Die Roten schreiben schwarze Zahlen
Genossenschaften und Kooperativen in Europa von Cécile Raimbeau
Für Salvador Bolance war 1981 das entscheidende Jahr: „Unser Betrieb existiert nur noch, weil er eine Genossenschaft1 ist!“ Der Fräser aus Barcelona, der demnächst in Rente geht, spricht so überzeugt von Selbstverwaltung (obwohl das Wort aus der Mode gekommen ist), weil es ihm und seinen Kollegen gelungen ist, ihren metallverarbeitenden Betrieb zu retten. Der Unternehmer hatte die Löhne nicht mehr ausgezahlt und war verschwunden. Etwa 30 aufgebrachte Arbeiter setzten die Maschinen wieder in Gang, fütterten sie mit den vorrätigen Materialien und forderten die Kunden auf, an sie direkt zu zahlen. Selbst die großen Automobilbauer mussten sich darauf einlassen.
„Damals brauchte man noch mindestens ein Jahr, um eine neue Fertigungsstraße für Karosserien zu entwickeln“, amüsiert sich der ehemalige Anführer der Revolte. Bolance und seine Kollegen gingen sogar noch weiter: Sie hielten den Sohn des Inhabers so lange im Betrieb fest, bis dessen Vater der vorgeschlagenen Übereinkunft zustimmte: Sie hatten beim Handelsgericht einen Übernahmeplan eingereicht und bekamen zur Begleichung ihrer Lohnschulden die Maschinen überschrieben. Obwohl keiner der Arbeiter studiert hatte, übernahmen sie die Unternehmensführung. Drei Jahre lang arbeiteten sie, ohne auf die Uhr zu sehen und zahlten sich nur geringe Löhne, anfangs das gleiche Geld für alle. „Wenn man selbst Chef wird, ist das erst mal mehr Arbeit“, sagen sie. „Aber wenigstens Arbeit!“
Heute erwirtschaftet die katalanische Genossenschaft Mol-Matric auf ihrem 5 000 Quadratmeter großen Gelände im Gewerbegebiet von Barberà del Vallès einen Jahresumsatz von fünf Millionen Euro. Sie hat 45 Beschäftigte und der Betriebsleiter verdient dreimal so viel wie ein Arbeiter. Nachdem sie mehr als eine Million Euro in neue Maschinen investiert haben, sind die Gesellschafter überzeugt, ihren Zuliefererbetrieb trotz des Trends zu Produktionsverlagerungen nach Osteuropa erhalten zu können.
Mol-Matric hat diversifiziert und stellt inzwischen auch Karosserien für Eisenbahnwaggons und Windradgeneratoren her. „Nach der Rettung unseres Betriebs haben wir die Überschüsse nicht verteilt, sondern die Rücklagen aufgestockt, um investieren zu können“, erklärt Bolance. Er glaubt, dass jeder andere Unternehmer, der den Laden übernommen hätte, sich zuerst die eigenen Taschen gefüllt und dann den Betrieb erneut an die Wand gefahren hätte.
In Spanien ist die Übernahme eines Betriebs durch die Belegschaft kein Einzelfall. Die Bewegung selbst verwalteter Betriebe war schon Anfang der 1980er-Jahre so stark, dass sie mindestens 38 500 Arbeitsplätze im ganzen Land retten konnte.1 Isabel Vidal, Professorin für Wirtschaftstheorie an der Universität Barcelona, erläutert: „Die Bewegung entstand 1978 in stark politisierten Betrieben mit rund 500 Beschäftigten und hat sich, an den geltenden Gesetzen vorbei, immer weiter ausgebreitet.“
An diese Aufbruchstimmung knüpften die argentinischen Arbeiter nach der Wirtschaftskrise von 2001 an.2 „Es lebe das Recht auf Arbeitereigentum“, skandierten sie in Buenos Aires. Dieselbe Parole hatten zwanzig Jahre zuvor ihre spanischen Kollegen bei der Versteigerung ihrer Betriebe den Konkursrichtern zugerufen. In Spanien konnten sie sich dabei auf die Verfassung von 1978 berufen, die das Recht auf Arbeit anerkennt und die öffentliche Hand anhält, die Teilhabe der Belegschaft an ihrem Betrieb und den Zugang der Arbeiter zu den Produktionsmitteln zu fördern.3
Spanien erlebte damals eine Rezession. Von 1975 bis 1985 verlor das Land mehr als 800 000 industrielle Arbeitsplätze. In Katalonien mit seinen vielen kleinen und mittleren Betrieben stieg die Arbeitslosenquote auf 20 Prozent. Auf der einen Seite standen die Unternehmer, die in Schwierigkeiten geraten waren, auf der anderen die Belegschaft, die sich gegen ihre Entlassung wehrte.
Katalonien: Lkw-Fahrer gründen eine Arbeiter-AG
Die „Pragmatiker“ unter den Beschäftigten waren am Ende bereit, mit dem Arbeitgeber oder mit Investoren zusammenzuarbeiten. „Wir brachten unterschiedlich hohe Geldsummen auf, um den Betrieb neu zu gründen; dabei fanden wir es einleuchtend, dass, wer am meisten gegeben hat, auch das meiste zu sagen hat“, erzählt Pedro Jorge Puig. Er hatte gemeinsam mit seinen Kollegen, 30 Lastwagenfahrern, im selben Jahr wie Mol-Matric und ebenfalls in Barberà del Vallès eine Firma namens Unión de Cisternas übernommen. Um ihre Arbeitsplätze zu retten, schufen die Fahrer eine Aktiengesellschaft im Besitz der Mitarbeiter.
Das originelle Modell nannte sich „sociedad anonima laboral“ (SAL), also Arbeiter-Aktiengesellschaft. Im Gegensatz zu einer Genossenschaft oder Kooperative ist eine SAL keine Personen-, sondern eine Kapitalgesellschaft. Bei der Wahl des Aufsichtsrats ist das Stimmrecht nach dem eingebrachten Kapitalanteil gewichtet. Ansonsten gelten die Prinzipien einer Genossenschaft: Wenn fremde Aktionäre hinzukommen, bleiben die Beschäftigten stets Mehrheitseigner, und niemand darf mehr als ein Drittel der Anteile besitzen. Zudem sind die Gesellschafter einer SAL verpflichtet, einen Rücklagenfonds anzulegen, um das Überleben des Betriebs zu sichern.
Die Lastwagenfahrer schnürten den Gürtel enger und stellten den Betrieb allmählich vom Import chemischer Produkte auf die Entsorgung von Industrieölen um. Heute gehört die SAL 23 angestellten Gesellschaftern, sie erwirtschaftet einen Jahresumsatz von drei Millionen Euro. „Heute werben die Banken um uns, aber damals war das ganze System gegen uns: die Kunden, die Banken, die Justiz und der Staat“, erklärt Puig. Als Präsident der SAL-Vereinigung Kataloniens (Fesalc) hatte er die Streichung der Altschulden gefordert, die viele SAL bei ihrer Neugründung übernehmen mussten – die Regierung erfüllte die Forderung erst Ende 2006.
Ansonsten hatten Puig und Bolance weniger Glück als andere nach ihnen. Als Pioniere der Arbeiterselbstverwaltung konnten sie noch nicht von der entscheidenden Regelung profitieren, die von der Madrider Regierung 1985 beschlossen wurde: Nach dem „pago único“ (Einmalzahlung) wurde das gesamte Arbeitslosengeld, das einem Entlassenen zustand, im Voraus ausgezahlt (durchschnittlich 8 000 bis 10 000 Euro), falls er diese Summe in das Kapital einer Kooperative oder SAL einbrachte (oder auch in eine eigene Firma).4
Diese „Kapitalisierung des Arbeitslosengeldes“ stellt bis heute die größte Finanzquelle für Investitionen in die partizipative Wirtschaft dar. Zusammen mit dem flexiblen Status der SAL hat sie zum Aufschwung des Dienstleistungssektors geführt, obwohl die Zahl der neugegründeten SAL nach dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zurückging. Die Folgen erläutert Manuel Rubio, Geschäftsführer der Fesalc: „Madrid musste sein Gesellschaftsrecht angleichen. Ab 1989 brauchte man auf einmal mehr als 60 000 Euro Kapital, um eine Aktiengesellschaft – und damit auch eine SAL – zu gründen. Diese Summe war schwer aufzubringen.“
Erst mit dem Gesetz von 1997, das die Einrichtung einer Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftung (SLL) mit einem Kapital von nur 3 005 Euro erlaubte, stieg die Zahl der Betriebe mit Belegschaftsbeteiligung wieder an. Seitdem entstehen überall neue SLL, mehr oder weniger gefördert von den autonomen Regionen. Mit 25 667 Genossenschaften, 2 484 SAL und 17 666 SLL hat Spanien die meisten selbstverwalteten Betriebe in ganz Europa. Die SLL sind meist Kleinstunternehmen im Dienstleistungsbereich, die im Schnitt drei Gesellschafter haben; das Kapital ist häufig Familienbesitz und wird zu 40 Prozent von Frauen gehalten. Für Isabel Vidal ist das eine großartige Entwicklung: „Früher war es der Mann, der Geld besaß und arbeiten ging!“
Italien: Staatsgelder für Genossenschaften
Durchschnittlich 67 Prozent der Neugründungen überstehen die ersten drei Jahre. Zu Übernahmen kommt es immer seltener: Die Wirtschaft hat sich erholt, es gibt weniger Pleiten. Dafür hat sich das Modell des kollektiven Betriebseigentums stabilisiert, das von Coceta und Confesal, den beiden Vereinigungen der Genossenschaften und Aktiengesellschaften, unterstützt wird. „Natürlich haben es unsere Zwergbetriebe sehr schwer, auf den Märkten mit ihren brutalen Regeln zu bestehen“, betont Isabel Vidal. „Doch sie sind lebensfähig, weil es ihnen wichtiger ist, die Arbeitsplätze zu erhalten, als Gewinn zu machen. Vor allem aber entwickeln sie Unternehmergeist, statt sich als Alimentierungsinstanz zu empfinden.“
Auch in Frankreich gab es früher eine Regelung, die den Unternehmergeist der Arbeitslosen wecken wollte und auch für Beschäftigte galt, die einen Betrieb als Genossenschaft übernehmen wollten: die „Arbeitslosenunterstützung für Unternehmensgründer“ (Accre). Mit dieser Maßnahme wurden viele Betriebsübernahmen in den 1980er- und 1990er-Jahren gefördert. Doch die 1979 unter Präsident Valéry Giscard d’Estaing eingeführte Regelung wurde immer wieder torpediert, trotz der großen Anzahl geförderter Projekte in den Mitterrand-Jahren.
1995 veränderte die Regierung Juppé den Gesetzestext dahingehend, dass nur noch Langzeitarbeitslose und Bezieher des Mindesteinkommens (RMI) Anrecht auf die Unterstützung hatten. Damit wurde die Übernahme bankrotter Betriebe in kollektive Eigenregie praktisch unmöglich. 1996 ersetzte der damalige Handelsminister Jean-Pierre Raffarin den Accre-Zuschuss durch eine zeitweilige Befreiung von den Sozialabgaben. Zwei Jahre später erfand die Regierung Jospin ein Angebot für Unternehmensgründer namens „Eden“. Das ist ein zinsloser Kredit mit fünfjähriger Laufzeit, der 2001 vorübergehend in einen Zuschuss verwandelt wurde, heute aber wieder als rückzahlbares Darlehen gewährt wird.
Weder Accre noch Eden waren ein ähnlich nachhaltiges und wirksames Instrument wie der „pago único“, dessen Leistungen als Anrecht gelten und keine Rückzahlverpflichtung beinhalten. „Es rentiert sich für den Staat doch viel mehr, 5 000 Euro für eine Genossenschaft auszugeben, als genauso viel oder noch mehr an Arbeitslosenunterstützung zu bezahlen“, argumentiert Patrick Lenancker, der Präsident der allgemeinen Föderation der Produktivgenossenschaften (Scop Entreprises). „Die verschiedenen spanischen Regierungen haben den ‚pago único‘ nicht abgeschafft, weil er sich auszahlt“, meint Bruno Roelants, Generalsekretär des Europäischen Dachverbands der Produktivgenossenschaften, Sozialgenossenschaften und selbstverwalteten Betriebe (Cecop), in dem sich die europäischen Genossenschaftsbewegungen zusammengeschlossen haben. „Wo immer in Europa die öffentliche Hand Betriebsübernahmen von Arbeitern unterstützt hat, ging sie davon aus, dass sich das in puncto Wirtschaftswachstum und sozialen Frieden auszahlt. Doch für Demokratie und Unternehmensbeteiligung interessieren sich die Länder nicht, und die Europäische Union noch weniger.“
In Italien hat die EU die Umwandlung in Genossenschaften sogar behindert. Hier war in einer ähnlichen Situation wie in Spanien ab 1970 eine starke Selbstverwaltungsbewegung entstanden. Ende der 1970er-Jahre wurden jährlich mindestens 25 marode Betriebe von der Belegschaft übernommen.
Um die Wirtschaftskrise zu überstehen, die vor allem die Metall- und Textilindustrie traf, legte Industrieminister Giovanni Marcora ein Gesetz vor, das 1985 auf Druck der drei großen Genossenschafts- und Gewerkschaftsverbände verabschiedet wurde. Das sogenannte Marcora-Gesetz sollte entlassene Arbeitnehmer unterstützen, die ihren Betrieb weiterführen oder eine neue Genossenschaft gründen wollten, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Sie konnten sich an die Compagnia Finanziaria Industriale (CFI) wenden, eine staatlich subventionierte Risikokapitalgesellschaft, die der Genossenschaft Gelder in dreifacher Höhe des Einlagekapitals ihrer Gesellschafter zuschoss. Die Gesellschafter selbst konnten eigene Ersparnisse als Kapital einbringen oder sich drei bis fünf Jahre Arbeitslosenunterstützung vorab auszahlen lassen.
Nach diesem System wurden binnen zehn Jahren 59 in Eigenregie übernommene Betriebe gefördert und mehr als 5 000 Arbeitsplätze gerettet, vor allem in den Industriegebieten der Marken und der Emilia-Romagna. „Etwa ein Drittel der geförderten Genossenschaften waren nach ein paar Jahren am Ende, ein Drittel ist noch immer von der CFI abhängig, und das letzte Drittel der Betriebe hat die Kapitalbeteiligung bereits zurückgekauft“, erläutert der CFI-Verwalter Alberto Zevi. „Das an die CFI zurückgeflossene Kapital wurde wieder in andere Genossenschaften investiert.“ Zevis Mitarbeiter schätzen, dass sie zur Schaffung oder Rettung eines Arbeitsplatzes im Durchschnitt dreimal weniger Geld aufgewandt haben als der Staat.5
Dennoch wurde das Marcora-Gesetz 1997 für fünf Jahre suspendiert, weil die Europäische Kommission „ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Beihilfen mit dem Binnenmarkt“ geltend machte, da diese angeblich „weder den Richtlinien zur Arbeitsmarktförderung noch den Beihilfen zur Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten entsprechen“. Derartige Einwände gegen die Unterstützung partizipativer Wirtschaftsformen sind ein klassisches Manöver der Verfechter eines Kapitalismus, der selbst großenteils subventioniert wird.
In Frankreich stellte die Arbeitgeberseite die Rechtsform der Produktivgenossenschaften schon 1985 in Frage: Zum einen bedrohten sie die Geschäfte und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Konkurrenten, zum anderen schwächten sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes.6 Im selben Tonfall klagte der Unternehmerverband 2002, die sozial wirtschaftenden Betriebe machten anderen Unternehmen unfaire Konkurrenz, da sie Subventionen bezögen oder Abgabenbefreiungen genössen.7
Mit ganz ähnlichen Argumenten forderte die EU 2001 das italienische Parlament zur Änderung des Marcora-Gesetzes auf. Was sich damit geändert hat, erklärt Alberto Zevi von der CFI: „Obwohl wir den Genossenschaften heute auch Darlehen aufdrängen, bleibt die Hauptaufgabe der CFI nach wie vor die Beschaffung von Kapital. Doch dieses Kapital darf jetzt nicht mehr als die von den Beschäftigten eingebrachte Summe betragen, es wird also nur noch mit eins statt mit drei multipliziert.“ Das Investitionskapital stammt heute vor allem aus einem Beteiligungsfonds der Genossenschaften, ähnlich der Organisation Socoden, die von der französischen Genossenschaftsbewegung getragen wird.
Deshalb wurden seit 2003 nur etwa 30 Kooperativen von der CFI unterstützt, davon zehn von Mitarbeitern übernommene Betriebe. Die wirtschaftliche Lage in Italien ist heute natürlich besser als vor zwanzig Jahren. Doch Zevi hat für den Rückgang der Belegschaftsübernahmen noch eine andere Erklärung: „Die Probleme der Betriebe sind in einigen Wirtschaftsbereichen so schwerwiegend, dass Umwandlungen schwieriger geworden sind.“
Globalisierung und Übernahme in Eigenregie passen nicht gut zusammen: Wird ein Betrieb verlegt, wandert gleich das Auftragsbuch mit. Der Betrieb muss also die Folgen unternehmerischer Strategien ausbaden, auf die er keinen Einfluss hat. Zudem kann er in einer Art Dominoeffekt weitere Subunternehmer in den Abgrund reißen. Behaupten können sich häufig nur noch hoch spezialisierte Unternehmen, die sich in Nischenmärkten eingerichtet haben.
Großbritannien: Fast die Hälfte aller Pleiten wäre vermeidbar
Manche Arbeitnehmer multinationaler Firmen, die nach der Entlassung ihren Betrieb übernehmen könnten, stehen überdies vor Patentproblemen. So wurde etwa der Firma Lustucru in Arles von der Pananzi-Gruppe die Übernahme des Maschinenparks verweigert. Und die Firma P’tit Lu in Calais durfte die Rezepte der Danone-Gruppe nicht weiterverwenden.
Die Schließung eines Werks entspricht häufig der globalen Strategie einer Unternehmensgruppe, obwohl der Produktionsstandort als solcher noch Entwicklungspotenzial hat. So erging es den Beschäftigten einer Aluminiumgießerei in Civrieux d’Azergues (Rhône-Alpes). Ihr Werk wurde 1993 von Dynacast International errichtet und später vom Investitionsfonds Cinven übernommen, der es 2004 an den Armaturenhersteller LCN weiterverkaufte. Die Tochter der italienischen Unternehmensgruppe Campisusa beschloss, das Werk von Civrieux zu schließen, nachdem dessen Konten abgeräumt waren.
Im Januar 2005 gelang es der Hälfte der 66 freigesetzten Beschäftigten, das Unternehmen als Genossenschaft unter dem Namen „Precial Casting“ weiterzuführen. Sie konnten sich dabei auf Zusagen von Kunden und Genossenschaftsdarlehen stützen, was ihnen auch die Unterstützung der Banken sicherte. Die Belegschaft setzte auf ihre Entwicklungsabteilung und kämpfte um ihr Projekt, das nach dem Verlust eines Kunden gefährdet war. Bruno Sanchez, für die Produktionskontrolle zuständig, betont: „Den Aktionären, die das Unternehmen von ferne steuern, muss deutlich werden, dass nicht allein ihr Geld die Gewinne macht – da ist auch noch die menschliche Komponente.“
Die Pleite eines kleinen oder mittelständischen Betriebs ist nicht in jedem Fall auf einen Verlust an Marktanteilen zurückzuführen. Auch Fehler des Unternehmers können schuld sein, oder dessen Neigung, die Firmenkasse mit dem eigenen Portemonnaie zu verwechseln. Der englische Wirtschaftsexperte Anthony Jensen schätzt, dass in Großbritannien fast die Hälfte aller Pleiten vermeidbar wäre: „Die Übernahmen in Eigenregie machen deutlich, dass auch Arbeitnehmer das Geschäft verstehen und ein Zukunftspotenzial in Situationen erkennen, in denen der Risikokapitalgeber keines sieht.“8
Jensen empfiehlt ein verändertes Konkursverfahren, das der Belegschaft eine Chance gibt. Es scheint ihm unlogisch, dass die Mitarbeiter im Gegensatz zu den Banken nicht als vorrangige Gläubiger gelten, und dass sie von den Verhandlungen der Kreditgeber ausgeschlossen sind. Er schlägt vor, übernahmewilligen Beschäftigten ein Vorkaufsrecht zu gewähren, womit er auf eine historische Forderung der Genossenschaftsbewegung zurückkommt. In Frankreich geben die Handelsgerichte theoretisch dem Übernahmeprojekt den Zuschlag, das die besten wirtschaftlichen Aussichten und die größten Chancen auf Rettung der Arbeitsplätze bietet. Doch in der Realität bleibt der soziale Aspekt meist auf der Strecke, und eine frisch gegründete Genossenschaft gilt als weniger lebensfähig als ein erfahrener kapitalistischer Investor.
Die Handelsgerichte kommen den Entlassenen meist wenig entgegen, weil sie nur mit – häufig kooptierten – Firmenbossen besetzt sind und weil die von ihnen eingesetzten Insolvenzverwalter, wie viele Ermittlungsverfahren belegen, sich häufig des Vertrauensmissbrauchs oder der Vorteilsannahme schuldig machen.8 Außerdem haben die Richter und andere Entscheidungsträger mehr oder weniger große Zweifel an der Fähigkeit der Arbeitnehmer, ihre eigenen Chefs zu werden. Das variiert jedoch nach Region verschieden: Ein Arbeiter im Norden, der einen Betrieb als Genossenschaft neu gründen will, hat weniger Chancen als sein Kollege im Süden, etwa in der Region Rhône-Alpes.
Frankreich: Risikokapital für Belegschaftsübernahmen
Im Jahr 2005 hat der Lyoner Genossenschaftsverband Scop Entreprises 17 Belegschaftsübernahmen unterstützt. Geschäftsführer Bruno Lebuhotel berichtet erfreut, dass Ende 2007 der 5,5 Millionen Euro schwere Risikokapitalfonds Transmea aufgelegt wird, den die Regionalverwaltung mit einer Million Euro subventioniert: „Damit könnten 430 Projekte pro Jahr unterstützt werden: 30 marode Unternehmen und 400 gesunde, die den Beschäftigten übergeben werden, wenn der Inhaber in den Ruhestand geht.“ Eine solche „Übergabe“ steht vielen Unternehmen bevor, die in der Nachkriegszeit gegründet wurden, weil die Besitzer keine Erben haben, die den Betrieb übernehmen wollen. Doch diese Unternehmer stehen genossenschaftlichen Modellen sehr zurückhaltend gegenüber: „Bei Genossenschaft denken sie an sowjetische Kolchosen“, sagt Lebuhotel bedauernd.
Mit Blick auf diese Mentalität wird im Rahmen des Transmea-Projekts jetzt nicht nur die Umwandlung in Genossenschaften unterstützt, sondern auch in französische „Arbeiter-Aktiengesellschaften“, für die man noch ein Statut erarbeiten muss. Lebuhotel macht keinen großen Unterschied zwischen Genossenschaft oder Mitarbeiter-Aktiengesellschaft: „Das Wichtigste ist doch, dass man dem heutigen Kapitalismus eine andere Richtung gibt und praktikable Alternativen vorschlägt.“
Lebuhotel ist sich darüber im Klaren, dass nicht alle Genossenschaftler seinen Pragmatismus teilen. Denn eine Mitarbeiter-Aktiengesellschaft wird von niemandem kontrolliert und hält sich auch nicht immer an die Philosophie der Genossenschaft, wonach das Kapital einem kollektiven Projekt dienen soll und nicht umgekehrt. Auch wenn sich die Verbände Coceta und Confesal in Spanien als Partner verstehen, kritisieren ihre Mitglieder häufig hinter vorgehaltener Hand das Modell der Konkurrenz. So halten die Genossenschaftler den SAL-Gesellschaftern vor, ihr Unternehmen kapitalorientierter und weniger demokratisch zu führen. Umgekehrt machen die Arbeiter-Aktionäre gern ironische Bemerkungen über die Mondragon Corporation Cooperative, eine berühmte, aus 250 Unternehmen bestehende baskische Genossenschaft. Die hat nämlich, um im Kreis der ganz Großen mitspielen zu können, außerhalb von Spanien (vor allem in China) kapitalistische Tochterunternehmen gegründet, ganz wie es multinationale Konzerne tun, und sich auch auf Joint Ventures eingelassen.
Doch solche Beispiele sollten den Blick auf das Positive nicht verstellen. Der katalanische Fräser Bolance sagt, aus zwei Gründen hätten er und seine Kollegen es geschafft, Mol-Matic wieder aufzubauen. Zum einen, weil sie die Menschen als oberste Priorität sahen. Und zum andern, weil sie damals sagten: „Es ist möglich!“
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Cécile Raimbeau ist Journalistin und Autorin von „Argentine rebelle. Un laboratoire de contre-pouvoirs“, Paris (Editions Alternatives) 2006.