15.10.1999

Indonesiens Armee, eine Söldnerfirma

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Indonesiens Armee, eine Söldnerfirma

Von ROMAIN BERTRAND *

ES waren die indonesischen Streitkräfte, die in Osttimor die Eskalation der Gewalt vorangetrieben haben – seit dem Beschluss über ein Referendum haben sie die Übergriffe geplant, organisiert und koordiniert. Die Armee war es auch, die schon seit den 70er Jahren jene Milizen geschaffen und ausgebildet hat, deren Aufgabe darin bestand, die Osttimoresen einzuschüchtern und gewaltsam dazu zu bringen, den Anschluss an Indonesien zu befürworten. Wobei man nicht davor zurückscheute, Verbrecherbanden in den Sicerheitsapparat zu integrieren. Der Ausgang des Referendums demonstrierte jedoch, dass die Strategie des Militärs nicht aufgegangen war. Deshalb wollte die indonesische Armee die Bevölkerung dafür bestrafen, dass sie für die Unabhängigkeit gestimmt hat.

Angesichts der nachweislichen Absprachen zwischen gewissen Kräften der indonesischen Streitkräfte und den Milizen, die in Osttimor gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen kämpfen, erstaunt vor allem eines: das Erstaunen der internationalen Beobachter. Denn die indonesische Armee hat nie nach dem Modell regulärer westlicher Truppen funktioniert. Sie bezieht ihre historische Legitimität aus der Beteiligung am Unabhängigkeitskampf (1945 bis 1949). Ihr Anspruch, die Nation gegen jede innere wie äußere Bedrohung zu verteidigen, ist die Grundlage ihres Selbstverständnisses als „Armee des Volkes“. Die Theorie der Doppelfunktion der Streitkräfte als militärische und politische Macht (Dwifungsi), die 1998 gewaltsam in Frage gestellt wurde, weist den Streitkräften auf innenpolitischer Ebene de facto die Rolle einer Polizei und in vieler Hinsicht auch die eines politischen Geheimdienstes zu, für die in anderen Ländern besondere Organisationen zuständig sind.

Die aus dem Volk hervorgegangene Armee schützt die Nation vor ihren Feinden: So lautet der Katechismus der indonesischen Militärakademien (Akabri). Als 1965/66 nahezu eine Million Menschen der Kommunistenhetze zum Opfer fiel, galt dies als unvermeidliche „chirurgische Operation“, um das Geschwür einer Ideologie herauszuschneiden, die man als Fremdkörper in der Nation betrachtete. Und als Polizei und Armee 1983 beschlossen, mehrere tausend Kleinkriminelle in Java umzubringen und ihre verstümmelten Leichen in den Dörfern zur Schau zu stellen, berief man sich auf eine soziale Eugenik, die Präsident Suharto als Schocktherapie bezeichnete.1

Im militärischen Verständnis von der indonesischen Nation sind all Menschen aus der Gemeinschaft der Staatsbürger ausgeschlossen, die sich, als politische Dissidenten oder Randgruppen, nicht widerstandslos dem Grundpostulat des Regimes der „Neuen Ordnung“ unterwerfen. Das lautet simpel: Der Staat allein ist im Besitz der Wahrheit; deshalb hat er logischerweise das Monopol zu töten, das er auch praktiziert. Ob Kommunisten, Kleinkriminelle oder Unabhängigkeitskämpfer in Aceh (Nordsumatra) oder Osttimor, sie alle gelten als Krankheitserreger, die den gesunden Organismus der Nation befallen haben. Ihre Vernichtung verursacht nicht viel mehr moralische Probleme als die Vertilgung von Ungeziefer. Bezeichnenderweise wurden die Kommunisten in der Kampagne von 1965/66 als „Läuse“ bezeichnet. Ganz im Sinne einer derartigen politischen Eugenik verstehen sich die Streitkräfte als Immunsystem, was zugleich ein geschlossenes System bedeutet. Deshalb würde ein hochrangiger Offizier niemals öffentlich zugeben, dass es innerhalb der Armee Konflikte zwischen verschiedenen Flügeln gibt.

Doch dies alles ist reine Ideologie: Das Bild einer monolithischen Einheit, die gegen Partikularinteressen und regionale Bewegungen immun ist, wird durch die Tatsachen in keiner Weise gestützt. Die Geschichte der indonesischen Armee ist seit ihrer Entstehung in den 40er Jahren begleitet von oft heftigen Konflikten zwischen dem Generalstab in Jakarta, der auf die Schaffung eines einheitlichen Kontrollapparats bedacht ist, und regionalen Militärkommandanten, die ihre Autonomie ausweiten wollten.

In den fünfziger Jahren kulminierten diese inneren Spannungen in einem offenen Aufstand mehrerer örtlicher Kommandanten gegen General Nasution. Während der 80er und frühen 90er Jahre führte die Spaltung zwischen dem islamorientierten Flügel (den Grünen) und den Republikanern (nach der Nationalfahne die Rotweißen genannt) ebenfalls zu heftigen Rivalitäten.2 Im Übrigen waren die Streitkräfte stets geschickt in der Lage, Widersprüche und günstige Gegebenheiten ihrer unmittelbaren Umgebung auszunutzen. In dem seit 1965 herrschenden System des Nepotismus fanden auch die Militärs ihren Platz. Über Stiftungen und Sitze in den Verwaltungsräten mehrerer Großbanken, Versicherungsgesellschaften und staatlicher Investmentgesellschaften konnten sie enge Beziehungen zur Geschäftswelt knüpfen.3

Die indonesischen Militärs haben also sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft ihre Finger im Spiel. Die aktive Rolle von Offizieren ist keine individuelle Abweichung von einer Norm der Redlichkeit und Neutralität, sondern im Gegenteil die logische Konsequenz der Doktrinen, mit denen die Streitkräfte ihre historische Mission sehen und rechtfertigen können.

Auch die Absprachen zwischen regulärer Armee und Milizen sind durchaus nichts Neues. Die Übertragung der staatlichen Tötungslizenz an nichtstaatliche Gruppen hat innerhalb der „Neuen Ordnung“ eine lange Tradition.4 So wurde die Jugendorganisation Pemuda Pancasila, die man 1959 zur Verteidigung der von Sukarno formulierten Pancasila (der „Fünf Prinzipien“ des Staates) gegründet hatte5 , seit 1982 von General Suharto dazu eingesetzt, die so genannten Wahlkampagnen „vorzubereiten“, die seiner regelmäßigen Bestätigung für eine weitere fünfjährige Amtszeit vorangingen. Die Pemuda Pancasila entwickelten sich rasch zu einer Vereinigung notorischer Kleinkrimineller, die sich als Schlägertruppe des Präsidenten betätigten. So haben sie etwa auch Mai und November 1998 die meisten Straßenschlachten inszeniert. 6

Verbrecherbanden im Sicherheitsapparat

DER Rückgriff auf Privatmilizen als Organ der „öffentlichen Sicherheit“ wurde 1980 auf höchster Ebene durch diverse Verordnungen zur Einführung eines zivilen Sicherheitssystems (Siskamling) legitimiert, das dem 1965 gegründeten und damals Suharto unterstehenden Kommando zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit (Kopkamtib) unterstellt wurde. Zweck des Siskamling war es, die aus Freiwilligen bestehenden Verteidigungsorganisationen – zumeist Banden von kriminellen Jugendlichen, die ihre Dienste meistbietend verkaufen – unter die Obhut von Armee und Polizei zu nehmen.7 DasSystem des Siskamling bewerkstelligte mit anderen Worten die offizielle Eingliederung von Verbrecherbanden in den Staatssicherheitsapparat. Ganze Heerscharen übler Typen (die jago), die mit Kampfsportarten und Schutzgelderpressung vertraut waren und sich im Sold von Zuhältern des Rotlichtviertels von Surabaya oder auch in den Dörfern ihre Sporen verdient hatten, wurden in die Sondereinheiten Hansip und Satpam aufgenommen und waren fortan für den Schutz öffentlicher und privater Gebäude zuständig.

Genau solche kleinkriminellen Elemente, die man in die Pemuda Pancasila oder Satpam gesteckt hatte, erledigten in den 80er und 90er Jahre im Auftrag der „Neue Ordnung“ das schmutzige Geschäft der Einschüchterung und Denunzierung. Sie kooperierten so gut mit Polizei und Armee, dass die vielversprechendsten Kandidaten in die Aufstandsbekämpfungseinheiten (Pasu-kan Anti Huru-Hara, PHH) eingegliedert wurden, die für die Niederschlagung von Aufständen in den Städten zuständig sind.

Diese Privatisierung der öffentlichen Gewalt ging mit einem noch bedenklicheren Phänomen einher: der Bildung besonders gewalttätiger Eliteeinheiten, die in Erfüllung ihres Auftrags von jeder kriegsrechtlichen Ethik entbunden sind. Für die Sondereinsatzkommandos (Kopassus) gelten die Verhaltensvorschriften für Soldaten nicht, wenn sie „Guerillabekämpfungsaktionen“ durchführen. Die Kopassus, eine 12 000 Mann zählende Einheit, sind aus der berüchtigten westjavanesischen Siliwangi-Division der indonesischen Armee hervorgegangen. Zu der Truppe gehört auch eine in Sijantung stationierte Sondereinheit zur Terrorismusbekämpfung, die sich in den 80er und 90er Jahren unter Führung von Kommandant Prabowo Subianto, einem Schwager von General Suharto, zur regelrechten Spezialtruppe für Desinformation und „psychologische Kriegsführung“ entwickelt hat.

Die von US-Ausbildern trainierten Kopassus-Einheiten, die auch Verbindungen mit ehemaligen Offizieren des britischen Special Action Service (SAS) und der südafrikanischen Söldnerfirma Executive Outcomes unterhalten8 , waren an den meisten Unterdrückungsmaßnahmen in Osttimor, Irian Jaya (Westirian) und Aceh im Norden Sumatras beteiligt. Ihr Kommandant Prabowo wurde im Juni 1998 kaltgestellt, wenn auch nicht bestraft, nachdem er die Beteiligung an der Entführung von aktiven Gewerkschaftern und Studentenführern eingestanden hatte, die wochenlang gefoltert worden waren. Die Sondereinheit 81, die1980 über 350 Mann verfügte, hatte den Auftrag, die Unabhängigkeitsbewegungen mithilfe von kleinen Zivileinheiten zu unterwandern, die lokale Guerillabekämpfungszentren aufbauen sollten. Ihre Mitglieder wurden in den 90er Jahren in die Einheiten 4 und 5 der Kopassus eingegliedert.

Seit dem Sturz von General Suharto haben sich dieKopassus, die nur ihren direkten Vorgesetzten verantwortlich sind, wiederholt gegen Verteidigungsminister General Wiranto gestellt, dem sie „Nachgiebigkeit“ in Osttimor und Aceh vorwerfen. Kürzlich marschierten die Rotmützen (Kennzeichen der Kopassus) vor den Toren des Präsidentenpalastes auf, um gegen den Verzicht auf Timor zu protestieren. Nachdem die Kopassus von mehreren regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen der Massenvergewaltigung in Irian Jaya bezichtigt werden, sind sie gegenwärtig in der Defensive. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass General Wiranto sie unter Kontrolle hat.

Das Drama in Timor hat also eine Reihe von pathologischen Funktionsstörungen der indonesischen Streitkräfte ans Licht gebracht, die schon die gesamte Geschichte der Beziehungen zwischen Zivilmacht und Militärkommando in Indonesien kennzeichnen. Um die Gefahr zu bannen, dass Osttimor erneut im Terror versinkt und dass es – vor allem – in der vom Bürgerkrieg heimgesuchten Provinz Aceh nicht zu neuen Gräueltaten kommt, müsste die indonesische Armee auf ihre Rolle als politische Polizei verzichten und außerdem die Kontrolle über die Eliteeinheiten wiedergewinnen. Das Naheliegendste wäre, diese Einheiten aufzulösen, um ihre Wiedereingliederung in die regulären Truppen zu erleichtern. Doch ein solcher Vorschlag ist fast utopisch angesichts des hohen Grades an Autonomie, die diese Einheiten gegenüber dem Generalstab in Jakarta nach wie vor genießen.

dt. Birgit Althaler

* Forscher in der „Fondation nationale des sciences politiques“ (FNSP) und am „Centre d'études et de recherches internationales“ (Ceri), Paris.

Fußnoten: 1 Justus Van Der Kroef, „Petrus: Patterns of Prophylactic Murder in Indonesia“, Asian Survey (Canberra),Bd. 25, Nr. 7, Juli 1985, S. 745 – 759. 2 André Feillard, „Islam et armée dans l'Indonésie contemporaine“, Paris (L'Harmattan/Archipel) 1995. 3 Diese Beziehungen sind beschrieben in Richard Robison: „Indonesia: The Rise of Capital“, Sydney (Allen & Unwin) 1986. 4 Richard Banegas, „De la guerre au nouveau business mercenaire“, Critique Internationale (Paris), Nr. 1, Herbst 1998, S. 179-194, und Béatrice Hibou, „De la privatisation des économies à la privatisation des Etats“, in B. Hibou (Hg.), La privatisation des Etats, Paris (Karthala) 1999, S. 11-67. 5 Die Pancasila oder „Fünf Prinzipien“ lauten: Glaube an Gott den Einen; Achtung vor dem Menschen in Gerechtigkeit und Kultiviertheit; Einheit Indonesiens; Volksherrschaft, geleitet durch die Weisheit gemeinsamer Beratung; soziale Gerechtigkeit für das ganze indonesische Volk. Zit. n. D. Nohlen, F. Nuscheler (Hg.), Handbuch der Dritten Welt, Bonn (Verlag Dietz Nachf.) 1994, S. 409. 6 Loren Ryter, „Pemuda Pancasila: The Last Loyalist Free Men of Suharto's Order“, Indonesia, Nr. 66, Ithaca, Oktober 1998, S. 45 – 73. Contagion in Suharto's New Order“, Indonesia (Ithaca), Nr. 66, Oktober 1998, S. 7 – 45. 8 Über die Einbeziehung der privaten Söldnertruppe Executive Outcomes und ehemaliger SAS-Offiziere in eine Operation der Kopassus in Irian Jaya im Jahr 1996, siehe Yves Goulet: „Executive Outcomes: Mixing Business with Bullets“, Jane's Intelligence Review, September 1997, S. 429. Über die Beziehungen zwischen dem us-amerikanischen Geheimdienst und Kopassus, siehe auch The Washington Post, 23. Mai 1998, S. A01, und Allan Nairn, „Indonesia's Disappeared“, The Nation (New York), 8. Juni 1998.

Le Monde diplomatique vom 15.10.1999, von ROMAIN BERTRAND