09.11.2007

Keine Revolution für Birma

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Keine Revolution für Birma

von Renaud Egreteau

Im vergangenen August erhöhte Birmas Militärregierung drastisch die Preise für Kraftstoffe und Erdgas. Damit löste sie eine wirtschaftliche und soziale Krise aus, mit deren Ausmaß die Generäle um Staatschef Than Shwe nicht gerechnet hatten. Erst vor zwei Jahren, im Oktober 2005, hatte es ähnliche Preissteigerungen gegeben, aber kaum Proteste.

Auf einmal waren die Fahrpreise doppelt so hoch. Die Kosten für den Betrieb von Dieselgeneratoren, die überall auf den Bürgersteigen stehen und die Ausfälle in der öffentlichen Stromversorgung kompensieren, stiegen ebenfalls extrem. Innerhalb kürzester Zeit machte sich die Teuerung bei fast allen Gütern des täglichen Bedarfs bemerkbar.

Zunächst gingen die Proteste gegen diese neueste Willkürentscheidung des Regimes von den wenigen demokratischen Aktivisten Birmas aus, die sich noch in Freiheit befanden, darunter vor allem ehemalige Studenten, die als Mitglieder der Dissidentengruppe „Generation 88“ bereits an den Aufständen im Sommer 1988 beteiligt waren. Damals kamen bei der gewaltsamen Unterdrückung der Revolte 3 000 Studenten, Aktivisten und Mönche ums Leben.

Diesmal begann es mit Kundgebungen vor dem Rathaus und dem Sitz der Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD), deren Generalsekretärin Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin von 1991, seit vier Jahren unter strengem Hausarrest steht. 300 bis 400 politische Aktivisten versammelten sich bei diesen verbotenen Demonstrationen. Doch die Polizei verhaftete gezielt gleich die Anführer – darunter Min Ko Naing, der erst 2004 nach fünfzehn Jahren Haft freigekommen war.

Zunächst sah es so aus, als würde es bei diesen Aktionen bleiben, so wie die meisten öffentlichen Proteste in den vergangenen zwanzig Jahre abgelaufen waren. Doch dann kamen erste Signale des Widerstands auch vonseiten der buddhistischen Mönche. Das war etwas Besonderes, denn der Buddhismus und seine Klöster gelten als entscheidende Stützen der birmesischen Gesellschaft. Der Sangha (die Gemeinschaft der Mönche) genießt ein hohes Ansehen. Viele Birmesen verbringen in ihrem Leben selbst ein paar Monate oder auch Jahre im Kloster.

Zu den unmittelbaren Folgen der Preiserhöhungen im August gehörte, dass die Opfergaben und täglichen Geschenke der Bevölkerung an die Mönche zu einer großen finanziellen Belastung wurden. So hatten die ersten spontanen und friedlichen Protestmärsche der Mönche vor allem damit zu tun, dass viele Menschen nicht mehr wussten, wie sie die täglichen Almosen bezahlen sollten. Diese Kundgebungen blieben allerdings auf einige wenige Klöster im Landesinneren und in Rangun beschränkt. Da jedes Kloster über seine eigenen Entscheidungsstrukturen verfügt und im Wesentlichen autonom handelt, hatten die Demonstrationen eher den Charakter von Einzelinitiativen, weil sie und ihre Familien von den wirtschaftlichen Problemen am unmittelbarsten betroffen waren. Es handelte sich also weniger um einen gemeinsamen Vorstoß des Sangha.

Mit der Reaktion des Militärregimes erreichten die Proteste eine neue Dimension. Wie in der Vergangenheit versuchten die Behörden auch diesmal zunächst, die Bewegung zu spalten. Dem Widerstand fehlten charismatische Führungspersönlichkeiten, und so fiel es dem Regime nicht schwer, mit seinen eigenen Sympathieträgern von der Union Solidarity and Development Association (USDA) zu kontern. Diese Organisation wird seit 1993 von Staatschef General Than Shwe massiv gefördert und ist eine Art ziviles Aushängeschild der Militärregierung. Angeblich hat sie 15 bis 18 Millionen Anhänger bei einer Gesamtbevölkerung von 47 Millionen.

Außerdem ging das Regime mit gezielter Einschüchterung vor. Seit Anfang 2007 existiert eine berüchtigte paramilitärische Sondereinheit, die zum Umfeld der USDA gehört und von Armee und Geheimdiensten speziell für Straßenkämpfe und Störaktionen bei öffentlichen Kundgebungen ausgebildet wird. Die etwa 1 000 Angehörigen dieser Pyithu Swan Arrshin sollen zum Großteil notorische Verbrecher oder vom Regime begnadete Häftlinge sein.

Als am 5. September einige Mönche in den Straßen der Kleinstadt Pakokku südwestlich von Mandalay demonstrierten, wurden sie von einem Swan-Arrshin-Sonderkommando mit Gewalt auseinandergetrieben. Zahlreiche Mönche wurden dabei verletzt und gezielt gedemütigt. Als am folgenden Tag lokale Militärvertreter im Kloster erschienen, um sich für den Vorfall zu entschuldigen, waren die Jüngeren unter den Mönchen so erbost, dass sie die Offiziere als Geiseln nahmen. Diese Nachricht verbreitete sich rasch im ganzen Land und löste weitere spontane Demonstrationen aus.

Einen Monat nach den drastischen Preiserhöhungen hatte das Regime immer noch nichts unternommen, um deren Härten für die Bevölkerung wenigstens abzumildern. Anders als bisher ging das Militär aber auch nicht mit Gewalt gegen die anhaltenden Proteste vor, denn diese waren offensichtlich politisch führungslos und unkoordiniert. Zudem gehört es zur Strategie der Generäle, die Unterstützung der höchsten religiösen Würdenträger zu suchen. Daher verbot sich eine massive und blutige Repression wie im Jahr 1988 beinahe von selbst.

Während die Behörden in Wartestellung gingen, nahmen in den Großstädten die Demonstrationen zu. Amateurfilmer, ausländische Fotografen und Aktivisten des Untergrunds verbreiteten die Bilder einer Protestbewegung, wie es sie in den letzten zwei Jahrzehnten in Birma nicht mehr gegeben hatte.

Am 24. und 25. September war von Demonstrationen mit bis zu 100 000 Teilnehmern in Rangun die Rede. Deren harter Kern bestand aber nur aus 15 000 bis 20 000 Mönchen. Die übrigen Demonstranten waren vor allem neugierige Städter, die derartige, normalerweise verbotene Aufmärsche in ihren Straßen kaum gewöhnt sind. In der allgemeinen Euphorie wagten sich etliche Birmesen aus den kolonialen Wohnvierteln der ehemaligen Hauptstadt und sahen den mutigen Mönchen beim Marschieren zu. Man gab den Demonstranten zu trinken und applaudierte, nahm aber selbst nicht wirklich an der Kundgebung teil.

Es gab auch nur wenige Transparente mit offensiven politischen Inhalten, Porträts von Aung Suu Kyi oder Fahnen mit dem kämpfenden Pfau, dem Symbol der oppositionellen NLD. Zum Teil hatte das mit der Angst vor Repressalien zu tun. Zum Teil entsprach es aber auch der Haltung der demonstrierenden Mönche selbst.

Dieses Muster wiederholte sich anschließend in Städten wie Mandalay, Sittwe oder Tungu. Auch hier fehlte den Protestaktionen eine politische Stoßrichtung, Vernetzung untereinander und echte politische Mitwirkung durch die breite Bevölkerung. Außerdem beteiligten sich auch nicht alle Klöster in Rangun oder anderen Städten an den spontanen Demonstrationen, was auf eine gewisse Gespaltenheit innerhalb des Sangha hinweist.

Andererseits gibt es unter Birmas Mönchen eine Tradition des politischen Engagements. Der Buddhismus war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Hauptquelle des Widerstands gegen die britische und japanische Fremdherrschaft. Die Mönche U Ottama und U Wisara gingen mit ihrem gewaltfreien Widerstand gegen die Briten in die Geschichte ein: U Wisara starb 1929 nach 166 Tagen Hungerstreik in den Kerkern der Kolonialherren.

General Ne Win, dessen Militärregierung Birma von 1962 bis 1988 weitgehend vom Rest der Welt abschottete, versuchte den Sangha durch autoritäre Maßnahmen von der Bevölkerung zu isolieren. Seine Nachfolger setzten diese Politik fort. Im Oktober 1990 wurde die Versammlungs- und Redefreiheit der Mönche empfindlich beschnitten. Die Klöster unterstehen einem eigenen Ministerium für religiöse Angelegenheiten. All das konnte den heimlichen Widerstand zahlreicher Mönchsgemeinschaften nicht verhindern. So ist das Kloster von Thamanya im Staat Karen bekannt dafür, dass es Aung Suu Kyi und den Kampf für die Demokratie unterstützt.

Da der Sangha keine feste Organisationsstruktur besitzt und zudem von Spitzeln durchsetzt ist, kann er sich kaum vereint gegen das Regime stellen. Das gilt selbst für Widerstandskampagnen wie die „Zurückweisung der Almosen“ (Patti ni kauz za kan) in Mandalay 1990. Damals weigerten sich die Mönche, Opfergaben von Militärangehörigen und ihren Familien anzunehmen. Aber die Junta fand immer irgendein Kloster, das sie unterstützt. Schließlich ist man seit Jahren großzügig, wenn es um die Vergoldung einer Pagode und um die Vorrechte der höchsten religiösen Würdenträger geht. Ein eigenes staatliches Komitee namens Maha Sangha Nayaka hat die Aufgabe, den oberen Klerus auf diese Weise zu umgarnen.

Außer durch die innere Uneinigkeit des Sangha wird der politische Widerstand in Birma auch durch ethnische Differenzen behindert. So gingen die Demonstrationen im September hauptsächlich von den Birmanen (Bamar) aus, die mehr als zwei Drittel der Bevölkerung stellen und überwiegend im Landesinneren leben. Die Siedlungsgebiete der ethnischen Minderheiten – darunter auch muslimische und christliche – liegen im peripheren Bergland und wurden von der Protestbewegung kaum erfasst. Die Aktionen waren zudem auf die größeren Städte beschränkt, und wenn sich diesmal auch Provinzstädte wie Taunggok oder Pakkoku von der öffentlichen Empörung mitreißen ließen, so waren die Aufstände 1988 viel heftiger. Zudem sitzt das Regime heute fester im Sattel als noch vor zwanzig Jahren, als General Ne Win unerwartet zurücktrat und ein Machtvakuum hinterließ.

2005 wurde der Regierungssitz von Rangun in das 380 Kilometer weiter nördlich gelegene Naypyidaw verlegt.1 Dadurch hat sich das Regime eine größere Nähe zu seiner ethnisch-geografischen Machtbasis gesichert. Die Generäle zogen damit nicht nur das Armeehauptquartier aus der „aufrührerischen“ Hafenmetropole ab, sondern auch die Ministerialbeamten und Verwaltungsangestellten, die sich 1988 an der Protestbewegung beteiligt hatten. Zumindest bisher hat sich die Verlegung der Hauptstadt als gelungener Schachzug erwiesen. Das neue Zentrum der Staatsmacht wurde von der urbanen Protestbewegung nicht erkennbar getroffen.

Die Junta brachte ihre loyalsten und am besten ausgebildeten Truppenverbände (die 22. und die 77. Infanteriedivision) in Stellung, um den Widerstand vor allem in Rangun langfristig zu unterdrücken. Sie kann sich außerdem auf ein dichtes Netz von Spitzeln verlassen. Die wenigen bekannt gewordenen Fälle von Desertion blieben die Ausnahme und können nicht als Anzeichen für den Zerfall militärischer Strukturen gedeutet werden, obwohl das Militär aus den bereits erwähnten Gründen nicht auf eine Konfrontation mit den Mönchen aus war. Immerhin ist der Buddhismus seit Jahrhunderten eine unverzichtbares Werkzeug zur Legitimation einer jeden Regierung in Birma, ob nun königlich, militärisch oder demokratisch.

So überraschend die Septemberproteste auch waren, blieben sie weit davon entfernt, was in den internationalen Medien voreilig als „Safranrevolution“ bezeichnet wurde. Die innere Uneinigkeit des Sangha, die ethnisch birmanische Prägung der Protestbewegung, die effiziente militärische und paramilitärische Unterdrückungsmaschinerie, die Ohnmacht einer sogenannten internationalen Gemeinschaft und eine Staatsmacht, die ihre Bevölkerung mit ihrer isolationistischen und xenophoben Ideologie weitgehend im Griff hat – all das sind unüberwindliche Hürden für eine rasche und wirkliche „Revolution“. Nicht ein Aufstand der Straße, auch wenn er von Mönchen angeführt wird, wird hier etwas verändern können, sondern viele kleine Zugeständnisse von allen Beteiligten.

Fußnote: 1 Vgl. André und Louis Boucaud, „Weg aus Rangun“, Le Monde diplomatique, November 2006.

Aus dem Französischen von Herwig Engelmann Renaud Egreteau ist Politologe und Postdoktorand am Centre d’études et de recherches internationales (Ceri), Paris.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2007, von Renaud Egreteau