Zehn Euro für tausend Döschen
SIE wollen der ausweglosen Situation in ihren Heimatländern entkommen und haben sich darauf eingelassen, Kokain oder Ecstasy zu schmuggeln. Und dann fliegen sie auf, die meist jungen Frauen aus Nigeria, Guatemala, den Philippinen und anderswo, und bekommen von Europa nicht mehr zu sehen als den Pariser Großflughafen Charles de Gaulle und das Frauengefängnis Fleury-Mérogis von innen. Dort heißt es für lange Zeit Pillen in Döschen sortieren, denn die Strafen, die französische Gerichte verhängen, sind härter geworden. Allwöchentliches Highlight im französischen Vorzeigegefängnis für Frauen ist eine von den Insassen für die Insassen gemachte Radiosendung.
Von MARINA DA SILVA *
„Was geschieht Ihrer Meinung nach, wenn eine Frau ins Gefängnis eingeliefert wird? a) Man steckt sie in eine Badewanne und besprüht sie mit Desinfektionsmittel; b) Man bringt sie zum Arzt und lässt sie gegen Tollwut, Cholera, Malaria etc. impfen; c) Man sperrt sie samt Gepäck in eine Zelle, wo sie erst einmal wartet.
Warum ist Pfeffer im Gefängnis verboten? a) Weil Pfeffer ein Aphrodisiakum ist; b) Damit die Gefangenen dem Vollzugspersonal keinen Pfeffer in die Augen werfen können; c) Damit sie den Pfeffer nicht essen und sich dadurch in Drachen verwandeln können.
Wie viel verdient eine Frau, wenn sie im Gefängnis arbeitet? a) Zwei Euro die Stunde. b) Drei. c) Elf.“
Auf zehn solcher Fragen soll Fanny Ardant, Gast bei „Radio Meuf“, die zutreffende Antwort auswählen. Alle sind sofort dem Charme der berühmten Schauspielerin erlegen: die Moderatorinnen wie die etwa fünfzig Hörerinnen dieser außergewöhnlichen Sendung, die einmal wöchentlich von den Gefangenen der Frauenvollzugsanstalt in Fleury-Mérogis bestritten wird. Weil die Sendung professionellen Ansprüchen genügen will, haben die Mitwirkenden Sprech-, Atem- und Schreibunterricht erhalten. Seit nunmehr sechzehn Jahren existiert diese in Europa einzigartige Radiosendung – dank des Engagements der „Association de recherche d’animations culturelles“, einer Organisation, die sich für die Resozialisierung von Strafgefangenen einsetzt.1
Mit dem Ende der Sendung kehrt man in die Realität zurück. „Den ganzen Tag stecke ich Pillen in Döschen. Für tausend Döschen bekomme ich gerade mal zehn Euro“, sagt die zwanzigjährige Laure. Die etwas ältere Elodie weigert sich, für einen solchen Lohn zu arbeiten. Sie ist auf das Geld nicht angewiesen und nutzt die freie Zeit, um ihr Studium fortzusetzen.
Fleury-Mérogis ist fast so etwas wie ein „Vorzeigegefängnis“. Es gibt Unterrichts- und Ausbildungsmöglichkeiten, die den weiblichen Gefangenen ganz offensichtlich die spätere Resozialisierung erleichtern sollen. Carole jedoch findet, dass all diese Maßnahmen die brutale Wirklichkeit des Strafvollzugs nicht vergessen machen können. Zumal seit auch das Strafmaß verschärft wurde: „Seit der Ernennung von Nicolas Sarkozy zum Innenminister im Juli 2002 werden Frauen auch für relativ geringfügige Vergehen doppelt und dreimal so hart bestraft.“
Tatsächlich waren die französischen Gefängnisse im April dieses Jahres so überbelegt wie noch nie.2 Noch dazu wird die Umsetzung der nach Justizminister Perben benannten Justizreform („Loi Perben“) die Situation benachteiligter sozialer Gruppen weiter verschlechtern – darauf hat selbst der „Syndicat de magistrature“, ein Zusammenschluss der Beamten des Justizministeriums, aufmerksam gemacht.
Mayra, 23, stammt aus Guatemala. Ihre drei Monate alte Tochter ist im Gefängnis zur Welt gekommen. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie versucht, Kokain zu schmuggeln. Sie selbst führte ein halbes Kilo mit sich, ihr Mann – in seinem Magen – ein ganzes Kilo. „Eine der Kapseln platzte. Er war auf der Stelle tot. Ich wusste nicht einmal, dass so etwas passieren kann!“ Außer dem Pariser Großflughafen Charles de Gaulle und dem Gefängnis Fleury-Mérogis sollte Mayra von Frankreich nichts zu sehen bekommen. „Die wirtschaftliche Lage bei uns ist katastrophal. Ich hatte zwar eine Ausbildung als Sekretärin, aber keine Stelle. Auch mein Mann war arbeitslos. Wir lebten bei meinen Eltern. Da haben wir alles auf eine Karte gesetzt.“
Liliane lebt seit fünfzehn Jahren in Frankreich – im Übersee-Departement Französisch-Guayana. Dorthin war sie aus dem vom Krieg verheerten Surinam geflüchtet. „1987 habe ich alles verloren. Meine ganze Familie kam ums Leben. Bis auf meine Mutter, die schwer verletzt und verstümmelt überlebte. Und meine Schwester, die als Flüchtling nach Holland ging. Ich selbst habe drei Jahre in einem Flüchtlingslager in Saint Laurent du Maroni3 verbracht.“ Liliane ist 35. Sie ist Mutter zweier Töchter im Alter von 14 und 15 Jahren. Eine der beiden lebt bei einer Freundin, die andere bei ihrem Vater, zu dem Liliane keinen Kontakt mehr hat. Wegen Drogenschmuggels ist sie zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. „Als ich herkam, hab ich kein Wort Französisch gesprochen. In Guyana versteht jeder meine Muttersprache Taki-taki. Aber hier? Das Schlimmste ist die Einsamkeit.“
Die Gefangenen stammen aus Algerien, Polen, Angola, Nigeria, Südafrika, Bolivien, Brasilien oder von den Philippinen: Mit einem Ausländeranteil von über 68 Prozent ist das Gefängnis von Fleury-Mérogis eine Ausnahme unter den französischen Vollzugsanstalten. „Die Frauen, die auf dem Pariser Großflughafen Roissy verhaftet werden, landen alle in Fleury“, erklärt die Leiterin der Anstalt. Eine besondere Herausforderung sind die sprachlichen, aber auch kulturellen Verständigungsprobleme, z. B. was die Ernährung betrifft. Drogenhandel, Zuhälterei, Verletzungen des Ausländerrechts – das sind die häufigsten Delikte in Fleury. Bei Verurteilungen wegen Drogenhandels müssen die Frauen auch noch hohe Zollstrafen entrichten. Wenn sie das Geld nicht aufbringen können, verlängert sich ihre Haftzeit oft noch um ein oder zwei Jahre.
In der Gefängnisverwaltung weiß man, dass die meisten Vergehen Armutsdelikte sind: „Viele Frauen schicken das hier verdiente Geld ihren Familien. Nicht die Familien unterstützen also die Frauen, sondern umgekehrt die Frauen ihre Familien.“ Nach Ansicht der Vollzugsbeamtin, die zuvor in einem Männerknast gearbeitet hat, sind Frauen verletzbarer als Männer: „Frauen sind nur sehr selten selbst gewalttätig, aber fast alle haben Gewalt am eigenen Leib erfahren.“
Insgesamt sind weit weniger Frauen als Männer in Haft. In Frankreich kommen gerade einmal 2 275 Frauen auf fast 60 000 Männer, also nur 3,7 Prozent. Weltweit ist die Situation ähnlich. In Europa scheren nur Spanien und Portugal aus: Die Quote beträgt hier 9 bzw. 10 Prozent.
Gefragt nach den Ursachen für den geringen Frauenanteil in den Gefängnissen, weist der Rechtsanwalt Benoît Dietsch darauf hin, dass Frauen zwar tatsächlich seltener straffällig würden als Männer – zugleich falle bei ihnen aber auch das Strafmaß oft geringer aus. Dietsch zufolge wird vor Gericht berücksichtigt, dass Frauen im Durchschnitt häufiger von Armut bedroht seien als Männer. Daher verurteile man sie eher als Mittäterinnen und schreibe die Hauptschuld für bestimmte Vergehen den Männern zu. Milde zeigten sich die Richter auch, wenn Mütter auf der Anklagebank säßen.
Die Kinder sind frei
DER Anwalt Jean-Louis Chalanset ist da anderer Ansicht: „Wenn Frauen für Vergehen geradestehen müssen – etwa Drogenhandel, politisch motivierte Straftaten oder gar Terrorismus –, dann werden sie härter bestraft und strenger behandelt als Männer.“ Fabienne Maestracci etwa, die im Rahmen der Ermittlungen wegen der Ermordung des korsischen Präfekten Erignac dreizehn Monate in Haft saß, berichtet: „In Fleury sind die politischen Gefangenen sofort an den roten Aufnähern zu erkennen – das ist fast wie ein Stigma. Es wird auch streng darauf geachtet, dass sie einander nicht begegnen oder sich sonstwie mit anderen Politischen in Verbindung setzen.“4 Joëlle Aubron und Nathalie Ménigon, zwei Mitglieder der französischen Terrorgruppe „Action directe“, für die besondere Sicherheitsauflagen galten, saßen in Fleury von Februar 1987 bis Oktober 1999 in Isolationshaft – obwohl die 1994 gegen sie verhängten Urteile die Möglichkeit vorsahen, die beiden in so genannte établissements pour peines mit besseren Haftbedingungen zu verlegen.5
Von 186 Strafanstalten bieten heute 63 Platz für Frauen. Problematisch ist, dass sich alle reinen Frauengefängnisse – die vier maisons d’arrêt in Fleury-Mérogis, Fresnes, Rennes und Versailles und die drei centres de détention in Rennes, Bapaume und Joux la Ville – im Norden Frankreichs befinden und folglich viele Gefangene den Kontakt zu ihren Verwandten kaum aufrechterhalten können.
Bis auf die genannten Anstalten sind alle Frauengefängnisse in Männervollzugsanstalten untergebracht. Der geringe Frauenanteil dient dort als Rechtfertigung für fehlende Ausbildungsprogramme, Dienstleistungen und Betätigungsmöglichkeiten. Eigene Räumlichkeiten für Minderjährige gibt es nicht. Und nur 25 Anstalten sind für Mütter mit Kindern geeignet. Dabei dürfen Frauen ihre Kinder die ersten anderthalb Lebensjahre bei sich behalten. Etwa 50 Kinder kommen jährlich in den Gefängnissen zur Welt.
Hilaria strahlt über das ganze Gesicht. Ihre Augen glänzen. Voller Begeisterung setzt sie ein Bein vors andere. Hilaria ist ein Jahr alt. Ihre Eltern sind beide Gefängnisinsassen – sie wurde in einem kurzen Augenblick der Nähe gezeugt. „Hilaria ist ein Gemeinschaftsraumkind. Für die Gefängnisleitung ist sie deswegen einfach ein Skandal“, berichtet ihre Mutter. „Gleich nach Hilarias Geburt wurde ich von Marseille nach Joux la Ville, das ist in der Nähe von Dijon, verlegt, später nach Fleury-Mérogis. Ich habe beantragt, vorzeitig auf Bewährung entlassen zu werden, aber ohne Erfolg.“
Dabei ist die Situation auf der Kinderstation noch vergleichsweise gut. Die Zellen sind geräumiger und besser eingerichtet. Vor allem bleiben sie tagsüber offen. Mütter und Kinder können einander besuchen oder sich in Gemeinschaftsräumen aufhalten. Es gibt Spielwiesen und einen Garten. „Die Kinder sind schließlich frei“, erklärt die Tagesaufsicht. „Im Grunde profitieren die Mütter davon, wie wir ihre Kinder behandeln. Alle zwei Wochen werden die Kleinen von einem Team von Psychologen, Kinderärzten und Hebammen untersucht. Wir treffen uns regelmäßig mit diesem Team, um besondere Vorkommnisse zu melden – etwa Fälle von Kindesmisshandlung. Das kommt aber nur sehr selten vor. So überraschend es klingen mag – die Kinder sind in der Regel recht aufgeweckt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie die ersten anderthalb Jahre immer mit ihren Müttern zusammen sein können, und das ist ja für die emotionale Entwicklung sehr wichtig.“
Aber wer vermag schon zu sagen, was aus Kindern wird, die ohne Horizont und ohne die Geräusche und den Rhythmus einer Stadt oder des Landes aufwachsen? Und was geschieht nach der Trennung von der Mutter nach 18 Monaten, falls deren Strafe dann noch nicht verbüßt ist?
„Im Durchschnitt sind die Zellen neun Quadratmeter groß. So etwas wie einen Raum für sich gibt es nicht – man muss Tag und Nacht zu sehen sein. Bis in den Schlaf hinein fühlt man sich verfolgt. In regelmäßigen Abständen werden die Zellen durchsucht – den Zeitpunkt bestimmt die Gefängnisleitung völlig willkürlich. Privatsphäre – so was kennen wir hier nicht. Ich habe Frauen weinen sehen, weil sie dem so ohnmächtig ausgesetzt sind.“
Seit 1983 gilt immerhin, dass jeder Inhaftierte – ob verurteilt oder in Untersuchungshaft – Briefe schreiben und erhalten darf. Und zur Gefangenenarbeit, die seit 1987 nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben ist, gibt es für alle, die nicht genug Geld haben, ohnehin keine Alternative. Sie verrichten Küchen- oder Haushaltsarbeiten, Aufsichtstätigkeiten und Handarbeit, sie falten Kartons oder verpacken die verschiedensten Dinge, all das für lächerlich niedrige Löhne, von denen die Gefängnisverwaltung dann noch die Kosten für den Unterhalt abzieht. Da im Knast das Arbeitsrecht nicht gilt, haben die Gefangenen keinerlei soziale Absicherung.
Wer ins Gefängnis muss, verliert nicht nur die Freiheit, sondern – so die Wahrnehmung aller Frauen – auch die Identität: „Als ich hörte, wie mein Name ausgerufen wurde, kam er mir auf einmal so fremd vor. Vielleicht weil sie den Vornamen weggelassen haben. Plötzlich war nichts mehr von meinem alten Leben übrig geblieben. Ich hatte ständig Auseinandersetzungen mit der Wärterin, die mindestens hundertmal am Tag bei mir aufkreuzte, wie in einem Albtraum“, erzählt Betty. Sie leidet darunter, nirgends ihre Ruhe zu haben. Evelyne dagegen hat das Alleinsein noch nie ertragen können und isst jetzt im Stehen vor dem Spiegel, „nur um jemanden zu sehen, um nicht so allein zu sein“. Ihr war bewusst geworden, dass da „plötzlich keiner mehr ist, den man anschauen kann, keiner, der einen anschaut“.
Marie-Paule gibt in Fleury-Mérogis Kunstunterricht. Ihre Schülerinnen – jährlich etwa 60 Gefangene – gehören gewissermaßen zur geistigen und sozialen Elite der Anstalt. Auch sie macht es betroffen, wie sehr die Gefangenen an mangelnder sozialer Nähe und fehlendem intellektuellem Austausch leiden. Und sie stellt immer wieder fest, dass die Frauen alle sehr verschieden sind. „Es kann wirklich jeder ins Gefängnis kommen, da reicht schon irgendeine schwierige Situation, irgendein Stolperstein. Leider sind Vorurteile und Unwissenheit immer noch sehr verbreitet. Mit den Gefängnissen schafft man sich die Probleme vom Hals. So sorgt die Gesellschaft für ihren eigenen Schutz. Und was hinter den Mauern vor sich geht, will sowieso keiner wissen.“
Die Vergehen, die Frauen hinter Gitter bringen, sprechen eine deutliche Sprache: Der Frauenanteil ist bei Straftaten mit familiärem oder finanziellem Hintergrund vergleichsweise hoch, bei Gewalttaten dagegen eher niedrig. Die Fotografin Evelyne Atwood, die sich seit 1989 mit der Situation weiblicher Gefangener in Europa, Russland und den USA beschäftigt, bemerkt diesbezüglich: „Heute sind mehr Frauen denn je inhaftiert, weil die Gesetze, die den Drogenhandel betreffen, verschärft wurden und auch die Urteile in den entsprechenden Prozessen härter ausfallen. 89 Prozent der Frauen sind wegen Straftaten hinter Gittern, bei denen keine Gewalt im Spiel war: ungedeckte Schecks, geklaute Scheckbücher, gefälschte Kreditkarten – und eben Drogenkonsum oder Drogenhandel. Die Einstiegsdelikte haben fast immer mit Drogen zu tun.“6
Die weiblichen Gefangenen sind in der Regel sehr jung – jede vierte ist unter 25, jede zweite unter 30. Sie haben in der Regel eine Kindheit und Jugend hinter sich, die von Tod, Trennung, Adoption, Alkoholismus oder habitueller Gewalt begleitet waren und sie geprägt haben. Der „Observatoire international des prisons“, der sich die Beobachtung der Gefängnisse zur Aufgabe gemacht hat, gibt an, dass 20 Prozent der Frauen Analphabeten sind, 50 Prozent haben ein sehr niedriges Bildungsniveau. Viele sind vor ihrer Einweisung in psychiatrischer Behandlung gewesen. Und während nur 18 Prozent der männlichen Inhaftierten ärztlich verschriebene Psychopharmaka einnehmen, sind es bei den Frauen 45 Prozent.
Die weiblichen Gefangenen leiden oft stärker unter den mit der Haft verbundenen Scham- und Schuldgefühlen. Damit verbunden sind psychosomatische Erkrankungen, gestörtes Essverhalten und Verdauungsbeschwerden. Oft setzt auch die Menstruation aus – in manchen Fällen über die gesamte Haftzeit. Mitunter sind die Gefangenen auch eher eine Gefahr für sich selbst als für die Gesellschaft. Erschöpfungszustände und schwere Depressionen, ja Selbstverstümmelungen oder Selbstmord sind häufig. Die Gefängnisleitung gibt die Zahl der Selbstmorde mit jährlich etwa 100 an. Es werden ständig mehr, vor 15 Jahren waren es noch halb so viele wie heute.7 In manchen Anstalten werden Suizidversuche mit Einzelhaft bestraft. Doch das verstärkt nur die Verzweiflung der Frauen und führt zu weiteren Suizidversuchen.
Betrachtet man die Situation weiblicher Gefangener, so stellt man fest, dass zwar tatsächlich weniger Frauen als Männer in den Gefängnissen sitzen – aber ihre Anzahl nimmt ständig zu. Die durchschnittliche Haftzeit ist in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent länger geworden, und die Rückfallquote hält sich relativ stabil bei etwa 70 Prozent.8 So dient das Gefängnis letztlich nur dazu, bestehende Ungleichheiten aufrechtzuerhalten und die sozialen Bindungen der Betroffenen aufzulösen. Der Gefängnisaufenthalt führe zum Verlust nicht nur der Freiheit, sondern auch der Menschenwürde, heißt es im gemeinsamen Bericht von französischem Senat und Nationalversammlung vom 5. Juli 2000. Dort wird auch beanstandet, dass die Gefängnisse auf viele gesellschaftliche Gruppen gar nicht eingestellt seien – wie Drogensüchtige, psychisch Kranke, Ausländer ohne rechtlichen Status, alte Menschen oder unheilbar Kranke, junge Erwachsene oder Untersuchungshäftlinge.
Es wird wohl kaum jemand ernsthaft behaupten, dass Frauen, die aus Existenznot, emotionalem Leid und sozialer Perspektivlosigkeit gegen Gesetze verstoßen haben, resozialisiert aus den Gefängnissen in die Gesellschaft zurückkehren – nachdem sie über Monate oder Jahre nur das Nichtstun beigebracht bekommen haben und ihnen all die Konsumgüter verwehrt waren, denen sie, sobald sie wieder draußen sind, auf Schritt und Tritt begegnen.
deutsch von Patrick Batarilo
* Journalistin