12.10.2007

Erster Sonnenschein über Korea

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Erster Sonnenschein über Korea

Die koreanische Friedensinitiative und der Zickzackkurs der US-Regierung von Bruce Cumings

B ei ihrem Gipfeltreffen Anfang Oktober verkündeten die Staatschefs von Süd- und Nordkorea in Pjöngjang, sie wollten den seit 50 Jahren währenden Kriegszustand auf der Halbinsel beenden. Auch im Konflikt zwischen Pjöngjang und Washington um das Nuklearprogramm Nordkoreas rückte eine Einigung näher. Der Gipfel sollte eigentlich bereits Ende August stattfinden, wurde aber verschoben – angeblich wegen der schweren Überschwemmungen im Norden. Doch im Grunde ist ein solches Treffen bereits seit sechs Jahren überfällig:

Das erste Zusammentreffen der koreanischen Staatsoberhäupter hatte im Juni 2000 ebenfalls im Norden stattgefunden. Danach sollte Kim Jong Il Seoul einen Gegenbesuch im Süden abstatten, zu dem es aber nie gekommen ist. Nun bat er den Präsidenten Südkoreas Roh Moo Hyun abermals nach Pjöngjang.

Roh willigte ein, da er sich – wie schon sein Vorgänger Kim Dae Jung – von der jahrzehntelangen Politik der gegenseitigen Nadelstiche verabschiedet hat und Kims Strategie der Aussöhnung, die sogenannte Sonnenscheinpolitik fortsetzt. In früheren Zeiten war jede Seite kleinlich auf den eigenen Vorteil bedacht, man drohte und plusterte sich endlos auf – mit dem Resultat, dass es in den innerkoreanischen Beziehungen nur mit Trippelschrittchen vorangegangen war – wenn es denn überhaupt voranging.

Südkorea ist heute die zehntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und hat seinen ökonomischen Vorsprung vor dem Norden uneinholbar ausgebaut. Da fällt es Seoul leicht, Kim Jong Il im Glauben zu lassen, dass er das Sagen hat, und weiter geduldig die Öffnung des Nordens zu betreiben. Roh hofft auch, dass der Kandidat seiner Partei von dem Gipfeltreffen profitieren wird, wenn die Wähler in Südkorea im Dezember einen neuen Staatspräsidenten bestimmen. Gegenwärtig ist Rohs Popularität auf einem Tiefstand, in Umfragen liegt die oppositionelle Große Nationalpartei (GNP), die Südkorea bis 1998 regierte, weit vor der regierenden Uri-Partei.

Die Demokratische Volksrepublik Korea (DPRK) des Nordens war lange überzeugt, dass sie die Politik der Republik Korea (ROK) manipulieren könne. Vielleicht ist ihr Einfluss auf den Süden tatsächlich größer, als man vermutet, denn in Südkorea hat sich die Haltung zum Norden seit Kim Dae Jungs Aussöhnungspolitik dramatisch verändert. Früher hatte die Propaganda im Süden die Kommunisten stets als üble Sadisten dargestellt; heute sehen die Südkoreaner sie eher als Verwandte, die ihnen vor langer Zeit abhanden kamen und seitdem unter der Vormundschaft von irrgläubigen und wahrscheinlich auch verrückten Onkel leben. Das Gipfeltreffen markiert den Abschluss dieses außergewöhnlichen Sinneswandels.

Präsident Roh beschreibt die koreanische Halbinsel als „Zentrum“ einer dynamischen nordostasiatischen Wirtschaftsregion, deren Entstehung und Ausbau er als seine politische Hinterlassenschaft betrachtet. Immerhin hat sich der Handel zwischen den beiden Koreas seit 2000 verdreifacht.

Doch der wichtigste Grund für das Gipfeltreffen ist die völlig unerwartete Verbesserung der Beziehungen zwischen US-Präsident George W. Bush und Kim Jong Il, durch die das Abkommen vom 13. Februar 2007 über das Ende des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms erst möglich wurde.1 Dieses Abkommen stellt zweifellos einen Durchbruch dar, wobei aber noch ziemlich unklar ist, wie und warum es zustande kam.

Denn bekanntlich hatte Pjöngjang noch am 4. Juli 2006, dem amerikanischen Nationalfeiertag, sechs Mittelstreckenraketen und eine Langstreckenrakete abgefeuert und im darauffolgenden Oktober einen ersten Atombombentest absolviert. Der UNO-Sicherheitsrat verhängte daraufhin mit Zustimmung Moskaus und Pekings Sanktionen gegen Nordkorea, die allerdings keine militärische Drohung enthielten.2

Präsident Bush bekennt sich zu dem erzieherischen Grundsatz, „schlechtes Benehmen“ dürfe „nicht belohnt werden“. Entsprechend hatte er auch direkte Verhandlungen mit Nordkorea stets abgelehnt und das Land der „Achse des Bösen“ zugerechnet. Dem Washingtoner Starjournalisten Bob Woodward hatte er erzählt, dass er Kim „verabscheue“ und dessen Regime stürzen wolle. Und Vizepräsident Richard Cheney hatte 2004 getönt: „Mit dem Bösen verhandeln wir nicht, wir schalten es aus.“

Der vergessene Raketendeal

Und doch hat dieselbe Regierung das Februar-Abkommen in streng geheimen direkten Gesprächen zwischen US-Staatssekretär Christopher Hill, Unterhändler des State Department, und Außenminister Kim Gye Gwan in Peking und Berlin ausgehandelt und den Teilnehmern der Sechs-Parteien-Gespräche zur Ratifizierung vorgelegt.

Diese vor zwei Jahren auf Betreiben Pekings entstandene Sechsergruppe (China, die USA, Japan, Russland und die beiden koreanischen Staaten) war von Anfang dazu gedacht, als Forum für direkte Gespräche zwischen Washington und Pjöngjang zu dienen. Das Abkommen umfasst eine Reihe wichtiger Schritte: Nordkorea erklärt sich bereit, seine Plutoniumreaktoren abzuschalten und stillzulegen, Washington lockert sein Jahrzehnte altes Sanktions- und Embargoregime gegen Nordkorea, die USA streichen Nordkorea von ihrer Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen, und Nordkorea lässt die Nuklearinspektoren der IAEO wieder ins Land. Und schließlich will man den Koreakrieg durch ein formelles Friedensabkommen beenden und die bilateralen Beziehungen normalisieren.

Über all diese Punkte waren beim Amtsantritt von Präsident Bush bereits Gespräche begonnen oder sogar eine Einigung erzielt worden. Die Clinton-Regierung hatte einen Plan entwickelt, den Nordkoreanern ihre Mittel- und Langstreckenraketen quasi abzukaufen. Eine entsprechende Vereinbarung lag 2000 zur Unterzeichnung vor, doch Bush schob sie dann einfach beiseite. Mit der Folge, dass der Norden bis heute sein beachtliches Raketenarsenal erhalten konnte.

Clintons Außenministerin Madeleine Albright schreibt in ihren Memoiren, wie erstaunt sie war, dass Bush diesen Deal verfallen ließ; schließlich seien die Raketen das einzige zuverlässige Mittel, mit dem Nordkorea seine Atomwaffen überhaupt gezielt einsetzen könne. Noch erstaunlicher ist, dass sich heute offenbar kaum noch einer der US-Experten an diese Raketenverhandlungen erinnert, obwohl bis 2000 ausführlich darüber berichtet wurde.

Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass es Bush – oder vielleicht auch Außenministerin Condoleezza Rice – gelungen ist, den pausenlosen Streit seiner Berater über den Umgang mit internationalen Bösewichten abzustellen. Der Höhepunkt dieser Streitigkeiten war vor zwei Jahren erreicht.

Am 19. September 2005 hatten sich Nordkorea und die USA bei der vierten Runde der Sechs-Parteien-Gespräche auf Prinzipien geeinigt, die den Weg zu einem Nuklearabkommen ebnen sollten. Dazu gehörte die Zusage der USA, Nordkorea nicht anzugreifen. Drei Tage später verhängte das US-Finanzministerium – auf der Grundlage des USA Patriot Act – Sanktionen, die Nordkorea vom internationalen Finanzverkehr abschnitten. Begründung: Das Land habe illegale Geschäfte mit der Banco Delta Asia in Macao getätigt.

Inzwischen haben Journalisten recherchiert, dass die Beweise für die Vorwürfe recht dünn waren – und der Fall schon über zehn Jahre zurücklag: 1994 sollen die Nordkoreaner gefälschte Banknoten im Nennwert von 250 Millionen US-Dollar bei der Banco Delta eingezahlt und bis zu 45 Millionen falscher US-Dollar in Umlauf gebracht haben. Insider sind allerdings der Meinung, dass es dabei in Wirklichkeit um völlig legale Goldtransaktionen ging, die Pjöngjang mit dieser obskuren Bank abwickelte.

Die ganze Sache war dann in Vergessenheit geraten. Hinter der verspätete Aufklärungsaktion von 2005 steckten Regierungsmitglieder, die die Annäherung zwischen Pjöngjang und Washington torpedieren wollten.3 Das Problem wurde schließlich geräuschlos gelöst, indem die USA in die Rückgabe aller beschlagnahmten Guthaben einwilligten, ohne irgendwelche Strafen oder auch nur Untersuchungen zu fordern.

Der bekannte Korea-Experte Leon V. Sigal ist der Ansicht, dass es immer eine gewisse Zeit dauert, bis eine neue US-Administration – egal ob von den Republikanern oder den Demokraten gestellt – kapiert, dass man sich mit Nordkorea arrangieren muss. Und so habe auch Bush mit dem Abkommen vom Februar 2007 „die USA auf klaren Aussöhnungskurs gegenüber Nordkorea gebracht“. Ähnlich optimistisch äußerte sich der US-Unterhändler Christopher Hill im August: Bis Ende 2007 sei von Nordkorea eine vollständige Offenlegung aller Nuklearwaffenbestände und -programme zu erwarten. Im Lauf des Jahres 2008 rechnet Hill dann mit einer endgültigen Stilllegung aller entsprechenden Anlagen. Er deutete sogar die Möglichkeit eines baldigen Besuchs von Condoleezza Rice in Pjöngjang an. Und – es gibt sogar Gerüchte über ein Gipfeltreffen zwischen George W. Bush und Kim Jong Il. Sollte es dazu kommen, wäre das eine gute Sache. Aber noch nie hat eine US-Administration so lange gebraucht, um zu einer solchen Entscheidung zu kommen.

Kampf zweier Linien in Washington

Bis zum Februar-Abkommen war Bushs Koreapolitik die bornierteste aller Zeiten. Im Oktober 2002 schickte er den Diplomaten James Kelly (Hills Vorgänger als Leiter der Ostasien- und Pazifikabteilung im State Department) nach Pjöngjang, der die Nordkoreaner beschuldigte, ein zweites Atomprogramm zu betreiben, das mit hochangereichertem Uran (HEU) arbeitet. Unmittelbar danach kündigte Bush das wichtige Rahmenabkommen zwischen den USA und Nordkorea von 1994 auf, das den Betrieb der nordkoreanischen Plutoniumfabrik Yongbyon immerhin acht Jahre lang unterbunden hatte.4

Pjöngjang reagierte darauf mit dem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag und der Entsiegelung der Plutoniumanlagen, in denen 8 000 Plutoniumbrennstäbe lagerten, gesichert in Betoncontainern. Aus diesem Material stellten die Nordkoreaner eine unbekannte Zahl von Atomwaffen her, wofür sie lediglich einen Klaps auf die Hand erhielten.

Dass Washington in den Jahren 2002 und 2003 untätig blieb, war zum Teil auf die endlosen internen Dispute über eine angemessene Reaktion auf die provokativen Schritte der Volksrepublik Korea zurückzuführen. Damals drängten, wie im aktuellen Atomkonflikt mit dem Iran, einige Leute in der Regierung (vor allem in der Umgebung von Vizepräsident Richard Cheney) auf eine Bombardierung.

Andere konterten mit dem Argument, dies könne zu einem neuen Koreakrieg führen. Außerdem war der Präsident vordringlich mit der Vorbereitung des Irakkriegs beschäftigt. Deshalb wurde im Fall Nordkorea nichts unternommen. Washington beschwerte sich lediglich bei den Südkoreanern, dass man nicht wisse, welches Ziel Seoul mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ verfolge. So schaffte es Bush, sich mit beiden Koreas gleichzeitig anzulegen.

Das Abkommen von 1994 erwähnte die HEU-Technologie mit keinem Wort. Die meisten Experten gingen jedoch davon aus, dass Nordkorea tatsächlich heimlich und unzulässigerweise mit dem pakistanischen Atomwaffenexperten Abdul Kadir Khan zusammengearbeitet hat. Von diesen Aktivitäten setzten Clintons Mitarbeiter schon Ende 2000 das Team des künftigen Präsidenten George W. Bush in Kenntnis. Die Clinton-Leute meinten aber auch, man solle die Übereinkunft über das Einfrieren von Yongbyon deshalb nicht aufkündigen und den Deal über Nordkoreas Raketen abschließen. Der Bau einer Bombe mittels HEU sei eine technologisch höchst komplizierte Sache, die Nordkorea zu jahrelangen Experimenten zwinge.5

Niemand kann überrascht sein, wenn ein Staat wie Nordkorea gegen Abkommen verstößt. Aber sowohl in der Übereinkunft von 1994 als auch im Raketendeal waren gründliche Verifikationsmaßnahmen (der IAEO) vorgesehen, die den Bau von Plutoniumbomben oder Trägersystemen praktisch ausschlossen.

Die Bush-Regierung legte die unter Clinton gesammelten Geheimdienstinformationen bis 2002 zu den Akten. Dann aber schickte sie Kelly nach Pjöngjang, um die Nordkoreaner mit ihrem Wissen zu konfrontieren. Die US-Unterhändler haben in den 1990er-Jahren aber vor allem eines gelernt: dass man gegenüber Nordkorea nicht konfrontativ auftreten sollte. Kelly kehrte mit leeren Händen nach Washington zurück. Auch das Timing seiner Mission war provokativ: Nur wenige Wochen zuvor hatte Bush die neue Militärdoktrin vom September 2002 verkündet, die präventive Militärschläge der USA gegen Staaten der „Achse des Bösen“ vorsieht. Sechs Monate später marschierten US-Truppen im Irak ein.

Pjöngjang folgerte daraus, Saddam wäre wohl kaum angegriffen worden, wenn er tatsächlich über Atomwaffen verfügt hätte. Und begann in verschiedenen Versionen über „nukleare Abschreckung“ zu sprechen.

Heute wissen wir, dass die Geheimdiensterkenntnisse über die HEU-Fähigkeiten Nordkoreas genauso mangelhaft waren wie die über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen. Auch Nordkorea hatte tausende Aluminiumröhren erworben. Doch stellte sich heraus, dass diese nicht stabil genug waren, um als Anreicherungszentrifugen zu funktionieren. Zudem war die begrenzte Anzahl von Röhren, die Nordkorea nachweisbar erworben hatte, von den Geheimdiensten in Washington zu einer „bedeutenden Produktionskapazität“ aufgebauscht worden. Danach konnten die USA keinerlei Hinweise mehr finden, dass Nordkorea sich „in großem Umfang“ Materialien beschafft hat, die für ein auf hochangereichertem Uran basierendes Atomwaffenprogramm erforderlich wären.

Die Bombe, die Nordkorea im vergangenen Jahr zur Explosion brachte, basierte auf Plutonium- und nicht auf HEU-Technologie. Die Bombe geht also auf das Konto von Bush und nicht auf das von Clinton. Warum sich Nordkorea zu dem Atomwaffentest entschlossen hat, ist schwer zu sagen. Schon vor fünfzehn Jahren gelang es Pjöngjang, die Welt glauben zu lassen, man verfüge über Nuklearwaffen. 1992 ging die CIA von ein oder zwei nordkoreanischen Bomben aus, und diese Schätzung galt zehn Jahre lang unverändert. Nordkorea wurde durch das Rätselraten über sein Atomarsenal nur gestärkt: Wie der Fall Israel zeigt, wirkt allein schon die Möglichkeit, dass ein Land über Atomwaffen verfügt, ohne dass es dies zugibt oder durch einen Test beweist, als Abschreckung für mögliche Gegner, und zwar ohne dass die Nachbarn den unwiderstehlichen Drang verspüren, mit dem mutmaßlichen Atomstaat gleichzuziehen.

Warum hat also Nordkorea diese durchaus vorteilhafte Zweideutigkeit beendet? Vielleicht richtete sich der Test in erster Linie an China, das nach den nordkoreanischen Raketenabschüssen vom Juli 2006 seine Ölexporte nach Nordkorea gestoppt hatte. Pjöngjang wollte möglicherweise zeigen, dass es sich nicht einschüchtern lässt, um anschließend der Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche zuzustimmen.

Durchhalten, bis der Spuk vorüber ist

Ebenso schwer lässt sich sagen, warum George W. Bush sich entschlossen hat, am Ende doch einen Deal mit dem Norden abzuschließen. Eine Rolle spielte gewiss die Niederlage der Republikaner bei den Kongresswahlen im November 2006, die alle Hoffnungen Bushs erstickte, die Macht seiner Partei dauerhaft zementieren zu können. Seitdem war er die lahmste aller lahmen Enten. Zudem haben sich die Reihen seiner getreuen Anhänger im eigenen Land wie im Ausland stark gelichtet: Die meisten neokonservativen Ideologen von Paul Wolfowitz über Donald Rumsfeld bis John Bolton sind mittlerweile abgetreten, und auch das Pudel-Duo Tony Blair und Shinzo Abe ist nicht mehr im Amt.

Aber diese Erklärungen überzeugen noch nicht ganz. 2003 und 2004 herrschten in Nordkorea echte Befürchtungen, die USA könnten das Land militärisch angreifen. Doch die US-Streitkräfte waren weltweit an so vielen Schauplätzen gebunden, dass für einen Waffengang gegen Nordkorea zu wenige Kampftruppen zur Verfügung standen: Die Kriegsplanungen gingen damals davon aus, dass ein Sieg nur mit einer halben Million US-Soldaten in Korea garantiert sei. Pjöngjang verfolgte zweifellos einen naheliegenden Plan: Outen wir uns als Atommacht und überstehen dann zwei Jahre lang die Sanktionen, bis wir vielleicht mit einem anderen US-Präsidenten eine neue Übereinkunft finden können.

Die Veränderung, die jetzt eingetreten ist, vollzog sich nicht in Pjöngjang, sondern in Washington. Die plausibelste Erklärung dafür lautet: Das Weiße Haus gelangte zu der Überzeugung, dass in Sachen nuklearer Proliferation die größere Bedrohung vom Iran ausgeht. Wenn man mit Nordkorea zu einer Einigung kommt, erhöht sich damit der Druck auf Teheran, Verhandlungen zur Aufgabe seines Nuklearprogramms zu führen. Aber auch für den Fall, dass Bush sich für ein militärisches Vorgehen gegen den Iran entscheiden würde, musste Nordkorea neutralisiert werden.

In den vergangenen Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Seoul dramatisch verschlechtert. Präsident Bush hat durch sein Handeln – wie auch durch seine Unterlassungen – gegen die Prinzipien verstoßen, die das historische Verhältnis der USA zu Südkorea bestimmen, und gleichzeitig eine gefährliche Konfrontation mit Pjöngjang herbeigeführt. Vielleicht kann die im Februar eingetretene Kehrtwende nun dazu beitragen, den Schaden zu reparieren. Seit Bush zu Clintons Strategie des aktiven Werbens um Pjöngjang zurückkehrte, hat sich die öffentliche Meinung über die USA auch im Süden auf wundersame Weise verbessert.

Der Antiamerikanismus in Südkorea implizierte nie eine umfassende Ablehnung der Machtpolitik, der Kultur und der Werte der USA, wie sie in der arabischen Welt zu beobachten ist. Doch seit 2001 hat das Image der USA vor allem bei der jüngeren Generation Schaden genommen. Die Empörung richtet sich in erster Linie, wie in vielen anderen Ländern auch, gegen George W. Bush. Vor dessen Amtsantritt war die Haltung zu den USA überwältigend positiv, doch heute zeigen Meinungsumfragen bei 43 Prozent eine eher oder stark negative Einschätzung; in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren sehen nur 22 Prozent die USA eher oder sehr positiv.6

Der Wandel ist eine Reaktion auf die Revision der US-Politik gegenüber Nordkorea, die in den Augen der Südkoreaner die „Sonnenscheinpolitik“ ihrer Regierung und die Aussöhnung gefährden musste. In Seoul befürchtete die Regierung sofort, Südkorea könnte aufgrund der Bush-Doktrin der präemptiven Militärschläge in einen Krieg hineingezogen werden. Immerhin kann Nordkorea mit seinen über 10.000 Artilleriegeschützen, die in die Berge an der Grenze, unweit von Seoul einbetoniert sind, die Stadt in wenigen Stunden zerstören.

Kurz nachdem die neue US-Doktrin veröffentlicht war, hatte ein hoher Berater von Präsident Roh die US-Regierung wissen lassen, dass ein Angriff der USA auf Nordkorea das Bündnis mit Südkorea zerstören werde. Die politische Führung in Seoul drang wiederholt auf eine Zusicherung, dass es ohne enge Beratung und gegen den Willen Südkoreas keinen Angriff auf den Norden geben werde. Doch Präsident Roh hat eine solche Zusicherung nie erhalten, was bei den Südkoreanern stärkste Verunsicherung ausgelöst hat.

Um das Vertrauen und die Zuversicht Südkoreas wiederherzustellen, müssten die USA als Erstes die Beziehungen mit Nordkorea normalisieren (wie es 1994 und erneut 2005 bereits angekündigt war). Sodann müsste Washington Südkorea ein Vetorecht beim Einsatz militärischer Mittel gegen Pjöngjang einräumen, und Seoul darüber hinaus zusichern, dass die in Südkorea stationierten US-Truppen nicht in einem Konflikt um Taiwan zum Einsatz kommen. Und schließlich sollten die USA ihre anachronistische Truppenstärke in Korea verringern.

All diese Schritte sind keineswegs unvorstellbar, zumal nicht nur Südkorea, sondern auch China und Russland die USA drängen, ihre Beziehungen zu Nordkorea zu verbessern. In gewisser Weise hat Nordkorea den Konflikt erfolgreich durchgestanden, denn sein Hauptziel ist erreicht: die Aufgabe seines Atomprogramm im Tausch gegen Wirtschaftshilfe und normalisierte Beziehungen zu den USA.

Die jetzt erfolgreiche diplomatische Strategie Südkoreas war Ende der 1990er-Jahre von Präsident Kim Dae Jung eingeleitet worden. Er war es, der US-Präsident Clinton schließlich überzeugt, hatte, dass Pjöngjang sein Nuklearwaffenprogramm und sein Raketenarsenal aufgeben würde, wenn die USA ein neues Verhältnis zu Nordkorea anstrebten. Für Washington wäre das ein sehr vorteilhaftes Geschäft, glaubte Kim Dae Jung, denn Nordkorea würde sich bei normalen Beziehungen zu Washington nicht mehr gegen eine weitere US-Truppenpräsenz im Süden stellen. Kim Dae Jung ging nämlich davon aus, dass sein nordkoreanischer Kollege Kim Jong Il über die Schlagkraft Chinas und Japans genauso besorgt war wie über die der USA.

Heute befinden sich die beiden koreanischen Staaten erstmals in der Geschichte gleichzeitig in einer Position der Stärke. Kim Dae Jung war überzeugt, dass man Nordkorea mit etwas Geschick von einem neuen Sicherheitsarrangement innerhalb des seit 1945 in Nordostasien von den USA aufgebauten internationalen Systems überzeugen könnte. Washington hätte in diesem Fall einen Gegner weniger, denn Nordkorea wäre zumindest ein neutrales Land. Oder vielleicht sogar ein Freund oder Verbündeter – und damit ein willkommenes Gegengewicht zu China und auch zu einem wiedererstarkten Russland. Und außerdem wäre es auch ein Faktor, der die künftige Entwicklung Japans besser kontrollierbar macht.

Wahrscheinlich hofft Pjöngjang, die USA gegen China ausspielen zu können, wie es ihm schon mit der Sowjetunion und China während des Kalten Krieges gelungen war.

Niemand kann sagen, ob solche Überlegungen die Entscheidung von Bush beeinflusst haben, aber es wäre eine logische Strategie der USA für den Nordosten Asiens im 21. Jahrhundert. Eine seltsame Abfolge von Ereignissen könnte dazu führen, dass George W. Bush und der „Bösewicht“ Kim Jong Il in dieser Region zu Friedensstiftern werden. Besser spät als nie.

Fußnoten: 1 Der Text dieses Abkommens unter: www.fmprc.gov.cn/eng/zxxx/t297463.htm. 2 Russland und China stimmten Sanktionen nach Kapitel VII der UN-Charta erst zu, als sicher war, dass sie nicht mit militärischen Mitteln durchgesetzt würden. 3 Siehe dazu: „How US Turned North Korean Funds into a Bargaining Chip“, New York Times, 11. April 2007. Zur Banco-Delta-Affäre auch: John McGlynn, „Financial Sanctions and North Korea: In Search of the Evidence of Currency Counterfeiting and Money Laundering“, Japan Focus, 10. Juli 2007, www.ja panfocus.org/products/details/2463. 4 In Yongbyon gibt es zwei Atomreaktoren und eine Wiederaufbereitungsanlage. Bush und seine Berater behaupteten, der Norden habe diese Vereinbarung gebrochen, doch in der Realität funktionierte das Einfrieren acht Jahre lang. Inspektoren der IAEO waren täglich vor Ort, und alle Einrichtungen blieben versiegelt und unter ständiger Kontrolle. 5 Vgl. Selig Harrison, „Did North Korea Cheat?“, Foreign Affairs, New York, Februar 2006. 6 Meredith Woo-Cumings in: David I. Steinberg (Hg.), „Korean Attitudes Toward the United States. Changing Dynamics“, (M. E. Sharpe) 2005; Pew Global Attitudes Project.

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

Bruce Cumings leitet das Department of History an der University of Chicago. Er schrieb „North Korea: Another Country“, erschienen 2004 bei The New Press.

Le Monde diplomatique vom 12.10.2007, von Bruce Cumings