09.11.2007

Fromme Soldaten, militante Zivilisten

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Fromme Soldaten, militante Zivilisten

Israels Armee politisiert sich zur Partei der radikalen Siedler von Amnon Kapeliuk

Für die israelischen Streitkräfte bedeutete das Fiasko des zweiten Libanonkriegs im Sommer 2006 einen Ansehensverlust, der nur mit dem im Oktoberkrieg von 1973 erlittenen vergleichbar ist. Seitdem wird die Armee, einst Stolz der Nation und für ihren heldenhaften Kampf gegen die arabischen Gegner gerühmt, von allen Seiten angegriffen. Die Öffentlichkeit gab dem Oberkommando die Schuld daran, dass die angeblich unbesiegbare Zahal im Libanon nicht mit ein paar tausend Milizionären der Hisbollah fertig wurde. Generalstabschef Dan Halutz, von vielen schon als künftiger Ministerpräsident gehandelt, musste bereits zurücktreten.

Offenbar waren die Streitkräfte zu häufig für Polizeiaktionen in den besetzten Gebieten eingesetzt worden und für einen Krieg nicht gerüstet. Doch die Verantwortung lag nicht nur bei den Generälen und Obersten, die – nach nur zweistündiger Telefonkonferenz – beschlossen hatten, sich in diesen Konflikt zu stürzen. Die zivile Staatsführung trug eine Mitschuld, auch wenn Ministerpräsident Ehud Olmert und Verteidigungsminister Amir Peretz beteuerten, sie hätten lediglich die Entscheidungen des Generalstabs abgesegnet.

30 Jahre lang hatte Israels Arbeitspartei nach der Staatsgründung die Regierung gestellt. Entsprechend groß war ihr Einfluss im militärischen Oberkommando – bis zum Wahlsieg der unter Menachem Begin im Likud-Block vereinten nationalistischen Rechten. Seit 1977 rückten immer mehr Likud-Sympathisanten in die Führungsränge der Streitkräfte auf, aber auch Offiziere aus dem national-religiösen Lager. Die ideologische Nähe beider Lager führte auch zu ihrer Zusammenarbeit beim Ausbau der Siedlungen in den besetzten Gebieten. Seither hat der Anteil der Nationalreligiösen in der Armee ständig zugenommen: Inzwischen tragen 40 Prozent der jungen Offiziere die Kippa.1

Die Rechte hat ihre Leute nicht nur in der Führungsspitze, sondern auch in den Regionalkommandos für das Westjordanland und den Gazastreifen, die dort praktisch autonom und willkürlich verfahren können. Deshalb ergreift die Zahal fast immer Partei für die Siedler und gegen die entrechteten Palästinenser – im Zweifel auch ohne Zustimmung des Ministerpräsidenten. Zum Beispiel indem sie arabisches Land „aus Sicherheitsgründen“ enteignet, während ständig neue „wilde“ (offiziell nicht „genehmigte“) Siedlungen entstehen.

Nach internationalem Recht sind alle Siedlungen illegal. In Groß-Jerusalem2 und im Westjordanland greifen israelische Straßensperren hart ins Alltagsleben ein: Beschäftigte kommen nicht ungehindert zur Arbeit, Studenten nicht zur Universität, Kranke und Schwangere nicht ins Krankenhaus. Natürlich versichern israelische Minister ihren Gesprächspartnern aus dem Ausland regelmäßig, Israel werde diese Kontrollen aufheben. Aber nach einem vor kurzem publizierten Bericht der Vereinten Nationen hat sich die Zahl der Sperren seit August 2005 von 376 auf 572 erhöht.3

Die Armee betreibt den ständigen Ausbau von Verkehrswegen, die man geradezu als „Straßen der Apartheid“ bezeichnen kann: Sie dienen nur den Siedlern und dürfen von Palästinenser nicht befahren werden. Und beim Bau des Sperrwalls, der Mauer der „Abtrennung“, war das Militär bereit, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu missachten. Das Gericht hatte eine kleine Korrektur im Verlauf der Mauer südlich des Hebron-Bergs beschlossen, aber die Armee zog eine zusätzliche kleine Mauer entlang der ursprünglich geplanten Grenzlinie. „Das Militär führt sich auf wie eine Armee der Siedler und handelt der Politik der Regierung zuwider“, erklärt Hagaï Alon, Referent im Verteidigungsministerium für Fragen des palästinensischen Alltagslebens: „Das war schon so, als General Halutz an der Spitze des Generalstabs stand.“4

Ob Ultranationalisten oder halbherzige Liberale – in einem Begehren sind sich die Generäle einig: mehr Haushaltsmittel. Selbst der neue Verteidigungsminister, General Ehud Barak, der noch als Regierungschef vor Jahren eine „kleine, aber intelligente“ Armee empfohlen hatte, fordert nun die Aufstellung von zwei neuen Infanteriebrigaden. Damit reagiert er auch auf eine Entwicklung, die dem Generalstab Sorgen macht: Ein Viertel der jungen Israelis wird vom Wehrdienst freigestellt – die Hälfte davon sind Studenten der orthodoxen Rabbinerschulen. Laut Barak wird die Zahal bald nicht mehr die Armee des Volkes sein, sondern nur des halben Volkes.5

Die Exportwünsche der israelischen Rüstungsindustrie

Im Mai 2007 kritisierte der Bericht der nach ihrem Leiter genannten Brodet-Kommission eine beträchtliche Verschwendung öffentlicher Mittel im Bereich der Landesverteidigung. Doch insgesamt folgte die Kommission weitgehend den Vorstellungen des Generalstabs, der eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 13 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren empfiehlt – plus 1,4 Milliarden, die der Libanonkrieg gekostet hat. Zudem hat US-Außenministerin Condoleezza Rice die Erhöhung der US-Militärhilfe für Israel angekündigt. Damit fließen in den nächsten zehn Jahren weitere 21 Milliarden Euro ins Verteidigungsbudget.

Israels Rüstungsindustrie, in deren Führungsetagen viele ehemalige Offiziere zu finden sind, konnte lange Zeit so viel Druck auf die Politik ausüben, dass im Interesse des Waffenexports sogar neue strategische Bündnisse geschlossen wurden, zum Beispiel mit Chile unter Augusto Pinochet oder mit dem Militärregime in Birma. Nach der Privatisierung vieler Staatsunternehmen ist die Branche allerdings in die Krise geraten, mit Ausnahme der Luftfahrtindustrie, die 80 Prozent ihrer Produkte exportiert.

Mit der Vorlage „geheime Informationen“ gelingt es der Militärführung besonders gut, ihre Wünsche und Vorstellungen bei der Regierung durchzusetzen. Auf diese Weise wurde im Sommer 2006 der Einmarsch in den Libanon begründet, desgleichen im September 2007 der Luftangriff auf ein geheimes Ziel in Syrien. Und wie wir heute wissen, wäre es in der Krise von 1967 fast zum Militärputsch gekommen: Damals erzwang der Generalstab durch sein Ultimatum an Ministerpräsident Levi Eschkol dessen Zustimmung zum „Präventivkrieg“ gegen Nassers Ägypten.6

Auch Ehud Barak war einer der Generäle, die nach einer militärischen Karriere in die Politik gingen. Als der „höchstdekorierte Soldat in der Geschichte Israels“ noch Chef des Generalstabs war, lehnte er die ersten Oslo-Verträge (vom September 1993) ab, als Innenminister stimmte er gegen die Oslo-II-Verträge (vom September 1995), die den Rückzug der Armee aus den größeren palästinensischen Städten vorsahen. Barak sprach vom Frieden mit den Arabern, zeigt ihnen aber offen seine Verachtung, indem er etwa äußert, die Araber hätten eine „Kultur, in der Lügen keinen Anstoß erregen“, oder indem er Israel mit einer „Villa im Dschungel“ vergleicht.

Barak ist auch für das Scheitern des Camp-David-Gipfels von 2000 verantwortlich – die Friedensbewegung nannte ihn damals einen „Friedensverbrecher“. Inzwischen weiß man, dass seine angeblich „großzügigen Angebote“ an Arafat nichts als falsche Versprechungen waren.7

Barak gab auch grünes Licht für den provozierenden Auftritt Ariel Scharons auf dem Jerusalemer Tempelberg, der Ende September 2000 die zweite Intifada auslöste. Auch heute erklärt er die Verhandlungen zwischen Ehud Olmert und Mahmud Abbas für „nutzlos“, denn es gebe „keine Chance für eine Übereinkunft mit den Palästinensern“ und im Übrigen auch „keinen Unterschied zwischen Hamas und Fatah“.8

Doch es wäre zu einfach, die Generäle als die „Bösen“ und die Politiker als die „Guten“ zu sehen. So gehört etwa Marinegeneral Ami Ajalon seit langem zu den „Tauben“ in der israelischen Politik. Gemeinsam mit Sari Nusseibeh, dem Präsidenten der palästinensischen Al-Quds-Universität, gründete er 2002 den „Nationalen Appell“. Diese Friedensinitiative wirbt unter Palästinensern wie Israelis für das Nebeneinander zweier Staaten in den Grenzen von 1967.

Bei den Wahlen zum Vorsitz der Arbeitspartei im Juni 2007 verlor Ajalon nur knapp gegen Barak. Entscheidend waren die Stimmen arabischer Mitglieder, denen viele Versprechungen gemacht wurden. Vor allem von Fuad Ben-Eliezer, einem Arabisch sprechenden irakischen Juden, der für Barak ganze Dörfer mobilisierte; aber auch Barak selbst – innerhalb weniger Jahre zum Millionär geworden – war in der Lage, sich arabische Wähler zu „kaufen“.9

Doch gelegentlich werden die extremsten Positionen auch von Zivilisten vertreten. Das beste Beispiel ist Avigdor Lieberman, Chef der Partei russischer Einwanderer Israel Beiteinu, der schon einmal Ägypten mit der Bombardierung des Assuan-Staudamms drohte.10 Der Mann, der unter Olmert immerhin Minister für strategische Angelegenheiten ist, erklärte kürzlich: „Bei der nächsten Auseinandersetzung mit der Hisbollah muss Syrien vernichtet werden, durch Luftangriffe auf die Ölraffinerien, die Infrastruktur, die Flughäfen, den Präsidentenpalast und die Ministerien. Man muss seine Kampfmoral brechen, so wie es die USA mit Deutschland gemacht haben.“11 Manchmal lassen die Patrioten in Uniform eben die Patrioten in Zivil an die vorderste Front.

Fußnoten: 1 Ma’ariv (Tel Aviv), 26. August 2007. 2 Siehe dazu Philippe Rekacewicz und Dominique Vidal, „Die demografische Bereinigung Jerusalems“, Le Monde diplomatique, Februar 2007; siehe auch die Karte unter www.monde-diplomatique.fr/ cartes/jerusalem. 3 Ha’aretz (Tel Aviv), 21. September 2007. 4 Ha’aretz, 21. Mai 2007. 5 Dass gerade das Heer verstärkt werden soll, entspricht übrigens einer (auch im Irak) neu gewonnenen Einsicht: Die Kriege der Zukunft werden eher durch Bodentruppen als durch technologische Überlegenheit entschieden. 6 Siehe das Dossier „Der Sechstagekrieg und seine Folgen“, Le Monde diplomatique, Juni 2007. 7 Siehe dazu Amnon Kapeliuk, „Camp David: Inszenierung eines Scheiterns“, Le Monde diplomatique, September 2000; Alain Gresh, „Camp David: Das großzügige Angebot, das keines war“, Le Monde diplomatique, Juli 2002. 8 Jediot Ahronot, 10. August 2007. 9 Ha’aretz, 5. Mai 2007. 10 Siehe www.monde-diplomatique.fr/carnet/2006-10-25-Lieberman. 11 Jediot Ahronot, 17. August 2007.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Amnon Kapeliuk ist Journalist und Schriftsteller und lebt in Bat-Jam, Israel. Am Sechstagekrieg nahm er als Sanitäter teil.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2007, von Amnon Kapeliuk