12.10.2007

Permanentes Ausnahmerecht

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Permanentes Ausnahmerecht

Bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 verfügte die Regierung von George W. Bush über keine demokratische Legitimität. Bush hatte die Wahlen verloren und wurde Präsident nur dank der umstrittenen Entscheidung des Supreme Court, die Neuauszählung der Stimmen in Florida abzubrechen. Für viele Verfassungsrechtler war die Amtseinführung von George W. Bush „ein konstitutioneller Staatsstreich und eine unrechtmäßige Machtübernahme“.1 Al Gore beugte sich der Entscheidung des Gerichtshofs nur, um eine Verfassungskrise größeren Ausmaßes abzuwenden.

Die neue Regierung war also von Beginn an mit dem Makel der Illegitimität behaftet. Angesichts der Kräfteverhältnisse im Kongress (die Republikaner verloren im Juli 2001 ihre Mehrheit im Senat) wurde allgemein eine politische Lähmung und eine innen- wie außenpolitisch eher farblose Präsidentschaft erwartet. Doch dann kam es ganz anders.

Innenpolitisch ging die Bush-Administration entgegen allen Erwartungen auf Konfrontationskurs: Sie arbeitete konsequent an der Beschneidung der Rechte, die sich Frauen und Minderheiten seit den 1960er- und 1970er-Jahren mühsam erworben haben. Ihr Chefstratege, der inzwischen zurückgetretene Karl Rove, wollte systematisch die konservativsten Kreise der USA mobilisieren, um „eine andauernde republikanische Mehrheit“ zu sicherzustellen.

Außenpolitisch betrieb das Weiße Haus eine konsequente Demontage internationaler Institutionen und missachtete die Regeln internationaler Beziehungen. In den Monaten vor den Attentaten des 11. September verkündete die Regierung ihren Rückzug aus den ABM-Sperrverträgen. Sie stellte sich kompromisslos gegen ein Verbot von Atomversuchen und ließ auch das Zusatzprotokoll über die biologischen Waffen scheitern, das im Juli 2001 ausgehandelt werden sollte. Schließlich versuchte sie, die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag zu torpedieren.2

Zwischen diesen Aktivitäten vor dem 11. September 2000 und dem Verhalten gegenüber den Vereinten Nationen und der Haltung zu den Menschenrechten seit den Anschlägen in New York und Washington gibt es eine unübersehbare Kontinuität. Aber die innen- und außenpolitische Aggressivität der Rechten in den USA hat nach den Terroranschlägen noch zugenommen. Innenpolitisch nutzte die Regierung die Attentate, um traditionelle Beschränkungen der Exekutivgewalt und damit auch das grundlegende Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung auszuhebeln. Das Ergebnis war eine außergewöhnliche Konzentration der Macht beim Präsidenten.

Außenpolitisch verfolgte die Regierung Bush eine imperiale Strategie. Kurz nach dem 11. September äußerte der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Terroranschlag schaffe „ähnlich wie der Zweite Weltkrieg eine Gelegenheit, die Welt umzukrempeln“.3

Seitdem hat die Regierung Bush das Völkerrecht und die Verfassung der USA auf arrogante Weise ignoriert. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der inzwischen zurückgetretene Justizminister Alberto Gonzales, der sich irgendwann wahrscheinlich wegen Machtmissbrauchs vor Gericht verantworten muss. Als juristischer Chefberater des Präsidenten im Zeitraum 2001 bis 2005 entwarf er die Doktrin von der „einheitlichen Exekutive“, die dem Präsidenten in Kriegszeiten nahezu unbeschränkte Befugnisse zugesteht – darunter auch das Recht, die Genfer Konvention und das in ihr enthaltene Folterverbot zu missachten.

Rove und Gonzales verkörpern die autoritäre Mentalität einer Regierungsclique, die ihre Macht durch eine Serie von Angriffen auf den Rechtsstaat gefestigt hat. Die innen- und außenpolitischen Seite dieser Strategie sind nicht voneinander zu trennen, denn der zeitlich und räumlich unbegrenzte Krieg gegen den Terrorismus dient dem Weißen Haus nunmehr seit Jahren als Vorwand, ein permanentes Ausnahmerecht zu beanspruchen.

Der Rücktritt dieser beiden zentralen Figuren in der Regierung verdeutlicht die Schwächung des Weißen Hauses seit den Kongresswahlen im November 2006. Doch die Exekutive hält weiterhin alle wichtigen Hebel der Außenpolitik und der inneren Sicherheit in den Händen. Anfang August gelang es der Regierung erneut, ein Gesetz durch beide Häuser des Kongresses zu bringen, das eine massiven Beschneidung der persönlichen Freiheiten ohne gerichtliche Kontrolle vorsieht.4 P. G.

Fußnoten: 1 Jack Balkin, „The Die is Cast“, Balkinization, 17. März 2003, balkin.blogspot.com/2003_03_ 16_balkin_archive.html. 2 Philip S. Golub, „Ein Kabinett des Kalten Kriegs“, Le Monde diplomatique, Juli 2001. 3 New York Times, 12. Oktober 2001. 4 Der „Protect America Act 2007“ erweitert, vorerst befristet, die Befugnisse der Regierung, Bürger im Rahmen der Terrorbekämpfung ohne gerichtliche Kontrolle zu überwachen.

Le Monde diplomatique vom 12.10.2007, von P. G.