Unversöhnliche Erinnerung
ES fällt nicht leicht, mit gespielter Ruhe und Abgeklärtheit über die Entwicklung in Osttimor zu schreiben. Unser Empfinden von Schrecken und Scham wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die dort stattfindenden Verbrechen nichts Neues sind und dass sie so leicht zu stoppen gewesen wären. Das galt schon seit dem Dezember 1975, seit der Invasion Indonesiens, das auf die diplomatische Unterstützung und die Waffenlieferungen der USA setzen konnte: Unter dem Deckmantel eines offiziellen „Embargos“ wurden sogar neue Waffen geliefert, deren Einsatz zwar illegal war, aber insgeheim gebilligt wurde. Die Androhung von Bombenangriffen oder auch nur Sanktionen wäre gar nicht nötig gewesen. Die USA und ihre Verbündeten hätten lediglich ihre aktive Beteiligung einstellen und ihren Vertrauten in der indonesischen Militärführung mitteilen müssen, dass die Gräuel zu beenden seien und dem Territorium Osttimor ebenjenes Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren sei, das die Vereinten Nationen und der Internationale Gerichtshof ihm zugesprochen hatten.
Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir sollten immerhin eingestehen, was wir getan haben. Und der moralischen Verantwortung nachkommen, zu retten, was noch zu retten ist, und im Übrigen umfassende Reparationen zu leisten – als höchst bescheidene Geste der Entschädigung für scheußliche Verbrechen.
Das neueste Kapitel dieser peinlichen Geschichte des Verrats und des Mitschuldigwerdens begann unmittelbar nach dem Referendum des 30. August 1999, in dem die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmte. Sogleich ging die Zahl der Gräueltaten, organisiert und angeleitet vom indonesischen Militär (TNI), drastisch in die Höhe. Die UN-Mission (Unamet) gab in ihrem Bericht vom 11. September folgende Einschätzung der Lage: „Die unmittelbare Verbindung zwischen Milizen und Militär steht außer jedem Zweifel und wurde von Unamet während der letzten vier Monate in erdrückender Deutlichkeit dokumentiert. Doch Ausmaß und Intensität der Verheerungen, die Osttimor während der vergangenen Woche erlebt hat, demonstrierten ein neues Niveau der offenen Beteiligung des Militärs an Operationen, die vormals eher verdeckt durchgeführt wurden.“
Die Unamet warnte, „das Schlimmste dürfte erst noch bevorstehen. Es ist nicht auszuschließen, dass hier die ersten Phasen eine Völkermordaktion ablaufen, mit der
das Problem Osttimor gewaltsam aus der Welt geschafft werden soll.“1
Der indonesische Historiker John Roosa gab in der New York Times folgende nüchterne Einschätzung der Lage: „Da das Pogrom vorauszusehen war, hätte man es leicht verhindern können. Aber in den Wochen vor der Abstimmung weigerte sich die Clinton-Regierung, mit Australien und anderen Ländern über eine internationale Truppe zu diskutieren. Selbst nach dem Ausbruch der Gewalt zögerte die Regierung noch mehrere Tage lang“2 , bis sie sich unter internationalem (vor allem australischem) und innenpolitischem Druck zu ein paar zaghaften Gesten aufraffte. Schon das reichte aus, um die indonesischen Generäle zu veranlassen, die internationale Friedenstruppe zu akzeptieren. Ein anschaulicher Beleg für die latente Macht, die schon immer einsetzbar gewesen wäre. Und für die Tatsache, dass die Vereinten Nationen ohne die Zustimmung und Initiative Washingtons nichts unternehmen können.
Während Clinton „zauderte“, wurden nach UN-Schätzungen fast fünfzig Prozent der Bevölkerung aus ihren Wohnungen vertrieben und tausende ermordet.3 Die US-Luftwaffe, die in Jugoslawien zivile Ziele punktgenau vernichten konnte, sah sich außerstande, Nahrungsmittel für hungernde Menschen abzuwerfen, die vom Terror der indonesischen Streitkräfte in die Berge getrieben wurden – von Truppen also, die von den USA und ihren Verbündeten ausgerüstet und ausgebildet werden.
Das alles löst bittere Erinnerungen an die Ereignisse von vor 20 Jahren aus. Nach dem unfasslichen Gemetzel von 1977/78 – unter entscheidender Beihilfe der Carter-Regierung – glaubte Indonesien, einigen Diplomaten, darunter US-Botschafter Edward Masters, einen kurzen Besuch in Ost-timor gestatten zu können. Die Delegation erkannte sofort die ungeheure Dimension der humanitären Katastrophe. Was folgte, schilderte Benedict Anderson, renommierter akademischer Indonesien-Experte, vor einem UN-Ausschuss: Neun lange Monate von Hunger und Terror sah Botschafter Masters bewusst davon ab, „selbst innerhalb des Außenministeriums auf humanitäre Hilfe für Osttimor dringen“. Er wartete vielmehr ab, „bis ihm die Generäle in Djakarta grünes Licht gaben“, sich also „sicher genug fühlten, ausländische Besucher zuzulassen“, wie es ein interner Bericht des US-Außenministeriums formulierte.4 Erst dann begann man in Washington zu überlegen, welche Konsequenzen sich aus dem eigenen Handeln ergeben.
In Osttimor läuft stets dasselbe Geschehen ab. Eine schauerliches Beispiel war bereits der Staatsstreich, der 1965 General Suharto an die Macht brachte. Den Massakern der Armee, die binnen weniger Monate hunderttausende abschlachtete, fielen in erster Linie landlose Bauern zum Opfer.
Die politische Massenpartei der Linken, die PKI, war damit vernichtet. Der Westen reagierte mit ungehemmter Begeisterung und einhelligem Lob für die „gemäßigten Kräfte“ Indonesiens – also für Suharto und seine Komplizen in der Armee, die ihre Gesellschaft gesäubert und der Ausplünderung durch das Ausland Tür und Tor geöffnet hatten. Verteidigungsminister Robert McNamara eröffnete dem Kongress, die militärische Hilfe und Ausbildung durch die USA habe „sich ausgezahlt“; in einem Kongressbericht war die Rede von „enormen Dividenden“. McNamara teilte Präsident Johnson mit, die US-Militärhilfe habe die indonesische Armee „ermutigt, gegen die PKI vorzugehen, sobald sich die Gelegenheit bot“. Die Programme für indonesische Offiziere hätten dazu beigetragen, „die neue politische Elite Indonesiens (der Armee) in ihrer wohlwollenden Haltung zu bestärken“.5 Und so ging es 35 Jahre weiter, mit Rüstungslieferungen, Ausbildungshilfe und Informationsaustausch – bis zu den „humanitären Manövern“ im August 1999.
Während die indonesischen Streitkräfte und ihre paramilitärischen Helfer im September 1999 mordend und plündernd die Hauptstadt Dili niederbrannten, verlautbarte das Pentagon, „ein US-indonesisches Manöver mit dem Schwerpunkt auf humanitärer und Katastrophenhilfe“ sei am 25. August zu Ende gegangen6 , also fünf Tage vor dem Referendum.
Einige Monate zuvor – kurz zuvor waren in Liquica Dutzende von Flüchtlingen in einer Kirche massakriert worden – sagte Admiral Dennis Blair, der US-Oberbefehlshaber für die pazifische Region, dem indonesischen Oberkommandierenden General Wiranto die Unterstützung der USA zu und schlug ein neues US-Ausbildungsprojekt vor.7
Seit 1975 hat Washington an Indonesien Waffen im Wert von über einer Milliarde Dollar geliefert (weitere Details in dem Beitrag von Romain Bertrand). Und die US-Regierung rühmt auch heute wieder „den Wert jahrelanger Ausbildung für Indonesiens künftige Militärführung in den USA und die Millionen Dollar an Militärhilfe für Indonesien“ und dringt auf die Weiterführung solcher Programme in Indonesien und in aller Welt.8
Die Gründe für diese schändliche Bilanz werden manchmal sogar ehrlich ausgesprochen. Während der jüngsten Gräueltaten hat ein Diplomat in Djakarta „das Dilemma“ der Großmächte auf die Formel gebracht: „Indonesien ist wichtig und Ost-timor nicht.“9 Das erklärt, warum Washington stets dieselben folgenlosen Missbilligungsgesten macht und zugleich betont, die innere Sicherheit Osttimors liege „in der Verantwortung der Regierung Indonesiens, und wir wollen ihr diese Verantwortung nicht abnehmen“. So lautete die offizielle Stellungnahme nur wenige Tage vor dem August-Referendum – in voller Kenntnis der Methoden, mit denen Indonesien diese „Verantwortung“ wahrgenommen hatte.10
Das Kalkül des zitierten Diplomaten wurde unlängst in der New York Times von zwei Asien-Experten noch klarer formuliert: Die Kalkulation der Clinton-Regierung beruhe darauf, „dass die Vereinigten Staaten ihre Beziehungen zu Indonesien, einer rohstoffreichen Nation von über 200 Millionen Einwohnern, höher bewerten müssen als die Sorge um das politische Schicksal Osttimors, eines winzigen, verarmten, nach Unabhängigkeit strebenden Territoriums von 800 000 Einwohnern“. In dem Artikel wird auch Douglas Paal zitiert, der Präsident des Asia Pacific Policy Center: „Timor ist ein Verkehrshindernis auf der Straße, die zu Verhandlungen mit Djakarta führt, und das müssen wir unbeschädigt überwinden. Indonesien ist ein großes, für die Stabilität der ganzen Region entscheidendes Land.“11 „Stabilität“ ist seit langem das Schlüsselwort, und es steht eigentlich für „wohlwollende Orientierung der politischen Elite“ – und zwar wohlwollend gegenüber ausländischen Investoren und globalen Managern.
Das offizielle Washington bekennt, man sei „an Osttimor absolut nicht interessiert“. Neuerdings hat allerdings der intensive Druck der Australier dieses Kalkül revidiert: „Wir haben dort einen sehr großen Hund namens Australien im Rennen, und den müssen wir unterstützen“, bilanzierte ein höherer Regierungsvertreter.12
Die Verantwortlichen für die indonesische Invasion von 1975 hatten die US-amerikanischen Leitlinien sehr wohl verstanden. Die formulierte im Nachhinein der UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan; und jeder, der sich ernsthaft für internationale Politik, für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit interessiert, sollte sich diese Sätze tief in sein Gedächtnis einschreiben. Der Sicherheitsrat verurteilte damals die Invasion und forderte Indonesien zum Rückzug auf. Warum das folgenlos blieb, hat Moynihan in seinen 1978 erschienenen Memoiren erläutert:
„Die Vereinigten Staaten wollten die Entwicklung der Dinge genau so, wie sie dann eingetreten ist, und sie arbeiteten gezielt darauf hin. Das Außenministerium wünschte, dass sich alle Maßnahmen der Vereinten Nationen als völlig ineffektiv erwiesen. Die Aufgabe wurde mir übertragen, und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg bewältigt.“ 13
Der Erfolg war fürwahr beträchtlich. Moynihan zitiert Berichte, wonach innerhalb zweier Monate etwa sechzigtausend Menschen ums Leben kamen, also „zehn Prozent der Bevölkerung, ein fast ebenso hoher Prozentsatz wie in der Sowjetunion während des zweiten Weltkriegs“14. Erfolgreich war Moynihan auch insofern, als binnen eines Jahres „das Thema aus der Presse verschwand“.
Während Moynihan 1977/78 an seinen Memoiren schrieb, erreichten die Gräueltaten ihren Höhepunkt. Gestützt auf neue, modernste Waffensysteme, die ihnen die „Regierung der Menschenrechte“ liefert, begannen die indonesischen Militärs eine vernichtende Offensive gegen hunderttausende Osttimoresen, die in die Berge geflohen waren. Damals versuchten glaubwürdige Kirchenvertreter in Osttimor, die geschätzte Zahl von 200 000 Toten zu verbreiten, die jahrelang geleugnet wurde und erst Jahre später als realistisch anerkannt wurde. Als das Gemetzel die Dimension eines Völkermords anzunehmen drohte, leisteten auch Großbritannien und Frankreich – und andere Mächte – ihren Beitrag, mit Waffenlieferungen und diplomatischer Unterstützung.
Aus dem Versteck zu den Wahlurnen
DAS Jahr 1999 brachte zunächst einen Moment der Hoffnung. Der indonesische Interimspräsident Habibie forderte ein Referendum, bei dem es die Wahl zwischen einer Angliederung an Indonesien („Autonomie“) und derUnabhängigkeit geben sollte. Die Armee griff sofort ein, um mittels Terror und Einschüchterung eine Option für die Unabhängigkeit zu verhindern. In den Monaten vor dem August-Referendum wurden nach glaubwürdigen Kirchenquellen 3 000 bis 5 000 Menschen umgebracht15. Das wären doppelt so viele Tote wie im Kosovo in der Periode vor den Nato-Bombenangriffen und sogar viermal so viel, wenn man es in Relation zur Gesamtbevölkerung setzt. Der Terror war umfassend und sadistisch und sollte warnend darauf hinweisen, was jeden erwartete, der den Befehlen der Besatzungsarmee zu trotzen wagte.
Dennoch ging fast die gesamte Bevölkerung zu den Urnen, viele verließen deswegen sogar ihre Verstecke. Nahezu achtzig Prozent stimmten für die Unabhängigkeit. Das provozierte die letzte Phase der Gräueltaten: Die indonesische Armee versuchte mit Massakern und Vertreibungen das Ergebnis umzukehren, dabei wurde ein großer Teil des Landes verwüstet. Innerhalb von zwei Wochen dürften über 10 000 Menschen umgebracht worden sein, schätzt Bischof Carlos Filipe Belo, der Nobelpreisträger, der vor Gewehrsalven aus seinem Lande flüchten musste und erst unter dem Schutz der UN-Truppe am 5. Oktober wieder zurückkehren konnte.16
Schon vor Habibies überraschender Referendumsidee hatte die indonesische Armee sich auf den Fall vorbereitet, dass ihre Herrschaft – einschließlich ihrer Kontrolle über die Ressourcen Osttimors – bedroht sein könnte. Sie hatte Pläne vorbereitet, die darauf zielten,„schlicht und einfach eine Nation zu vernichten“. Von diesen Plänen hatten westliche Nachrichtendiensten von Anfang an Kenntnis. Die TNI rekrutierte tausende Westtimoresen und ließ Truppen aus Java heranführen. Noch bedrohlicher wirkte die Ankunft der gefürchteten, in den USA ausgebildeten Kopassus-Spezialeinheiten des General Makarim, eines von der CIA ausgebildeten Geheimdienstspezialisten, der sich bei früheren Einsätzen in Osttimor den „Ruf fühlloser Gewalttätigkeit“ erworben hatte.17
Für den Terror und die Zerstörung, die alsbald begannen, waren TNI-Truppen verantwortlich, die man im Westen mit der fragwürdigen Bezeichnung „vagabundierende Elemente“ belegte. Es gibt gute Gründe, wie Bischof Belo die direkte Verantwortung für diese Milizen beim kommandierenden General Wiranto in Djakarta zu sehen.18 Sie unterstanden offenbar der Aufsicht von Kopassus-Einheiten, jener „Elitetruppen“, von denen der erfahrene Asien-Korrespondent David Jenkins berichtet, sie hätten „regelmäßig Übungen mit US- und australischen Streitkräften abgehalten, bis ihr Auftreten ihren ausländischen Freunden zu peinlich wurde“. Benedict Anderson berichtet, die „wegen ihrer Grausamkeit berüchtigten“ Kopassus-Einheiten hätten gerade in Osttimor „ vielfältige Gräueltaten“ begangen, darunter systematische Vergewaltigungen, Folterungen und Hinrichtungen. Jenkins schreibt, die Kopassus operierten nach der Taktik des US-amerikanischen Phoenix-Programms (nach dem in Südvietnam zehntausende Bauern und ein Großteil der einheimischen südvietnamesischen Führung umgebracht worden waren). Laut Jenkins orientierten sie sich auch an den „von den Contras in Nicaragua geübten Methoden“, die diese von ihren CIA-Mentoren gelernt hatten. Diese staatlichen Terroristen jagten nicht etwa nur die „radikalsten Verfechter der Unabhängigkeit“, sondern mehr noch die „gemäßigten Kräfte, Leute, die in ihren Gemeinden Einfluss haben“. Eine gut informierte Quelle in Djakarta behauptet: „Das sieht ganz nach Methode Phoenix aus [...] alle und jeden zu terrorisieren“ – die Nichtregierungsorganisationen, das Rote Kreuz, die UN, die Journalisten“.19
Schon einige Zeit vor dem Referendum hatte der Kommandeur der indonesischen Truppen in Dili, Oberst Tono Suratman, vor den Folgen gewarnt: „Sagen wir es ganz deutlich: Wenn die Pro-Unabhängigkeitskräfte siegen, wird alles zerstört werden. Das wird schlimmer als vor 23 Jahren.“20 Ein Dokument der Armee von Anfang Mai, als man gerade ein internationales Abkommen über das Referendum erzielt hatte, enthält die Anordnung „nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses in allen Dörfern Massaker anzurichten, falls die Verfechter der Unabhängigkeit siegen“. Die Unabhängigkeitsbewegung sei „von der Führung bis zur Basis auszuschalten“.21 Unter Berufung auf diplomatische, kirchliche und Milizquellen berichteten australische Zeitungen, „dass hunderte moderne Sturmgewehre, Granaten und Granatwerfer in Magazinen lagern, um eingesetzt zu werden, falls die Option der Autonomie an den Wahlurnen abgelehnt wird“.22
All dies war den „ausländischen Freunden“ klar. Die wussten auch, wie man den Terror beenden konnte, zogen es aber vor, so ausweichend und zwiespältig zu reagieren, dass die indonesischen Generäle annehmen durften, sie hätten „grünes Licht“ bekommen .
Die ganze schmutzige Geschichte ist vor dem Hintergrund der US-indonesischen Beziehungen seit 1945 zu betrachten.23 Die gewaltigen Ressourcen der Inselwelt und ihre entscheidende strategische Bedeutung sichern Indonesien eine zentrale Rolle in den globalen Plänen der Vereinigten Staaten. Diese Faktoren erklären die Bemühungen der Vereinigten Staaten, Indonesien zu schwächen, als sich das Land vor vierzig Jahren als zu unabhängig und demokratisch erwies und sogar die linke KPI mit ihrer bäuerlichen Massenbasis am politischen Leben teilhaben ließ. Dieselben Faktoren liegen der westlichen Unterstützung für das Regime der Mörder und Folterer zugrunde, die 1965 eine „günstige Richtung“ herbeiführten. Die Errungenschaften dieses Regimes wurden zudem als Rechtfertigung der amerikanischen Kriege in Indochina wahrgenommen, der ja weitgehend der Besorgnis entsprang, der „Virus“ des unabhängigen Nationalismus könnte auch Indonesien „infizieren“ (um es in der Sprache Kissingers auszudrücken).
Die Unterstützung für die Invasion Osttimors und die darauffolgenden Gräuel waren also eine bloß reaktive Politik. Eine globaler angelegte Analyse müsste jedoch auch das Beispiel Afrika berücksichtigen, wo der Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches weitgehend die gleichen Konsequenzen hatte, wobei in diesem Fall Südafrika zum Agenten des vom Westen unterstützten Terrors wurde. In all diesen Fällen verwies man routinemäßig auf den Kalten Krieg, um alle möglichen hässlichen Motive und Aktionen, vor allem die in Südostasien, zu rechtfertigen.
Doch mittlerweile sollten wir bereit sein, die Mythologie zu verwerfen und den Gründen und Konsequenzen unserer Handlungen ins Auge zu blicken. Das gilt nicht nur für Osttimor. Doch in dieser gequälten Ecke der Welt haben wir immerhin noch die Chance – wenn auch nicht mehr sehr lange –, eine der erschreckendsten Tragödien dieses schrecklichen Jahrhunderts zu stoppen.
dt. Meino Büning
* Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology, beschäftigt sich seit „Amerika und die Mandarine“ (1969) mit Südostasien. Zuletzt ist sein Buch „Wirtschaft und Gewalt“ (1993) auf Deutsch erschienen.