12.10.2007

Landnahme am Nil

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Landnahme am Nil

Ägyptens Großgrundbesitzer machen die Landreform Nassers rückgängig von Beshir Sakr und Phanjof Tarcir

Als Ernesto Che Guevara 1965 Ägypten besuchte, fuhr Präsident Gamal Abdel Nasser mit ihm nach Kamschisch, einer kleinen Ortschaft im Nildelta. Zwei Jahre später schauten hier auch Jean-Paul Sartre und Simone Beauvoir vorbei. Und noch 2005 reiste eine Delegation der internationalen Bauernorganisation Via Campesina nach Kamschisch. Was ist an diesem Dorf so interessant?

Vielleicht seine Lage: Es liegt südlich von Kafr al-Musailaha, wo Präsident Hosni Mubarak geboren ist, nordwestlich von Abu al-Kom, dem Geburtsort von Anwar al-Sadat, und westlich von Dinschawai, das 1906 Schauplatz einer berühmten Revolte gegen die britische Kolonialherrschaft war. Aber interessanter ist seine symbolische Rolle in den Bauernaufständen Ägyptens: Die Bewohner von Kamschisch haben große Siege errungen, und bis heute lassen sich die Probleme der Fellachen gerade hier gut aufzeigen.

Bis zur Revolution von 19521 ging es den ägyptischen Bauern sehr schlecht. Die wenigen „freien“ Landwirte hatten kaum genug, um zu überleben, die meisten schufteten als halb versklavte Kleinpächter für die Großgrundbesitzer. Sie waren dem System der isba unterworfen, lebten also mit ihren Familien auf den großen Landgütern in kleinen Weilern und bestellten das Land des Grundherrn unter der Aufsicht eines Gutsverwalters. Sie erhielten keinen Lohn, sondern nur das informelle Recht, eine kleine Parzelle auf dem Gut auf eigene Rechnung zu bewirtschaften. Von deren Ertrag mussten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.

So war es auch in Kamschisch, wo der Grundbesitzerfamilie Fiqqi Ende der 1940er-Jahre zwei Drittel des Ortes gehörten – Teil ihrer Liegenschaften von etwa 600 Hektar. Die Familie kontrollierte auch die 1936 gegründete Kooperative der Kleinbauern, die von ihren Krediten und der Versorgung mit Saatgut und Dünger abhängig war. Gemeinsam mit dem Bürgermeister konnten sie Parzellen neu verteilen, Arbeiter für ihre Zwecke anwerben und sich Vorrechte bei der Bewässerung sichern.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war eine Landreform längst überfällig. Ein Gesetz zur drastischen Beschneidung des Grundbesitzes gehörte zu den ersten Maßnahmen der Junta der Freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser. Das Gesetz wurde am 9. September 1952, knapp zwei Monate nach dem Putsch, verabschiedet.

Wie in vielen anderen Dörfern gelang es den Grundherren auch in Kamschisch, die neuen Bestimmungen zu umgehen. Bis 1961 dokumentierten die Fiqqi mittels verschiedener Tricks, dass ihr Grundbesitz die gesetzliche Obergrenze nicht überschreitet. In Wirklichkeit besaß jedes Familienmitglied mehr als das Doppelte des Erlaubten. Unterstützt von Studenten, hatten die Bauern schon Ende 1952 begonnen, sich gegen diese Verhältnisse zu wehren. Anführer dieser Bewegung war Salah Hussein Maqlad, der aus einer verarmten Grundbesitzerfamilie stammte. Sie forderte alle Bauern auf, sich das Land zurückzuholen, das sie in der wirtschaftlichen Depression der 1930er-Jahre zu Schleuderpreisen an die Familie Fiqqi verkaufen mussten.

Bis heute ist in der Umgebung von Kamschisch die Erinnerung an die blutigen Kämpfe von 1953 lebendig. Salah Hussein wurde Ende 1953 in die Provinzhauptstadt Schibin al-Kom verbannt, dann saß er wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft über ein Jahr im Gefängnis, zudem waren ihm bis 1964 die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen. Der Staat vertrat „antifeudale“ Positionen – aber eine autonome Bauernbewegung war ihm nicht geheuer.

Der soziale Frieden hielt nur fünf Jahre

Dennoch vollzog das Nasser-Regime im Juli 1961 einen radikalen politischen Schritt: Durch die sogenannten sozialistischen Erlasse wurden Vermögenswerte und Grundbesitz von 4 000 Familien unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt – insgesamt über 50 000 Hektar. In Kamschisch brauchte ein eigens dafür eingesetzter Ausschuss mehr als sechs Monate, um nach Prüfung unzähliger umstrittener Grundstücksgrenzen zu befinden, dass die Familie Fiqqi erheblich mehr Land besaß, als ihr erlaubt war. Die Familie wurde nach Alexandria verbannt, ihr Grundbesitz beschlagnahmt und an 200 Kleinbauern im Dorf verteilt. Kamschisch galt nun als Paradebeispiel für die Durchsetzung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit auf dem Land dank Umsetzung einer „sozialistischen“ Reform.

Der soziale Frieden hielt allerdings nur fünf Jahre. Als Salah Hussein rehabilitiert wurde und 1966 nach Kamschisch zurückkehrte, überwachte ihn der Geheimdienst. Jetzt galt er als gefährlicher kommunistischer Agitator. Im April forderte er in einem Brief an die Führung der ägyptischen Einheitspartei Arabische Sozialistische Union (ASU) die Beschlagnahme der von den Feudalherren verlassenen Gutshäuser, um dort öffentliche Einrichtungen für Bildung und Gesundheit unterzubringen.

Einige Tage später, am 30. April 1966, wurde er – angeblich bei einer Schlägerei – getötet. Zwei führende Mitglieder der Familie Fiqqi gerieten sofort in Verdacht, hinter dem Anschlag zu stehen, aber die Justiz begnügte sich damit, einige unbedeutende Mittäter zu verurteilen.

Natürlich verfolgte der Staat mit der Reform von 1961 auch weitergehende politische Ziele. Die dem gestürzten Königshaus verbundene Klasse der Großgrundbesitzer sollte der wirtschaftliche und soziale Rückhalt genommen werden, um sie endgültig zu entmachten. Das mag auf nationaler Ebene halbwegs gelungen sein, doch auf regionaler und lokaler Ebene verstanden es die Grundherren und ihre Nachkommen in den 1960er-Jahren, zahlreiche Posten in Politik und Verwaltung zu behaupten oder neu zu besetzen.

Nach 1961 – dem Jahr, als das zweite Gesetz zur Landreform und die „sozialistischen Erlasse“ in Kraft traten – wurden überdies die beschlagnahmten Güter nach zwei deutlich unterschiedenen Rechtsformen verwaltet. Ländereien, die nach den Bestimmungen der beiden Landreformgesetze enteignet worden waren, konnten die Bauern, die sie bewirtschafteten, vom Staat erwerben – in Ratenzahlungen über vierzig Jahre.

Für die in den 1960er-Jahren, der radikalen Periode des Nasser-Regimes, beschlagnahmten Güter galt eine andere Regelung. Sie blieben Eigentum der Großgrundbesitzer, standen aber nicht mehr unter ihrer Verfügung, sondern wurden vom Amt für Zwangsverwaltung und der Landreformbehörde an Kleinbauern verpachtet, wobei der Pachtzins an die Eigner ging.

Nassers Nachfolger Anwar al-Sadat leitete schon im Mai 1971 eine Kurskorrektur mit dem Ziel der „Entnasserisierung“ ein. Im Juni 1974 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die im Zuge der Reformen von 1961 erfolgten Beschlagnahmen aufhob. Das bedeutete die Rückgabe von 60 000 Hektar an die Eigentümer respektive satte Entschädigungen. Natürlich gab es Widerstand gegen diese Regelung. Die Bauern, die über unbefristete und relativ günstige staatliche Pachtverträge verfügten, ließen sich von den Grundbesitzern nicht einfach vertreiben.

In Kamschisch erhielt die Familie Fiqqi nicht nur alle beschlagnahmten Ländereien zurück, sondern auch ihren Stammsitz, in dem inzwischen eine Schule und verschiedene soziale Einrichtungen untergebracht waren. Schahinda Maqlad, die Witwe von Salah Hussein, führte seit Juni 1972 eine regionale Protestbewegung an, was ihr mehrere Gefängnisaufenthalte und die Verbannung aus dem Dorf einbrachte.

Heute ist Kamschisch eine Kleinstadt mit 40 000 Einwohnern. Die Arbeitsmigranten, die seit 1990 aus den Golfstaaten zurückkehrten, brachten Geld in die Region. Inzwischen gibt es hier drei Apotheken und einen ummauerten und vergitterten Stadtpark, den die Präsidentengattin Suzanne Mubarak gestiftet hat. Neben dem Park steht noch ein Symbol des entschlossenen Kampfs gegen den Feudalismus: eines der kleinen Herrenhäuser, die einst der Familie Fiqqi gehörten. Aber viele der militanten Bauern, die für ihr Recht auf Grundbesitz kämpften, zahlten einen hohen Preis. Sie wurden isoliert, bedroht, bedrängt, verhaftet, gefoltert, verbannt – und manche ermordet. 55 Jahre nach der ersten Landreform leben viele noch immer mit der Angst, von einem Tag auf den anderen vertrieben zu werden.

Ein 1992 beschlossenes Agrargesetz markierte einen grundsätzlichen Wandel im Verhältnis zwischen Landeignern und Pächtern. Es sollte erst 1997 in Kraft treten, aber für eine Übergangsperiode von fünf Jahren brachte es bereits eine schrittweise Erhöhung der Pacht vom 7-Fachen auf das 22-Fache der Grundsteuer. Danach sollte der Markt die Preise bestimmen, und wer nicht bezahlen konnte, durfte von seinem Ackerland vertrieben werden. Überdies waren ab 1997 die Pachtverträge weder vererbbar noch unbefristet, vielmehr galten sie nur für eine vereinbarte Frist (die offizielle Mindestlaufzeit betrug ein Jahr). Der jährliche Pachtzins musste bei Vertragsschluss – also eventuell noch vor der Ernte – vollständig in bar entrichtet werden. In den unzähligen Gutachten über die Agrarreform war von den möglichen Folgen für die Bauern nicht die Rede.

Das Gesetz betraf mindestens eine Million der damals 3 Millionen registrierten landwirtschaftlichen Betriebe. Das waren fast 6 Millionen Menschen oder ein Neuntel der Bevölkerung. Und es zeigte, dass Grundeigner und wirtschaftsliberale Politiker an einem Strang zogen. Die einen konnten durch die deutliche Erhöhung der Grundrente oder die erweiterte Verfügungsgewalt den ererbten Landbesitz aufwerten. Die anderen durften stolz auf die angeblichen Vorzüge einer marktwirtschaftlich geprägten Landwirtschaft verweisen. In ihren Augen bot das neue System entscheidende Vorteile: Es erlaubte die Modernisierung und Intensivierung der Landwirtschaft, um höhere Gewinne zu erzielen, und zugleich die „Ausmusterung“ der unrentablen Kleinbetriebe oder ihre Einbindung in moderne Produktionsverfahren.

Die begleitende Propaganda schilderte die früheren Verhältnisse in grotesk verzerrten Bildern. Die Grundeigentümer seien von „verantwortungslosen“ Pächtern „ausgebeutet“ worden: Die hätten nur die enormen Gewinne im Sinn gehabt, die sie auf Grund der lächerlich geringen Pachtbeträge erzielen konnten, hätten die Felder ruiniert und sich diese letzten Endes zu Spottpreisen angeeignet.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Gerade die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe in Ägypten zeichnen sich durch äußerst intensive Nutzung der Böden aus. Ihre Erträge gehören zu den höchsten in den Ländern des Südens, im Gartenbau sind bis zu drei Ernten im Jahr möglich. Natürlich geht es den Bauern zunächst darum, ihre Familie zu ernähren, doch neben der Subsistenzwirtschaft bemühen sie sich um Diversifizierung der Produkte, die sie vermarkten. Damit streben sie nach Gewinn und setzten sich den Risiken des Markts aus. Außerdem ist zu beobachten, dass Bauern mit langfristigen Pachtverträgen weder Arbeitsaufwand noch Ausgaben für Düngemittel scheuen, um den Ertrag der Böden zu steigern. Solche Investitionen werden Bauern, die ihren Vertrag jährlich erneuern müssen – von der Höhe der Pachtzahlungen ganz abgesehen – kaum in Betracht ziehen.

Als das Gesetz im Oktober 1997 in Kraft trat, rechneten die Leitartikler jedenfalls mit Bauernaufständen. Dazu kam es nicht, aber die Vertreibung von Bauern, die sich weigerten, die erhöhte Pacht zu zahlen, führte in vielen Dörfern zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Für die Jahre 1998 bis 2000 verzeichnete das „Zentrum für die Menschenrechte in ländlichen Gebieten“ (eine NGO mit Sitz in Kairo)2 119 Tote, 846 Verletzte und 1 409 Festnahmen im Zusammenhang mit der Vertreibung von Pächtern und mit anderen Konflikten um das Recht an Ackerland. Dennoch blieben die Vorfälle weitgehend isoliert.

Dass es nicht zu einer Kettenreaktion kam, lag weniger an den staatlichen Vermittlungsausschüssen, sondern daran, dass unabhängige Gewerkschaften verboten waren und die Geheimdienste und andere Sicherheitsorgane ganze Arbeit geleistet hatten. Ein Faktor war auch die Vielschichtigkeit der sozialen Beziehungen auf dem flachen Lande. Schon damals gab es eine Schattenwirtschaft mit sehr hohen Pachtzahlungen, Sonderbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen Pächtern und Grundherren, und neben den Großgrundbesitzern auch kleine Grundeigner, die nicht selbst Landwirtschaft betrieben.

Viele Pächter mussten aufgeben

Das Agrargesetz von 1992 bedeutete jedenfalls einen drastischen Einschnitt im Leben der Bauern. Seither hat sich die Pacht für Grund und Boden im Agrarsektor etwa um das Zehnfache erhöht; diese Kosten verschlingen heute in einem Landwirtschaftsbetrieb häufig ein Drittel bis die Hälfte des jährlichen Bruttoeinkommens. Schätzungsweise haben zwei Drittel der Bauern, die 1996 noch Land gepachtet hatten, ihren Betrieb inzwischen eingestellt. Der Hauptgrund: Sie mussten sich immer weiter verschulden, um die steigenden Pachtkosten aufzubringen. Sie verkauften Familienschmuck oder Vieh, oder sie versuchten, ihre Lebenshaltungskosten zu senken, indem sie Fleisch vom Speisezettel absetzten, oder sie schickten ihre Kinder nicht mehr in die Schule, um sie als Arbeitskräfte zu nutzen.

Landwirtschaftliche Betriebe mit mehr als 4,2 Hektar3 konnten sich dagegen stabilisieren, was die Nutzflächen und die Zahl der Arbeitskräfte angeht – letztlich auf Kosten der Kleinbauern. Von 1952 bis 1980 war die Ungleichheit in der Verteilung des Ackerlands zurückgegangen, danach war sie bis 1990 unverändert geblieben. Seither nimmt sie wieder zu, ganz wie in den Zeiten des ägyptischen „Ancien Regime“.

Im Regierungsbezirk Minufiya, zu dem Kamschisch gehört, kam es in den vergangenen zehn Jahren zu zahlreichen sozialen Unruhen, die von Konflikten um die Bodenrechte herrührten. Auslöser dieser Kämpfe, von denen die ägyptischen Medien kaum berichteten, waren die Versuche der alteingesessenen Großgrundbesitzer, sich mithilfe des Gesetzes von 1992 frühere Besitztümer wieder anzueignen oder Zugriff auf neue wertvolle Grundstücke zu erlangen. Nach den oft äußerst gewaltsamen Konflikten zwischen den Bauern und den Handlangern der Grundeigner oder der von ihnen zu Hilfe gerufenen Polizei kam es zu Verhören und willkürlichen Verhaftungen (die zuweilen auch Folterungen bedeuteten) und zweifelhaften Strafprozessen mit harten Urteilen. Nach Angaben des ägyptischen „Zentrums für die Menschenrechte in ländlichen Gebieten“ forderten diese Konflikte in den Jahren 2001 bis 2004 171 Tote und 945 Verletzte und führten zu 1 642 Verhaftungen.

Ein drastisches Beispiel sind die Ereignisse in Sarando, einer Ortschaft von 10 000 Einwohnern im Nordwesten des Nildeltas. Hier versuchte die Grundeignerfamilie Nawar im Jahr 2005, die unklare Rechtssituation zu nutzen, um sich 2 100 Hektar Ackerland, das ihr bis 1952 gehört hatte, gewaltsam wieder anzueignen. Vom 5. Januar bis zum 15. März erlebten die Menschen in Sarando einen Albtraum: Die Polizei durchsuchte ihre Häuser und verhörte viele Männer unter der Anschuldigung des Waffenbesitzes, der Vernichtung von Ernten und des Angriffs auf Vertreter staatlicher Organe. Dutzende wurden verhaftet – am 14. März starb eine 40-jährige Frau während einer Folterung in Polizeigewahrsam.

Ähnliche Szenen spielten sich im vergangenen Jahr in Isbat Merscha ab, 200 Kilometer nordöstlich von Sarando. Dort hatten die Bauern von 1964 bis 2005 ihre jährlichen Zahlungen für den Erwerb der ihnen nach den Reformgesetzen zugewiesenen Grundstücke gewissenhaft geleistet. Aber das Amt für Landreform wollte ihnen keine Eigentumstitel ausstellen. Der frühere Grundeigentümer nutzte die Lage, um die Bauern mit Prozessen zu überziehen. Sobald er ein Verfahren gewonnen hatte, ließ er den Betroffenen von den Grundstücken vertreiben – auf diese Weise gelang es ihm, die Hälfte der einst enteigneten 42 Hektar wiederzuerlangen.

Unterdessen hatten die Bauern aber endlich ihre Eigentümerurkunden erhalten. So konnten die bereits Vertriebenen in die Berufung gehen. Da dieser rechtliche Einspruch aber keine aufschiebende Wirkung hatte, konnten am 21. Mai 2006 Polizeikräfte mit 17 Mannschaftswagen und Dutzende Polizeiagenten in Zivil auf ein Grundstück vorrücken, um eine weitere Ausweisung durchzusetzen. 600 Einwohner von Isbat Merscha waren bereit, ihrem Nachbarn zu Hilfe zu eilen.

Als sie in Begleitung von Journalisten am Schauplatz eintrafen, wurden sie von den Ordnungskräften eingekreist und mit Schlagstöcken und Tränengas traktiert, am Ende wurden Frauen in einen Kanal gestoßen. Ein Journalist erlitt Verletzungen, 25 Personen mussten zum Verhör. Dass die Presse und ein 2005 in Kamschisch gegründetes Unterstützungskomitee (das im Juni 2005 am Europäischen Sozialforum in Barcelona teilnahm) anwesend waren, sorgte immerhin dafür, dass der Zwischenfall im Ausland wahrgenommen wurde.

Die ägyptischen Botschaften erhielten eine Flut von Protesten, die Bauern kamen schnell aus der Untersuchungshaft frei, und die meisten Vorwürfe gegen sie wurden fallen gelassen. Der für den brutalen Einsatz verantwortliche Polizeioffizier wurde sogar strafversetzt.

Inzwischen haben die Bauern gelernt, dass sie ihre Auseinandersetzung mit den früheren Grundherren nicht als Einzelkämpfer führen dürfen, sondern sich gemeinsam wehren und alle Rechtsmittel ausschöpfen müssen. In Kamschisch hat der Kampf gegen die Rücknahme der Landreform neu begonnen.

Fußnoten: 1 Am 23. Juli 1952 stürzte eine Bewegung unter der Führung des jungen Oberst Gamal Abdel Nasser die ägyptische Monarchie. Dem von Großbritannien gestützten König Faruk wurde die Schuld an der arabischen Niederlage im Krieg von 1948 um die Gründung Israels zugeschrieben. Im Juni 1953 erklärte Nasser Ägypten zur Republik. 2 Land Center for Human Rights, www.lchr-eg.org. 3 Die Obergrenze lag bei 10 feddan (1 feddan = 0,42 Hektar).

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Beshir Sakr ist Journalist, Phanjof Tarcir ist Ethnologe.

Le Monde diplomatique vom 12.10.2007, von Beshir Sakr und Phanjof Tarcir