13.08.1999

Politischer Berater – ein Metier ohne Grenzen

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Politischer Berater – ein Metier ohne Grenzen

Von SERGE HALIMI

OB in Argentinien oder Estland, in Israel oder Großbritannien: Das Geschäft der Politikberatung westlichen Stils ist ein expandierendes Gewerbe, das von einigen US-amerikanischen Berühmtheiten monopolisiert wird. Während inhaltslose Wahlkämpfe zur Regel werden, die politischen Parteien immer mehr verkümmern und der Einfluss des Geldes und des Wahlmarketings ständig zunimmt, geht die Wahlbeteiligung zurück. All diese Entwicklungen sind nicht unbeeinflusst von der Ausbreitung einer Auffassung, in der sichrechte wie linke „Modernisierer“ einig sind: einer Ideologie der „goldenen Mitte“, in der die Regeln der Marktwirtschaft als gegeben vorausgesetzt sind.

Der Lebenslauf von Sidney Blumenthal zeichnet sich nicht unbedingt durch Geradlinigkeit aus. Als junger Journalist hatte er einen „neuen Machtfaktor in der US-amerikanischen Politik“ entdeckt: Die Public-Relations-Berater fungieren „dauerhaft“, die Mandatsträger nur „vorübergehend“. Blumenthal hatte auch darauf hingewiesen, dass diese Strategen bemüht sind, den Anteil der durch politisches Marketing beeinflussbaren Wechselwähler zu erhöhen; sie hätten also ein Interesse daran, den Profilverlust der politischen Parteien und die Abschwächung der Wählerbindung zu befördern; zudem übertrieben sie die Bedeutung von kleinen, rein symbolischen Querelen, um die Masse einer entpolitisierten Wählerschaft leichter manipulieren zu können. Als unerbittlicher Kritiker der „Meinungsherrschaft“ prangerte Blumenthal überdies die Beeinflussung der Politik durch Meinungsumfragen an und beklagte, dass die Mandatsträger zunehmend in den Strudel eines „permanenten Wahlkampfs“ gerieten.1 Das war vor etwa zwanzig Jahren.

Der Mister Blumenthal, der uns heute im Weißen Haus empfängt, ist ein völlig anderer. Er ist ein einflussreicher Mann geworden: Berater des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Freund des britischen Premiers Anthony Blair und Vordenker des sogenannten Dritten Wegs à la Clinton-Blair. In seinem kleinen Büro hängt eingerahmt die Schlagzeile der Washington Post, die den Freispruch des amerikanischen Präsidenten durch den Senat verkündet; daneben posiert auf einem Foto der lächelnde Clinton neben dem ebenfalls lächelnden britischen Premierminister. In flüssiger Funktionärssprache verkündet Blumenthal (unaufgefordert) die amtlichen Propagandaformeln: Der Präsidentenberater praktiziert heute als Full-Time-Job, was der Autor des Buches „The Permanent Campaign“ vor zwanzig Jahre angeprangert hatte.

Inzwischen hat sich das von ihm analysierte Modell weltweit durchgesetzt. Die vier wichtigsten „Berater“ der beiden Präsidentschaftskampagnen von Clinton – das Trio von 1992 (James Carville, George Stephanopoulos, Stanley Greenberg) und der Solist von 1996 (Richard Morris) –, aber auch Arthur Finkelstein, der Berater mehrerer republikanischer Parlamentarier, haben ihre Tätigkeit internationalisiert. In den letzten Jahren haben sie ihre Strategien diversen Politikern aus Brasilien, Honduras, Griechenland, Ecuador, Panama, Südafrika, Großbritannien und Deutschland angedient. 1999 sind Beraterdienste in Israel und Argentinien hinzugekommen. In beiden Ländern hat jeder der beiden großen politischen Blöcke (Arbeitspartei und Likud in Israel, Peronisten und Radikale in Argentinien) amerikanische Berater angeheuert, die sich auf dem jeweiligen „Terrain“ kaum auskennen. Für Blumenthal ist das kein Problem: „Ihre professionellen Techniken lassen sich für jedes beliebige Ziel und an jedem beliebigen Ort einsetzen. Auf das Programm oder den Kandidaten kommt es dabei kaum an.“

Auf den Kandidaten kommt es kaum an? In der Tat! Richard („Dick“) Morris und George Stephanopoulos berichten in ihren Memoiren mit rührender, aber zugleich höchst erhellender Offenheit über ihre Sondierungsversuche bei den politischen Klienten, von denen sie sich am ehesten ein „Ticket zum Gipfel“ versprachen.2 So hoffte Stephanopoulos 1992 ursprünglich, einen linken Demokraten zu beraten, der gegen die Todesstrafe, gegen die Mittelamerika-Politik der Reagan-Regierung und gegen den Golfkrieg war. Am Ende entschied er sich, mit Clinton einem Südstaaten-Gouverneur zu dienen, der die Contras in Nicaragua und den Golfkrieg unterstützt hatte und nicht davor zurückschreckte, in seinem Heimatstaat Arkansas einen Geisteskranken hinrichten zu lassen, um im entscheidenden Augenblick seiner Kampagne ein paar zusätzliche Stimmen zu ergattern. Stephanopoulos' Wunsch, „in den kleinsten Kreis des inneren Zirkels aufgenommen zu werden“3 , war stärker gewesen als seine Skrupel.

Freilich, wenn „es auf den Kandidaten kaum ankommt“, müssen alle zumindest in etwa dieselbe Sprache sprechen. Vor drei Jahren schrieb der Journalist E. J. Dionne: „Opportunismus führt zu Konsens. Jedes Lager versucht, dem Gegner die besten Phrasen zu klauen. Bei dem Tempo, mit dem die beiden großen politischen Parteien in den USA sich einander annähern, könnte man meinen, dass sie beide gleichzeitig von Dick Morris beraten werden.“4 Tatsächlich hatte kein Berater zwischen 1994 und 1996 so viel Einfluss auf den derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten wie Dick Morris. Und der war auch noch ein Republikaner und hielt, während er die Kampagne zur Wiederwahl Clintons organisierte, ständigen Kontakt zu dessen Herausforderer Robert Dole.5 „Vielleicht war es für die Demokratische Partei an der Zeit, ihre ideologische Reinheit über Bord zu werfen, um ihr Wählerpotential zu erhöhen.“ Diese Überlegung von Stephanopoulos hat mittlerweile nahezu universelle Geltung gewonnen, wobei sie besonders bei den „linken“ Parteien ankommt. Das erklärt, warum US-amerikanische Techniken und Berater heute überall auf der Welt anzutreffen sind. Dabei führt der Experte aus den USA dort, wo er andockt, durchaus keine andere Art des Politikmachens ein. Vielmehr dockt er nur dort an, wo sich die Politik dem „amerikanischen Modell“ bereits ein wenig angenähert hat.

Der Begriff ist im Übrigen ungenau: Dieses „Modell“ hat durchaus nichts gegen gewisse Anleihen. 1996 forderte Morris (der später auch Blair und Schröder beraten sollte) Präsident Clinton bekanntlich auf, die populärsten Ideen der Republikaner aufzugreifen (Law and Order, Kontrolle der Sozialausgaben), um die Rechte in die Flucht nach vorne zu treiben und sie damit bei gemäßigteren Wählern zu diskreditieren.6 Die Idee für einen solchen Ansatz – von Morris als „dritter Weg“ bezeichnet – stammt jedoch ursprünglich aus Frankreich, wie Morris schreibt: „Die Strategie, die Clinton und ich Ende 1994 entwickelten, orientierte sich an dem Wahlkampf Mitterrands gegen Chirac 1986. Ich hatte in den achtziger Jahren mit Mitgliedern des Chirac-Teams zusammengearbeitet. Es war einfach grandios, wie Mitterrand ihn schlug. Anstatt die unmittelbare Konfrontation mit Chirac zu suchen, ließ Mitterrand zu, daß der Präsident den größten Teil dessen, was [nach 1981] nationalisiert worden war, wieder privatisierte. Er trieb die Umsetzung des Chirac-Programms beschleunigt voran, um – wie ich Clinton erklärte – die Frustrationen zu beschwichtigen, die 1986 zum Sieg der Rechten geführt hatten. So gelang es ihm, diese Themen aus der öffentlichen Diskussion auszuklammern. ,Und Chirac verlor 1988‘, fügte der Präsident hinzu.“7 Eine Metapher bringt die Taktik auf den Punkt: Man muss „die Woge ans Ufer schwappen lassen, um ihr die Kraft zu nehmen.“

Dass amerikanische Berater so gefragt sind, resultiert zwar auch aus der Entwicklung neuer Kommunikationstechniken, die den Einsatz der besten Spezialisten erfordern, in erster Linie jedoch aus grundsätzlichen politischen Gegebenheiten. Das Wall Street Journal analysiert diesen Umstand denn auch mit fast rührendem Vergnügen: „Das Ende des Kalten Kriegs und die damit einhergehende Ausbreitung von Demokratie und Marktwirtschaft haben bewirkt, daß sich die politischen Koordinaten in die Mitte verschoben haben, wie es in den Vereinigten Staaten schon lange der Fall ist. Das Ergebnis ist, dass die Wahlkämpfe im Ausland in Stil und Inhalt denen in Amerika immer ähnlicher werden. So wie der freie Warenaustausch und die Öffnung der Kapitalmärkte eine Ökonomie im Weltmaßstab hervorgebracht haben, so orientiert sich das politische Leben von kulturell höchst unterschiedlichen Ländern zunehmend an dem, was Präsident Clinton die ,unausweichliche Logik der Globalisierung‘ nennt.“8

„Die Fragen sind überall dieselben“

SERGIO BENDIXEN, ein US-amerika-  nischer Berater peruanischer Herkunft, der abwechselnd lokale Kampagnen in den USA und Präsidentschaftskampagnen in Lateinamerika organisiert, ergänzt die Analyse des Wall Street Journal aus eigener Erfahrung: „Die wesentlichen sozialen und politischen Fragen sind in den verschiedenen Ländern dieselben. Die Diskussion spielt sich in einem immer engeren Rahmen ab. Und wir Amerikaner sind Experten für Kampagnen, in denen es nicht um große Inhalte geht.“ Solche Art von Ironie kommt bei Sidney Blumenthal nicht gut an: „Selten war der Unterschied zwischen den Parteien so groß wie heute. Die Republikaner haben ihre Positionen nach dem Ende des Kalten Kriegs erheblich verschärft, sie schrecken nicht einmal vor Ausländerfeindlichkeit oder einem neuen Isolationismus zurück. Auch anderswo haben die traditionellen konservativen Gruppierungen das Zentrum aufgegeben. Die Behauptung, Präsident Clinton habe Vorstellungen der Republikaner wieder aufbereitet, lehne ich kategorisch ab. Er hat sich an der Realität orientiert, den ideologischen Horizont neu abgesteckt und eine völlig neue Gleichung aufgestellt.“ Heißt das, anders ausgedrückt, nicht, dass die „Linke“ in erster Linie den politischen Boden bearbeiten muss, den die Rechte brachliegen läßt?

Diese Gleichung ist zwar alles andere als „völlig neu“, scheint aber dennoch universelle Gültigkeit zu erlangen. Doch bestimmte konservative Gruppierungen versuchen weiterhin, ihr angestammtes Terrain zu verteidigen. So versuchte in El Salvador der Präsidentschaftskandidat der Republikanisch-Nationalistischen Allianz (Arena), Francisco Flores, das Image einer Partei zu modernisieren, die durch ihre Nähe zur extremen Rechten und die Erinnerung an die Todesschwadrone kompromittiert war. Zu diesem Zweck engagierte er einen Berater der Demokraten aus North Carolina, der sich bereits in Australien, in Malta, in Schweden und der Ukraine betätigt hatte. Flores: „Als es mir gelungen war, Phil Noble für unseren Wahlkampf zu gewinnen, wusste ich, dass unser Sieg in den Bereich des Möglichen gerückt war.“ Doch gegen den Arena-Kandidaten, den Phil Noble „auf die neuen Realitäten der Weltwirtschaft vorbereiten“ wollte, hatte auch die salvadorianische Linke (FMLN) einen amerikanischen Berater engagiert. Die beiden Parteien, die sich einige Jahre zuvor noch bewaffnete Kämpfe geliefert hatten, rivalisierten jetzt darum, dasselbe politische Terrain zu besetzen. Das Wall Street Journal berichtet: „Es folgte eine Art von Kampagne, die amerikanische Wähler mühelos verstehen würden. Der Kandidat des FMLN, Facundo Guardado, ein ehemaliger Guerilla-Kommandant, gab sich ein gemäßigtes Image und versprach, die neoliberalen Reformen, wie etwa die Privatisierung der staatlichen Industrien, nicht anzutasten. In einem seiner Fernsehspots erklärte er: ,Die Zukunft von El Salvador liegt weder links noch rechts, sie liegt in echten Lösungen.‘ Flores hatte freilich nicht die Absicht, seinem Gegner das Monopol auf die Mitte des politischen Spektrums zu überlassen. Deshalb vermied er jede Polemik und trat im Namen einer ,Neuen Allianz‘ auf. Außerdem bemühte er sich, auch diejenigen zu beruhigen, die vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossen geblieben waren. In einem Interview erklärte er: ,Wenn die Märkte die Lokomotive des Fortschritts sind, dann muss der Staat dafür sorgen, dass jeder auf den Zug aufspringen kann.‘“9 Den Wahlkampf im vergangenen März entschied Francisco Flores für sich.

Dass US-Berater in lateinamerikanische Wahlkämpfe involviert sind, ist keineswegs neu. 1978 war David Garth, einer der brillantesten aus der Riege, von allen drei Kandidaten für das Amt des venezolanischen Staatspräsidenten angefordert worden. Er entschied sich für den Christdemokraten Luis Herrera Campins, den Herausforderer des sozialdemokratischen Amtsinhabers Carlos Andrés Perez, der sich fünf Jahre zuvor Joe Napolitan, einen weiteren prominenten US-amerikanischen Berater, zu Hilfe geholt hatte.

Ob all dies wirklich zur Ausbreitung der Demokratie in der Welt beiträgt? Joe Napolitan zumindest hat nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen: Carlos Andrés Perez wurde später wegen Unterschlagung öffentlichen Eigentums verurteilt und abgesetzt; auch der philippinische Präsident Ferdinand Marcos, ein weiterer seiner ausländischen Klienten, präsentierte sich nicht gerade als untadeliges Staatsoberhaupt. In Afrika wiederum hat der Franzose Jacques Séguéla, vor allem bekannt durch seine Kampagnen für François Mitterrand, Politikern beigestanden, die alles andere als honorige Demokraten sind: den Präsidenten Omar Bongo (Gabun) und Gnassingbé Eyadéma (Togo). Letzteren hat amnesty international für Misshandlungen verantwortlich gemacht, die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen“.

Das Ausmaß der sichtbaren Präsenz amerikanischer Berater hat sich jedoch verändert. 1974 musste der von Jean-Jacques Servant-Schreiber vermittelte Joe Napolitan bei seinem Einsatz für die Präsidentschaftskampagne von Valéry Giscard-d'Estaing noch allergrößte Diskretion wahren. Der spätere Präsident – ohnehin einer proatlantischen Haltung verdächtig – fürchtete seinerzeit, die Rolle seines amerikanischen Mentors könnte aufgedeckt werden. Wenn immer er sich mit ihm traf, sorgte er dafür, dass kein Journalist davon Wind bekam. „Sie kennen ja die Empfindlichkeit der Franzosen“, erklärt er uns. „Die Vorstellung, ein Amerikaner könnte politische Ratschläge erteilen, wäre damals nicht gerade positiv aufgenommen worden. Natürlich ist das inzwischen anders.“ Doch zwanzig Jahre später versuchte der konservative schwedische Ministerpräsident Carl Bildt seinen Gegner noch dadurch in Verlegenheit zu bringen, dass er auf seinen Wahlveranstaltungen ein Foto von Phil Noble hochhielt, der dem sozialdemokratischen Kandidaten Ingvar Carlsson als Guru diente. Dennoch gewann Carlsson die Wahl. Und auch in Israel hat sich die Situation geändert: Während David Garth 1981 Menachem Begin noch fast incognito beraten hatte, sind heute die Namen Finkelstein (1996 und 1999 Architekt der Wahlkämpfe Benjamin Netanjahus) und Carville (Stratege von Ehud Barak) jedem auch nur halbwegs interessierten Wähler bekannt. Finkelstein setzt zwar lieber auf Diskretion – „auf der Bühne stehen die Schauspieler, und nicht der Verfasser des Stücks“ –, doch derlei Zurückhaltung kommt zunehmend außer Mode: Unmittelbar nach Baraks Wahlsieg gaben seine drei amerikanischen Berater (Carville, Greenberg und Shrum) gleich zwei Pressekonferenzen, um ihr Know-how öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Und fünf Monate vor der Wahlniederlage Netanjahus stellte die Jerusalem Post bereits fest: „Mit seinem Status eines Superstars lockt Mr. Carville die Reportermeuten an.“ In Argentinien werden die beiden wichtigsten Kandidaten für die Nachfolge von Carlos Menem – Eduardo Duhalde (Peronist) und Fernando de la Rua (Radikaler) – also aufpassen müssen, dass sie nicht im Schatten ihrer jeweiligen Berater bleiben, die (schon wieder) Carville und Morris heißen.

Die argentinische Wahl im kommenden Oktober verschafft den jeweiligen Strategen von Clintons beiden Präsidentschaftskampagnen die Gelegenheit, miteinander abzurechnen. Sie hassen sich gegenseitig. Nach dem Wahlerfolg der amerikanischen Rechten von 1994 (die damals die Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat errang), folgte Präsident Clinton der konservativen – oder besser: der mitterrandistischen – Strategie von Morris. Dieser schildert noch heute gönnerhaft: „Carville und Greenberg hatten ihm den Rat gegeben, er solle die Republikaner dadurch angreifen, dass er sie mit den Reagan-Jahren in Zusammenhang bringt. Ein toller Erfolg! Nach dem Wahldebakel der Demokraten trennte sich Clinton von Carville und Greenberg und schenkte ihrem politischen Urteil nie wieder Vertrauen.“10

Morris ist inzwischen der bestgehasste Mann im Weißen Haus. Nachdem er Clinton geraten hatte, die Amerikaner über die Art seiner Beziehung zu Monica Lewinsky zu belügen, forderte er, als die Wahrheit herauskam, den Präsidenten zum Rücktritt auf. Zur selben Zeit startete Carville eine Kampagne zur Absetzung von Sonderermittler Starr. Doch derlei Animositäten gehören teilweise zu einer wohlverstandenen Eigenwerbung. Wenn die Kandidaten nicht mehr interessieren, müssen die Berater herhalten, um den Journalisten ihren Stoff zu liefern. So ist etwa allgemein bekannt, dass die Ehefrau Carvilles, Mary Matalin, 1992 eine der wichtigsten Managerinnen der Kampagne von Präsident Bush war, an dessen Niederlage ihr Mann arbeitete. Über diese Art ehelicher Divergenzen hat das Paar im Übrigen ein äußerst lukratives Buch verfasst.11 Während Mary Matalin (die selbstverständlich auch wissen ließ, sie hätte für Netanjahu gestimmt) im Rundfunk die „Mary Matalin Show“ moderiert, bezieht ihr Mann pro Jahr 100 000 Dollar allein dafür, daß er in den unzähligen Sendungen, zu denen er eingeladen wird, Schuhe der Marke Reebok ins Bild streckt. „Was können diese Berater zum Wahlprozess in Argentinien beitragen?“ Auf die Frage der argentinischen Tageszeitung Clarin hat William Perry, Lateinamerika-Experte in Washington, eine einfache Antwort: „Nichts. Absolut nichts. Um einen Wahlkampf zu führen, muss man das Terrain kennen. Für die beiden trifft das nicht im Mindesten zu. Ich glaube, man hat sie nur geholt, um sich mit einem amerikanischen Berater brüsten zu können.“ Zur Rolle von Napolitan bei seiner Wahl 1974 erläutert uns Valéry Giscard-d'Estaing: „Die Situation war ihm nicht vertraut. Er hat sehr interessante Dinge gesagt, aber die waren in der politischen Diskussion nicht sehr nützlich.“

Carvilles Interesse an argentinischer Politik erwachte im Januar 1998, als der ehemalige US-Botschafter in Buenos Aires ihn Duhalde vorstellte. Sein Engagement für Israel ist kaum älter, doch er sieht darin kein Problem: „Niemand wird von mir verlangen, dass ich einen tief schürfenden Essay über Ursachen, Strategien und langfristige Folgen der Kriege von 1967 und 1973 verfasse. Das ist nicht interessant – doch, natürlich ist es interessant, aber das ist nicht meine Rolle. Die haben mich schließlich nicht geholt, damit ich eine Meinung über Israel abgebe. Sie erwarten von mir Ratschläge in Sachen Kommunikation und Organisation, sie wollen, dass ich ihnen ein Instrumentarium zur Verfügung stelle, durch das sie auf die Angriffe reagieren können.“12 Morris kommt einmal im Monat nach Argentinien. „Er vermittelt uns die Ansicht eines Menschen, der zwar nicht im Lande lebt, der aber Kommunikationsexperte ist“, heißt es in der Radikalen Partei. Auch die Peronisten sagen ganz offen: „Es ist doch gut, wenn unsere Realität mit fremden Augen betrachtet wird.“ Doch wenn Globalisierung gleichbedeutend ist mit Amerikanisierung, bedeutet der Blick Amerikas zugleich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt.

Duhaldes Image leidet darunter, dass der peronistische Kandidat allzu sehr mit Präsident Carlos Menem in Verbindung gebracht wird, der im Augenblick alles andere als populär ist. Andererseits wird der radikale Kandidat de la Rua wegen seines Mangels an Durchsetzungsfähigkeit und Charisma kritisiert. Damit sind die Wahlkampfthemen von Carville und Morris praktisch vorprogrammiert. Duhalde verpasst keine Gelegenheit, die Politik der Regierung zu geißeln (die er allerdings fast zehn Jahre lang mit zu verantworten hatte). Und der Kandidat der Radikalen lässt einen sehr wirkungsvollen Werbespot im Fernsehen verbreiten. Mit direktem Blick in die Kamera stellt er die suggestive Frage: „Man wirft mir vor, langweilig zu sein. Aber was würde es bedeuten, amüsant zu sein?“ Dann folgen die Bilder eines lachend am Steuer seines Ferrari sitzenden Carlos Menem. Als Carville diesen Spot in einem Fernseher am Flughafen entdeckte, ließ er ihn sich übersetzen und meinte sofort: „Das ist die Handschrift von Dick Morris.“13

In einer der stärksten Szenen aus „The War Room“, dem berühmten Dokumentarfilm von D. A. Pennebaker und Chris Hegedus über Clintons Präsidentschaftskampagne von 1992, verabschiedet sich ein den Tränen naher Carville von seinem jungen, siegreichen Wahlkampfteam: „Wir haben die Methode verändert, wie man Kampagnen organisiert. Vorher gab es eine Hierarchie. Jeder war isoliert an seinem Platz. Ihr habt bewiesen, dass man euch vertrauen kann. Ich habe Washington und New York erst mit 33 Jahren kennengelernt. Und jetzt, mit 42, habe ich meinen ersten Wahlkampf gewonnen. Ich bin mit euch allen zufrieden.“ Jugend, Aggressivität und die Ablehnung von Hierarchien gehören in Amerika schon seit langem zum Pflichtprogramm der politischen Kommunikation. Pat Caddell war erst 25, als er zum Wahlkampfstrategen des späteren Präsidenten Carter ernannt wurde. Lee Atwater war mit 33 Jahren einer der Architekten des erfolgreichen Wahlkampfs von Ronald Reagan. Und Stephanopoulos war erst 30, als er zum Medienberater des Kandidaten Clinton wurde. Freilich, jede Wahl ist ein neuer Aufguss des Spruches „Nichts wird mehr so sein wie zuvor“, mit dem sich die zukünftigen Königsmacher anpreisen.

1928 stellte Edward Bernays, Neffe von Sigmund Freud und Vater der amerikanischen Werbung, mit Bedauern fest: „Die Politik hat es nicht verstanden, die Methoden des Business zu übernehmen, was den massenhaften Vertrieb von Ideen und Produkten betrifft.“ Heute werden die Methoden des Business in den Vereinigten Staaten umso höher geschätzt, als die Parteien praktisch nicht mehr existieren, Wahlkämpfe personalisiert werden und Geld – für die politische Werbung – eine Schlüsselrolle spielt. Nachdem nicht mehr unterschieden wird zwischen Wähler und Verbraucher, Demokratie und Markt (ihre Gleichsetzung ist nach der Doktrin bestimmter Pluralismustheoretiker sogar der entscheidende Punkt), versucht eine gute Wahlstrategie, das gegnerische Lager als brüchig hinzustellen und damit zu zersetzen. Es kommt also darauf an, Themen in den Vordergrund zu rücken, mit denen sich möglichst viele Parteigänger (beziehungsweise Kunden) abspenstig machen lassen. Je weniger politisiert die Wählerschaft ist, desto nebensächlicher können die konfliktträchtigen Themen (wedge issues) werden.

Die Technik der Fokus-Gruppe verfolgt genau dieses Ziel: Es geht darum, die Reaktionen und Motivationen einer Testgruppe zu erfassen, die – normalerweise gegen Honorar – mittels eines mit einem Computer verbundenen Tastenfelds spontan auf Aussagen und Bilder eines Kandidaten reagieren soll. Die Ergebnisse werden am Bildschirm in Echtzeit gezeigt, die Experten können also einschätzen, was funktioniert und was zu vermeiden ist. Durch einen der ersten Tests dieser Art, den Greenberg 1985 in Michigan durchführte, konnten die Demokraten verstehen, weshalb sie bei den Präsidentschaftswahlen von 1980 und 1984 in manchen ihrer traditionellen Hochburgen (den Arbeitervierteln des Mittleren Westens) so dramatische Einbrüche erlebt hatten: Sie erklärten sich weitgehend aus dem Gefühl der „kleinen Weißen“, ihre Partei habe sich von ihnen entfernt und sei zur allzu ausschließlichen Fürsprecherin von Schwarzen, Armen, Feministinnen und Homosexuellen geworden.14 Folglich orientierten sich die Demokraten in ihrem Diskurs wieder zur Mitte hin.

Drei Jahre später gelang es George Bush mit Hilfe eines solchen politischen Elektrokardiogramms, die Erfolg versprechendste Angriffslinie gegen Michael Dukakis zu entwickeln. Der damalige Kandidat der Demokraten war ein Gegner der Todesstrafe. Der Staat, an dessen Spitze er als Gouverneur stand, hatte einem (schwarzen) Gefangenen Freigang gewährt, den dieser dazu genutzt hatte, eine (weiße) Frau zu vergewaltigen. Eine weniger bedeutsame Frage, wenn es um die Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten geht? Na und! Der bis zum Erbrechen wiedergekäute Vorfall dominierte die Kampagne von 1988 – und verhalf Bush zum Wahlsieg.15 Hier aktualisiert Mary Matalin die Aussage von Edward Bernays: „Für eine politische Kampagne gilt dasselbe Prinzip wie für ein Unternehmen: Alle müssen pausenlos dieselbe Message einhämmern.“ Eine Kampagne darf nie ihre Botschaft vergessen: Dafür ist der war room da, jener „Krisenstab“, in dem alle Informationen oder Reaktionen zusammenlaufen, die in den Medien Resonanz finden könnten. Das Konzept dafür hat Carville im Präsidentschaftswahlkampf von 1992 entwickelt. Er wollte die Lehre aus Dukakis' Unfähigkeit ziehen, auf die „law and order“-Kampagne Bushs angemessen zu reagieren, und installierte ein „strategisches Zentrum für die Angriffe und Gegenangriffe“. „Es genügt nicht mehr, erst nachträglich auf Angriffe zu reagieren, das muss man schon tun, noch ehe sie überhaupt im Fernsehen oder in der Presse verbreitet werden, während der Journalist sich noch fragt, welche Bedeutung er ihnen beimessen soll.“

Stephanopoulos ergänzt: „Wir mussten verbissen, aggressiv und unberechenbar wirken, um die Gegenseite besser einschüchtern zu können. Der war room machte niemals dicht. Tag und Nacht lösten sich junge Freiwillige ab, um jede Geste Bushs auf dem Bildschirm zu verfolgen. Über eine Satellitenantenne empfingen wir sämtliche Sender, und manchmal fingen wir die Werbespots der Republikaner noch vor ihrer Ausstrahlung ab, in dem Moment, da sie an einen lokalen Fernsehsender überspielt wurden. (...) Es gelang uns sogar, eine detaillierte Antwort auf Bushs offizielle Ankündigung der Kandidatur zu verfassen und an die Presse zu verteilen, ehe der Präsident überhaupt das Podium betreten hatte, um die Rede zu halten.“16

In Israel wurde dem Wahlkampfteam von Barak „The War Room“ zu Schulungszwecken vorgeführt. Die Kampagne von Schimon Peres 1996 war – wie die von Dukakis 1988 – katastrophal verlaufen. Dem Ministerpräsidenten und Kandidaten der Arbeitspartei war es nicht gelungen, auf die Flut der von Finkelstein produzierten Werbespots zu reagieren, die, unterlegt vom Geräusch heulender Sirenen, ausgebrannte Autobusse zeigten, um dann zu dem Slogan überzublenden: „Keine Sicherheit. Kein Frieden. Kein Grund, Peres zu wählen.“

1999 sah im Lager der Arbeitspartei alles ganz anders aus. Anthony Blair hatte Barak geraten, Greenberg als Berater zu engagieren. Und dieser hatte umgehend seinen alten Partner Carville hinzugezogen. Und so hatte der war room im Nahen Osten seine Premiere: Die Botschaft, nichts als die Botschaft; blitzartige Reaktion auf alle Angriffe; pausenloses Anprangern der Schwächen des Gegners. Für Netanjahu sahen die Meinungsumfragen eindeutig aus: Ihm wurde vorgeworfen, er habe das Land in eine Sackgasse geführt. Damit hatte Carville sein Thema und sein Schlüsselwort: „Netanjahu steckt überall in der Klemme. In der Wirtschaft, im Friedensprozess, im Dreck des Libanon.“17

Der systematische Rückgriff auf Meinungsumfragen ist keine Besonderheit der Vereinigten Staaten (in Frankreich etwa beruft sich KP-Chef Robert Hue ständig auf sie). Beunruhigend ist freilich, in welchem Maße sie inzwischen den amerikanischen Politikern ihre Entscheidungen diktieren.

Export alter Drehbücher

BEREITS Louis Harris hatte John F.  Kennedy als Berater gedient, doch es war der Meinungsforscher Pat Caddell, der die engste Beziehung zu einem amtierenden Präsidenten – nämlich Jimmy Carter – entwickelte. Er zog die Lehren aus dem Niedergang der Parteien und ihrer meinungsbildenden Funktion und versuchte durch eine möglichst minutiöse Segmentierung der Wählerschaft herauszufinden, wie jede einzelne Untergruppe auf die „Dauerkampagne“ des Präsidenten reagierte. So konnte er beispielsweise genau sagen, ob Carter von dreiunddreißigjährigen weißen Familienmüttern mit Universitätsabschluss als effizient beurteilt wurde. Diese enorme Menge an Detailkenntnissen sollte ihn befähigen, die Gefolgschaft des Gegners aufzusplittern und die eigene besser zusammenzuhalten. Das Verfahren erwies sich als schwierig, war aber unentbehrlich. Denn wenn man Entscheidungen trifft, die – jede für sich – höchst populär sein mögen, läuft man Gefahr, zahlreiche Minderheiten gegen sich zu mobilisieren, die im Endergebnis zu Mehrheiten werden können. Die Wahlen von 1980 hat Carter dennoch verloren.

Fünfzehn Jahre später soll Stephanopoulos seinem Rivalen Morris, um eine ihrer Divergenzen beizulegen, folgenden Deal vorgeschlagen haben: „Mein Team ist das Politbüro. Wir arbeiten zusammen, jeder legt seinen Standpunkt dar, und wenn wir nicht übereinstimmen, überlassen wir die Entscheidung dem unbestrittenen Herrscher des Westens: den Meinungsumfragen.“ Clinton konsultierte denn auch diesen unumstrittenen Herrscher des Westens in den entscheidenden, aber auch in den belanglosesten Fragen. Gestützt auf seine Meinungsumfragen äußerte sich Morris – nach eigenem Eingeständnis „kein Experte für Außenpolitik“ – zur Invasion Haitis (ein Einmarsch in Kuba wäre ihm lieber gewesen), zum Iran, zur Hilfe für Russland und zum Krieg in Bosnien (er plädierte für eine Flächenbombardierung Serbiens). „Sie nennen mir Ihr Lieblingsmenü, und ich sagen Ihnen, was Sie heute abend auf dem Teller haben“, erklärte er dem Präsidenten.

Bei einem guten Menü muss jeder Gang stimmen. Mittels einer riesigen Umfrage zur Ermittlung des Potentials an Wechselwählern fand Morris im Frühjahr 1995 heraus, dass diese weder Jäger waren (die stimmten für Dole) noch Fans des Musiksenders MTV (die hatte Clinton bereits für sich gewonnen), dass sie sich hingegen für Baseball und Ausflüge erwärmten, zugleich aber auch für die neueste Spitzentechnologie begeisterten. Aus diesen Erkenntnissen zog Morris den nahe liegenden Schluss: Der Präsident der Vereinigten Staaten musste seine Sommerferien in den Bergen verbringen, mit Wanderungen und Rast im Zelt. Außerdem würde man die Presse wissen lassen, dass die Ausrüstung des prominenten Wandersmannes auf dem neuesten Stand sei. Clinton fügte sich widerwillig, ohne dass es ihm freilich in den Meinungsumfragen Punkte eingebracht hätte.

Fokus-Gruppen und Meinungsumfragen sind die grundlegenden Techniken, mit denen sich die politische Kommunikation auf die Erwartungen der Öffentlichkeit abstimmen lässt. 1996 überwachte Clinton höchstpersönlich die Zusammenstellung sämtlicher Werbespots seiner Kampagne, die sich die Demokratische Partei insgesamt 85 Millionen Dollar kosten ließ (inklusive der Honorare für Morris). Zum Leidwesen der amerikanischen Berater ist die ausländische Gesetzgebung in dieser Hinsicht häufig sehr viel restriktiver als in den USA: Israel etwa lässt politische Werbespots im Fernsehen nur in den letzten drei Wochen vor dem Wahltag zu; und in Frankreich ist während der letzten drei Monate des Wahlkampfs jegliche politische Werbung untersagt.

Einer weltweiten Anwendung der aus den Vereinigten Staaten importierten Techniken sind mithin noch Grenzen gesetzt. In manchen armen Ländern ist das Telekommunikationssystem so schlecht, dass sich etwa telefonische Ad-hoc-Umfragen von selbst verbieten. Anderswo wird der Dauerwerbung durch eine gesetzliche Begrenzung der Wahlkampfausgaben ein Riegel vorgeschoben. Die Erfolge der Symbol-Vermarkter verweisen jedoch auf die Existenz einer breiten apathischen und apolitischen Mittelschicht.

Aber auch die Innovationsfreudigkeit hat Grenzen: Die aus den USA eingeflogenen Berater kommen gar nicht umhin, das altbekannte Drehbuch ihrer medienwirksamsten Erfolge im Ausland noch einmal zu verwerten. Finkelstein etwa inszenierte 1996 in Israel ein Remake der Bush-Kampagne gegen Dukakis. Als er drei Jahre später noch einmal mit demselben Szenario antrat, hatte er nicht mehr Schimon Peres, sondern Ehud Barak als Kunden, und Carville trat ihm mit den Methoden entgegen, die er 1992 für den Clinton-Wahlkampf entwickelt hatte.

Bisweilen werden solche Neuaufgüsse zum schlichten Plagiat. So deckte die englische Tageszeitung The Independent auf, dass die Rede, die der Kandidat Tony Blair vier Monate vor dem Sieg der Labour Party hielt, eine Kopie der Rede war, die der Kandidat Bill Clinton vier Monate vor dem Sieg der Demokraten gehalten hatte.18 Die Briten könnten dem freilich entgegenhalten, dass 1988 der Amerikaner Joseph Biden, seinerzeit demokratischer Präsidentschaftskandidat, eine äußerst gefühlvolle Rede über seine Jugend und seine Familie verlesen hatte, die ursprünglich vom Labour-Parteichef Neil Kinnock stammte.

Der Druck der Werbebranche macht sich dennoch immer stärker bemerkbar. In El Salvador hielt sich Francisco Flores an den Rat von Phil Noble und verzichtete auf Massenversammlungen, wie sie in lateinamerikanischen Wahlkämpfen üblich sind. Stattdessen setzte er auf Events à la Reagan (fürs Fernsehen choreographierte Veranstaltungen) und auf Werbespots, die von einer Firma produziert wurden, deren wichtigste Kunden McDonald's und American Airlines sind. In Israel freilich bekannte David Bar-Ilan, damals Medienberater von Netanjahu, er trauere insgeheim den „stundenlangen Reden in überhitzten Versammlungssälen und den endlosen Ansprachen auf öffentlichen Plätzen“ nach, „die heute immer mehr durch politische Clips ersetzt werden“. Und der französische Werbeprofi Jacques Séguéla schlug kürzlich mit bewundernswerter Selbstlosigkeit vor, man solle einen Großteil der Wahlkampfmittel, die zur Finanzierung von „Versammlungen eingesetzt werden, die keinem anderen Zweck dienen als ihrer zweiminütigen Ausstrahlung in den Fernsehnachrichten“, lieber gleich für die Produktion von „Werbespots einsetzen“.19

Die Wahlergebnisse 1996 in Israel und in Russland (wo ein ehemaliger Morris-Partner Boris Jelzin bei seiner Kampagne beraten hatte) soll Präsident Clinton wie folgt kommentiert haben: „Gewonnen haben diejenigen Kandidaten, die mit amerikanischen Umfrage- und Medientechniken gearbeitet haben.“20 Man wird freilich nicht umhin können, über bestimmte Folgen dieser Techniken nachzudenken – und über die Inhaltsleere der politischen Diskussion, die diesen Techniken zum Durchbruch verholfen hat. In den Vereinigten Staaten sind Wahlen zu einer Übung verkommen, bei der Umfragen eine ebenso große Rolle spielen wie Manipulation. Die Wahlbeteiligung ist eine der niedrigsten der Welt: 1996 lag die Stimmenthaltung bei über 50 Prozent, und das an einem Tag, an dem gleichzeitig der Präsident, der Vizepräsident, alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses, ein Drittel der Senatoren sowie die Mehrheit der Bürgermeister und Senatoren gewählt wurden. Manche US-Berater gestehen heute sogar, dass sie lieber ins Ausland gehen, weil ihnen die amerikanische Politik inzwischen „zu bösartig, zu mittelmäßig und zu vorhersehbar“ geworden ist. Sollen wir einer ähnlichen Entwicklung den Boden bereiten, indem wir den Raum unseres öffentlichen Lebens auf Diskussionen reduzieren, die von zwei nahezu identischen Parteigruppierungen vorgegeben werden?

dt. Matthias Wolf

Fußnoten: 1 Sidney Blumenthal, „The Permanent Campaign“, New York (Simon & Schuster) 1980. 2 Der erste soll einen Vorschuss von 2,5 Millionen Dollar bekommen haben, der zweite 3 Millionen Dollar. 3 George Stephanopoulos, „All Too Human: A Political Education“, New York (Little Brown) 1999, S. 67 und 80. 4The Washington Post, 15. August 1996. 5 Siehe hierzu Dick Morris, „Behind the Oval Office, Winning the Presidency in the Nineties“, New York (Random House) 1997. 6 Siehe „Wenn zum Schein gefochten wird“ und „Elections américaines: des jeux sans enjeu“, Le Monde diplomatique, Februar und November 1996. 7 Dick Morris, a. a. O., S. 37 und 269. Hier ist die irrtümliche Datumsangabe des Autors (und des Verlegers) korrigiert, die offenbar davon ausgingen, dass die erste Kohabitation zwischen François Mitterrand und Jacques Chirac zwischen 1985 und 1987 stattfand. 8 John Harwood, „A Lot Like Home: Campaign Strategists Give Foreign Elections That American Cachet“, The Wall Street Journal, 24. März 1999. 9 Ebenda. 10The Washington Times, 19. Mai 1999. Was nicht ganz zutrifft: Im Januar dieses Jahres wurde Greenberg engagiert, um an der Rede des Präsidenten zur Lage der Nation mitzuschreiben. 11 „All's Fair: Love, War, and Running for President“, New York (Simon & Schuster) 1994. 12 Vgl. Adam Nagourney, „Sound Bites Over Jerusalem“, The New York Times Magazine, 25. April 1999. 13 Siehe Ana Baron, „Secretos de una campaña carnal“, Clarin, Buenos Aires, 16. Mai 1999. 14 Siehe Thomas und Mary Edsall, „Chain Reaction“, New York (Norton) 1991. 15 Vgl. „Dans les bas-fonds de la campagne électorale américaine“, Le Monde diplomatique, Dezember 1988. 16 George Stephanopoulos, a. a. O., S. 86-91. 17 Siehe Adam Nagourney, a. a. O. 18 Siehe John Lichfield, „Great speech, even second time round“, The Independent, 3. Oktober 1996. 19 „Pas de pub, pas de vote“, Le Monde, 18. Juni 1999. 20 Dick Morris, a. a. O., S. 261.

Le Monde diplomatique vom 13.08.1999, von SERGE HALIMI