sei „total krank“, die Muslime seien drogenabhängig und hinter weißen Mädchen her.
Griffin nutzte die Tumulte für einen neuen Auftritt seiner Partei, die sich in Flügelkämpfe verstrickt und massenhaft Mitglieder verloren hatte. Dabei schien noch vor zwei Jahren der politische Durchbruch nah: Bei den Europawahlen im Juni 2009 gelang es der BNP, sich wählbar zu präsentieren, und erhielt fast eine Million Stimmen. Erstmals konnte sie zwei Vertreter ins Europäische Parlament entsenden.
Griffins langjähriger Verbündeter in Frankreich, Jean-Marie Le Pen, fuhr indessen eine Niederlage ein. Dessen Front National (FN) verlor 2009 vier von sieben Sitzen im Europaparlament und mehr als eine halbe Million Wähler. Als Le Pen seinen „Freunden von der BNP“ gratulierte, schlug er sogleich eine Allianz der nationalen europäischen Bewegungen vor. Griffin und Le Pen kennen sich seit Jahrzehnten. Und sie teilen einige Erfahrungen: Beide wurden physisch angegriffen, mehrfach der Holocaust-Leugnung beschuldigt und wegen rassistisch motivierter Vergehen verurteilt. Obwohl die Medien und die große Mehrheit der französischen wie der britischen Wähler Le Pens und Griffins Chauvinismus ordinär und gefährlich finden, gelang es ihnen mit der Zeit, eine treue Stammwählerschaft aufzubauen und den etablierten Parteien Stimmen wegzunehmen.
Seit Marine Le Pen im Januar 2011 ihren Vater an der Parteispitze abgelöst hat, steigen die Umfragewerte für den Front National. Die neue Vorsitzende gibt sich alle Mühe, die Partei von ihrem schlechten Image zu entgiften. Da Präsident Sarkozy immer unbeliebter wird, hält sie sich für eine ernsthafte Rivalin bei den französischen Wahlen 2012.
Das Auf und Ab der ultrarechten Populisten in Frankreich und Großbritannien ist schon bemerkenswert, und man fragt sich, woran das liegt: an unterschiedlichen Führungsstilen, an der jeweiligen Selbstdarstellung als Alternative zu den etablierten Parteien oder am gerade herrschenden politischen Diskurs zum Thema Einwanderung und Identität.
Nick Griffins größter Erfolg als Parteichef war die Europawahl 2009. Im Wahlkampf war er ziemlich oft im Fernsehen zu sehen, wo er sich als „Whistleblower“ präsentierte, der das ungebührliche Verhalten der politischen Klasse entlarvte. Unter dem Slogan „Punish the Pigs“ war das BNP-Videoclip zu den Wahlen eine krude Mischung aus Europhobie, Polemik gegen Einwanderer und der nostalgischen Verklärung der Vergangenheit, als das Vereinigte Königreich noch eine „anständige, gerechte und glückliche Gesellschaft“ gewesen sei. „So weit kommt es noch“, tönte der Kommentar aus dem Off, „dass man sich im eigenen Land vorkommt wie ein ungebetener Gast.“2
Angesichts des dreisten Populismus der BNP fürchteten die Volksparteien den Verlust ihrer Stammwählerschaft. Der damalige Premierminister Gordon Brown befand sich gerade in einer schweren Führungskrise, und als auch noch publik wurde, in welchem Ausmaß sich die Abgeordneten bei Spesenabrechnungen bedient hatten, fiel das Vertrauen der Briten in ihre Politiker auf einen historischen Tiefstand. In dieser Situation stellte sich der Premierminister an die Spitze einer Anti-BNP-Kampagne, unterstützt von Prominenten und Gewerkschaftern, und rief die Wähler auf, „gemeinsam mit uns für ein großes Britannien“ zu stimmen.3
Nick Griffin: zu aggressiv und zu rassistisch
Auch die anglikanische Kirche appellierte an ihre Mitglieder, keine Partei zu wählen, die „einen Keil in die Gesellschaft, insbesondere zwischen Menschen verschiedener Religion oder ethnischer Zugehörigkeit“, treibe.4 Die ganze Aktion ging allerdings nach hinten los. Griffin wurde als Vertreter des Wahlkreises North West England ins Europäische Parlament gewählt und verkündete: „Endlich herrschen in unserem Land wieder Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Das ist ein großer Sieg: Von jetzt an geht es aufwärts.“5 Sein Triumph war jedoch von kurzer Dauer. Bei den britischen Parlamentswahlen Anfang Mai 2010 konnte die BNP keinen einzigen Sitz erringen. Und ihre Vertreter in den Gemeinderäten werden reihenweise abgewählt.
Inzwischen interessieren sich die Journalisten, Politiker und Graswurzel-Aktivisten mehr für eine neue rechtsextreme Gruppierung, die islamfeindliche English Defence League (EDL), die 2009 aus der britischen Hooliganszene hervorging. Hinzu kam kürzlich eine Führungskrise, die die BNP zu spalten drohte. Griffin wurde nur mit der dünnen Mehrheit von 10 Stimmen als Parteichef bestätigt.
Bei einer Begegnung in Barnsley, Süd-Yorkshire, gestand Griffin ein, dass die BNP weit entfernt davon sei, das politische Geschehen in Großbritannien maßgeblich zu beeinflussen: „An der Haustür heißt es oft: ‚Hier wählen euch sowieso alle.‘ Aber die meisten tun es dann doch nicht. Wir registrieren eine sehr große grundsätzliche Sympathie, aber sie äußert sich nur selten im konkreten Stimmverhalten.“ Mehrere Umfragen deuten darauf hin, dass eine von rassistischen und aggressiven Elementen bereinigte nationalistische Partei durchaus Unterstützung in der britischen Öffentlichkeit finden könnte.
In Frankreich hingegen erklärte mir Marine Le Pen in der Parteizentrale des Front National in einem Vorort von Paris, dass ihre Partei heute immer mehr akzeptiert sei. „Jean-Marie Le Pen und der Front National wurden jahrelang dämonisiert. Dies umgab die Partei wie eine Mauer und hielt die Franzosen davon ab, ihr beizutreten. Mit dem Wechsel an der Spitze beginnt die Mauer jetzt zu bröckeln.“
Nach dem Debakel bei den Europawahlen hatte ihr Vater den Medien die Schuld am schlechten Abschneiden seiner Partei gegeben. Die Presse, behauptete er, enthalte der Öffentlichkeit alle Positionen vor, die aus dem üblichen Spektrum der politischen Klasse, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sei, herausfalle. Doch der Grund für das Scheitern des FN war vermutlich ein anderer: Nicolas Sarkozy hatte sich ihre Kernthemen angeeignet. Er warb für eine französische Identität, sprach von der Bevorzugung der Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt, im Wohlfahrtsstaat und bei den öffentlichen Dienstleistungen und schuf eigene Strafgesetze für im Ausland geborene Migranten. Viele Sympathisanten des FN sahen in Sarkozy den verlässlicheren Vertreter ihrer Anliegen.
Marine Le Pen sagte heute, Sarkozy habe erkannt, dass „die Franzosen sich mehr und mehr den Angeboten des Front National zuwenden. Es gelang ihm, die Kraft dieses Stroms umzulenken und zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen.“ Lachend fügt sie hinzu: „Aber jetzt fließt dieser Strom zurück in sein eigenes Bett.“ Sie meint, dass ihr Vater damals die politische Stimmung falsch eingeschätzt habe. „Der FN sprach Themen an, die völlig tabu waren.“ Seine konsequente Ablehnung jeglicher Art von Einwanderung und seine Warnungen vor den negativen Folgen der Globalisierung würden erst jetzt von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. „Manchmal ist die zu frühe Einsicht nur eine andere Art von Irrtum.“
Bald nach seinem Einzug ins Europaparlament wurden die Medien auf BNP-Chef Nick Griffin aufmerksam, weil Antifaschisten ihn als „Naziabschaum“ beschimpften und mit Eiern bewarfen. Er selbst ist überzeugt, dass die „linksliberale Medienelite“ ihm keine Chance bieten wird, seinen Ruf zu verbessern. Obwohl es „äußerst wichtig“ wäre, Brücken zu den Medien zu bauen, hält er ebendies für sehr unwahrscheinlich.
Marine Le Pen: Reden über nationale Identität
Nick Griffin hingegen fiel es schwer, seine Botschaften in klare Worte zu fassen. Sein Auftritt im Oktober 2009 in der traditionsreichen BBC-Talkshow „Question Time“ lockte mehr als 8 Millionen Zuschauer an – die höchste Einschaltquote in der 30-jährigen Geschichte der Sendung. Der BNP-Vorsitzende tauschte mit namhaften Politikern und dem Publikum Beschimpfungen aus. Griffin wurde ein „faschistischer Hintergrund“ attestiert und dass ihm „jeder moralische Kompass“ fehle. Vor den entsetzten Zuhörern sprach der BNP-Vorsitzende über seine Verbindungen zum ehemaligen Ku-Klux-Klan-Führer David Duke und bezeichnete Schwule als „echt eklig“. Da es ihm auch nicht gelang, den Vorwurf der Holocaust-Leugnung zu entkräften, verfolgte ihn danach der Ruf des Ewiggestrigen, selbst innerhalb der BNP.6
Anders als Jean-Marie Le Pen, dessen erster großer Fernsehauftritt 1984 dem FN einen festen Platz im politischen Leben Frankreichs bescherte, hat Griffin die Gunst des Publikums verspielt, die Medien interessieren sich nicht mehr für ihn. „Ich müsste schon ein Kätzchen erwürgen, um ins Fernsehen zu kommen“, sagt er und behauptet, dass bestimmte Kreise daran schuld seien, dass ihm und seiner Partei die gebührende Aufmerksamkeit verweigert werde. „Das ist keine Verschwörungstheorie oder irgendwas Antisemitisches. Wir haben jüdische Mitglieder und Stadträte in der Partei. Aber die Zionisten haben großen Einfluss in den Medien, genauso wie die aggressive Schwulenlobby. Die mögen uns nicht. Dabei verlangen wir nur, dass sie nicht schon Fünfjährigen beibringen, wie man schwul wird.“
Griffins Erklärungen sind wenig überzeugend. Offenkundig ist es ihm nicht gelungen, mit einer griffigen Erzählung potenzielle Anhänger zu begeistern. In den vergangenen Jahren erschien die BNP opportunistisch, weil sie sich auf jedes Thema stürzte, das die Volksparteien noch nicht ausgiebig genug gemolken hatten. Die Partei war gegen den Krieg in Afghanistan, für die Verstaatlichung der Telekommunikation und für lokale Währungen, warnte vor dem „großen Schwindel“ der globalen Erwärmung, befürwortete aber eine bessere Umweltpolitik.
Marine Le Pen glaubt, dass sie den richtigen Ton gefunden hat, um neue Wählerschichten anzusprechen. Die Partei, deren Anhängerschaft bisher als eine Mischung von weißen Rassisten, älteren rechtskonservativen Katholiken und Vichy-Anhängern beschrieben wird, findet neuerdings auch bei einigen Erstwählern und sogar bei Einwanderern der zweiten und dritten Generation Anklang. Le Pen präsentiert ihre Partei als radikale Alternative zur diskreditierten traditionellen Politik.
Brücken zur politischen Mitte und den Medien interessieren sie nicht, „das wäre politisch unaufrichtig und völlig opportunistisch“, sagt sie. Dennoch hatte sie einige spektakuläre Fernsehauftritte, und in der französischen Presse erschienen mehr Reportagen über die FN-Vorsitzende als über jeden anderen Vertreter der Opposition. Es ist ihr gelungen, eine negative populistische Erzählung für sich nutzbar zu machen: Sie ist gegen Einwanderung, gegen die EU und gegen die Globalisierung. Insgesamt tritt sie zwar zurückhaltender auf als ihr Vater, doch über die Eliten der Politik und Finanzwelt regt sie sich gern auf. Ginge es nach Le Pen, müssten sie für alle Missstände in der Gesellschaft, wie Kriminalität, Arbeitslosigkeit oder Kürzungen im öffentlichen Sektor, zur Verantwortung gezogen werden.
Le Pen geht so weit, den enttäuschten Wählern einen Ausweg aus wirtschaftlicher Stagnation und nationalem Niedergang zu anzubieten. Sie wirbt für ein isolationistisches Programm und behauptet, ihre Partei werde Frankreich autark machen. Man müsse nur den Zustrom der Arbeitskräfte beschränken und die industrielle Infrastruktur aufbauen. All das kleidet sie in eine Sprache, die den besorgten „französischen“ Wählern das Gefühl gibt, bevorzugt zu werden: „Wir haben bei so vielen arbeitslosen Menschen weder die Mittel noch die Stärke als nationale Gemeinschaft, die Bedürfnisse von Ausländern zu subventionieren, die nach Frankreich kommen.“
In Frankreich, Großbritannien und vielen anderen westeuropäischen Ländern hat sich die Haltung zur Einwanderung in den letzten Jahren stark gewandelt. Führende Sozialdemokraten und Konservative wollen auf einmal über „nationale Identität“ reden. Sie haben sich vom Multikulturalismus abgewandt und appellieren an die Minderheiten, sich den „europäischen Werten“ anzupassen.
Auch in Frankreich gibt es eine von der Regierung angestoßene Debatte darüber, „was es bedeutet, Franzose zu sein“ und „was die Einwanderung zu unserer nationalen Identität beiträgt“. Der Druck auf die Minderheiten, sich der Mehrheitskultur anzupassen, ist gestiegen. Auf Anordnung des Präsidenten und des damaligen Einwanderungsministers Éric Besson wurden Bürgerversammlungen abgehalten, um etwa über die Verbesserung der Französischkenntnisse unter Zuwanderern zu beraten. Diskutiert wurde auch, ob alle Schulen per Gesetz zum Hissen der Trikolore verpflichtet werden sollen. „Wir müssen die Werte der nationalen Identität und den Stolz auf unser Französischsein mehr als bisher vertreten“, verkündete Besson unbeeindruckt von dem Vorwurf, die Regierungspartei mache Politik für den rechten Rand.
Für Marine Le Pen ist der Fall klar: Diese Debatte sei dem Front National zu verdanken. „Wir stehen im Zentrum des politischen Lebens in Frankreich. Über uns definieren alle anderen ihren Standpunkt.“ Im Gegensatz zu ihrem Vater aber formuliert sie keine rassistischen Sprüche. Wenn sie über den Status der Minderheiten spricht, dann immer unter Berufung auf die Republik. „Ich bin der Meinung, dass der Staat sich darauf besinnen sollte, dass in Frankreich französische Gesetze und Grundsätze herrschen. Wer in einer Weise leben will, die sich mit diesen Gesetzen, Grundsätzen und Werten nicht verträgt, hat in Frankreich nichts zu suchen.“
In Bezug auf die Rechte der Muslime – in keinem europäischen Land leben so viele wie in Frankreich – hat die Diskussion alarmistische Züge angenommen. Im vergangenen März kündigte Sarkozy eine weitere nationale Debatte über den Platz des Islam in der französischen Gesellschaft an. Er pries das „christliche Erbe“ des Landes und machte deutlich, wie sehr ihm die sichtbaren Zeichen des Islam im säkularen Frankreich – Schächtung, Gebete im Freien und Minarette – zuwider sind.8
Monatelang wurde darüber diskutiert, ob die Burka, die in Frankreich nur von ein paar hundert Frauen getragen wird, im öffentlichen Raum verboten werden soll. Die meisten Abgeordneten befürworteten am Ende das Gesetz gegen die Burka. Frankreichs Muslime sahen sich in ihrem Verdacht bestätigt, dass das Thema deshalb so hochgekocht wurde, weil die Parteien verzweifelt um Wählerstimmen ringen.
Marine Le Pen will sich in die Debatte, ob der Islam mit der französischen Gesellschaft vereinbar sei, nicht einmischen. „In Frankreich urteilen wir nicht über die Religion. Mir geht es eher um den Fundamentalismus, das heißt um die Scharia.“ Indem sie sich auf die „Extremisten“ konzentriert, umgeht Le Pen den Vorwurf, der Front National (und die Regierungspartei) stigmatisierten die französischen Muslime. Allerdings macht man sich über deren Wohlergehen in den höheren politischen Sphären kaum Gedanken, obwohl diese Bevölkerungsgruppe nachweislich überdurchschnittlich arm ist und nicht nur am Arbeitsplatz, beim Sozialamt und vor Gericht diskriminiert wird, sondern zunehmend auch körperlicher Gewalt ausgesetzt ist.
In Großbritannien ist man sich nicht mehr so sicher, ob die ethnisch gemischte Gesellschaft ein Erfolgsmodell ist. Noch vor zehn Jahren bekannte sich der damalige Außenminister Robin Cook in seiner „Chicken Tikka Masala“-Rede voller Begeisterung zum Multikulturalismus: England könne „stolz sein auf den enormen Beitrag der vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zur Stärkung der Wirtschaft, zu unseren öffentlichen Dienstleistungen und zur Bereicherung unserer Kultur und Küche“.9
Die extreme Rechte in Europa wird salonfähig
Dass viele führende Politiker in diese Hymne heute nicht mehr einstimmen würden, hat zum Teil auch mit der Meinungsmache in der Boulevardpresse zu tun, die jede Debatte zur Immigration mit Sicherheitsfragen und der Wirtschaftskrise verknüpft. Einseitige Kommentare über die Kriminalitätsrate unter Immigranten oder deren Abhängigkeit von Sozialleistungen wurden von einer konservativen Gegenbewegung zur Political Correctness aufgegriffen und intellektuell aufgewertet.
Die Urheberschaft dieser Verschiebung in der politischen Debatte beansprucht Nick Griffin für sich. Er behauptet, dass sich konservative und Labour-Politiker heute einer Sprache bedienen, die in der Vergangenheit als extremistisch galt und die ihn über drei Jahrzehnte hinweg zum Außenseiter abgestempelt hatte. Der Spruch „britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter“, den Gordon Brown als Erster äußerte, wurde in BNP-Pamphleten gegen Arbeitsmigranten besonders hervorgehoben. Im Vorfeld der jüngsten Parlamentswahlen behauptete Griffin, afrikanische Migranten erhielten vom Staat 50 000 Pfund, um sich in seinem Wahlkreis anzusiedeln und „eine Labour-Mehrheit für alle Zeiten zu sichern.“10
Bei der Wahl wurde Griffin in seinem eigenen Wahlkreis nur Dritter. Seine Partei mobilisierte über ein Drittel weniger Wähler als bei der Europawahl vom vergangenen Jahr, obwohl die Wahlbeteiligung insgesamt höher war. „Die afrikanischen Wähler wurden von Labour-Aktivisten oder Kandidaten in Zweierreihen in die Wahllokale geführt“, behauptete er. „Dort hat man ihnen genau gezeigt, wo sie ihr Kreuz machen sollen.“
Während ultrarechte Parteien europaweit allmählich auch von nichteuropäischen Migranten der zweiten und dritten Generation unterstützt und gewählt werden, nahm die BNP erst im vergangenen Jahr offiziell Nichtweiße als Mitglieder auf – weil die britische Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission sie angezeigt hatte. Griffins verstörende Antwort auf die Frage, warum die BNP die Rassendiskriminierung in der Partei nicht schon viel früher aufgegeben habe: „Wenn man es mit einer Gruppe von weiblichen Vergewaltigungsopfern zu tun hätte, würde man sie kaum fragen, warum sie keine Männer aufnehmen oder ob sie Männer hassen. Das Gleiche gilt für unsere Partei. Sie ist eine Zufluchtsstätte für Menschen, die vom multirassischen Experiment traumatisiert sind.“
Parteien mit rechtsextremer Ausrichtung haben in weiten Teilen Europas in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen: die „Freiheitlichen“ in Österreich, die Freiheitspartei in den Niederlanden, die Lega Nord in Italien, die norwegische Fortschrittspartei und die „Wahren Finnen“ beeinflussen in Regierungskoalitionen oder aus der Opposition maßgeblich die Politik. Einige von ihnen haben sich vom französischen Front National distanziert, weil er ihnen vom Namen Le Pen zu negativ geprägt ist. Im In- und Ausland weiß man, dass der FN zwar die Führung, nicht aber die unteren Parteikader ausgewechselt hat, die immer noch dieselben ethnischen Nationalisten sind. Doch Marine Le Pen will die Partei durch Bündnisse mit ihren natürlichen Partnern auf dem Kontinent stärken. Sie ist entschlossen, aus Fehlern zu lernen, die ihren Vater über seine gesamte politische Laufbahn hinweg in politischer Quarantäne hielten.
Nick Griffin ist sich ganz sicher, dass auch die British National Party „Teil ein- und derselben Sache“ ist – eines neuen Nationalismus, der den gesamten Kontinent erfasst hat. Tatsächlich hat seine Organisation viel weniger Einfluss als der Front National. Großbritanniens politische Mitte kann die BNP einfach ignorieren. Denn die meisten Wähler können mit Griffins Politikstil, seiner paranoiden Propaganda und groben Rhetorik nichts anfangen.
Ob die französisch-britische Allianz der Rechten eine Zukunft hat, ist daher fraglich. Marine Le Pen sagte mir, dass sie einige Positionen der BNP „abstoßend“ finde und eher auf ein engeres Verhältnis zur „jüngeren“, EU-feindlichen Ein-Themen-Partei United Kingdom Independence Party setze. Griffin seinerseits meint: „Wir bewundern ihre Arbeit, sie bewundern unsere Arbeit.“ Als ich ihn mit Le Pens Aussagen konfrontierte, antwortete er: „Ich wünsche ihr alles Gute. Wenn es für sie nützlich, praktisch oder ehrlich ist, zu sagen, dass ihr das eine oder andere an unserer Politik nicht gefällt, dann kümmert mich das nicht im Geringsten.“