09.11.2007

Mehr Krieg, kein Staat

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Mehr Krieg, kein Staat

In Somalia hat die Stabilität keine Chance mehr, seit der Nachbar Äthiopien im Auftrag der USA interveniert von Philippe Leymarie

Sheikh Muktar Robo Abu Mansur hebt an: „Unsere Mudschaheddin haben die äthiopischen Invasoren und ihre somalischen Helfershelfer entschieden bekämpft … Die Feinde Allahs haben schwere Artillerie eingesetzt … Sie haben den Markt vollständig abgebrannt, mit der Absicht, islamisches Eigentum in Somalia zu vernichten.“ So spricht der Anführer des radikalen Flügels der somalischen Islamisten, der Untergrundbewegung Shabab („Jugend“).1

Der Guerillakrieg in Mogadischu ist nicht zum Stillstand gekommen, seit die äthiopische Armee im Januar 2007 in einem kurzen Feldzug die Union der islamischen Gerichte (UIC) entmachtete, die zuvor den größten Teil der Mitte und des Südens des Landes kontrolliert hatte. Der riesige Bakara-Markt, vor allem bekannt als Umschlagplatz für Waffen und Munition, ging Anfang Oktober in Flammen auf, nachdem der Verteidigungsminister von Rebellen angegriffen worden war. Radio Shabelle, einer der wenigen unabhängigen Rundfunksender des Landes, ist von der Armee umstellt und seither zum Schweigen verurteilt. Sein Direktor, Bashir Nur Gedi, wurde am 19. Oktober ermordet.

Der neue UN-Sondergesandte für Somalia, der Mauretanier Ahmedou Ould-Abdallah, schätzt, dass die humanitäre Situation des Landes die „schlimmste auf dem ganzen Kontinent“ ist. Flüchtlinge drängen in Massen in den Jemen und nehmen dabei die gefährliche Überquerung des Golfs von Aden in Kauf. Nahezu 10 000 Menschen ist es zwischen Januar und August 2007 gelungen, an Bord von rund hundert Booten aus dem Land zu fliehen. 500 Personen sind dabei ums Leben gekommen oder werden vermisst. Anfang September wurden im Wasser treibende, überfüllte Boote gemeldet. Flüchtlinge wurden von ihren Schleppern erstickt, erschlagen oder gar mit Säure übergossen – die Leichen hatte man ins Meer geworfen. Andere wurden nach Berichten des UNHCR bei ihrer Landung im Jemen erschossen.

Ungerührt hissten der äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin und Ali Mohammed Gedi, der Premierminister der zunächst in Nairobi, dann in Baidoa (Somalia) ansässigen somalischen Übergangsregierung, im Mai 2007 gemeinsam die grün-gelb-rote Flagge Äthiopiens auf dem Dach der neuen äthiopischen Vertretung in Mogadischu. Die Zeremonie, nur wenige Schritte vom Präsidentenpalast entfernt, nahmen sie zum Anlass für eine öffentliche Belehrung: „Unser Frieden und unsere Stabilität wurden von einer Handvoll sich selbst religiös nennender Extremisten gefährdet (…) Das widerspricht jedoch den Grundsätzen des Islams als einer Religion des Friedens und der Toleranz.“2

Zum selben Anlass behauptete der äthiopische Chefdiplomat, seine Truppen würden als „Befreiungsarmee und nicht als Besatzungsarmee“ wahrgenommen.3

Einige Tage zuvor vertrat die italienische Vize-Außenministerin Patrizia Sentinelli die Ansicht, dass die Präsenz der äthiopischen Truppen in Somalia für die Bevölkerung „inakzeptabel“ sei. Zu dieser Einschätzung war sie nach einem Gespräch mit dem somalischen Präsidenten Yusuf Abdullahi gekommen, der unter dem Schutz äthiopischer Panzer nach Mogadischu zurückgekehrt war. Sentinelli forderte den Abzug der äthiopischen Armee, sobald die Friedenstruppen der Afrikanischen Union vollständig eingetroffen seien. Seit Anfang März sind 1 200 ugandische Soldaten vor Ort; insgesamt sollen es 9 000 „Weißhelme“ werden.4

Der Erzfeind Äthiopien fällt in Somalia ein

In Mogadischu ist die äthiopische Armee verhasst. Um die Hauptstadt endgültig zu unterwerfen, hat sie Ende April einige der vermeintlich feindseligsten Stadtviertel mit Artillerie beschossen. Vorausgegangen war eine Offensive der UIC-Milizen. Diese Bewegung wurde, nach BBC-Berichten, „von einigen Geschäftsleuten gegründet, die nach so etwas wie Normalität in einer Stadt suchten, die von verschiedenen Warlords ausgepresst wurde“.5 Bei dem Artilleriebeschuss sollen 1 700 Menschen getötet und mehrere hunderttausend Bewohner vertrieben worden sein.

Äthiopien und Somalia verstehen sich gewissermaßen als Erbfeinde. Zwischen beiden Ländern kam es von 1964 bis 1967 und 1977/78 zu kriegerischen Auseinandersetzungen, bei denen es um den Grenzverlauf und den beiderseitigen Anspruch auf die Provinz Ogaden ging. Deren Bevölkerung ist mehrheitlich somalisch, wird aber von Äthiopien verwaltet.

Die jüngste Intervention in Somalia wurde damit begründet, dass die UIC, die die mit Hilfe der „internationalen Gemeinschaft“ eingesetzte Übergangsregierung nicht anerkennt, entmachtet werden sollte. Dabei konnte Äthiopien auf die tatkräftige Unterstützung der USA zählen6 – für Washington war dieses Land am Horn von Afrika und damit am Indischen Ozean 1993 Schauplatz einer Niederlage geworden.

Zu Zeiten von Präsident Siad Barre (1969 bis 1991) war Somalia zunächst mit der Sowjetunion verbündet, deren Seeflotte den Hafen von Berbera nutzte. Der Wechsel ins westliche Lager7 verhinderte nicht, dass sich das Regime in einen Krieg mit rund einem Dutzend regionaler Befreiungsbewegungen verstrickte. Somalia versank in einem Chaos, von dem es sich nie wieder erholt hat. Um einer Bevölkerung zu Hilfe zu kommen, die mehr und mehr zum Opfer der Vendetta zwischen den zu Warlords gewordenen Clanchefs wurde, entstand 1992 die multinationale Operation „Restore Hope“ unter Führung der USA. Im Scheinwerferlicht der Medien landeten GIs nachts an den Stränden. Bernard Kouchner, der damalige französische Staatssekretär für humanitäre Angelegenheiten und heutige Außenminister, hat sich bei der Gelegenheit mehrmals von den Fotografen mit einem Sack Reis auf dem Rücken ablichten lassen.

Die UNO übernahm dann 1993 das Mandat für Somalia und das damals reduzierte Truppenkontingent der USA. Aber die Operation endete in einem Fiasko. In einem Hinterhalt im Zentrum der Hauptstadt kamen 18 US-Soldaten ums Leben. Ihre Leichen wurden wie Trophäen ausgestellt und durch die Straßen geschleift. Der Film „Black Hawk Down“8 – in Anspielung auf die gleichnamigen US-Kampfhubschrauber – erzählt von diesem demütigenden Ereignis. In den Videoclubs von Mogadischu wurden die Filmszenen später beklatscht. Danach haben die USA Somalia gemieden und sich geweigert, an Frieden schaffenden oder Frieden erhaltenden Operationen in Afrika teilzunehmen. Das galt dann auch für den Völkermord in Ruanda 1994.

Mit den Attentaten vom 11. September 2001 änderte sich die Ausgangslage. Das gesamte Horn von Afrika, und insbesondere Somalia, wird seither genau beobachtet. Seit 2002 patrouilliert die US-Marine, unterstützt durch einige europäische Einheiten, im Roten Meer, in der Meerenge von Bab al-Mandab und entlang der somalischen und jemenitischen Küste. Ziel der „Task Force 150“ ist die Sicherung dieses international wichtigen Wasserwegs, der die Verbindung zum Suezkanal und zum westlichen Mittelmeer, zum Kap und nach Südamerika, zu den asiatischen Wasserstraßen und dem Ostpazifik bildet.

Die Sprengstoffanschläge auf den Zerstörer „USS Cole“ im Hafen von Aden im Jahr 2000 sowie zwei Jahre später auf den französischen Öltanker „Limburg“ haben der Schreckensvorstellung vom „maritimen Dschihad“, der die Erdölversorgung und den Handelsverkehr bedrohen könnte, neue Nahrung gegeben. Ein Passagierschiff und etliche Frachter, von denen einige auch Lebensmittel aus dem Welternährungsprogramm (WFP) transportiert haben, wurden von Piraten vor der somalischen Küste angegriffen.9

Dschibuti – die einzige US-Militärbasis in Afrika

Mit der Kontrolle verdächtiger Frachter und Dhaus – der für das Rote Meer typischen Segelschiffe – und mit der Jagd auf Piraten will die US-Marine vor allem verhindern, dass die aus Afghanistan und Irak vertriebenen islamistischen Kämpfer am Horn von Afrika Unterschlupf finden. Die Region im Grenzgebiet von Äthiopien, Sudan und Somalia ist eine der wichtigsten „Grauzonen“ des Kontinents. Sie ist mit einer alten Karawanenstraße verbunden, die bis an die Grenzen des Tschad, Libyens, Malis, Algeriens und Mauretaniens an der westafrikanischen Küste reicht.

Außerdem hat das Pentagon erreicht, dass die USA 2002 im kleinen Staat Dschibuti, der bis dahin zur französischen Einflusssphäre gehörte, Sondereinheiten stationieren konnten. Mit einer Truppenstärke von 2 000 Mann bildet dieser Beobachtungsposten, der nur wenige Kilometer hinter der somalischen Grenze liegt, die einzige amerikanische Militärbasis auf dem Kontinent.10 Von hier aus wurden die geheimen Operationen gesteuert, mit denen mutmaßliche Mitglieder von al-Qaida im Jemen und in Somalia ausgeschaltet werden sollten. Die Aktivitäten in dieser Richtung wurden 2007 verdoppelt.

Der nach wie vor flüchtige Ussama Bin Laden ist kein Unbekannter am Horn von Afrika. Er soll sich Anfang der 1990er-Jahre auch in Somalia aufgehalten haben. Einige der ihm nahestehenden „afghanischen Araber“ sollen in den Angriff auf die US-Soldaten in Mogadischu 1993 verwickelt gewesen sein. Von 1991 bis 1996 lebte Bin Laden im Sudan: Der Militärputsch von 1989 und die Einsetzung eines fundamentalistischen Regimes, das sich auf die Nationale Islamische Front stützte, machten aus diesem Land einen sicheren Hafen. Bin Laden investierte in die Al-Shifa-Pharmafabrik – die US-Marschflugkörper im August 1998 als Vergeltung für die Attentate von Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) bombardierten – und in die al-Shamal Islamic Bank. Er stellte in Afghanistan ausgebildete Araber ein und sammelte ägyptische Anhänger um sich, darunter auch Aiman al-Sawahiri. Im Kontakt mit Islamisten aus der ganzen Welt, insbesondere aus dem Jemen und Algerien, entwickelte sich die Idee des „weltweiten Dschihad“.11

Eine erste Anschlagsserie richtete sich gegen Stützpunkte der US-Streitkräfte: Aden 1992, Mogadischu 1993, Riad 1995, Khobar 1996. Das ist auch das Jahr, in dem Bin Laden den Sudan verlassen und nach Afghanistan zurückkehren musste, wo er Mullah Omar, den späteren Anführer der Taliban, traf. Gemeinsam mit al-Sawahiri kündigte er die Bildung einer „Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzzügler“ an. Im August 1998 bekannte al-Qaida sich zu den Attentaten auf die US-Botschaften von Nairobi und Daressalam (224 Tote, mehr als 4 500 Verletzte).

Wenige Tage nach dem 11. September 2001 verfügte Präsident George W. Bush das Einfrieren des Vermögens von 27 Gruppierungen und Einzelpersonen, die verdächtigt wurden, mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung zu stehen.12 Dazu gehörte auch das größte somalische Geldtransfer-Unternehmen al-Barakat („Glück“); von den 500 Millionen Dollar, die die große somalische Diaspora jährlich nach Hause überwies, hingen rund 800 000 im Land gebliebene Menschen ab.

Betroffen war außerdem die Bewegung al-Itihaad al-Islamiya („Islamische Einheit“), die am Abschuss der US-Hubschrauber in Mogadischu 1993 beteiligt gewesen sein und bei den Attentaten von Mombasa (Kenia) im November 2002 logistische Hilfe geleistet haben soll.13 Al-Itihaad wurde 1997 durch einen Überraschungsangriff äthiopischer Truppen besiegt. Aber ihr Anführer Scheich Hassan Dahir Aweys, ein ehemaliger Oberst der somalischen Armee, der sich im Krieg gegen Äthiopien 1977 hervorgetan hatte, wurde 2006 Vorsitzender des Obersten Rats der Islamischen Gerichte in Mogadischu. Aweys wies zwar jegliche Verbindung zu al-Qaida zurück, räumte aber ein, Kontakte zu Bin Laden gehabt zu haben, als sich dieser im Sudan aufhielt. Er betrachtete die Scharia als „die einzige Lösung für die Probleme Somalias“ und sagte von sich, dass er „die Gefühle derer“ teile, „die der Meinung sind, dass der Islam Ziel eines weltweiten Krieges der USA und ihrer Verbündeten sei“.

Während eines Treffens der Opposition in Asmara (Eritrea) im September hat sich Scheich Aweys – der auf der schwarzen Liste der Amerikaner steht – als „Nationalist“ präsentiert, „der für ein freies und vereintes Somalia kämpft, was von den Amerikanern als Terrorismus betrachtet wird“. Gleichzeitig forderte er Washington auf, ihm Verbindungen zu al-Qaida nachzuweisen. Die US-Außenpolitik bezeichnete er als „merkwürdig kriegerisch“.14

Die somalischen Islamisten, die unter dem Regime von Siad Barre keine Stimme hatten, haben während der 1990er-Jahre ihren Einfluss im Land ständig ausgeweitet. Zunächst kontrollierten sie die Kleinstadt Luq im Süden, nahe der Grenze zu Kenia. Von dort wurden sie wieder vertrieben. 1996 verloren sie ihre Bastion im Nordosten Somalias, in Puntland, das sich einseitig für unabhängig erklärt hatte. Die Ägypter, Afghanen und Tschetschenen, die sich al-Itihaad angeschlossen hatten, schienen das Land wieder verlassen zu haben. „Die örtlichen Islamisten“, hieß es, „haben ihre militärischen Aktivitäten zugunsten des Handels mit den Golfstaaten, des Unterrichts in Koranschulen und der Verteidigung der Scharia aufgegeben.“15 Das ging so weit, dass sich die aufkeimende Bewegung der Islamischen Gerichte im Jahr 2000 einem ersten Versuch der Bildung einer Übergangsregierung anschloss.

Ein UN-Bericht bestätigte im Mai 2005, dass Scheich Aweys, der sich im Landesinneren versteckte, von Eritrea mit Waffen versorgt wurde und außerdem mit den Vertretern der Nationalen Befreiungsfront von Ogaden und der Befreiungsfront Oromo, die gegen die äthiopische Zentralgewalt kämpft, in Kontakt stand. Im Juni 2006 bezeichneten Bin Laden und al-Sawahiri das sudanesische Darfur und Somalia als die Orte, wo der Kampf gegen den „großen Satan“ USA auszutragen sei.

Aus Angst vor einem „neuen Afghanistan“ machten sich die US-Geheimdienste die traditionellen, von der UIC für ihre gefährliche „Talibanisierung“16 der Region eingesetzten Praktiken zu eigen und versuchten im Februar 2006 zunächst, einige somalische Warlords zu kaufen. Aber die zu diesem Zweck gegründete „Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und die Bekämpfung des Terrorismus“ hielt den Angriffen der islamistischen Milizen nicht stand; im Juli 2006 übernahmen diese die Kontrolle über Mogadischu.

Diese neuerliche Niederlage machten die USA allerdings durch einen Geniestreich wieder wett: Washington ließ die äthiopischen Armee diskret wissen, sie dürfe die somalische Übergangsregierung beim Versuch, in „ihre“ Hauptstadt zu gelangen, unterstützen. Ende Dezember glaubten die äthiopischen Truppen, siegreich zu sein: Die islamischen Milizen verließen Mogadischu. Aus Baidoa, wo die Übergangsregierung noch immer ihren Sitz hatte, wurde gemeldet, dass ein Fünftel der während der Offensive gemachten Gefangenen Ausländer seien. Damit sei klar bewiesen, dass man es mit einer internationalen dschihadistischen Verschwörung zu tun habe.

US-Spezialeinheiten jagen mutmaßliche Terroristen

Doch Präsident Abdullahi konnte nach seiner Rückkehr im Schutz der äthiopischen Truppen die alten Clans und Milizen nicht entwaffnen. Die Feindseligkeiten gegenüber den äthiopischen Truppen nahmen zu. Die Angriffe der Muqawama („Widerstand“) in den Stadtteilen flammten wieder auf. Am 20. März gewannen die Aufständischen die Kontrolle über die Hauptstadt. Am 30. März begann die wirkliche Schlacht um Mogadischu. Ende April nahm die äthiopische Artillerie die Aufständischen unter Beschuss. Auch vom Präsidentenpalais aus wurden Raketen abgefeuert; die Bastionen im Norden der Stadt fielen. Einige Tage später konnten die ersten Vertriebenen zurückkehren.

Von ihrer Basis in Dschibuti aus setzte die US-Armee gleichzeitig ihre Jagd auf tatsächliche oder mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder fort.17 Im Januar 2007 fand eine erste größere Militäraktion statt: Eine Gruppe von „Flüchtigen“ wurde im Süden Somalias aus der Luft beschossen – von einer mit schweren Geschützen bewaffneten Vierpropellermaschine, der C-130 Spectre, einem Flugzeugtyp, der schon im Vietnamkrieg zum Einsatz kam. Derartige, vor der Öffentlichkeit geheim gehaltene Aktionen werden nirgendwo aufgeführt. Sie belegen jedoch deutlich, dass die Amerikaner mit voller Kraft in den heimlichen Krieg am Horn von Afrika zurückkehrt sind. Im Februar sollen Spezialeinheiten ebenfalls Operationen im Süden Somalias durchgeführt haben. Am 2. Juni hat ein Kriegsschiff der US-Marine mehrere Ziele nahe des Hafens von Bargal in Puntland angegriffen, wohin sich angeblich „flüchtige Mitglieder des Al-Qaida-Netzwerks“ zurückgezogen haben sollten.

Die Jagd auf Dschihadisten in Mogadischu hat sich ebenfalls verschärft, seit die Stadt von den Äthiopiern und den Unterstützern von Präsident Abdullahi eingenommen wurde. Zwischen 200 und 1 000 Menschen sollen verschwunden sein und heimlich am Hafen, im Präsidentenpalast Villa Somalia oder in den Kellern der Nationalen Sicherheitsbehörde festgehalten werden. Eine frühere Zugehörigkeit zur UIC genügt, um als „Terrorist“ eingestuft zu werden. Die Hawiye, der größte Clan in Somalia, werfen dem Präsidenten vor, in alle Machtpositionen Mitglieder seines eigenen Clans, der Darod, einzusetzen und die Unterstützung des historischen Feindes Äthiopien in Anspruch zu nehmen, um an der Macht zu bleiben.18 Die Vorzeichen für die Versöhnungskonferenz Mitte Juni in Mogadischu standen nicht gut; schließlich fand sie mit einem Monat Verspätung in Abwesenheit der islamistischen Gruppen und des Hawiye-Clans – statt. Am 30. August endete sie ohne nennenswerte Ergebnisse.

Indem sie den Äthiopiern die schmutzige Arbeit überlassen hat, hat die US-Regierung das kaum erloschene Feuer in der Region wieder angefacht. Sie liefert dem äthiopischen und wie dem eritreischen Regime Anlass zu einer neuerlichen Konfrontation. Die beiden Länder standen sich erst von 1998 bis 2000 in einem Krieg gegenüber, der mit einem wenig zufriedenstellenden Friedensschluss endete. Obwohl Eritrea kaum Sympathien für die UIC hegt, hat es die Islamisten mit Waffen versorgt. Ein UN-Bericht vom November 2006, der vor einer Ausweitung des Konflikts warnte, sprach von zehn Ländern, die das UN-Waffenembargo verletzten. Er warf insbesondere Eritrea vor, „mindestens 28 Lieferungen von Waffen, Munition und Militärausrüstung“ vorgenommen zu haben. Darunter sollen sich auch Boden-Luft-Raketen für das islamistische Lager befunden haben, das damals gerade Mogadischu kontrollierte.

Im vergangenen September richtete die eritreische Regierung in ihrer Hauptstadt eine Konferenz der somalischen Opposition aus, die mit der Gründung einer Allianz für die neuerliche Befreiung Somalias endete. Zuvor hatte der äthiopische Präsident Meles Zenawi Eritrea zum wiederholten Male vorgeworfen, die dortigen islamistischen Extremisten zu unterstützen. Die ersten Handlungen des neuen Bündnisses war die Forderung nach dem sofortigen Rückzug der äthiopischen Armee, die es als Handlanger der US-Regierung bezeichnet, und der Beginn einer neuen bewaffneten Offensive gegen Mogadischu Ende September.

Äthiopien hat von Anfang an die somalische Übergangsregierung unterstützt.19 Washington gab der äthiopischen Regierung sogar grünes Licht für geheime Waffenkäufe in Nordkorea. Das ging natürlich nur unter Verletzung der Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen Pjöngjang verhängt hat – auf Verlangen eben dieser US-Regierung.20

Die US-Diplomatie nimmt auch hin, dass ein so undemokratisches Regime wie das von Zenawi auf der Klaviatur des „Kriegs gegen den Terrorismus“ spielt, um sich finanzielle Vorteile und politische Rückendeckung zu verschaffen. Dabei beruht die Alleinherrschaft des äthiopischen Präsidenten nach wie vor auf den Strukturen der ehemaligen Volksfront zur Befreiung von Tigray, deren Anführer er war. Bis heute unterdrückt er Parteien, Gewerkschaften und Studentenbewegungen.21

Als die USA dem Erbfeind Somalias die Aufgabe übertrugen, dort für Recht und Ordnung zu sorgen, nahmen sie in Kauf, dass sich die äthiopische Regierung an einer möglichen Zerstückelung des Landes beteiligt.22 Sie tragen dadurch auch möglicherweise zum Wiedererstarken eines Islamismus bei, der unter dem Deckmantel des nationalen Widerstands daherkommen könnte – zumal die UIC ohnehin schon zum „Heiligen Krieg“ gegen die Christen in Addis Abeba aufgerufen hat. Auch der Antiamerikanismus, der in Somalia wie generell in der muslimischen Welt unterschwellig brodelt, wird so neu entfacht.23 Ebenso könnten die Forderungen der Ethnien der Ogadeni, Afar und Oromo neuen Auftrieb erhalten. Diese Volksgruppen haben in der Vergangenheit stets gegen die zentralistischen Bestrebungen Addis Abebas gekämpft und nie aufgehört, von einer Auflösung des alten Reiches zu träumen.24

All dies sind Risiken, die das für 2008 erwartete US-Militärkommando Africom genauestens abwägen sollte, wenn es verhindern will, dass das Horn von Afrika in Brand gerät wie in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Fußnoten: 1 AFP, 3. Oktober 2007. 2 Reuters, 27. Mai 2007. 3 AFP, 27. Mai 2007. 4 vgl. Tom Mailit, Mail and Guardian, Johannesburg, 20. Mai 2007. 5 Joseph Winter, Christophe Farah, BBC World, 11. Juli 2006. 6 Zur Bildung der föderalen Übergangsregierung und Entstehung der Union der islamischen Gerichte vgl. Gérard Prunier, „Somalia ist nicht Afghanistan“, Le Monde diplomatique, September 2006. 7 Im Zusammenhang mit der Entführung der „Landshut“ im Oktober 1977 knüpfte die somalische Regierung wieder Kontakt mit dem Westen und wechselte die Seite. 8 Regie: Ridley Scott, 2001. 9 Die französische Marine hat angeboten, die WFP-Schiffe ab November 2007 zu eskortieren. 10 Vgl. Philippe Leymarie, „Dschibutis Zukunft“, Le Monde diplomatique, Februar 2003. 11 Vgl. Lawrence Wright, „Der Tod wird euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September“, München (DVA) 2007; und Abdel Bari Atwan, „The secret history of Al Qa’ida“, London (Saqi Books), 2006. 12 Vgl. Ibrahim Warde, „Der Preis der Furcht“, Le Monde diplomatique, September 2007. 13 Alain Charret, „Les Nouvelles d’Addis“, Saint Rémy de la Vanne, Februar 2006. 14 Reuters, Asmara, 6. September 2007. 15 Jérôme Tubiana, L’Humanité, Paris, 29. Januar 2002. 16 Verbot von Khat (weit verbreitetes Rauschmittel), Videos, Musik, Fußball während der Weltmeisterschaft, Frauenarbeit etc. 17 Siehe Stephen Grey, „Lizenz zum Foltern im Dienst der USA“, Le Monde diplomatique, Oktober 2007. 18 Stéphanie Braquehais, Libération, 26. Mai 2007. 19 Vgl. Gérard Prunier, Anm. 6. 20 The New York Times, 8.April 2007. 21 Yohannes Woldemariam, www.sudantribune. com, 26. November 2005. 22 Unter der Kolonialherrschaft war Somalia dreigeteilt: Somaliland gehörte zu Großbritannien, die Mitte mit der Hauptstadt Mogadischu zu Italien und Dschibuti zu Frankreich. 23 Die Öffentlichkeit im Nahen Osten neigt zu der Ansicht, die Amerikaner hätten bewusst eine neue Front im Norden Afrikas aufgemacht; Mogadischu sei „die dritte arabische Metropole, die in die Hände des amerikanischen Imperialismus gefallen ist, nach Jerusalem und Bagdad“ (Nicola Nasser, Globalresearch.ca, 3. Januar 2007). 24 Eine UN-Mission in Ogaden hat im September 2007 eine unabhängige Untersuchung der Situation der Menschenrechte in dieser Provinz empfohlen, nachdem Flüchtlinge von einer „Hölle“ berichtet hatten.

Aus dem Französischen von Veronika Kabis Philippe Leymarie ist Journalist bei Radio France internationale.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2007, von Philippe Leymarie