Cyber-Jagd auf „Perverse“
WENN in der schönen Jahreszeit in den kalifornischen Counties die Jahrmärkte abgehalten werden, dann zählt zu den begehrtesten Attraktionen – neben Pferderennen und der Schweinewaage – das „outing“ von Sittlichkeitstätern.1 Zwischen den Wagen der Doughnut-Verkäufer und den Schießständen wirbt das Justizministerium in grellen Farben auf einem riesigen Spruchband: „Kontrollieren Sie selbst! Freier Zugang zur Beschreibung von Sexualtätern.“ Auf sieben Computern, die mit der Megan-CD-ROM geladen sind, kann der Kunde umgehend Fotos von (ehemaligen) Sexualdelinquenten, die in seinem Viertel wohnen, auf dem Bildschirm aufrufen, indem er einfach die Postleitzahl seines Wohnorts eingibt.
In dichten Trauben drängen sich die begeisterten Schaulustigen um diesen Stand und dessen kybernetische Variante des Voyeurismus, der in früheren Zeiten mit der Zurschaustellung von „menschlichen Monstern“ befriedigt wurde.2 Wer recherchieren will, muss aber noch seinen Führerschein als Personalausweis vorlegen, damit sichergestellt ist, dass er nicht selbst im Register der Sittlichkeitstäter erfasst ist. Angeblich wollen die Behörden damit verhindern, dass sich die „Perversen“ über die Datenbank zusammenfinden und diese zur Bildung krimineller Netze nutzen. Das Schauspiel verspricht starke Gefühle für wenig Geld: „Der Typ wohnt doch genau bei uns gegenüber“, kann man hören, sobald Name und Farbfoto eines ganz gewöhnlich aussehenden Mannes von mittlerem Alter und mit Schnurrbart auf dem Bildschirm erscheint. „Seine Tochter geht doch mit meinem sechsjährigen Mädchen in die Schule.“ Die eine Mutter ist entsetzt, weil sie in ihrem Nachbarschaftsgebiet 63 Sexualdelinquenten entdeckt, eine andere ist unheimlich erleichtert, weil ihr Bereich keinen einzigen ausweist.
Der kalifornische Justizminister Dan Lungren gab sich beim Jahrmarkt im Los Angeles County höchstpersönlich die Ehre und weihte den „Megan-Stand“ ein, einen der größten und, gemessen an der wartenden Menge vor den PC-Plätzen, einen der beliebtesten auf dem ganzen Volksfest. Er erklärte dazu: „Die meisten Leute wissen nicht, dass man diese Informationen abrufen kann, und viele haben auch Scheu davor, in ein Polizeikommissariat zu gehen. So kam ich auf die Idee, dass es dafür doch keinen schöneren Ort gibt als einen Jahrmarkt.“ 3
L. W.