15.10.1999

Über Derivate und Nebelkerzen

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Über Derivate und Nebelkerzen

ALS 1994 im Derivathandel erstmals der Boden schwankte, hatte Frank Partnoy gerade seinen Job bei Morgan Stanley angetreten. Für die renommierte Investmentbank war dieser ebenso riskante wie lukrative Markt – der Handel mit Finanztiteln wie Optionen oder „futures“, deren Marktwert sich von dem anderer Finanzprodukte ableitet – damals sehr interessant: Hier hatte die Firma noch Nachholbedarf.

Partnoys Geschichten aus dieser Welt der Geheimnisse werfen ein grelles Licht auf ein System, über das ein solcher Insiderbericht bislang nicht vorlag.1 In Begriffen, die auch für den Laien verständlich sind, erklärt der Autor die Kunst, Derivate zu erzeugen und zu verkaufen – vor allem die ganz exotischen, die so kompliziert sind, dass sie niemand mehr durchschaut, „nicht einmal diejenigen, die sie geschaffen haben“. Die hybriden Produkte – „Leckerbissen für den Verkäufer, Gift für den Käufer“ – sind häufig eine raffinierte Mischung aus einer kleinen Dosis „sicherer Werte“ (amerikanische Schatzbriefe zum Beispiel) und einem großen Anteil hochriskanter Finanzprodukte. Der Anteil sicherer Werte, so winzig er auch sein mag, dient dazu, den Kunden in Sicherheit zu wiegen, zugleich ist er Voraussetzung dafür, dass die Papiere von den Börsen akzeptiert werden.

Damit der Trick nicht allzu offensichtlich ist, müssen eine Menge Nebelkerzen gezündet werden: die mathematischen Formeln, der Jargon, die irreführenden Abkürzungen und höchst innovativen Euphemismen – alles nur, um keine Klarheit aufkommen zu lassen. Die Prospekte, die angeblich das Angebot erläutern und über die Risiken informieren sollen, sind Musterbeispiele dafür, wie man Verschleierung als Transparenz verkauft. Wer versucht, Durchblick zu gewinnen, verliert sich im Dickicht unverständlicher Details. Frank Partnoy nennt dazu zwei Grundregeln: Erstens kann man sich auf die gebotenen Informationen überhaupt nicht verlassen, und zweitens bestehen jede Menge Interessenkonflikte, auch innerhalb des jeweiligen Geldinstituts.

Wer Derivate kauft, hat also gute Chancen, seinen Einsatz zu verlieren. Ist es den Verkäufern einmal gelungen, „ihre Zeitbombe zu platzieren“, so haben sie es natürlich eilig, ihre üppigen Kommissionen zu kassieren, bevor es zur unvermeidlichen „Explosion“ kommt. Typische Kunden sind entweder „Trickser“, die irgendwelche Gesetze umgehen wollen (etwa Versicherungsgesellschaften, die sich über Bestimmungen hinwegsetzen, die ihnen Spekulationsgeschäfte verbieten, aber auch japanische Banken, die ihre Verluste verschleiern müssen), oder „Glücksritter“ – leichte Beute für die Superverkäufer, die ihnen sagenhafte Wertzuwächse in Aussicht stellen.

In unserer Zeit der Globalisierung des Geldgeschäfts trägt Partnoys Buch, das den Umgangston in den Sphären der Hochfinanz mit brutaler Offenheit beschreibt, auch zum besseren Verständnis der Beziehungen zwischen der Wall Street und den ausländischen Bankenplätzen bei. So wird uns vorgeführt, wie die mexikanischen Banken „von Morgan Stanley erst mit höchst zweifelhaften Finanzprodukten eingedeckt und dann kaltgemacht wurden“. Aufschlussreich sind auch die Berichte über die Willfährigkeit der machthabenden Politiker in den Steuerparadiesen, die jederzeit bereit sind, ihre Gesetze zu ändern, damit die grandiosen Pläne der „Golden Boys“ in der Wall Street funktionieren.

Am Ende des Buches wird der Werdegang eines dieser Golden Boys nachgezeichnet: Einst vom Ehrgeiz zerfressen, begann er mitten in einer aussichtsreichen Karriere über seinen Beruf und über seine moralischen Werte nachzudenken – heute ist er Professor der Rechtwissenschaften an der Universität von San Diego.

IBRAHIM WARDE

Fußnote: 1 Frank Partnoy, „F.I.A.S.C.O : Blut an den weißen Westen der Wall Street Broker“, Wien 1999.

Le Monde diplomatique vom 15.10.1999, von IBRAHIM WARDE