17.12.1999

Kateb Yacine – Formen des Widerstands

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Kateb Yacine – Formen des Widerstands

ZUM zehnten Todestag von Kateb Yacine legten französische Verlage Neuausgaben seiner Werke vor. Manches war bereits bekannt, anderes nicht, jedenfalls nicht beim hiesigen Publikum.1 „L'OEuvre en fragments“ erlebt seine dritte Auflage.2 Über dieses Buch, das Gedichte, Prosatexte und Auszüge aus dem dramatischen Werk versammelt, muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Es genügt eine Leseempfehlung an alle, die noch nicht wissen, wie vielseitig begabt der Verfasser des Romans „Nedschma“ war.

Wie der Sammelband „Minuit passé de douze heures“3 zeigt, war der Romancier, Dichter und Dramaturg Kateb Yacine auch ein fleißiger Chronist. Von den etwas schwülstigen Texten der Jugendjahre (den ersten, der dem Emir Abdelkader gewidmet ist, hat Yacine mit siebzehn verfasst), bis zu den zorn- und trauererfüllen Eintragungen nach der Repression gegen die Jugendlichen von Algier im Oktober 1988 kann der Leser den Werdegang eines Intellektuellen von Rang nachvollziehen, dem es stets wichtig war, sich seinem Volk nicht zu entfremden. „Es gibt keine fremden Sprachen, sofern man sich allererst in der eigenen Sprache ausdrückt“, schrieb er 1975. „Ich schreibe heute in einem arabischen Dialekt, der Sprache des algerischen Volkes. Außerdem habe ich ein paar Brocken der so genannten Berbersprache gelernt, die unsere Vorfahren benutzten. Ein doppelter Salto also, der aber notwendig ist, um sich nicht mit der Entfremdung abzufinden.“

Was Yacine 1961 in Afrique-Action über García Lorca geschrieben hat, lässt sich fast wortwörtlich auf seinen eigenen Werdegang übertragen. Er besprach Lorcas „Meisterwerk, eine der bedeutendsten Dichtungen der Welt – den ,Romancero gitano‘ [dt. „Zigeuner-Romanzen“]. Ganz Spanien erkennt ihn als seinen größten Dichter an. Aber Lorcas Bedeutung geht noch weiter. Mit Hilfe finanzieller Unterstützung gründete er die fahrende Theatertruppe ,Barraca‘, die von Dorf zu Dorf zieht und das alte spanische Theater wieder aufleben lässt.“

Kateb Yacine ruhte sich nicht auf den Lorbeeren aus, die „Nedschma“ ihm eingebracht hatte; auch er gründete eine Theatertruppe, die staatlich unterstützt wurde – und zwar vom Arbeitsministerium. Der Kulturbetrieb als Mittel zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit war Yacine suspekt. Er entschied sich für das Theater, weil die Mehrheit seines Volkes noch immer aus Analphabeten bestand. An diese Menschen wollte er das Wort richten. 4 Wer bereit ist, querzulesen, das aktuelle Angebot an Veröffentlichungen zu nutzen, journalistische Arbeiten ebenso zur Kenntnis zu nehmen wie die Gedichte, die Theaterstücke und den Roman „Nedschma“, wird sofort begreifen, welche außerordentliche Einheit Yacines Werk bei all der beeindruckenden Vielfalt der Ausdrucksformen besitzt.

Das Leitmotiv ist Widerstand: Widerstand gegen den Kolonialismus, später der Widerstand gegen die Etablierung einer nationalistischen Kultur, die nur den elitären Zirkeln diente, die sie hervorbrachten, und nicht zuletzt Widerstand gegen die kultische Verehrung des geschriebenen Wortes. Kateb Yacine hat sich nie in die Pose des aufgeklärten Intellektuellen oder des begnadeten Dichters geworfen, und doch wurde er, wie es im Vorwort zu „Minuit passé de douze heures“ heißt, zu „einem der größten Schriftsteller unseres Jahrhunderts“.

FRANÇOIS BOUCHARDEAU

Fußnoten: 1 Auf Deutsch erschienen „Sternenvieleck“, dt. von Thomas Bleicher und Marie-Noëlle Vitry, Mainz (Kinzelbach) 1994, sowie „Nedschma“, dt. von Walter Maria Guggenheimer, Frankfurt (Suhrkamp) 1987. 2 „L'OEuvre en fragments. Inédits littéraires et textes retrouvés, rassemblés et présentés par Jacqueline Arnaud“, (Sindbad/Actes Sud) 1999. 3 „Minuit passé de douze heures. Écrits journalistiques 1947-1989“, Paris (Seuil) 1999.

Le Monde diplomatique vom 17.12.1999, von FRANÇOIS BOUCHARDEAU