Ethnische Vertreibung im Afrika
Von M. A. PÉROUSE DE MONTCLOS *
DA die Grenzen ohnehin durchlässig sind, suchen die afrikanischen Regierungen im Allgemeinen ihr Heil in der Offensive – in Ausweisungen – und nicht so sehr in defensiven Maßnahmen wie Einreiseverweigerung, Grenzschließung, restriktive Visapolitik oder Pflicht zum Nachweis einer Unterkunft. Häufig gingen fremdenfeindliche Tendenzen in der Bevölkerung mit den Vertreibungen einher oder diesen voraus. So wurde in Port Gentil (Gabun) schon 1953 Jagd auf die „Popo“-Händler aus Togo und Dahomey (heutiges Benin) gemacht. In Abidjan (Elfenbeinküste) kam es 1958 zu Ausschreitungen gegen die aus Togo und Dahomey stammenden Beamten, 1969 gegen die Mossi aus Obervolta (heutiges Burkina Faso) und 1993 gegen die Ghanaer.
Die beliebtesten Migrationsziele sind natürlich attraktive Wirtschaftsregionen wie Südafrika, Kenia und Gabun. Dazu zählt auch die Elfenbeinküste, die in den sechziger und siebziger Jahren als westafrikanisches Wirtschaftswunderland galt. Dort leben 1,7 Millionen Boyorodjans („die von weit her kommen“); wenn man ihre im Lande geborenen Kinder mitzählt, sogar mehr als 3 Millionen – in Abidjan machen sie 46 Prozent der Bevölkerung aus. Die Frage ist dort inzwischen so gravierend, dass sie zum zentralen Wahlkampfthema wird. Die Regierung von Henri Konan Bédié legt die nationale Zugehörigkeit („ivoirité“) sehr eng aus, um bestimmte Kandidaten aus dem Feld zu drängen, indem sie deren Vorfahren als Fremde abstempelt.1
Auch in armen Ländern kommt es zu Fremdenfeindlichkeit, zumal dann, wenn die Fremden wirtschaftlich aktiver sind. In Luanda (Angola) etwa wurden bei Polizeirazzien gegen den Schwarzmarkt vor allem zairische Händler verhaftet. Ohnehin begünstigt die Rezession, zumal in Kriegszeiten, die Schafffung von gesellschaftlichen Sündenböcken.
Die Gewalt gegen Ausländer hängt also vor allem mit der Frage des täglichen Brots zusammen, wie auch aus den traditionellen „Hunger-Unruhen“ deutlich wird; mit ihrem Gerede über „Authentizität“ und Nationalstolz heizen die Politiker die Emotionen zusätzlich an. Völlig unbekümmert um das Schicksal der Flüchtlinge – nur in Botswana, Burundi und Tansania gibt es Verfahren zur Naturalisierung der Bürgerkriegsflüchtlinge – wird in Afrika massiv und mit größter Selbstverständlichkeit ausgewiesen: 1965 traf es Guineer im Grenzgebiet Senegals, 1966 ghanaische Fischer in Sierra Leone, Guinea und der Elfenbeinküste, 1972 Simbabwer, Botswaner, Zairer, Tansanier und Somalier in Sambia, 1979 und 1981 Tansanier und Ugander in Kenia, 1982 Peul in Sierra Leone und Banjarwanda in Uganda, 1989 nach den Pogromen von Nouakchott und Dakar Mauretanier und Senegalesen usw.2 Noch 1998 wurden während des Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea fast 50 000 Eritreer aus Äthiopien ausgewiesen. In Südafrika hat man seit 1990 eine halbe Million Illegaler vertrieben.
Nigeria stellte 1983 einen traurigen Rekord auf: Unter Hinweis auf die gestiegene Kriminalität und die wirtschaftliche Konkurrenz gab die Regierung von Präsident Shehu Shagari den illegalen Einwanderern zwei Wochen Zeit, das Land zu verlassen.3 Man verhaftete „ghanaische Banditen“, die angeblich an einem Anschlag auf die Residenz des nigerianischen Vizepräsidenten beteiligt waren, man verwies darauf, der Anteil ausländischer Häftlinge sei 1984 in Lagos auf 15 Prozent gestiegen (1979 lag er bei 5, 1975 bei 2 Prozent). In Togos Hauptstadt Lomé wurde 1983 das Elendsviertel Akodesewa abgerissen, weil die Bewohner, von denen viele aus Nigeria ausgewiesen worden waren, als kriminell galten. In Kamerun galt jeder Nigerianer lange Zeit als potentieller Schmuggler.4 Und in Südafrika verdächtigt man die 5 000 jüngst eingewanderten Nigerianer generell des Drogenhandels. Der politische Kontext hat die Vorurteile verstärkt, denn Lagos hatte den Kampf gegen die Apartheid nie sonderlich unterstützt, und die Verschärfung der Diktatur von General Sani Abacha zwischen 1994 und 1998 hat die Beziehungen zum neuen, demokratischen Südafrika, wo mittlerweile fast 3 000 Nigerianer Asyl beantragt hatten, nicht gerade verbessert.
Die nigerianische Regierung hatte sich außenpolitisch eine humane Fassade zugelegt und panafrikanische Gefühle angesprochen – etwa bei der Rechfertigung ihrer Intervention in Liberia und Sierra Leone. 1979 hatte sie eine Konvention unterzeichnet, die den Einwohnern der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (Cedeao) Freizügigkeit zusicherte und einen visumfreien Aufenthalt von neunzig Tagen gewährte. Vorher waren nur die Bürger Kameruns, des Tschad und Marokkos vom Visumzwang befreit gewesen, obwohl diese Länder nicht der Cedeao angehören. Außerdem hatte Nigeria 1981 die Charta der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) für Menschen- und Völkerrechte unterzeichnet, die Massenausweisungen von staatsfremden Bewohnern grundsätzlich untersagt. Doch das hinderte die Behörden von Lagos 1983 nicht, 2 Millionen Ausländer zurückzuschicken (davon die Hälfte Ghanaer). Zwei Jahre später vertrieb die Militärregierung von General Muhammadu Buhari mit Hinweis auf die Wirtschaftskrise viele Immigranten, und zwar nicht nur Arbeitslose ohne Aufenthaltserlaubnis, sondern auch 90 000 Ghanaer, außerdem Beniner, Tschader und Nigerianer.5
Die Regierung Nigerias hat sich nie gefragt, welche Konsequenzen die eigene Immigrationspolitik für die im Ausland lebenden Landsleute hat, vor allem für die Handel treibenden Yoruba und Haussa, die seit langem über ganz Westafrika verstreut sind. Als 1968 ein aus der Elfenbeinküste stammender Taxifahrer in Abidjan ermordet wurde, wandte sich der Volkszorn gegen die Yoruba-Händler. In Ghana traf es die muslimischen Haussa in den städtischen Ghettos, die als ausländische Schädlinge behandelt wurden. Der äußerst populäre „nationale Kreuzzug“ der Regierung gegen die Immigranten vom September 1969 vertrieb 140 000 Nigerianer. Und selbst Äquatorial-Guinea wies 1976 mehrere tausend Nigerianer aus.
Im Südwesten Kameruns war es eher ein schleichender Prozess: Mit systematischen Schikanen vertrieben die Behörden insgesamt etwa 265 000 (bevorzugt in Städten lebende) nigerianische Staatsangehörige.6 Die nigerianischen Einwanderer, zu zwei Dritteln Ibo, von denen mehrere tausend im Ersten Weltkrieg auf britischer Seite gekämpft hatten, waren bei der britischen Übernahme der ehemals deutschen Kolonie ins Land gekommen. Doch bei der „Kamerunisierung“ des öffentlichen Dienstes und des Plantagensektors verloren sie ihre aus der Kolonialzeit stammenden Privilegien. Die nigerianischen Migrationsströme sind also einerseits Folgen der politischen Konjunktur, andererseits von ökonomischen, ja sogar kulturellen Zwängen, wie der Glaube an die „bösen Geister“ bezeugt, die an den Hängen des Kamerunberges hausen sollen.
Der Biafrakrieg von 1967 und Nigerias Abkoppelung vom britischen Pfund machten diese Region zu einem politischen und wirtschaftlichen Refugium, das jedoch nach 1994 durch die Abwertung des CFA-Francs und den Grenzkonflikt auf der Halbinsel Bakassi an Attraktivität verlor. Zahlreiche Nigerianer in Kamerun wollen zurück, sobald sie genug Geld verdient haben. Auch wer es nicht schafft, weil das Geld zum Umzug fehlt, hängt sehr an der Heimat; zwei von drei besitzen ein Haus in Nigeria. Die Behörden Kameruns unternehmen nichts, um die Einwanderer zurückzuhalten. Man hat ohnehin den Verdacht, dass Nigeria die im anglophonen Südwesten des Landes besonders starke Opposition gegen das Regime in Jaunde unterstützt. Die separatistischen Bestrebungen sind keineswegs tot, und im März 1994 riefen anglophone Kameruner die „Republik Ambazonia“ aus. Im Übrigen gerieten die Armeen beider Länder mehrfach (1981, 1987, 1989 und 1994) in Konflikt um ein paar Inseln im Tschadsee und um die Aufteilung der Territorialgewässer im Golf von Guinea.
Mit mehr oder weniger diskretem Druck versucht Kamerun, die Nigerianer zum Gehen zu bewegen. Für die seit 1971 vorgeschriebene Aufenthaltserlaubnis wurden die Gebühren in den letzten fünfzehn Jahren viermal erhöht. Der heutige Betrag (3 000 Franc) entspricht dem durchschnittlichen Jahresumsatz eines nigerianischen Kleinhändlers in Kamerun. Ein Dekret vom August 1990 begrenzte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis für alle Ausländer, die noch keine zehn Jahre in Kamerun leben, auf fünf Jahre. Das machte drei Viertel der im Lande lebenden Nigerianer über Nacht zu Illegalen und potentiellen Opfern von Polizeirazzien – an denen sich nicht selten auch Einheimische beteiligten. Diese profitieren zwar vom Schmuggel, durch den sie die lebensnotwendigen Dinge billiger kaufen können, doch sie fühlen sich von der Geschäftstüchtigkeit der Immigranten bedroht, die bei der Unabhängigkeit 85 Prozent des Handels im Südwesten an sich rissen. Kriminelle Brandstiftung zerstörte beispielsweise 1988 den Hauptmarkt von Kumba, wo zwei Drittel der Verkaufsbuden Nigerianern gehörten.
Der afrikanische Immigrant ist der perfekte Sündenbock. Geschieht ein Verbrechen, wird er stets als erster beschuldigt, ähnlich wie im klassischen Griechenland, wo die hergelaufenen Fremden kein Bürgerrecht hatten. Im südlichen Afrika wird der Ausländer, sofern man ihn nicht lyncht, manu militari über die Grenze gejagt. Seine Verurteilung zum Tode, durch religiöses Ritual oder per Selbstjustiz, wird von der Allgemeinheit durchgeführt und vom Staat, der untätig bleibt oder die Gewalt gar anheizt, durchaus gebilligt.
dt. Joseph Winiger
* Forschungsbeauftragter am französischen Institut de recherche pour le développement (CEPED).