14.05.1999

Neue Kriege bedrohen die Perspektiven des Kontinents

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Neue Kriege bedrohen die Perspektiven des Kontinents

KEHRT nach den Jahren des „Afrikaoptimismus“ angesichts der Demokratisierungswelle, der „Kongo-Revolution“ und der „afrikanischen Renaissance“ nun der „Alptraum Afrika“ zurück? Ein Dutzend Konflikte haben den Kontinent überzogen, von Buschfeuern bis hin zu modernen Kriegen, und stürzen ihn erneut ins Chaos. Es stellt sich die Frage, ob Afrika, nachdem es sich allmählich von der ausländischen diplomatischen Bevormundung freimachen konnte, jetzt zu seinem eigenen Henker wird. Andererseits ist es zu eiem Zetpunkt, da sich der Genozid in Ruanda zum fünften Male jährt, inzwischen möglich, daß Südafrikas Präsident Nelson Mandela in aller Ruhe seine Nachfolge regeln kann und in Nigeria eine Zivilregierung die Macht übernimmt.

Von PHILIPPE LEYMARIE *

Zu Beginn der neunziger Jahre hatte der afrnakiische Kontinent gerade die längsten Kriege seiner Geschichte überstanden: Die Befreiungskriege in Angola und Mosambik, die bald in Bürgerkriege ausgeartet waren, und den nationalen Befreiungskampf Eritreas gegen das ehemalige Kaiserreich Äthiopien, über das der „Rote Negus“ herrschte. Hinter den lokalen Protagonisten standen andere Mächte: da waren die Antonow-Maschinen der sowjetischen Armee, die Kontingente kubanischer Soldaten, die Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung durch China und die Machenschaften der vom US-amerikanischen Geheimdienst rekrutierten Söldnerheere. Sowjetische, amerikanische und sogar französische Flotten standen sich im südlichen Atlantik gegenüber, ebenso im Indischen Ozean und im Roten Meer. Dieses gefährliche Spiel schien Anfang der Neunziger beendet.

Der Fall der Berliner Mauer und das Auseinanderbrechen der Sowjetunion eröffneten neue Lösungswege, die bis dahin verwehrt waren. In Luanda und Maputo wurden unter der aktiven Beteiligung der Vereinten Nationen Verhandlungen zur Beilegung der Konflikte der Ära nach dem Kalten Krieg in die Wege geleitet. Gleichzeitig beugte sich auch das prokommunistische Regime von Oberstleutnant Mengistu in Addis Abeba der vereinten Offensive der Befreiungsfront des Tigre und der Eritreischen Volksbefreiungsfront, und Eritrea erlangte seine in zwanzig Jahren bewaffneter Auseinandersetzung eingeforderte Unabhängigkeit.

Die Angolanische Befreiungsunion Unita und die nationale Widerstandsbewegung Renamo in Mosambik – beide ethnische Guerillabewegungen gegen die „Volksdemokratien“, die von den marxistischen Befreiungsbewegungen mit Unterstützung der UdSSR und den blockfreien bzw. Dritte-Welt-Staaten etabliert worden waren – wurden 1991 bzw. 1992 zu offiziell anerkannten Parteien. Die Friedensverträge sahen freie Wahlen unter der Ägide der Vereinten Nationen vor. Auch Unita-Führer Jonas Savimbi, der sich zunächst geweigert hatte, seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen im September 1992 anzuerkennen, und daher den Kampf um die Kontrolle über die Erdöl- und Diamantenvorkommen wiederaufgenommen hatte, mußte sich dem internationalen Druck beugen und 1994 die Verträge von Lusaka unterzeichnen, die die Schaffung einer Regierung der nationalen Einheit und für ihn einen „Sonderstatus“ vorsahen.

Zwischen Skepsis und Verzweiflung

IN Südafrika wurde die neue Epoche markiert durch die Befreiung Nelson Mandelas, des „ältesten Gefangenen der Welt“, das Ende der Apartheid und die Regierungsübernahme durch die schwarze Mehrheit. In der Absicht, die faulen Kompromisse der Vergangenheit vergessen zu machen1 , kürte das demokratische US- Amerika sich zum „Paten“ der neuen Regime im südlichen Afrika und am Horn, an deren Spitze ehemalige Marxisten stehen, die sich zur Marktwirtschaft bekehrt haben. Nach dem Sturz des rumänischen Präsidenten Nicolae Ceausescu im Dezember 1989 und der Konferenz von La Baule im Sommer 1990, als François Mitterrand den zwanzig anwesenden afrikanischen Staatschefs zu demokratischen Reformen riet und im Gegenzug Entschuldung versprach, gab es auf dem afrikanischen Kontinent eine Demokratisierungswelle mit Nationalkonferenzen, Mehrparteienverfassungen und Wahlen. All diese „starken Signale“ schienen eine Epoche der Renaissance des „anderen Afrika“ einzuläuten und vermittelten das Gefühl, endlich – eine Generation nach der Unabhängigkeitswelle der sechziger Jahre – die Hypotheken der Kolonialzeit beglichen zu haben.

Doch dieses Bild ist spätestens seit dem Grauen des Völkermordes an den Tutsi in Ruanda im Jahre 1994 obsolet, seit den Stammesfehden zwischen Hutu und Tutsi in Burundi und den letzten surrealistischen Regungen des Mobutu-Regimes in Zaire, das bald den Auswirkungen der ruandischen Tragödie zum Opfer fiel, deren Schockwellen ganz Zentralafrika erfaßten und bis heute nachwirken.

Das Schauspiel, das der Kontinent jetzt zuweilen bietet, läßt den Betrachter zwischen Skepsis und Hoffnungslosigkeit schwanken. Überall breiten sich die rechtsfreien Zonen aus. In Sierra Leone nehmen die Rebellen an Zivilisten Rache und hacken ihnen Arme und Beine ab, während in der brennenden Hauptstadt regierungsfreundliche Truppen Ärzten den Zutritt zu den Operationssälen verwehren. In Brazzaville, das seit fünf Jahren unter der Rache der Milizen leidet, hat das Regime vor kurzem ganze Viertel mit schweren Waffen2 „säubern“ lassen. Im zentralafrikanischen Guinea-Bissau kam es wiederholt zu Meutereien, trotz aller in den letzten zwei Jahren vereinbarten Waffenstillstandsabkommen. Auf einigen Inseln der Komoren wird unaufhörlich gekämpft, und auf der Insel Mauritius, touristisches Ziel internationaler Luxus-Reisen, rebellieren die Verlierer des „afrikanischen Wunders“, die kreolische Minderheit.

Auch Somalia bleibt zerrissen, ohne Staat und gleichsam „außerhalb der Welt“, einem Dutzend Vermittlungsversuchen innerhalb der letzten fünf Jahre zum Trotz.3 Zwischen Äthiopien und Eritrea droht der Konflikt um einen Grenzstreifen zum Blutbad zwischen einstigen Waffenbrüdern zu eskalieren. In Algerien ist der Horror im Laufe der letzten fünf Jahre zum Alltag geworden. Und in Angola flammte ein „hundertjähriger Krieg“ wieder auf. In diesem Land, das in den siebziger und achtziger Jahren blutiger Schauplatz der Ost-West-Konfrontation war, sind die UNO und die internationale Gemeinschaft verhängnisvoll gescheitert. Allein die Räumung der Minen würde eines hundertjährigen Friedens bedürfen.

Diese Kriege ersticken jeden Optimismus und lassen das Gewissen verrohen – weniger durch ihre Greuel, die weder in Afrika noch sonst einen Einzelfall darstellen, sondern weil sie, wie etwa in Sierra Leone, absurd, selbstmörderisch, ohne Prinzip, ohne „Programm“ erscheinen und „sich jeder politischen und erst recht revolutionären Logik entziehen“4 . Es sind Kriege, die einander ablösen, wie in Kongo-Brazzaville, ohne wirkliche Hoffnung auf eine Lösung, ohne daß man aus ihnen eine Lehre zöge, ohne Atempause für den Wiederaufbau. Ob es sich nun um die Konflikte in Angola, in Kongo-Kinshasa oder am Horn von Afrika handelt: alle spiegeln sie das Scheitern einer ganzen Epoche, machen riesige Anstrengungen zunichte und vermitteln das Gefühl einer unaufhaltsamen Talfahrt.

Dies führt dazu, daß die öffentliche Meinung und die Medien der nördlichen Hemisphäre sich zunehmend abwenden. In der Überzeugung, mit diesen Konflikten „nichts mehr zu tun“ zu haben5 , und der Resignation angesichts der Tatsache, daß bestimmte Gruppen nicht davon abzuhalten sind, sich gegenseitig umzubringen, fällt der Norden in die uralte Vorstellung zurück, daß Afrika der Kontinent der Stämme und Krieger ist. Aber inzwischen fügen sich auch unter den Afrikanern selbst Bestürzung, Unverständnis und Scham zu einem „deprimierenden Bild“ des Kontinents, wie vor kurzem der Ghanaer Kofi Annan, Generalsekretär der UNO, einräumte. Auch hier greift die Idee um sich, daß die Eiterbeulen aufbrechen müssen: „Sollen sie sich doch bekämpfen, bis sie nicht mehr können, bis sie ausgeblutet sind, bis sie sterben oder den Zorn ihres Volkes zu spüren bekommen.“6

Es sieht so aus, als werde man es fortan mit mehreren verschiedenen Afrikas zu tun haben. Ein Afrika, das dem Untergang geweiht ist, ausgeblutet von offenen oder latenten Bürgerkriegen, und eines, das der Musterschüler der internationalen Einrichtungen ist, insbesondere der Finanzinstitutionen.

Jugendliche Veteranen

DAS erste Afrika fällt in die Zuständigkeitsbereiche des internationalen Krisenmanagements und der Humanitären Hilfe: „weiße“ oder „graue Zonen“, die nach dem „Modell der Warlords“7 funktionieren, also rechtsfreie Räume, in denen der nackte Überlebenskampf herrscht, Gebiete, die man besser meidet, in denen Milizen oder private Sicherheitsdienste8 florieren, in denen Schmuggel und Schwarzmarkt regieren, hier und da unterbrochen von „nützlichen“ Inseln – rund um Minen oder Plantagen, die die lokale Macht, ihre Klientel und ihre Kriege finanzieren. Bodenschätze, insbesondere Diamanten, waren der Anlaß für Konflikte in Angola, der Demokratischen Republik Kongo, in Liberia und Sierra Leone. Anderswo waren es Elfenbein (Angola, Mosambik) oder Drogen (Ruanda).

Wenn der Staat in den Schraubstock von Schulden und der vom IWF vorgeschriebenen Auflagen gerät und den Beamten keine Gehälter mehr zahlt, Schulen, Krankenhäuser und den öffentlichen Verkehr vernachlässigt, dann „ist der Krieg die Alternative für eine Friedenswirtschaft, die die Menschen nicht mehr ernähren kann: Die Kalaschnikow ist das beste Produktionsmittel.“9 Die Opfer der Landflucht, die jungen „Gelegenheitsarbeiter“ der städtischen Elendsviertel, liefern das Kanonenfutter für Bürgerkriege. Viele sind Kindersoldaten, die schon früh das Grauen kennenlernen, oft zwangsrekrutiert, wie etwa von der Lord's Resistance Army im Norden Ugandas: „Ein namenloses Verbrechen, das ganze Generationen ausgerottet hat.“10

Nach dem Zusammenbruch ihrer Armeen oder Milizen bleiben diese jugendlichen Veteranen meist sich selbst überlassen und werden zu Wegelagerern, die Reisende ausrauben (wie im vergangenen Januar auf der Rallye Paris-Dakar) oder Touristen ermorden (wie Anfang März im Naturschutzpark von Bwindi in Uganda). Es ist bezeichnend, daß das Söldnerwesen, traditionellerweise französisch-belgisch, später osteuropäisch, sich heute afrikanisiert: Hier sammeln sich Überlebende von Aufständen oder Bürgerkriegen in Gambia, Liberia und Sierra Leone, und ehemalige Soldaten der ruandischen Streitkräfte, der islamischen Legion Libyens, Veteranen der Tschad-Front oder Tuaregs bieten heute vor allem in Kongo- Kinshasa ihre Dienste an.

Daneben entsteht ein anderes Afrika, ein Musterknabe, von der Weltbank gehätschelt und von den Investoren hofiert: Unter der Lupe der Afrika-Optimisten werden einige „gut abgesteckte und gesicherte Entwicklungspole“11 sichtbar, die – wie etwa die Elfenbeinküste, Uganda und Botsuana – politische Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, gesunde makroökonomische Rahmenbedingungen, Abschaffung der „Bürokratenmentalität“, Förderung der Privatwirtschaft und schnelle Wirtschafts- und Sozialreformen zu verbinden trachten und mit diesem Programm viele neue Pole regionalen Wachstums schaffen wollen.

Und zwischen diesen beiden Afrikas liegt ein Sumpf von Ländern, wo es den Staat zwar noch gibt, er aber Gefahr läuft, durch Überbevölkerung, zunehmende Umweltzerstörung und schwindende Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen ins Chaos abzugleiten.

Der Generalsekretär der UNO wies in seinem Bericht über die Ursache von Konflikten und Maßnahmen zur Förderung von Frieden und stabiler Entwicklung in Afrika12 zwar auf den Einfluß der Waffenhändler oder ausländischer Interessen hin, betonte jedoch nachdrücklich „die Rolle gewisser afrikanischer Regierungen, die Konflikte bei ihren Nachbarn fördern und vertiefen“, und stellte fest, daß es sich bei den rund dreißig Kriegen, die seit 1970 den Kontinent erschüttert haben, in der Mehrzahl um interne Konflikte handelte; obwohl sie weltweit mehr als die Hälfte der Opfer von kriegerischen Auseinandersetzungen und über 8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gefordert hätten.

Zahlreiche Gründe können dafür angeführt werden: Exzessive Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Macht, die Korruption und Nepotismus begünstigte; die Weigerung der Führung, Rechenschaft abzulegen und den politischen Umschwung zu akzeptieren, insbesondere in den Ländern der frankophonen Einflußsphäre13 ; Mißachtung von Minderheiten oder, umgekehrt, die Monopolisierung der Macht durch spezifische (ethnische, religiöse, militärische etc.) Gruppen und das Fehlen eines effizienten Systems der politischen Repräsentation; unzureichende Kooperation dies- und jenseits willkürlich gezogener Grenzen mitten duch eine Ethnie; Konflikte um Grenzen, die noch aus der Kolonialzeit stammen, um den Zugang zum Meer, zu Erdöl oder anderen Bodenschätzen; überhöhte Militärausgaben, die schwierige Eingliederung ehemaliger Soldaten ins Zivilleben, unzureichende Kontrolle der Verbreitung von Waffen.

Doch müsse man sich vor der „optischen Täuschung“ hüten, warnen manche Beobachter. In etwa vierzig von dreiundfünfzig Staaten und in weiten Gebieten innerhalb kriegführender Länder herrscht Frieden. „Was zählt, ist dieses aktive Afrika“, wenngleich auch in manchen Zonen Unruheherde existieren, die allerdings „von geringer Bedeutung [sind] und nur wenige Menschen betreffen, bekämpft werden und daher befriedet werden können“14 .

Die Krise im „demokratischen“ Kongo, die Hungersnot im südlichen Somalia, der Sklavenhandel im Sudan, die verheerenden Auswirkungen der Korruption, der Diamanten- und Elfenbeinschmuggel, die katastrophale Situation fast des gesamten Bildungs- und Gesundheitswesens, die Auswirkungen der um sich greifenden Aidsepidemie15 , der Preisverfall bei den Rohstoffen (bei den meisten, auch beim Rohöl, der historische Tiefstand), die anhaltenden Kürzungen der Entwicklungshilfe16 , die nachlassenden Aktivitäten der regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) – all dies dürfe „das Wiederaufleben Afrikas nicht verdecken“17 .

So ließ sich bei einem Dutzend Staaten in den letzten Jahren eine Wachstumsrate von mindestens 5 Prozent feststellen; das Durchschnittseinkommen ist zwischen 1995 und 1997 bei mehr als 30 der 53 Staaten des Kontinents gestiegen. An der Spitze steht, trotz eines leichten Rückgangs in der letzten Zeit, Südafrika mit einem BIP von über 100 Milliarden Dollar; der Aufschwung der nordafrikanischen Ökonomien (einschließlich Ägyptens), einige „Wirtschaftswunder“ (wie die Insel Mauritius und Tunesien), und leistungsstarke Länder wie Botsuana, Uganda und Ghana.

Eine neue Generation von Führungskräften und Unternehmern ist in Afrika entstanden, ganz auf der Höhe der Globalisierung, in der englischen Sprache zu Hause und mit modernsten Kommunikationstechnologien vertraut – mitunter zur Marktwirtschaft bekehrte frühere Politiker oder Gewerkschafter, wie Cyril Ramaphosa in Südafrika18 . Die regionale Integration macht im Westen, im Süden und im Osten Fortschritte. Die Zahl der Partner steigt, mittlerweile haben die USA und Japan die Bühne betreten, während die ehemals „obligaten“ Beziehungen zu den früheren Kolonialherren an Bedeutung verlieren. Bestimmte Wirtschaftszweige „boomen“ in Afrika wie anderswo auch, so die Elektrizitätswirtschaft, die Informatik, die Produktion von Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik, die Telekommunikation, die Medien und der Tourismus. All das bindet den Kontinent, zum Guten und manchmal zum Schlechten, allmählich in den Prozeß der Globalisierung ein.

Eine Wiederbelebung findet aber auch im Bereich des Politischen statt. Es entstehen Netzwerke aus NGOs und Bürgerinitiativen, in der Stadt wie im Dorf haben die Bewohner selbst die Verantwortung für Sicherheit und Entwicklung übernommen, und so entsteht langsam eine „Zivilgesellschaft“. Die Reformen wurden in zahlreichen Staaten weiter vorangetrieben (häufig unter der Drohung des Westens, den Geldhahn abzudrehen): Wahlen, Transparenz, Zivilgesellschaft. Während auf dem ganzen Kontinent (einschließlich Nordafrikas) zwischen 1952 und 1989 ungefähr sechzig Staatsputsche registriert wurden, haben zwischen 1990 und 1993 sechzehn Staaten ein Mehrparteiensystem eingeführt und werden zweiundvierzig Staaten von Staatschefs regiert, die rechtmäßig gewählt oder wiedergewählt wurden, obwohl es sich bei manchen von ihnen um eine Spezies „aus der Urne geholter politischer Dinosaurier“19 handelt. Eine Rückkehr zu den Praktiken der sechziger Jahre ist ausgeschlossen. Die Zeit der Riesenpaläste und der „weißen Elefanten“ ist vorbei, „Einheitsparteien“, ordengespickte Uniformen und andere Scherze gehören der Vergangenheit an.

Das stärkste Symbol dieser Entwicklung ist Nelson Mandela, der aufgrund seiner langjährigen Gefängnishaft als Apartheidgegner weltweit zum Helden wurde. Mit den Präsidentschaftswahlen vom 2. Juni dieses Jahres endet seine fast makellose Amtszeit. In Nigeria haben die Militärs in den letzten Monaten dreimal Wahlen veranstaltet, aus den Präsidentschaftswahlen ging Olusegun Obasanjo am 1. März als Sieger hervor; und in diesem Monat werden die Militärs nach zehn Jahren chaotischer Zustände die Macht offiziell einer Zivilregierung übergeben. Die Wiederaufnahme dieses „afrikanischen Giganten“ in den Commonwealth ist geplant. In Algerien scheint die zermürbte Militärnomenklatura bereit, auf ihre Geschäftsgrundlage zu verzichten: die Monopolisierung der Macht im Namen einer unumstößlichen „historischen Legitimität“, der Befreiung des Landes. Auf diese drei Staaten entfällt fast ein Drittel der Bevölkerung des Kontinents, die Hälfte des BIP, ein Viertel der Bodenschätze, ein Fünftel der Erdölvorkommen.

Auch auf der Sicherheitsebene übernehmen es die afrikanischen Staaten zunehmend selbst, „jene einst vom Kalten Krieg überdeterminierten und heute nicht mehr von äußeren Mächten kanalisierten Konflikte“20 unter Kontrolle zu bringen: die Entsendung der westafrikanischen Friedenstruppen Ecomog21 nach Sierra Leone, Liberia und Guinea-Bissau; die Schaffung einer interafrikanischen Truppe unter der Schirmherrschaft der UNO in der Zentralafrikanischen Republik; die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), die sich um eine Lösung auf den Komoren bemüht und zwischen Äthiopien und Eritrea vermittelt.

Wilder Interventionismus

OBWOHL die Franzosen und noch entschiedener die Amerikaner nicht mehr die Rolle des „Afrikagendarmen“ spielen wollen22 , werden militärische Kooperationen teilweise mit westlicher Unterstützung durchgeführt. Unter der Bezeichnung Recamp (Renforcement des capacités africaines de maintien de la paix) praktiziert Paris eine neue Form militärischer Kooperation: Ausbildung von Truppen und Führungskräften (in diesem Jahr wird eine Schule in der Elfenbeinküste eröffnet); Bereitstellung von logistischem Material oder Kampfausrüstung vor Ort (eingesetzt z.B. bei dem westafrikanischen „Guidimakha“-Manöver im März 1998 im Senegal und bei den Operationen zur Friedenssicherung im Konflikt zwischen Zentralafrika und Guinea-Bissau).

Die Vereinigten Staaten bilden unter dem Etikett ACRI (African Crisis Response Initiative) Freiwilligenkorps verschiedener Staaten aus, darunter aus Mali, Malawi, Uganda und Senegal, zudem beteiligten sich amerikanische Truppen im vergangenen April an Manövern der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SADC).

Ohne auf Hilfe und Mandate zu warten, schreiten die afrikanischen Staaten immer häufiger selbst ein: Sieben Staaten haben Truppen in Kongo-Kinshasa stationiert, sowohl zur Unterstützung von Präsident Kabila als auch der Rebellen in der Kivu- Region; die angolanische Armee ist dem Präsidenten Sassou Nguesso von Kongo- Brazzaville zu Hilfe geeilt; die Armeen von Senegal und Guinea waren in Guinea- Bissau zur Stelle, bis sie von der Ecomog abgelöst wurden, hinter der man die dominante Rolle und die politischen Ambitionen Nigerias in der Region erkennen kann; Tansania hat sich auf diplomatischer Ebene für den Wirtschaftsboykott und die Friedensverhandlungen in Burundi stark gemacht.

Diese Aktionen sind jedoch nicht ungefährlich: Staaten kommen in Versuchung, sich wie Söldner zu verkaufen. So entsandten der Tschad und Simbabwe nur auf Beschluß ihrer Präsidenten Expeditionskorps in Länder, mit denen sie nicht einmal eine gemeinsame Grenze verbindet. Manche Operationen, wie etwa in Kongo- Brazzaville, arten zu inneren Polizeiaktionen im Dienste eines befreundeten Staatschefs aus (wie man dies lange Zeit zu Recht den französischen Militärinterventionen vorgeworfen hatte). Und die westafrikanische Ecomog, die einzige „offizielle“ Interventionstruppe der Region, wird aufgrund des disproportionalen Einflusses von Nigeria oft als „Prototyp eines schlechten Beispiels“ angeführt23 .

Im März 1998 begrüßte der US-amerikanische Präsident Bill Clinton anläßlich seiner ersten Rundreise auf dem Schwarzen Kontinent „den konstruktiven Geist“ der Staaten der „afrikanischen Renaissance“, seiner neuen Verbündeten vor Ort; doch bereits einige Monate später waren die meisten von ihnen schon wieder in Kriege verwickelt. Die Devise „Eine afrikanische Lösung für afrikanische Probleme“, so der frühere mauretanische Minister Ahmedou Ould Abdallah, „verhüllt nur notdürftig das fehlende westliche Militärengagement und darf nicht den Weg für Einmischung ohne demokratische Kontrolle ebnen“.

Die in Addis Abeba beheimatete OAU konnte weder den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea verhindern, noch war sie in der Lage, die Truppen bereitzustellen, mit denen sie den Frieden in Kongo-Kinshasa wiederherstellen wollte. Ihr ehrgeiziger „Mechanismus zur Prävention, Bewältigung und Lösung von Konflikten“ ist mangels politischen Entscheidungs- und Umsetzungsvermögens eine Worthülse geblieben. Die panafrikanische Organisation ist genauso wie die UNO, deren Rückzug aus Angola eine gewaltige Niederlage bedeutet, auf die wenig glorreiche Rolle reduziert, für militärische oder diplomatische Initiativen, die sie selbst nicht steuern kann, Etiketten und Mandate zur nachträglichen Legitimation zu liefern.

dt. Andrea Marenzeller

* Journalist bei Radio France Internationale.

Fußnoten: 1 Mit dem Kaiser von Äthiopien, dem südafrikanischen Apartheid-Regime oder der Regierung von Marschall Mobuto Sésé Séko in Zaire. 2 In Afrika stellt der Granatwerfer die am häufigsten eingesetzte Form der schweren Waffen dar. 3 Nach dem im Norden gelegenen Somaliland hat auch der im Mittel- und Westteil gelegene Staat Puntland seine Unabhängigkeit ausgerufen. Website im Internet: www.puntlandnet.com. 4 Albert Bourgi, Jeune Afrique, 16. Februar 1999. 5 Eine Haltung, die in den von François-Xavier Verschave verfaßten „Billets d'Afrique et d'ailleurs“ bekämpft wird, Lettre mensuelle de l'association Survie, 57, avenue du Maine, 75014 Paris. 6 Bechir Ben Yahmed, „Il faut boycotter les va-t-en-guerre“, Jeune Afrique, 16. Februar 1999. 7 Serge Michailow, Leiter der Zentralafrikaabteilung der Weltbank, während eines Kolloquiums über „Die neue französische Afrikapolitik“ in der französischen Nationalversammlung, 25. November 1998. 8 Air France hat, wie auch andere ausländische Fluggesellschaften, ein Abkommen mit einer privaten Gesellschaft abgeschlossen, die für die Sicherheit der Passagiere bei Zwischenlandungen in Afrika garantiert. 9 Stephen Smith, „L'Afrique aux Africains... en armes“, Libération, 29. November 1998. 10 Dossier von L'Autre Afrique, 10. Februar 1999. 11 Antoine Glaser, La Lettre du continent, Januar 1999. 12 Der Bericht wurde dem Sicherheitsrat am 16. April 1998 vorgelegt. 13 Zu den zahlreichen problematischen Ländern zählen Guinea, Dschibuti, die Zentralafrikanische Republik, Tschad, Togo, Niger, Kamerun und sogar die Elfenbeinküste, wo die gegenwärtig amtierende Regierung bestrebt ist, die Kandidatur des früheren Premierministers Alassane Ouattra bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 zu verhindern, indem sie zum richtigen Zeitpunkt einen eigens zu diesem Zweck geschaffenen Artikel in die Verfassung hineingeschrieben hat. 14 Bechir Ben Yahmed, Jeune Afrique, 7. Februar 1999. 15 Knapp zwei Drittel der HIV-infizierten auf der ganzen Welt leben in Schwarzafrika. 1998 starben zwei Millionen Afrikaner an Aids, ein Viertel davon waren Kinder. 16 Das Komitee für Entwicklungshilfe der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte fest, daß die G-7-Länder, also die reichsten Mitgliedsländer und Hauptbeitragszahler, ihre Beiträge zur Entwicklungshilfe seit 1992 um 30 Prozent gesenkt haben. Laut Bericht von Yves Tavernier befindet sich die öffentliche, bilaterale Entwicklungshilfe Frankreichs in freiem Fall: den 24 Milliarden Franc von 1994 stehen 16 Milliarden Franc 1999 gegenüber. 17 Ahmedou Ould Abdallah, Sekretär der Coalition mondiale pour l'Afrique, Libération, 29. Januar 1999. 18 Jeune Afrique Economie, 15. Februar 1999. Siehe auch „Die schwarzen Bosse des Goldes“, Le Monde diplomatique, Mai 1998. 19 Martine-Renée Galloy und Marc-Eric Gruénais, „Afrika holt seine Diktatoren aus der Urne“, Le Monde diplomatique, November 1997. 20 Stephen Smith, op. cit. 21 Ecowas Cease-Fire Monitoring Group. 22 Der einzige Einsatz von Bodentruppen – in Somalia – erwies sich als totaler Mißerfolg. 23 Jean-Baptiste Placca, L'Autre Afrique, 18. Februar 1998.

Le Monde diplomatique vom 14.05.1999, von PHILIPPE LEYMARIE