15.10.1999

Für eine bäuerliche Landwirtschaft

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Für eine bäuerliche Landwirtschaft

Von JOSÉ BOVÉ *

DER Autor dieser Zeilen war 1973 gerade 20 Jahre alt, als auf der Hochebene von Larzac 103 Bauern den Widerstand gegen die Requirierung ihres Landes für ein Militärgelände organisierten. „Wir sind hierhergekommen, um den gemeinsamen Kampf von Lip1 und Larzac zu feiern“, hieß es bei einer Großversammlung, und in der Tat begriffen die Bauern von Anfang an ihren Widerstand als Teil der sozialen Kämpfe ihrer Zeit .

Die staatliche Agrarpolitik und die Entstehung des Gemeinsamen Marktes hatten seit Anfang der 60er Jahre die Intensivierung der Landwirtschaft gefördert und die Bauern damit vor ernste Probleme gestellt. Obwohl einige durch die Gemeinsame Agrarpolitik [GAP] der Europäischen Union geschützte Sektoren verschont blieben (etwa der Getreide- und Zuckerrübenanbau oder die Qualitätsweine und -spirituosen), wurden die meisten Bauern Opfer wiederholter Überproduktionskrisen. Hinzu kamen interne Konflikte bezüglich der Verteilung der Produktionsmittel, sowohl unter den Bauern selbst als auch zwischen den Regionen (hier Konzentration der Landwirtschaft, dort Verödung ganzer Landstriche), wobei überall eine zunehmende Landflucht zu beobachten war. Die bis dahin einzige Bauerngewerkschaft FNSEA (Fédération nationale des syndicats d'exploitants agricoles) – die aus dem Bauernverband der Vichy-Zeit hervorgegangen und deutlich von Standesdenken geprägt war – kooperierte mit dem Landwirtschaftsministerium.

Gegen diese Politik, gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft und den Rückgang der Bauernschaft, formierte sich nach und nach eine neue Bauernvertretung, die 1987 dann offiziell als Confédération paysanne2 gegründet wurde. Diese Organisation stellte sich gegen die Logik des Marktes: Sie verteidigte in den 70er Jahren die Interessen der Bauern, die in Abhängigkeit von den Futtermittelfirmen gerieten, und unterstützte in den 80er Jahren die Landwirte, die sich bei den Banken hoch verschuldet hatten, sie organisierte Aktionen für gerechtere Aufteilung des Grundbesitzes und forderte garantierte Abnahmepreise.

Anfang der 80er Jahre wandten sich im Département Loire-Atlantique einige genossenschaftlich organisierte Landwirte an die Öffentlichkeit und denunzierten die eigenen illegalen Praktiken: Um Einkommensverluste zu vermeiden, sahen sich viele Bauern gezwungen, in der Viehzucht verbotene Hormone einzusetzen. Die Kritik an einer ausschließlich auf Produktionssteigerung ausgerichteten Landwirtschaft bezog sich in der Folge nicht nur auf die Qualität der Produkte und die gesundheitlichen Risiken für die Verbraucher, sondern auch auf die sozialen Folgen (Zahl der Bauern, Arbeitsbedingungen), auf die veränderte Flächennutzung und auf die Zerstörung der natürlichen Ressourcen Wasser, Boden und Artenvielfalt.

Im Laufe der 80er Jahre ging der Verband zur Ausarbeitung von Alternativen über und entwarf das Projekt einer „bäuerlichen Landwirtschaft“: Die Bauern sollten zurückkehren zu Produktionsweisen, die ein sparsameres Wirtschaften und damit eine größere Unabhängigkeit von den kapitalistischen Firmen ermöglichten. Das Konzept einer bäuerlichen Landwirtschaft wendet sich gegen die Durchsetzung einer dualen Landwirtschaft, in der einerseits von „reichen“ Bauern eine industrialisierte und angeblich kostengünstige Massenproduktion für Verbraucher mit niedrigem Lebensstandard aufrechterhalten wird, während andererseits „Nischen“ einer qualitativ hochwertigen und damit „zwangsläufig“ teuren Produktion für die wohlhabenderen Konsumenten bestehen, die von eher armen (d. h. nicht wettbewerbsfähigen) Bauern geleistet wird.

Tatsächlich ist dieses Bild ungenau: in der skizzierten Dualität stehen sich nicht einfach reiche und arme Bauern gegenüber, und im Übrigen kann eine Landwirtschaft mit gleichmäßig verteilten Nutzflächen die Nachfrage in ausreichender Menge und verschiedenen Qualitätsstufen vollkommen befriedigen und gleichzeitig die Umwelt schonen und Arbeitsplätze sichern. Dafür steht der Begriff der multifunktionalenLandwirtschaft.

1992 kam es zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, 1994 wurden die Verträge der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) unterzeichnet. Die Europäische Kommission musste feststellen, dass die gemeinsame Agrarpolitik in eine Sackgasse geraten war. Folge ihrer Kritik, die sich unter anderem auf Budgetkosten, soziale Schäden und Umweltzerstörung und Störung der Handelsbeziehungen wegen der Subventionen für die Ausfuhr europäischer Überschüsse bezog, war die Einleitung einer grundlegenden Reform. Allerdings setzte man in Brüssel auf Lösungen, die streng den ultraliberalen Dogmen folgen: eine Deregulierung durch Preissenkung und einen (in einer ersten Etappe nur partiellen) Abbau des Gemeinsamen Agrarmarktes. Um den Schock zu dämpfen, wurden den großen Branchen (Getreideanbau und Rindfleischproduktion) als Ausgleich für den Wegfall von Preisgarantien direkte Hilfen angeboten, der „Produktivismus“ wurde jedoch mit keinem Wort in Frage gestellt. Diese radikale Neuorientierung warf zwei grundlegende Fragen auf, die nicht nur die Landwirtschaft betreffen: Die Frage nach dem Stellenwert staatlicher Politik mit Blick auf den globalen Markt und die Frage nach der Legitimität von Subventionen.

Die Confédération paysanne, der die Grenzen einer rein bäuerlichen und ausschließlich auf Frankreich beschränkten Aktion bewusst geworden sind, startete in der Folge zwei Initiativen: Einerseits organisierte sie gemeinsam mit der Coordination paysanne européenne (CPE) eine internationale Bauernbewegung, die „Via Campesina“, die heute mehr als 69 Organisationen aus 37 Ländern in vier Kontinenten umfasst; andererseits schuf sie ein Bündnis von Erzeugern, Verbrauchern und Ökologiebewegung und somit eine Grundlage für einen breiten Gedankenaustausch und mögliche gemeinsame Atkionen.

Das Vertrauen der Verbraucher sinkt

DENN die neue GAP hat nur bestätigt, was zu erwarten war: die Verschärfung der Unterschiede zwischen den Bauern sowie die Zunahme der Überproduktionskrisen in den gering subventionierten Sektoren (Schweine- und Geflügelzucht, Obst- und Gemüseanbau usw). Hinzu kommt, dass das Vertrauen der Verbraucher in die industrielle Landwirtschaft sehr gelitten hat, man denke nur an die Skandale um hormonbelastetes Rindfleisch 1995 und 1999, an den BSE-Skandal 1996 und ( in jüngster Vergangenheit ) an Dioxinrückstände und Klärschlamm in Futtermitteln.3 In diesem Zusammenhang steht die Verabschiedung eines neuen landwirtschaftlichen Rahmengesetzes in Frankreich sowie – auf europäischer Ebene – ein weiterer Schritt bei der Reform der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. Die Confédération paysanne, deren Einfluss in staatlichen Gremien 1997 durch die Regierung Jospin erweitert wurde, kann ihre neue Politik nun offensiver vortragen, allem voran ihre Vorstellung von einer Multifunktionalität der Landwirtschaft und ihren Vorschlag, die Höhe der Subvention umgekehrt proportional zur Größe der landwirtschaftlichen Betriebe zu gestalten. Die Europäische Kommission allerdings hält weiterhin an ihrem ultraliberalen Kurs fest.

Die symbolische Vernichtung von Gen-Mais-Saatgut der Firma Novartis in Nérac (Département Lot-et-Garonne) im Januar 1998 trug sowohl in Frankreich als auch weltweit zu einer Mobilisierung gegen die multinationalen Biotechnologiekonzerne bei, welche ihre genetisch veränderten Organismen (GVO) auf dem Markt durchsetzen wollen.4

In den letzten Jahren hat die Gesellschaft die Lust am Widerstand gegen den ultraliberalen Irrsinn wiedergefunden: 1995 beim Streik der Eisenbahner und 1997 bei dem der Fernfahrer. In diesem Sommer artikulierte sich auf breiterer Ebene auch die Ablehnung des „Industriefraßes“ und die Kritik an einem Landwirtschaftsmodell, das nur die Interessen der Transnationalen ausdrückt. Die neu belebte öffentliche Diskussion könnte die Idee einer weltweiten Bürgerkontrolle befördern.

Zu diesem Zweck wird die Confédération paysanne gemeinsam mit weiteren Gewerkschaften und Verbänden Ende November in Seattle präsent sein, um gegen die weltweiten Liberalisierungspläne zu protestieren, die auf dem Programm der Millenniumsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) stehen.

dt. Dorothea Schlink-Zykan

* Landwirt, Mitglied der Bauernvereinigung Confédération paysanne.

Fußnoten: 1 Seit dem Frühjahr 1973 besetzten die Arbeiter, die gegen die Schließung der Uhrenfabrik Lip kämpften, das Fabrikgelände und organisierten auf eigene Faust Produktion und Verkauf von Uhren über ein Solidaritätsnetz. 2 Die Confédération paysanne war 1973 aus dem Zusammenschluss der Confédération des syndicats de travailleurs paysans CNSTP (etwa: Bund der Arbeiter-Bauern-Gewerkschaften) und der Fédération nationale des syndicats paysans (FNSP) entstanden. Siehe Artikel in Témoignage chrétien vom 23. September 1999. 3 Siehe Francois Dufour, „Die Zauberlehrlinge der Agrarindustrie“, Le monde diplomatique, Juli 1999. 4 Siehe Jean-Pierre Berlan und Richard C. Lewontin, „Angriff auf das Leben“, Le monde diplomatique, Dezember1998.

Le Monde diplomatique vom 15.10.1999, von JOSÉ BOVÉ