Wer entwaffnet die Unita?
ANFANG der neunziger Jahre schien sich mit dem Ende des Kalten Krieges die Aussicht auf die Lösung eines Konfliktes zu eröffnen, der wie kaum ein anderer vom Ost-West-Gegensatz geprägt war. Fünfzehn Jahre lang hatte zwischen der Regierung in Luanda und der Unita (Nationale Union für die vollständige Unabhängigkeit Angolas) ein Krieg gewütet. Mit dem Friedensabkommen von Lusaka (1994) hatte die UNO, indem sie die militärische Seite des Konflikts gegenüber der politischen unterschätzte, dem zwielichtgen Spel der bewaffneten Opposition Vorschub geleistet und damit kläglich Schiffbruch erlitten. Während der Krieg von neuem aufflammt, sieht das ausgeblutete Land neuen Versorgungsproblemen und einer Hungersnot entgegen.
Von AUGUSTA CONCHIGLIA *
Im Rahmen einer bescheidenen Zeremonie hat sich die Beobachtermission der Vereinten Nationen in Angola (Monua) am 20. März 1999 endgültig von der ehemaligen portugiesischen Kolonie verabschiedet. Der von der Regierung gewünschte Abzug der Monua erfolgt vor dem Hintergrund des seit Dezember 1998 mit beispielloser Härte neu entflammten Bürgerkrieges, in dem sich die Regierung und die Nationale Union für die vollständige Unabhängigkeit Angolas (Unita) gegenüberstehen.1 „Ausgerechnet während der Ausarbeitung des Protokolls für das Friedensabkommen von Lusaka hat Jonas Savimbi seine Militärkapazitäten ausgebaut, um einen neuen, noch umfassenderen Krieg anzuzetteln“, erklärt der angolanische Präsident José Eduardo Dos Santos. „Unter diesen Umständen hat sich die Monua mit ihrem Überwachungsauftrag völlig kompromittiert. Sie hat nicht nur nichts mehr zu überwachen, sie wäre auch außerstande, ihre Tätigkeit in den von der Unita kontrollierten Gebieten auszuüben.“2
Die UNO hatte den Rückzug der südafrikanischen und kubanischen Armee- Einheiten aus Angola beaufsichtigt, der im Dezember 1988 gleichzeitig mit der Unabhängigkeit Namibias beschlossen worden war3 . Anschließend erhielt sie das Mandat, die Einhaltung des 1991 in Bicesse (Portugal) unterzeichneten Friedensabkommens zu überwachen. Das unter der Schirmherrschaft einer „Troika“ aus Vereinigten Staaten, Rußland und Portugal erzielte Abkommen sah die Abhaltung allgemeiner Wahlen vor. Zuvor sollten die Unita- und Regierungstruppen demobilisiert und eine nationale Armee aufgebaut werden, der Soldaten aus beiden Lagern angehören sollten.
Trotz zahlreicher warnender Stimmen hat die Überprüfungsmission der Vereinten Nationen in Angola (Unavem) damals befunden, die Bedingungen für die Durchführung der ersten freien Wahlen in diesem Land seien gegeben. Wenige Stunden nach offizieller Bekanntgabe seiner Wahlniederlage zog Jonas Savimbi im November 1992 seine Generäle aus der Nationalen Armee zurück und eröffnete eine beispiellose Offensive. Tausende Kämpfer kamen aus dem Busch und brachten innerhalb weniger Monate zwei Drittel des Territoriums unter ihre Gewalt.
Margaret Anstee, die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretariats, beklagte damals den eklatanten Mangel an Interesse seitens der internationalen Staatengemeinschaft an Angola, diesem „Waisenkind des Kalten Kriegs“4 . Der Unavem standen zur Bewältigung ihrer enormen Aufgabe, Hunderttausende Kämpfer zu demobilisieren, nur einige hundert Personen zur Verfügung. 1994 zog die UNO im sambischen Lusaka die Lehre aus dieser bitteren Erfahrung: Man beschloß die Finanzierung einer knapp achttausend Personen starken Beobachtermission (Unavem III). Diese wurde nach einem Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juni 1997 durch die Monua abgelöst.5
Das Friedensabkommen vom 20. November 1994, das persönlich zu unterzeichnen sich Jonas Savimbi allerdings weigerte, war unter günstigen Vorzeichen zustande gekommen. Die USA hatten nach Jahren der offenen Feindseligkeit gegenüber dem „marxistischen“ Regime in Luanda und der bedingungslosen Unterstützung der Unita immer stärker freundschaftliche Signale an die Regierung von José Eduardo Dos Santos ausgesandt und im Mai 1993 schließlich diplomatische Beziehungen mit Luanda aufgenommen. Aber auch die angolanische Regierung hatte einen Wandel vollzogen und sich zu marktwirtschaftlichen Prinzipien bekannt. Nach einem Krieg, der das Land verwüstet und ausgeblutet zurückließ, hoffte man auf Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Vereinigten Staaten. Doch die Finanzhilfe blieb ebenso aus wie der entschiedene Druck auf die Unita, den Washington auszuüben versprochen hatte.
Obwohl UNO-Generalsekretär Kofi Annan keinerlei Zweifel daran hatte, daß die Unita die Hauptverantwortung für das Scheitern des Friedensprozesses trägt, kritisierte er mit Blick auf die angolanische Regierung „einen Mangel an politischer Toleranz und die unzureichende Bereitschaft, sich auf ein verpflichtendes Abkommen mit der Gegenseite einzulassen“6 .
Dennoch zielte die politische Intoleranz der Regierung, die vor allem die eigenen Mitglieder trifft, zumindest bis vergangenen Sommer nie gegen die Rebellenorganisation. Auf Anraten der drei Garantiemächte des Friedensabkommens, allen voran die Vereinigten Staaten, sowie der UNO waren der Unita unzählige Konzessionen eingeräumt worden. Sie betrafen sowohl die Durchführungsbestimmungen als auch die permanent verzögerte Umsetzung des Friedensabkommens. Vor allem verhandelte die Regierung mit Savimbi scheinbar endlos über die Definition eines Sonderstatus, bis man sich auf einen Entwurf zur Verfassungsänderung geeinigt hatte, der die Schaffung des Postens eines Vizepräsidenten ermöglichte – bis der Unita-Chef den Entwurf wenige Monate später wieder zurückwies. Die Regierung zeigte sich äußerst entgegenkommend und ging auf die meisten Forderungen Savimbis ein, inklusive jener nach vierhundert Leibwächtern.
Die zwei Zungen Savimbis
BEDEUTSAMER war die Bereitschaft, mit Mitgliedern der Unita im April 1997 eine „Regierung der Nationalen Einheit und Versöhnung“ zu bilden, bevor die Rebellenbewegung auch nur einen Fußbreit des riesigen, mit blutigen Waffengängen eroberten Gebietes aufgegeben hatte – obwohl das Abkommen von Lusaka vorsah, daß zuvor im gesamten Land die staatliche Autorität wiederhergestellt werden müßte. Im März 1998 wurde die Rebellenbewegung als „zivile“ Partei anerkannt, nachdem sie zum zweiten Mal seit 1994 feierlich ihre „vollständige Entwaffnung“ verkündet hatte. Sie erhielt die Erlaubnis, ihre politischen Aktivitäten wieder aufzunehmen und in Luanda ihren Parteisitz zu eröffnen. Doch zur Einweihung der dafür vorgesehenen Räumlichkeiten kam es nicht.
Die Unnachgiebigkeit der Unita war um so beunruhigender, als von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen wurde, daß sie sich erneut militärisch zu etablieren begann, vor allem in Bailundo im Zentrum des Landes, achtzig Kilometer von Huambo entfernt. Doch weder die angolanische Regierung noch die drei Garantiemächte schienen bereit, dieses doppelte Spiel aufzudecken, auch auf die Gefahr hin, die Umsetzung des Friedensabkommens zu gefährden.
So erhob die Monua nie formellen Protest dagegen, daß den „Blauhelmen“ der Zugang zu den von der Unita kontrollierten Flughäfen verwehrt wurde, obwohl diese Behinderung vom Sicherheitsrat im Oktober 1997 verurteilt wurde.7 Die Mission der UN-Truppe beschränkte sich darauf, die zeitweise über hundert Flüge pro Monat in Richtung der Rebellenstützpunkte zu registrieren. Die UNO veröffentlichte auch nicht die Ergebnisse der Untersuchung über den Absturz des Flugzeuges, das im Juni 1998 den Sondergesandten des UN-Generalsekretärs, Alioune Blondin Beye, nach Abidjan bringen sollte. Auch die Erstgutachten über den Abschuß zweier UNO-Flugzeuge über von der Unita kontrolliertem Gebiet im Dezember 1998 und im Januar 1999 wurden der Öffentlichkeit vorenthalten.8
Ohne ihre Verärgerung über Savimbi zu verhehlen, war die angolanische Regierung lange davon überzeugt, daß es keine Alternative zum Friedensabkommen gebe, so unzulänglich dieses auch sei. Dafür wurde sie von der Öffentlichkeit heftig kritisiert, und auch von einem Teil der Führung der Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA), aus der sie hervorgegangen war. Für diese Kritiker war nicht einzusehen, warum einer Bewegung so viele Konzessionen eingeräumt wurden, die für die Zerstörung von zwei Dritteln der Infrastruktur des Landes verantwortlich ist, für die Hunderttausende Opfer in der Zivilbevölkerung und die Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, die seit 1992 in Angola zu beklagen sind.
Im Juni 1998 war trotz der zahlreichen Drohungen und Aufforderungen des UN- Sicherheitsrates die Situation völlig blockiert. Die Unita behinderte nicht nur die Normalisierung der Lage in Bailundo und Andulo, sie nahm erneut zahlreiche Ortschaften ein, brach immer öfter die im November 1994 vereinbarte Waffenruhe und attackierte Polizeistationen. Die vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionen blieben im wesentlichen wirkungslos, obwohl man sich wiederholt bemühte, die Überwachungsmechanismen zu verstärken.9 Jonas Savimbi konnte, unter anderem mit Hilfe verschiedener afrikanischer und europäischer Händlernetze, seine lukrativen Diamantengeschäfte weiter betreiben; diese hatten ihm binnen weniger Jahre mehrere Milliarden Dollar eingebracht, mit denen er seine Kriegsvorbereitungen finanzierte.10
Als im August 1998 die Krise im ehemaligen Zaire ausbrach, war der Bruch zwischen Regierung und Unita endgültig besiegelt. Luanda befürchtete ein politisches Vakuum, das mit dem Sturz der Regierung von Laurent-Désiré Kabila durch die von Uganda und Ruanda unterstützten Rebellen entstehen könnte, und entschloß sich, zugunsten von Kabila einzugreifen. In der angolanischen Hauptstadt zirkulierten widersprüchliche Informationen über die zwielichtige Rolle, die Jonas Savimbi in diesem Konflikt spielte. Man sprach von einer militärischen Allianz – entweder mit Mobuto-Anhängern und den ehemaligen Bewaffneten Streitkräften Ruandas (FAR) oder mit den kongolesischen Aufständischen und Uganda –, mit der sich die Unita an die Spitze einer „Destabilisierungszentrale“ in der Region zwischen den Großen Seen und dem Atlantik gestellt habe.
Am 4. September 1998 brach Luanda entgegen der Empfehlung der Monua, die nach wie vor für einen Dialog eintrat, endgültig jeden Kontakt zur Unita ab. Im Anschluß an die erfolgreiche Militärintervention in Bas-Kongo, durch die der Vormarsch der Kabila-Gegner auf Kinshasa gestoppt wurde, beschloß die angolanische Regierung, die Bastionen der Unita gewaltsam zurückzuerobern. Doch bevor die Bewaffneten Angolanischen Streitkräfte in Aktion treten konnten, hatten Savimbis Rebellen mit Hilfe eines phänomenalen Arsenals ebenso teurer wie wirkungsvoller Waffen, die mit tatkräftiger Unterstützung internationaler und regionaler Kräfte nach Angola gelangt waren, eine massive Gegenoffensive gestartet. Vor allem konnte die Unita zahlreiche russische Panzer vom Typ T-55 einsetzen, die mit Kanonen von großer Reichweite bestückt sind.
Nachdem sie die Regierungsarmee zurückgedrängt hatte, versuchte Savimbis Armee sogar, die beiden Städte Huambo und Kuito im Landesinneren zu erobern, was ihr aber trotz wochenlanger Beschießung mit Artillerie nicht gelang. Seither haben sich die Kampfzonen nach Norden und Nordwesten erweitert und Malange, Uige und die Erdölprovinz Zaire erreicht.
Die Unita ließ ihre Maske fallen: In Wirklichkeit hatte es weder eine Demobilisierung noch eine Entwaffnung gegeben. Die Monua hatte ihr die Aufgabe erleichtert, indem sie den politischen Aspekten des Friedensabkommens Vorrang gegenüber den militärischen Fragen eingeräumt hatte. Immerhin war es der Mission gelungen, die Unita zu spalten und Jonas Savimbi vom Großteil seiner Kader zu isolieren. Die waren am Ende froh, einen despotischen und grausamen Führer loszuwerden, der nicht davor zurückschreckte, die Familien seiner Offiziere zu bedrohen, um sich diese gefügig zu machen.11
Am 2. September 1998 gründeten mehrere wichtige Persönlichkeiten der Rebellenbewegung, die zum Teil Abgeordneten- oder Ministerämter ausüben – wie der amtierende Vizeminister für Verteidigung, Demostenes Chilingutila –, die „Erneuerte Unita“, deren erste Entscheidung der Ausschluß von Jonas Savimbi war. Diese Unita Renovada wird von Luanda als alleiniger offizieller Gesprächspartner anerkannt. Dagegen ist der Einfluß des historischen Rebellenführers Savimbi auf die ihm blind ergebenen Truppen nach wie vor ungebrochen.
Angesichts der Entschlossenheit der Rebellen, die offenbar noch nicht einmal ihr gesamtes Militärpotential aufgedeckt hatten12 , ließ sich die angolanische Regierung in einen Rüstungswettlauf hineinziehen. Die Regierungsarmee hatte sich übrigens ein Jahr zuvor über ihre Ausrüstungsmängel beklagt, nachdem es die zu sehr auf das Friedensabkommen vertrauende Regierung versäumt hatte, ein schlüssiges Konzept für die Modernisierung der militärischen Ausrüstung und eine krisentaugliche Logistik auszuarbeiten. Zwar hat die Regierung gigantische Summen für Waffenkäufe ausgegeben, doch angolanische Offiziere beklagen, daß man zuwenig auf Qualität geachtet habe. Die Korruption, die den Staat zu zersetzen droht, könnte sich angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise, der schwersten in der angolanischen Geschichte, als Achillesferse der Regierung erweisen. Während das Land immer tiefer im Konflikt versinkt und die Trockenzeit bevorsteht, stellt man sich in Angola die bange Frage, ob dem Land womöglich ein „dreißigjähriger Krieg“ bevorsteht.
dt. Birgit Althaler
* Journalistin