14.05.1999

Was in Rambouillet und in der Rue Kleber geschah

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Was in Rambouillet und in der Rue Kleber geschah

Die Offensive gegen Serbien wurde offiziell damit begründet, daß Belgrad das Abkommen von Rambouillet nicht unterzeichnet habe. Doch die jugoslawische Regierung hatte den wichtigsten Teil des Vertragsentwurfs durchaus angenommen. Umstritten war allerdings, welche Streitmacht im Kosovo stationiert werden sollte. Die serbische Seite lehnte jegliche Nato-Präsenz ab, hätte sich aber auf andere Formeln durchaus einlassen können.

Von PAUL-MARIE DE LA GORCE *

DAS Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet über den zukünftigen Status des Kosovo, die nach einer Unterbrechung in Paris fortgesetzt wurden, hat eine Vorgeschichte. Die begann im Sommer 1998, als die US-amerikanische Diplomatie die Zusammenstöße zwischen jugoslawischer Armee und albanischen Untergrundkämpfern zum Anlaß nahm, eine politische Lösung der Krise zu suchen. Sie endete, als die Kontaktgruppe, die sich die Lösung der Jugoslawienkrise vorgenommen hatte, beiden Seiten einen Plan vorlegte, dessen Ablehnung dann den Krieg auslöste.

Im Sommer 1998 war Richard Holbrooke, früherer stellvertretender US-Außenminister und Sonderbeauftrager für das ehemalige Jugoslawien, in Begleitung von Christopher Hill nach Belgrad gekommen, um von Präsident Slobodan Milosevic die Aufnahme von Verhandlungen mit den gewählten Vertretern der albanischen Volksgruppe im Kosovo zu fordern. Faktisch konnte damit nur Ibrahim Rugova gemeint sein, der unumstrittene Sieger der am 22. März 1998 unter der albanischen Bevölkerung durchgeführten Wahlen. Die von Belgrad ernannten Unterhändler begaben sich in die Provinzhauptstadt Pristina, wo sie in ihrem Hotel ziemlich lange vergebens auf ihre Gesprächspartner warteten. Schließlich kam es in Belgrad zu einem Treffen zwischen Milosevic und Rugova, das jedoch zu keiner Einigung führte. Die Verzögerung war Resultat einer neuen Situation, die durch das Auftauchen der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) entstanden war, die mittlerweile als Repräsentant der Mehrheit der albanischen Bevölkerung gelten konnte. Die UÇK war erstmals unmittelbar nach dem in Dayton erzielten Bosnien-Abkommen im Dezember 1995 in Erscheinung getreten, wobei sie von Anfang an das Ziel vertrat, mit militärischen Mitteln die Unabhängigkeit des Kosovo zu erreichen. Im Februar 1996 erregte sie Aufsehen mit der Veröffentlichung der „Erklärung Nr. 1 “, in der sie sich zu einem Anschlag auf ein serbisches Flüchtlingslager in Bosnien bekannte.

In den folgenden zwei Jahren weiteten sich ihre Aktivitäten kontinuierlich aus. Im Frühjahr 1998 gelang ihr mit der Kontrolle über die Drenica-Ebene im zentralen Kosovo der wohl entscheidende Durchbruch, insofern sie jetzt über eine strategische Rückzugsbasis für ihre Vorstöße in der ganzen Provinz verfügte. Danach entspann sich ein heftiger Konkurrenzkampf wischen Ibrahim Rugova und UÇK-Führer Adem Demaçi. Im Hinblick auf das Endziel, die Unabhängigkeit des Kosovo, besteht zwischen den beiden Männern keinerlei Meinungsverschiedenheit. Allerdings könnten sie, was ihre Persönlichkeiten und ihre Methoden betrifft, nicht gegensätzlicher sein. „Präsident“ Rugova, ein entschiedener Befürworter von Verhandlungen, war überzeugt, das Kosovo schrittweise zur Unabhängigkeit führen zu können, ohne es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen. Adem Demaçi steht für die Generation von Kosovaren, die entschlossen sind, innerhalb der Logik der Zerstückelung des ehemaligen Jugoslawien die Unabhängigkeit mit Waffengewalt und mit Unterstützung ausländischer Mächte zu erkämpfen. In dem politischen Klima, das die Zusammenstöße zwischen den jugoslawischen Streitkräften und der Untergrundbewegung erzeugte hatte, war vorhersehbar, daß die albanische Bevölkerung sich früher oder später der radikaleren Haltung der UÇK anschließen und mit deren Kämpfern solidarisieren würde. Diese Atmosphäre führte jedoch auch dazu, daß sich die Anhänger Rugovas und Demaçis gegenseitig überboten. Die damit entstandene Situation war zweifellos unvermeidbar, lähmte allerdings die mühsam in Gang gekommenen Verhandlungen mit den Vertretern der Bundesrepublik Jugoslawien.

Die amerikanische Diplomatie war indessen nicht untätig geblieben. Ohne eine Zusammenkunft der beiden Konfliktparteien – und eine eventuelle Einigung – abzuwarten, ließ der US-Sondergesandte Richard Hoolbroke seinen Stellvertreter Christopher Hill einen Plan zur politischen Beilegung des Konflikts ausarbeiten. Dieser Plan legte zuallererst folgende Grundprinzipien fest: Erstens sollten die Grenzen Jugoslawiens formell erhalten bleiben, um keinen Präzedenzfall zu schaffen, nach dem auch andere Grenzen in der Region in Frage gestellt werden könnten – allen voran die Grenzen von Makedonien; zweitens sollte das Kosovo eine „substantielle Autonomie“ erhalten, die im Inneren faktisch alle Kompetenzen eines Staates beinhalten würde; und drittens sollte die Provinz von Nato-Streitkräften besetzt werden, um die Realisierung des getroffenen Abkommens zu gewährleisten. Damit war die Grundstruktur des Plans, der später in Rambouillet vorgelegt wurde, im Konfliktlösungsvorschlag von Christopher Hill bereits vollständig vorweggenommen. Daß kein einziger Punkt geändert wurde, ergibt sich aus der fast vollständigen Veröffentlichung dieses Entwurfs in der albanischen Tageszeitung Koha Ditore im Laufe des Februar 1999. Es gibt also nichts an der Tatsache zu zweifeln, daß in Rambouillet in Wirklichkeit der amerikanische Plan wieder aufgegriffen wurde, den Christopher Hill entworfen und verfaßt hatte.

Belgrad und die militärischen Bedingungen

NACH dem Massaker von Racak am 15. Januar 1999 kündigten die Regierungen der Kontaktgruppenländer (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Rußland) die Vorlage eines politischen Lösungskonzepts für die Kosovokrise an. Sie forderten die Regierung in Belgrad und Vertreter der albanischen Volksgruppe der Provinz auf, sich dieses Konzept vorlegen zu lassen und vielleicht auch noch ein wenig zu diskutieren. Die Einladung hatte also die Form eines Ultimatums, zumindest was die Bundesrepublik Jugoslawien betraf, der man für den Fall des Nichterscheinens mit militärischen Maßnahmen drohte. Daraufhin einigte sich die Kontaktgruppe über die Prinzipien des beiden Seiten vorzulegenden Plans. Sie umfaßten zehn Punkte: die Notwendigkeit einer raschen Beendigung der Gewalt und der Einhaltung eines Waffenstillstands; eine friedliche Lösung der Krise durch Dialog zwischen den gegnerischen Parteien; eine im Prinzip dreijährige Übergangsphase bis zur Ausarbeitung einer definitiven Lösung; Verbot jeder einseitigen Veränderung des provisorischen Status der Provinz; territoriale Integrität Jugoslawiens und damit seiner Nachbarstaaten; Wahrung der Rechte aller Volksgruppen, insbesondere hinsichtlich ihrer Sprachen, religiösen Einrichtungen und des Schulunterrichts; Durchführung freier Wahlen unter Aufsicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE); Verzicht auf Strafverfolgung für alle Handlungen, die während des Kosovokonfliktes begangen wurden, mit Ausnahme von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; eine Amnestie und Freilassung aller politischen Gefangenen; Zusammenarbeit der beiden gegnerischen Parteien bei der Verwirklichung einer zukünftigen Regelung der Krise unter internationaler Beteiligung.

Für die Kontaktgruppe waren diese Prinzipien nicht verhandelbar. In ihrer ersten Version wurden sie von der jugoslawischen Seite anerkannt, nicht aber von der albanischen, die den Vorschlag einer endgültigen Lösung nach einer dreijährigen Übergangsperiode zu unpräzise fand und verlangte, die Bevölkerung des Kosovo müsse sich nach Ablauf dieser Frist für die Unabhängigkeit aussprechen können.

In Rambouillet wurde der Text für eine definitive Regelung vorgelegt, aber die Positionen beider Seiten bewegten sich kaum. Die UÇK-Führung, die seit Rambouillet als Vertretung der Kosovo-Albaner anerkannt war, lehnte eine Regelung ab, die nicht eindeutig das Recht auf Unabhängigkeit beinhaltete. Die jugoslawische Delegation hatte gegen den politischen Teil des Abkommens keinen Einwand, lehnte aber den militärischen Teil ab, der nach dem Hill-Plan eine Besetzung des Kosovo durch Nato-Truppen vorsah. Der Vertreter Belgrads in Rambouillet, der serbische Präsident Milan Milutinovic, deutete sogar einen Kompromiß an, als er von einer möglichen „internationalen“ Präsenz im Kosovo sprach. Allen Beteiligten war klar, daß damit Truppen aus Ländern wie Rußland, Griechenland oder aus Westeuropa gemeint waren, nicht dagegen Truppen, die offiziell und direkt der Nato, d.h. US-amerikanischem Oberbefehl unterstehen. Doch dieser Vorschlag wurde von westlicher Seite ignoriert.

Die US-Diplomatie verfolgte eine andere Lösung. Sie hatte von Anfang an auf die Zustimmung der albanischen Seite bei gleichzeitiger Ablehnung durch Belgrad gesetzt. Das würde die Rechtfertigung liefern, Milosevic ein Ultimatum zu stellen und im Weigerungsfall mit der Bombardierung Jugoslawiens zu beginnen. Mittlerweile war US-Außenministerin Madeleine Albright in Rambouillet eingetroffen, wo sie den europäischen Ministern die Verhandlungsführung gleichsam aus der Hand nahm. Es gelang ihr allerdings nicht, die Vertreter der albanischen Volksgruppe zu überzeugen; das Treffen von Rambouillet mußte unterbrochen werden.

Hauptziel: die Unterschrift der „anderen Seite“

DOCH unmittelbar darauf begannen direkte Gespräche mit der UÇK- Führung: zunächst in Albanien, auf Vermittlung von US-Senator Robert Dole, dem ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, und anschließend in diskreterer Form mit einer albanischen Delegation in Washington. Um Erfolg zu haben, mußte Adem Demaçi beiseite gedrängt werden. Seine Funktionen wurden teilweise von Hacim Thaqi ausgeübt, der die Chance wahrnahm, eine „provisorische Regierung“ zu bilden.

Am Ende dieser Manöver sicherte die US-Regierung vier Punkte zu, die von der UÇK als wesentlich angesehen wurden: Im Kosovo sollten möglichst rasch Wahlen stattfinden, um den Führern der albanischen Bevölkerung die baldige Regierungsübernahme zu erlauben; vom Prinzip der Entwaffnung der Milizen, wie sie noch in Rambouillet vorgesehen war, sollten Einzelfeuerwaffen ausgenommen sein, die man zum persönlichen Besitz erklärte; im Kosovo sollten Nato-Streitkräfte stationiert werden, um definitiv zu verhindern, daß Jugoslawien den vorläufigen und den endgültigen Status des Kosovo in Frage stellt; nach der dreijährigen Übergangsfrist sollte die Möglichkeit der Unabhängigkeit überprüft werden, sofern der regionale und internationale Kontext dies zuließen.

Auf diese Weise sicherte man sich in der Rue Kleber in Paris, wohin das Rambouillet-Treffen verlagert worden war, die Unterschrift der „anderen Partei“, wie die Vertreter der albanischen Volksgruppe im offiziellen Dokument genannt werden. Damit war jegliche Chance vergeben, die jugoslawische Seite zur Zustimmung zu bewegen.

Im übrigen hatten auch die russischen Vertreter der Kontaktgruppe das Schlußdokument1 , das den beiden Parteien erst am letzten Tag der Konferenz vorgelegt wurde, in mehreren Punkten abgelehnt. Dieses repräsentierte also nicht mehr die gemeinsame Haltung der gesamten Kontaktgruppe.

Umstritten waren vor allem die Punkte 2, 5 und 7 des militärischen Teils (Appendix B), der die permanente Präsenz von Nato-Truppen im Kosovo vorsah. In Punkt 2 ging es um die Kontrolle von Polizei und Justiz durch die OSZE, Punkt 5 betraf die Umsetzung der militärischen Klauseln des Abkommens, Punkt 7 sah explizit vor, daß die beiden Parteien im Streitfall nur an die Nato appellieren durften.2 Wie sollte die jugoslawische Führung einer Regelung zustimmen, die das Kosovo aus ihrer Sicht in ein Protektorat des atlantischen Militärbündnisses verwandeln würde? Dies war um so weniger möglich, als der in Rambouillet und Paris vorgelegte Plan vorsah, daß das Kosovo- Statut gegenüber allen Verfassungsbestimmungen und Gesetzen der Bundesrepublik Jugoslawien Vorrang haben würde, so daß diese dort nicht mehr zur Anwendung kommen sollten.

Unter diesen Bedingungen konnten die Verhandlungen zu keinem Ergebnis kommen. Der Weg zum Krieg war frei.

dt. Birgit Althaler

* Journalist, Autor u.a. von „Le dernier Empire. Le XXIe siècle sera-t-il américain?“, Paris (Grasset) 1996.

Fußnoten: 1 Der vollständige Text in englischer Fassung kann auf der Website der Monde diplomatique abgerufen werden: http://www.monde-diplomatique.fr/. 2 Zu Punkt 8 des Appendix B, der eine Art Nato- Statut für ganz Jugoslawien vorsieht, vgl. den Beitrag von Andreas Zumach in „Krieg im Kosovo“, hrsg. von Thomas Schmid, Reinbek (Rowohlt) 1999, S. 63-81.

Le Monde diplomatique vom 14.05.1999, von PAUL-MARIE DE LA GORCE