10.10.2003

Tiger, Drachen, schwarze Zahlen

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Tiger, Drachen, schwarze Zahlen

SEIT langem versuchen die Vereinigten Staaten ihre eigenen ökonomischen Schwierigkeiten mit den wirtschaftlichen Entwicklungen in Ostasien zu erklären. Die neuste propagandistische Offensive Washingtons gegen Peking wurde durch den aktuellen Anstieg des amerikanischen Handelsdefizits ausgelöst. Aber sie hat auch einen tieferen Grund: Die wirtschaftliche Integration der ostasiatischen Region, die jahrzehntelang von Japan dominiert wurde, wird heute maßgeblich von den Interessen Pekings bestimmt. Dies ist auch eine nicht beabsichtigte Folge des hegemonialen Auftretens der USA während der asiatischen Finanzkrise in den Jahren 1997 und 1998.

Von PHILIP S. GOLUB *

Mitte Juli dieses Jahres mehrten sich in den Vereinigten Staaten die Stimmen, die China für das chronische Handelsbilanzdefizit, die steigenden Arbeitslosenzahlen und das Firmensterben in der Textil- und der Elektronikbranche der USA verantwortlich machten. „Wir müssen zusehen, wie unser verarbeitendes Gewerbe zugrunde geht“, tönte Senator Charles Schumer am 18. Juli. „Durch die künstliche Abwertung des chinesischen Yuan werden unsere Märkte mit ausländischen Billigwaren überschwemmt, deren Preise wir nicht unterbieten können“, sekundierte Senatorin Elizabeth Dole. Und Senator Lindsey Graham fügte hinzu: „Die Chinesen respektieren die Handelsabkommen nicht. […] Das Finanzministerium sollte dieser Frage nachgehen und geeignete Maßnahmen gegen die fortlaufende Abwertung der chinesischen Währung ergreifen, die zu Lasten unserer Industrie geht.“1

Einen Tag zuvor hatte auch der US-Zentralbankchef Alan Greenspan in einer Anhörung vor einem Ausschuss des Kongresses das Argument bemüht, die Währungen Chinas und anderer ostasiatischer Staaten seien unterbewertet. Es könne nicht angehen, dass diese Länder auf Dauer riesige Berge an Auslandsdevisen anhäufen.2 Mehrere Senatoren sahen darin das Signal für ihre Forderung, der Finanzminister möge China unter Druck setzen, um eine Abschaffung der Devisenkontrolle und frei flottierende Wechselkurse zu erwirken (der Yuan steht derzeit bei 8,3 Dollar). Diese nationalistische Aufwallung legte sich zwar in der Sommerpause, doch Anfang September ging US-Finanzminister John Snow während seiner Asien-Tournee erneut in die Offensive und forderte, China solle ab sofort „die Festlegung des Wechselkurses dem Markt überlassen“. Sein Verhalten mutet schon deshalb seltsam an, weil die US-Regierung in der Nordkoreafrage und bei Problemen der regionalen Sicherheit dringend auf die Mitarbeit Pekings angewiesen ist.

Dennoch steht zu erwarten, dass diese Offensive in den kommenden Monaten und Jahren weitergeht. Während die USA mit steigenden Außenhandelsdefiziten zu kämpfen haben, entwickelt sich China, einer der wenigen Wachstumspole der Weltwirtschaft, langsam zum Epizentrum der wirtschaftlichen Integration Ostasiens. Die derzeitige Offensive ist jedoch mehr als nur die Wiederauflage einer aggressiven Handelsdiplomatie, in der sich die Wechselfälle der US-amerikanischen Innenpolitik widerspiegeln. Dahinter verbirgt sich ein grundsätzlicheres Problem: die sich abzeichnende strukturelle Veränderung der ökonomischen Kräfteverhältnisse zugunsten Ostasiens, genauer zugunsten Chinas, weckt in Washington überwunden geglaubte Ängste.

Schon die wirtschaftliche Dynamik der „Tiger“- und „Drachen“-Staaten in den 1980er-Jahren wurde in den Vereinigten Staaten mit gemischten Gefühlen verfolgt. Damals waren die zahllosen Kommentare zum „asiatischen Wirtschaftswunder“ stets von Warnungen vor dem Merkantilismus und der drohenden Konkurrenz aus Asien begleitet. Die USA wurden erstmals seit 1918 unter den Schuldnerländern geführt und schrieben im Staatshaushalt wie in der Handelsbilanz rote Zahlen. Wie heute China beschuldigte man damals Japan und die ostasiatischen Schwellenländer, das industrielle Gefüge des Westens zu unterminieren. Und wie China wurde ihnen nahe gelegt, ihre Währungen aufzuwerten und ihre (Finanz-)Märkte für US-amerikanische Exporte und Investitionen zu öffnen.

1985 vollzog die Reagan-Administration mit Hilfe des so genannten Plaza-Abkommens auf indirektem Wege eine Aufwertung des Yen um 50 Prozent. Das Vertragswerk wurde den ostasiatischen Verbündeten regelrecht aufgenötigt; über einen nennenswerten Handlungsspielraum verfügten die strukturell von den USA abhängigen Staaten damals nicht. Washington verband mit dem Abkommen die Hoffnung, es würde ipso facto die US-Exporte ankurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Industrie schwächen. Doch dieses plausible Kalkül hatte ziemlich unerwartete Folgen: Die Aufwertung des Yen machte Japan von heute auf morgen zum größten Gläubigerland weltweit und zwang die japanische Industrie, ihre exportorientierten Aktivitäten mit geringer Wertschöpfung in die umliegenden Länder Ostasiens zu verlagern. Das Resulta war, dass sich innerhalb kürzester Zeit eine neue regionale Arbeitsteilung um das Zentrum Japan herausbildete.

Von den 1950er-Jahren bis in die 1970er-Jahre hinein war die politische Ökonomie der Region am transpazifischen Handel orientiert und durch eine strukturelle Abhängigkeit vom US-amerikanischen Markt gekennzeichnet. Nach der Charakterisierung von Meredith Woo-Cumings war Ostasien ein „amerikanischer See“3 , und die USA brachten Japan auf den Weg zur exportorientierten Industrialisierung. Der dirigistische Entwicklungsstaat wurde nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert, da sich Japan zusammen mit Südkorea und Taiwan zu einem gegen die Sowjetunion und China gerichteten Bollwerk der Sicherheit und des Wohlstands entwickeln sollte.

Alle drei Länder hatten somit ihre politische Souveränität gegen einen unbegrenzten Zugang zum amerikanischen Markt eingetauscht. Bis Mitte der 1980er-Jahre waren noch mehr als ein Drittel der japanischen, 40 Prozent der koreanischen und 44 Prozent der taiwanesischen Exporte in die Vereinigten Staaten gegangen. Diese strukturelle Abhängigkeit hatte Washington bei seinen Verbündeten weitgehende politische Einflussmöglichkeiten gegeben. Doch nach Abschluss des Plaza-Abkommens diversifizierte Japan seinen Handel und Kapitalexport stärker zugunsten der Region Ostasien. Zu Beginn der 1990er-Jahre war der Anteil der USA an den japanischen Exporten auf 27 Prozent gesunken. Der Anteil des innerasiatischen Handels wuchs im selben Zeitraum von 32 auf 44 Prozent – ein Zuwachs, der die wachsende Bedeutung der japanischen Multis für die regionale Arbeitsteilung widerspiegelte.4 1994 war der Anteil des intraregionalen Handels auf 48,5 Prozent angestiegen, 1995 überschritt er die 50-Prozent-Marke.

Dieses Ergebnis hatten die USA weder gewünscht noch vorhergesehen. Zur Zeit des Kalten Kriegs hatte der Westen zunächst Japan und später die so genannten Tigerstaaten aufgefordert, ihre wirtschaftliche Entwicklung kräftig voranzutreiben, aber „nicht so weit, dass sie eine Bedrohung darstellen“5 oder gar Anspruch auf eine Spitzenposition in der Weltwirtschaft erheben könnten. Doch mit dem Ende des Kalten Kriegs büßte der asiatische Entwicklungsstaat seine strategische Bedeutung ein und wurde darüber in den Augen von US-Amerikanern und Europäern zu einer wachsenden Bedrohung. In Washington sah man das Gespenst eines dynamischen ostasiatischen Wirtschaftsblocks auftauchen.

1989 hat Lawrence Summers, später stellvertretender Finanzminister in der Clinton-Regierung, das Problem wie folgt beschrieben: „Allmählich bildet sich ein asiatischer Wirtschaftsblock heraus, mit Japan an der Spitze […] Die Mehrheit der Amerikaner könnte mit ihrer Ansicht Recht haben, dass Japan heute für die Vereinigten Staaten eine größere Bedrohung darstellt als die Sowjetunion.“6 So war es kein Wunder, dass die öffentliche Meinung in den USA erleichtert registrierte, wie Japan nach dem Platzen der Finanz- und Immobilienblase zu Beginn der 1990er-Jahre in eine lange Stagnationsphase eintrat. Ein US-Beobachter meinte damals herablassend, diese Krise beweise nur, dass „das japanische Modell nicht einen anderen Typus, sondern ein früheres Stadium des Kapitalismus“7 verkörpere.

Der Triumph des Kapitalismus

NATÜRLICH bewies die Krise nichts dergleichen, hingegen verscheuchte sie das Schreckgespenst eines eigenständig asiatischen Wirtschaftsblocks – zur Erleichterung aller, die schon den Niedergang des Westens hatten kommen sehen. Diese Leute sahen in der tief greifenden Krise einen weiteren Beweis für die Einzigartigkeit und Überlegenheit des Westens. Wie Chalmers Johnson schrieb, „taten diverse Unternehmensführer und Ökonomen offen ihre Genugtuung kund“, dass die Region offenbar am Rande einer sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe angelangt war.8

Der Neokonservative Charles Krauthammer, der sich seitdem als Kriegstreiber und Empire-Fanatiker profiliert hat, schrieb damals triumphierend: „Unser Erfolg ist der Erfolg unseres Kapitalismusmodells, das der Freihandelsvision eines Adam Smith näher steht als irgendein anderes Kapitalismuskonzept. Viel näher jedenfalls als der paternalistische Vetternkapitalismus Asiens, der den Kritikern des amerikanischen Modells vor dem Platzen der asiatischen Finanzblase so anziehend erschienen war.“9

Ähnliche Ansichten konnte man auch in akademischen Kreisen hören: „Die Krise hat die Glaubwürdigkeit des japanischen beziehungsweise ostasiatischen Wachstumsmodells zerstört.“10 US-Zentralbankchef Alan Greenspan höchstpersönlich stieg damals in die Arena und meinte, die Ursache der Asienkrise sei der aktive Entwicklungsstaat, das heißt, die Tatsache, dass der Staat den Industrialisierungsprozess und die Ressourcenallokation lenke, statt sie dem Markt zu überlassen. Die Krise signalisiere das unaufhaltsame Ende des Dirigismus und den Siegeszug der „westlichen Spielart des freien Marktkapitalismus“11 . Kurzum: Das asiatische „Wirtschaftswunder“ hat sich als trügerischer Schein offenbart.

Zwischen den Zeilen war zu lesen, dass damit die „Spätentwickler“ des modernen Kapitalismus in die Schranken gewiesen waren. Beiderseits des Pazifiks deutete man die Krise als entscheidenden Konflikt zwischen Orient und Okzident und als einen Schlüsselmoment, um das globale ökonomische Kräfteverhältnis neu auszutarieren. Ein Blick auf den Umgang der USA mit der Krise von 1997/98 untermauert die These, dass die von Washington und dem Internationalen Währungsfonds während und nach der Krise vorangetriebene Liberalisierung der lokalen Finanzmärkte sich in eine machtpolitische Konzeption fügte, die „weltweit auf die Zerschlagung entwicklungsstaatlicher Wirtschaftspolitik zielte“.12

Während das US-Finanzministerium die mexikanische Regierung während der Finanzkrise von 1994 umgehend mit der nötigen Liquidität ausstattete, blieben die Vereinigten Staaten und ihre transatlantischen Partner 1997 in Ostasien völlig untätig, selbst als sich die Krise auf die gesamte Region ausweitete. Erst als die Entwicklung aus dem Ruder zu laufen und auf die Weltmärkte überzugreifen drohte, wurde ein längst geschnürtes Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds freigegeben. Noch bezeichnender war, dass der damalige US-Finanzminister Lawrence Summers sein Veto einlegte, als Japan Ende 1997 die Einrichtung eines Asiatischen Währungsfonds vorschlug, um den von massiver Kapitalflucht bedrohten Ländern die nötige Liquidität zu verschaffen.

In Ostasien entstand der Eindruck, die USA seien bereit, „mehrere asiatische Länder als Wirtschaftsmächte von der Landkarte zu streichen. Nicht wenige Beobachter waren der Ansicht, dass die Amerikaner es eilig hatten, aus der kritischen Situation in Asien Profit zu schlagen.“13 Washington wollte von einem Asiatischen Währungsfonds nichts wissen, weil man befürchtete, der Fonds könne zum Kern eines eigenständigen regionalen Währungssystems avancieren und damit dem Internationalen Währungsfonds als einem der wichtigsten Instrumente der westlichen Vorherrschaft Konkurrenz machen. Stattdessen setzte man die IWF-Maschinerie in Gang, die mit den üblichen Strukturanpassungsprogrammen aufwartete, um die Interessen der Gläubiger zu wahren, Gewinn versprechende Märkte zu öffnen und die Binnennachfrage zu drosseln.

Zweifellos wurde die Krise als Chance wahrgenommen, die strategischen Bereichen der regionalen Volkswirtschaften zu öffnen. Daniel Lian von der Finanzgruppe Morgan Stanley arbeitete in einer kritischen Analyse der US-Politik heraus, dass der Westen vor allem zwei Interessen verfolge: Erstens wolle er „die Abhängigkeit [Ostasiens] von der Außennachfrage und von den Produktionskapazitäten, die von ausländischen Kapitalinteressen aufgebaut oder finanziert wurden“, aufrechterhalten, zweitens wolle man am Ende „ganze Wirtschaftssektoren der Region“ aufkaufen.14

Doch wie schon die frühere Yen-Aufwertung brachte auch die Politik von 1997 nicht die erhofften Resultate. Zum einen löste sie in den betroffenen Ländern heftigste nationalistische Reaktionen aus. Die Industrien, auf die westliche Interessenten ihr Auge geworfen hatten, wurden nicht verhökert, ganz im Gegenteil. Bis auf wenige Ausnahmen (wie Indonesien) behielten die meisten ostasiatischen Länder die Kontrolle über ihre strategischen Wirtschaftssektoren, weil der Staat die Schulden der Privatfirmen übernahm und die Privatisierung des öffentlichen Sektors blockierte (siehe Kasten).

Zum anderen stimulierte die westliche Politik die regionale Kooperation auf dem Gebiet der Geldpolitik. Im Mai 2000 starteten die asiatischen Länder die Chiang-Mai-Initiative, die als eine Art informeller Asiatischer Währungsfonds die Geldpolitik in der Region koordinieren soll. Drei Jahre später wurde der „Asia Bond“ aufgelegt; damit schuf man ein gemeinsames geldpolitisches Instrument zur Mobilisierung der enormen Devisenbestände, die sich in der Region angesammelt haben.15

Ironischerweise gab es noch einen dritten, ungewollten Effekt: Durch die Schwächung der japanischen Bemühungen um eine regionale Konsolidierung stärkten die USA die strategische Position Chinas. Die regionale Wirtschaftsintegration, die bislang durch Tokio betrieben wurde, steht heute unter der Ägide Pekings.

China war von der Asienkrise dank seiner Politik der Devisenkontrolle nicht unmittelbar betroffen und entwickelte sich Ende der 1990er-Jahre zum Epizentrum der regionalen Integrationsbemühungen. Während die japanische Wirtschaft an Dynamik einbüßte, wuchs das Bruttoinlandsprodukt Chinas 2002 um 7,8 Prozent, und mit 52,7 Milliarden Dollar avancierte China zum Empfänger der weltweit umfangreichsten Auslandsdirektinvestitionen. Für das laufende Jahr wird trotz Sars-Epidemie ein Wachstum von 8 bis 9 Prozent erwartet. Kein Wunder daher, dass China für die kommenden Jahrzehnte eine zentrale Rolle in der Geopolitik Ostasiens anstrebt.

Vor zwei Jahren verkündete die chinesische Regierung ihre Absicht, bis 2010 regionale Freihandelszonen mit den Ländern Südost- bzw. Nordostasien anzustreben. Während der Welthandel schrumpft, verzeichnet der Waren- und Kapitalverkehr zwischen China und dem übrigen Asien hohe Wachstumsraten. Die Ausfuhren der Asean-Staaten in Richtung China wuchsen im ersten Halbjahr 2003 um 55 Prozent auf nunmehr 20 Milliarden Dollar, das entspricht mehr als einem Drittel der Gesamtausfuhren in Höhe von 70 Milliarden Dollar. Damit wuchs der Handel der Region mit China wesentlich schneller als mit den Vereinigten Staaten. Die Importe Japans aus China liegen bereits heute höher als die aus den USA, und auch die japanischen Ausfuhren nach China nehmen stetig zu. Dieselbe Tendenz zeigt sich im chinesischen Handel mit Südkorea, Thailand, Malaysia und Singapur.16

Angesichts dieser Entwicklungen lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich langsam, aber sicher ein um China zentrierter Wirtschaftsblock herausbildet. Für Peking birgt diese Perspektive etliche Vorteile: Die Abhängigkeit des Landes vom US-Markt nimmt ab, und entsprechend auch seine Anfälligkeit für von außen kommende Pressionen oder schockartige Entwicklungen. Die ökonomische Verflechtung mit den asiatischen Ländern wirkt wie ein Puffer zwischen China und den Vereinigten Staaten.

Für die anderen Länder der Region hat diese Entwicklung durchaus zwiespältige Folgen. Als das weitaus am höchsten entwickelte Land Ostasiens konkurriert Japan mit China um die regionale Vorherrschaft, auch wenn die japanischen Multis zunehmend auf dem chinesischen Festland investieren. Von dieser chinesisch-japanische Konkurrenz könnten die südostasiatischen Länder profitieren, die kein Interesse daran haben, die strategische Abhängigkeit von den USA gegen eine Abhängigkeit von China einzutauschen. Für die Entwicklungsländer in der Region, die auf Branchen mit geringer Wertschöpfung (wie Elektronik- oder Textilindustrie) spezialisiert sind, stellt China dagegen eine ernstere Konkurrenz dar.

Die von Japan ausgehende Kapitalbewegung hat die Länder Südostasiens eher oberflächlich industrialisiert als tief gehend modernisiert. Angesichts der deutlichen Diskrepanzen zwischen den Industrieländern (Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur) und den Entwicklungsländern der Region (Malaysia, Thailand, Indonesien, Vietnam), angesichts auch der innerregionalen Rivalitäten, wird der wirtschaftliche Integrationsprozess noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Dass die allgemeine Entwicklung aber in diese Richtung weist, steht außer Zweifel. In mancher Hinsicht erinnert diese Dynamik an den Aufstieg der Vereinigten Staaten zur hegemonialen Wirtschaftsmacht, der durch die Depression der Dreißigerjahre zwar gebremst, aber nicht aufgehalten wurde. Die derzeitige Aufregung um die chinesische Währung zeigt, dass der Westen noch längst nicht soweit ist, sich mit dieser Tatsache bereitwillig abzufinden.

deutsch von Bodo Schulze

* Dozent an der Universität Paris-VIII und Journalist.

Fußnoten: 1 „Senators urge Treasury to take action to get China to float its currency“, http://schumer.senate.gov. 2 „Fed’s Calls for Yuan Float Grow Louder“, International Herald Tribune, 17. Juli 2003. 3 Meredith Woo-Cumings, „East Asia’s American Problem“, Past As Prelude, Boulder/Colorado (Westview Press) 1993. 4 Dazu Claude Pottier, „Les multinationales et la mise en concurrence des salariés“, Paris (L’Harmattan) 2003. 5 Giovanni Arrighi, „The Long Twentieth Century“, London (Verso) 1994. 6 Zitiert nach Richard Katz, „The System that Soured: The Rise and Fall of the Japanese Economic Miracle, M. E. Sharpe“, 1998. Ähnliche Ansichten wurden auch in Europa laut. Die damalige französische Ministerpräsidentin Edith Cresson zum Beispiel sorgte 1991 für Aufregung mit der unglücklichen Formulierung, Japan sei ein „hermetisch geschlossenes System“, das Europa und die Welt „erobern will“. 7 Ebd. 8 Chalmers Johnson, „Blowback, the Costs and Consequences of American Empire“, New York (Metropolitan Books) 2000. 9 Zitiert nach Chalmers Johnson, ebd. 10 Donald K. Emmerson, „Americanizing Asia“, Foreign Affairs, New York, Mai/Juni 1998. Dazu Philip S. Golub, „Das westliche Modell steht zur Debatte“, Le Monde diplomatique, April 1999. 11 Alan Greenspan, „The ascendance of market capitalism“, Rede vor der Jahrestagung der American Society of Newspaper Editors, Washington, D. C., 2. April 1998. 12 Immanuel Wallerstein, „America and the World: The Twin Towers as Metaphor“, Charles R. Lawrence II Memorial Lecture, Brooklyn College, New York, 5. Dezember 2001. 13 Bernard K. Gordon, „A High Risk Trade Policy“, Foreign Affairs, London, Juli/August 2003. 14 Daniel Lian, „Mr. Thaksin’s role in the East-West Dichotomy“, Morgan Stanley Economic Trends Reports, New York, 25. Juli 2003. 15 Japan und China halten insgesamt 900 Milliarden Dollar an Auslandsdevisen, größtenteils in Form von US-Schatzbriefen. Zählt man die Devisenreserven der anderen ostasiatischen Länder hinzu, übersteigt die Summe die Eine-Billion-Dollar-Marke. Mit anderen Worten: Ostasien finanziert die Schulden und den Konsum der Vereinigten Staaten. 16 Bernard K. Gordon (Fußnote 13).

Le Monde diplomatique vom 10.10.2003, von PHILIP S. GOLUB