Der Kabila-Effekt
■ Nach den Ereignissen im früheren Zaire und dem Fall von Kinshasa sind die Unruhen in Brazzaville und Bangui ein weiteres Anzeichen für die umfassende Krise des „frankophonen“ Afrika, das immer wieder unter der Zerschlagung von Staaten, putschenden Militärs, umstrittenen Wahlen und der Entrechtung der Völker leiden mußte. Will die neue französische Regierung ihre Afrikapolitik nicht genauso enttäuschend gestalten, wie es die Sozialisten 1981 nach Mitterrands erstem Wahlsieg getan haben, dann sollte sie sich ein Beispiel an den Vereinigten Staaten nehmen, die in Afrika bereits neue Initiativen gestartet haben, und die Bedeutung der kongolesischen Revolution für ganz Afrika erkennen: Es handelt sich dabei um eine tiefgreifende Erschütterung, die zur Verschiebung der geopolitischen Achsen des Kontinents beitragen wird.
Von PHILIPPE LEYMARIE *
UND was ist mit dem afrikanischen Einfluß?“, so fragt, etwas entnervt, der ehemalige tansanische Präsident Julius Nyerere, einer der anerkannten Weisen des Kontinents. Die Entwicklung in Zentralafrika auf einen Kampf um Einflußgebiete zwischen den USA und Frankreich zu reduzieren empfindet er als „unerträglich und inakzeptabel“1 . Tatsächlich ist es ein Datum für die Geschichtsbücher, daß zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges eine Krise großen Ausmaßes wie die in Kongo-Zaire unter Afrikanern geregelt worden ist. Dies geschah in erster Linie durch die Verantwortlichen des südlichen und östlichen Afrika, unter starker diplomatischer Beteiligung des neuen Südafrika, das sich sofort als bevorzugter Partner, ja geradezu als „Pate“ der neuen Machthaber präsentierte.
Die Historiker werden auch vermerken, daß zum ersten Mal in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts eine bewaffnete Rebellion in wenigen Monaten das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten verändert hat. Diese Rebellion hat erreicht, worum sich alle anderen seit Jahren vergeblich bemühten – den Sturz Mobutus –, und ist eine Warnung für all jene, die das Unvermeidliche hinauszögern möchten, die Gesetze und Verfassungen manipulieren und oppositionelle Kräfte unterdrücken. Sie könnten sich unversehens mit einer öffentlichen Meinung konfrontiert sehen, die „ihren“ Kabila sucht.
Es ist wirklich ein „anderes Afrika“2 , das sich mit neuen Parametern auf dem Kontinent durchzusetzen sucht. Von den territorialen Aufteilungen und ideologischen Frontlinien, die lange Zeit die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) interessant gemacht, aber auch gelähmt haben, spricht kaum noch jemand. Heute geht es um die Bodenschätze, die um so wichtiger geworden sind, als die anderen wirtschaftlichen Ressourcen des Kontinents durch den Preisverfall der Landwirtschaftserzeugnisse, die Bevölkerungsentwicklung, die Ausbreitung der Wüste und andere Tendenzen eine immer geringere Rolle spielen. Die geopolitischen Achsen verschieben sich nach Osten, in Richtung Zentral- und Ostafrika – den neuen Pulverfässern – und nach Süden hin, zu einem befriedeten südlichen Afrika.
Die Folge ist eine Einflußverlagerung zugunsten der neuen Bergbau-Staaten (Südafrika, Kongo-Zaire, Namibia, Angola, Sambia) und in Richtung der von der Suaheli-Kultur beherrschten Gebiete, hin zum Indischen Ozean und Asien, zum Nachteil der „Ölländer“ (Gabun, Kongo- Brazzaville, Kamerun, Nigeria) und Westafrikas.3
Dieses „andere Afrika“ wird von einer neuen Generation von Politikern verkörpert, wie man sie heute in Äthiopien, Eritrea, Uganda, Ruanda, Kongo-Zaire und Südafrika antrifft.4 Sie leiten ihre Legitimation oft aus dem bewaffneten Befreiungskampf gegen ausländische Besatzer oder verhaßte Regimes her, geben sich jedoch gleichzeitig pragmatisch und treten eher als Manager denn als Propheten auf. Häufig setzen sie auf eine – durchaus wirkungsvolle – Kombination aus Einparteienherrschaft und liberaler Wirtschaftspolitik.5 Der britische Historiker Basil Davidson unterstreicht, daß viele von ihnen die Gewährung der nationalen Unabhängigkeit durch die Kolonialmächte als eine Art Schmierenkomödie empfinden.6 Im Unterschied zur vorausgegangenen Generation suchen sie nicht länger für alle Probleme Sündenböcke im Ausland. Sie fühlen sich eher der angelsächsischen Kultur und ihrer Geschäftswelt verbunden, und „Globalisierung“ ist ihnen ein vertrauter Begriff.
Bei den Vertretern dieser „neuen Ordnung“ ist eine Gleichartigkeit des Verhaltens, vielleicht sogar des Denkens, festzustellen, die etwa von den politisch-sprachlichen Trennlinien nicht mehr durchbrochen wird, um deren Erhaltung sich die ehemaligen Kolonialmächte so lange bemüht haben. Manche Staaten, wie Uganda, Ruanda, Angola und sogar Sambia, haben im Verlauf der zairischen Krise eine erfolgreiche Geheimdiplomatie einschließlich Rüstungspolitik betrieben, um das Schicksal des afrikanischen Riesenstaates Zaire zu wenden, der eine sieben Jahre währende Phase des Übergangs durchleiden mußte und mit einem Diktator rang, der zum internationalen Symbol für ein verhaßtes oder verachtetes Afrika geworden war. Für diese neuen Führungsteams ist der Kontinent gerade nicht in jenem Afro-Pessimismus befangen, von dem im Westen ständig die Rede ist; er steht vielmehr am Beginn einer „Renaissance“, ein Begriff, der während des OAU-Gipfels in Harare (Simbabwe) vom 2. bis 4. Juni Furore gemacht hat.7
Nach dem Völkermord von 1994 an Hunderttausenden ruandischer Tutsi, der mit den großen Genoziden des Jahrhunderts – an Armeniern, Juden und Kambodschanern – verglichen werden muß, wirkt die „Rückkehr zum Kongo“ im Mai 1997, eine wahrhafte Revolution, wie ein politisches Erdbeben, nicht nur in der Region der Großen Seen, sondern auf dem gesamten Kontinent.
Das Zusammenbrechen des „Mobutu- Systems“ und der „Kabila-Effekt“ werden nicht ohne Auswirkungen auf die letzten Verbündeten des gestürzten Diktators bleiben. Jonas Savimbi, der Anführer der angolanischen Unita, der Südzaire jahrzehntelang als Stützpunkt für seinen Kampf gegen die angolanische Regierung nutzte, hatte in den letzten Monaten noch mehrere hundert Kämpfer an die zairische Front geschickt, um das Vorstoßen der Alliance des Forces Démocratiques de Libération du Congo (ADFL) zu stoppen. Für seine sowieso nur oberflächliche Versöhnung mit dem angolanischen Präsidenten Eduardo dos Santos könnte dies das vorzeitige Ende bedeuten. Heute ist er isolierter denn je und ohne Rückzugsbasis.8 Der kenianische Staatschef Daniel arap Moi, der die Akteure der zairischen Krise unvorsichtigerweise als „mehr an den Reichtümern des Landes als an seinem Wohlergehen interessiert“ beschrieben hatte, wurde von Laurent-Desiré Kabila bereits als „von Macht und Diebstahl verbrauchter zweiter Mobutu“9 abgekanzelt. Pascal Lissouba, der Präsident des „kleinen“ Kongo, stand dem zairischen Diktator ebenfalls nahe. Die Flut der ruandischen und zairischen Flüchtlinge hat nun auch sein Land ins Chaos gestürzt. Seit dem 5. Juni 1997 ist ein Bürgerkrieg ausgebrochen, vergleichbar mit dem, der von September 1993 bis Februar 1994 in Brazzaville zweitausend Opfer gefordert hatte. Die Milizen der drei Kandidaten für die am 27. Juli vorgesehene Präsidentenwahl bekämpfen sich mit schweren Waffen.10
Das gleiche gilt für die kleine Welt der gemäßigten frankophonen Staatschefs, die zur Lösung der Krise nichts beitragen konnten – zum Beispiel für den kamerunischen Präsidenten Paul Biya, der zum Zeitpunkt der Kämpfe in Zaire eine geisterhafte Vorstellung als amtierender OAU-Präsident gab. Als es schon zu spät war, scharten sie sich auf Initiative des gabunischen Präsidenten Omar Bongo wie ein Trupp müder Dinosaurier um Mobutu, um an seinem letzten lächerlichen Manöver teilzunehmen. Die Rebellenallianz nahm Kinshasa trotzdem ein und bereitete dem Spuk ein Ende.11
Die Hilflosigkeit der Frankophonen entsprach der Ohnmacht ihres „Paten“ Frankreich: Während der gesamten Krise in der Region der Großen Seen fand Paris weder zu einer Politik, noch besaßen seine Verlautbarungen irgendwelche Glaubwürdigkeit. Die französische Regierung beschränkte sich darauf, von November 1996 bis zur Einnahme der Hauptstadt durch die Rebellen am 17. Mai 1997, gebetsmühlenhaft eine militärisch-humanitäre Intervention zu fordern, die niemand sonst für nützlich hielt. Frankreich blieb einem unerklärlichen Starrsinn verhaftet und setzte unverdrossen auf Mobutu, von dem noch bis wenige Wochen vor seiner Flucht behauptet wurde, es führe an ihm „kein Weg vorbei“12 .
Auf der Siegerseite steht Laurent-Desiré Kabila, ein außergewöhnlicher Überlebender der Untergrundbewegungen aus der ersten Zeit der Unabhängigkeit und unwiderstehlicher „Bezwinger“ des zairischen Regimes. Sein Sieg verdankt sich einer überaus wirksamen Taktik: Zuerst kam die Zerstörung der Lager der ruandischen Flüchtlinge im Osten, dann die Kontrolle über die Minen im Süden und im Zentrum, und am Ende erst stand die Eroberung der wichtigen Städte. Auf der Siegerseite aber stehen vor allem auch seine technischen und politischen „Mentoren“, die Regierungen von Uganda, Ruanda und zweifellos auch die von Burundi. Die Kriegspläne waren in Entebbe und Kigali ausgeheckt worden, die Allianz wurde mit einer kriegserfahrenen Beratertruppe sowie Waffen, Munition und mit direkt in Zaire, vor allem in den Grenzgebieten, operierenden Einheiten unterstützt. Unter den Siegern sind auch die sich diskret im Hintergrund haltenden militärischen Verbündeten Kabilas (die angolanische und die sambische Regierung), seine berühmten „Paten“ (Nelson Mandela und der ehemalige tansanische Präsident Julius Nyerere), sowie sein ferner amerikanischer Schutzpatron, der viele Zeichen von Gefälligkeit setzte, seinen Minengesellschaften den Weg ebnete, Marokko davon abhielt, „Freund“ Mobutu wieder einmal zu Hilfe zu eilen, und einen internationalen Militäreinsatz verhinderte, der den Gewaltmarsch der Kämpfer der Allianz hätte stoppen können.
Doch die allgegenwärtige ruandische Unterstützung der Rebellion hat auch ihren Preis: die Zerstörung der Lager, die Kanalisierung der Flüchtlinge hin zu einer Zwangsrückkehr in die Heimat, die zum spektakulären Exodus vom Dezember 1996 führte, oder die ziellose Flucht in die Wälder des Ostens, in einigen Fällen bis in die Republik Zentralafrika und das zweitausend Kilometer entfernte Kongo-Brazzaville. Jedesmal hatten die speziellen Kommandoeinheiten der aus Tutsi bestehenden ruandischen Armee (APR) die Gelegenheit, „die Hutufrage zu regeln“, indem sie Rache nahmen, auch an Frauen, Greisen und Kindern. Mehrere zehntausend wurden ermordet und etwa hunderttausend weitere „verschwanden“.
Dennoch läßt der „Kabila-Effekt“ etliche afrikanische Machtzentren plötzlich alt aussehen: Kabila umschwebt die Aura eines Guerillero und Befreiers zu einer Zeit, in der die vom Internationalen Währungsfonds erzwungene wirtschaftliche Strukturanpassung und die strikte Anwendung westlicher Demokratierezepte wenig Platz für Heldentum und politische Gefechte gelassen hatten. Die wiedergewonnene Würde, die Beschwörung des Geists von Patrice Lumumba13 , die gewonnene Einheit eines lange Zeit dem Zerfall geweihten Riesen, dies alles geschieht vor dem Hintergrund einer regionalen Neuordnung. In ihrer Folge könnten sich die wichtigsten Länder des zentralen, östlichen und südlichen Afrika mit all ihrem natürlichen und menschlichen Potential in einer Vorstufe zum „gemeinsamen afrikanischen Markt“ verbünden, den der ugandische Präsident Yoweri Museveni beim OAU-Gipfel in Harare herbeiwünschte. Er forderte dazu auf, die Grenzen zwischen Anglophonen und Frankophonen niederzureißen: „Das große Loch im Herzen Afrikas ist gestopft. Jetzt können wir Straßen von Osten nach Westen, von Norden nach Süden bauen.“14
Für die meisten Regimes der „afrikanischen Renaissance“, die die Demokratie eher als „westliche Idee“ verwerfen, ist der politische Pluralismus an sich kein universeller Wert. Wahlen sind ohne minimalen Wohlstand ein unerschwinglicher Luxus und keinesfalls das unumgängliche Medium der gesellschaftlichen Repräsentanz und der Machtverteilung. Das Mehrheitsprinzip wird hier oft in Frage gestellt.
Einer der wichtigsten Inspiratoren der „Renaissance“, der ugandische Präsident Museveni, hat das Verbot der politischen Parteien in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt und sie als „sektiererisch“ und auf „Stammesbasis“ entstanden bezeichnet. Ihm zufolge muß Afrika endlich dieses „den vorindustriellen Ländern entsprechende“ Stadium überwinden.15 Die gleiche These wird etwas reservierter vom ehemaligen tansanischen Präsidenten Julius Nyerere vertreten: „Unsere Freunde aus dem Westen sollen aufhören, uns zu belehren. Wir werden mit relativ freien Wahlen und relativ freien Demokratien beginnen.“16
Ein weiterer Schock war die Schlacht zwischen Kobra-, Ninja- und Zulumilizen, die seit dem 5. Juni 1997 in Kongo- Brazzaville vor dem Hintergrund von Konflikten um ethnische Widersprüche und Erdöl tobt. Die Kämpfe bilden das Vorspiel zu einem Wahlentscheid, dem sich keiner der beiden Hauptkontrahenten stellen zu wollen scheint, in einem Land, in dem „das Nationalbewußtsein in Regionen, Stämme und Bruderschaften zerfallen ist“17 . Dieser Bürgerkrieg trifft den Nerv des französisch-afrikanischen Systems, denn sein Dreh- und Angelpunkt sind seit einigen Jahren die „Überleitungen“, Wahlen, die Verteidigung der „neuen Demokratien“. Nach den wiederholten Meutereien der Armee in der Zentralafrikanischen Republik und den umstrittenen Wahlen in Mali und Niger scheinen die Unruhen in Brazzaville, der alten Hauptstadt des „freien Frankreich“, mit ihrem antifranzösischen Beigeschmack nun symbolisch das Scheitern des Konzepts der importierten „Demokratie“ zu bedeuten. Das andere Allheilmittel, das man seit der Unabhängigkeit „Entwicklung“ zu nennen pflegte, war längst vorher als wirkungslos abgeschrieben worden.
„Rückzug“, „Isolierung“, „Aufgabe“, „Katastrophe“, „Fiasko“, „Scheitern“ Frankreichs in Afrika – so die Schlagzeilen der Presse in den letzten Monaten –, ganz gleich, wie man es bezeichnet, es ist das Resultat überholter geopolitischer Konzeptionen, die auf eine direkte Verteidigung der Erdölinteressen, die Eindämmung des Islam, ja sogar des „angelsächsischen Vordringens“ zielen und Resultat eines verkrampften Festhaltens an einer Frankophonie alten Stils sind. Dazu kommt der unhaltbare Widerspruch zwischen einerseits den Grundlagen einer als universalistisch und großherzig dargestellten Politik und andererseits der Behinderung des freien Reiseverkehrs und jeglichen Austauschs (Verschärfung der Visapolitik, Charterflugzeuge voll ausgewiesener Afrikaner und so weiter). Ein zusätzlicher Faktor ist die Unbeweglichkeit eines seit der Unabhängigkeit unveränderten Systems der militärischen Zusammenarbeit und einer lange Zeit zwischen verschiedenen, teils privaten, oft geheimen, immer konkurrierenden Entscheidungszentren hin- und hergerissenen Diplomatie.
„Pax africana“ und neue Märkte
HINZU kommt eine allgemeine Vertrauenskrise, die entstanden ist, weil man befreundete Regimes ihrem Schicksal überließ, aber auch wegen der Abwertung des Franc-CFA, des Hauptpfeilers von „Französisch-Afrika“, die im Januar 1994 erfolgte – die „Bürde des weißen Mannes“ wurde zur Sache von Experten der Institutionen von Bretton Woods. In den letzten Jahren verlor das in seiner Art einzigartige System der militärischen Kräfte und Stützpunkte Frankreichs seine Wirkung. Dabei galt es als besonders effektiv, wenn es darum ging, „Probleme zu regeln“, „Buschfeuer zu löschen“ und vor allem jegliche Gefahr von Unordnung in den Ländern des „Einflußgebiets“ im Keim zu ersticken. Heute scheint seine einzig verbliebene Aufgabe in der Evakuierung von Europäern zu bestehen.18
Die französischen Sozialisten wollen eine neue Afrikapolitik entwickeln, da die alte, mit ihren vor mehr als vierzig Jahren gelegten Grundsteinen, gescheitert ist. Das Beziehungssystem der alten Afrikapolitik „hat den Beigeschmack des Kolonialismus“, unterstreicht der neue französische Minister für Zusammenarbeit.19 Diese Politik kann keine Krisen mehr voraussehen und lösen helfen, sie kann Frankreich auch nicht mehr ausreichend Glaubwürdigkeit verschaffen, insbesondere gegenüber den neuen afrikanischen Großmächten – Südafrika, Ägypten, Nigeria, und eines Tages die Demokratische Republik Kongo.
Da die Sozialisten sich mit einem Präsidenten der Rechten zu arrangieren haben, mußten sie bereits auf ihr Vorhaben verzichten, das Ministerium für Zusammenarbeit in das Außenministerium zu integrieren. Dabei war dies eine ihrer alten Forderungen; es hätte ein starkes Signal zur „Normalisierung“ der französisch- afrikanischen Beziehungen gesetzt. Doch, so schreibt die Zeitschrift Jeune Afrique, „mit dem Messer in der Hand sind sie am Fuß des Altars stehengeblieben und dann zurückgewichen, ohne es zu wagen, das Opfer zu bringen. Warum auch das Symbol antasten und die letzten Getreuen in Afrika verschrecken, die noch glauben oder vorgeben zu glauben, Frankreich beschütze sie.“20 Die neuen französischen Verantwortlichen hoffen dennoch, die Afrikapolitik aus dem „Ghetto“ herauszubringen, in dem sie seit Beginn der fünften Republik gefangen ist.
In den letzten Monaten häuften sich die Anzeichen, daß die pax africana endlich konkrete Formen annimmt: Das Eingreifen „befreundeter“ Länder zur Unterstützung des Regimewechsels in Zaire; der Versuch der nigerianischen Armee, unter dem Banner der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog das Zivilregime in Sierra Leone zurück an die Macht zu bringen; der Einsatz einer innerafrikanischen Kontrolltruppe nach den Meutereien in Zentralafrika; oder die ersten gemeinsamen Manöver der Länder des südlichen Afrika im April 1997 in Simbabwe, die zeigen sollten, daß die Afrikaner in der Lage wären, ohne Unterstützung der westlichen Mächte friedenssichernde Einsätze durchzuführen. Parallel dazu haben Paris, Washington und London ihre Differenzen begraben und am 23. Mai in aller Stille ein Abkommen zur Unterstützung einer Friedenstruppe aus einigen afrikanischen Ländern geschlossen, „die sich freiwillig bereit und in der Lage erklären, wenigstens ein Bataillon zu stellen“21 .
Die französisch-amerikanische Konkurrenz auf dem schwarzen Kontinent ist ein weiterer neuer geopolitischer Faktor nach Jahrzehnten der komplementären Ergänzung während des Ost-West-Konflikts, als Washington Paris die Rolle des „Gendarmen Afrikas“ zubilligte.22 In der veränderten Situation muß die französische Politik neue Formen der Partnerschaft finden. Nur so wird sich die paradoxe Situation verändern können, die der Minister für Zusammenarbeit, Charles Josselin, so beschreibt: „Frankreich sorgt für die wesentlichen Hilfsmittel, und die USA heimsen die wirtschaftlichen Vorteile ein.“23
Bei seiner ersten Afrika-Tournee hatte der ehemalige US-Außenminister Warren Christopher im Oktober 1996 noch die französisch-afrikanische Lobby geschockt, als er „die Epoche, in der Afrika in Einflußsphären aufgeteilt werden konnte“, für abgeschlossen erklärt hatte. Doch in Wahrheit sehen alle ein, daß es keine „Jagdreviere“ mehr gibt. „Objektiv gesehen haben sie recht“, betont der ehemalige Minister für Zusammenarbeit, Jacques Godfrain, der sich noch vor wenigen Monaten heftige Wortgefechte mit dem Chef der amerikanischen Diplomatie geliefert hatte. „Wenn wir uns für die Öffnung Afrikas einsetzen, wenn wir die Kriterien des IWF und der Weltbank auf die Franc-CFA-Zone ausweiten, kann man nichts anderes erwarten.“24 Die Mühelosigkeit, mit der sich die US-Diplomatie in Afrika die besten Stücke aus dem Trümmerhaufen klauben konnte, ihre rückhaltlose Unterstützung für einen „Revolutionär“ wie Kabila gegen Mobutu, den ehemaligen Kreuzritter des Westens, der ein „Produkt“ der CIA gewesen war – all das erstaunt allerdings. Im April 1997 meinte der Sprecher des State Department dazu lakonisch: „Mit Ende des Kalten Krieges war unserer Freundschaft mit ihm die Grundlage entzogen.“
In den letzten Jahren scheint Washington mit Unterstützung der früheren Guerilleros Meles Zenawi in Äthiopien, Yoseweni Museveni in Uganda oder Isayas Afewerki in Eritrea ein großes geopolitisches Ziel in Afrika anzustreben: die Isolierung und wenn möglich Destabilisierung des islamistischen Regimes im Sudan. Dazu arbeitet Washington mit allen Nachbarländern zusammen und nimmt selbst das Risiko eines Flächenbrands in ganz Ostafrika in Kauf.25
Ansonsten geht es den USA im wesentlichen um den Zugang zu den afrikanischen Märkten, die noch großenteils unausgebeutet sind. Dabei wird das übliche Arsenal von Gesetzen, Plänen, Foren, Zollpräferenzen und Freihandelsverträgen zum Einsatz gebracht. Einige Tage vor dem G-8-Gipfel in Denver vom 20. bis 22. Juni hat die afroamerikanische Lobby eingedenk der „emotionalen Bindungen“ zum Kontinent eine Afrikakonferenz organisiert. Nunmehr zelebriert jedes Jahr ein „afrikanisch-afroamerikanischer Gipfel“, parallel zum politischen Hochamt des jährlichen französisch-afrikanischen Gipfels, die Tugenden der „Rückkehr“ amerikanischer Geschäftsleute auf den Boden ihrer Vorväter, auch wenn dieser Austausch mit Afrika bisher nur 1 Prozent des gesamten US-Außenhandels ausmacht.
dt. Christiane Kayser
* Journalist bei Radio France Internationale, Paris.