14.01.2000

Risikofaktor Mutterschaft

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Risikofaktor Mutterschaft

Von COLETTE BERTHOUD *

VON der senegalesischen Fischverkäuferin mit den von Salzlake verätzten Händen über die Bäuerin mit ihren kleinen Kindern auf dem Rücken, die täglich mehr als zwanzig Kilo Hirse oder Reis stampft und das junge Dienstmädchen in Abidjan, das von früh bis spät Hausarbeit verrichtet, bis hin zur Verkäuferin auf dem großen Markt in Cotonou: in ganz Afrika steht es schlecht um die Gesundheit der Frauen. So robust und mutig die Afrikanerinnen auch sind, Überarbeitung, Mangelernährung und Missachtung untergraben ihre Gesundheit.1

Millionen afrikanische Frauen erledigen parallel Hausarbeit und Landwirtschaft, verkaufen, was auch immer sie auftreiben können, schleppen Wasser und Brennholz und ziehen gleichzeitig ihre Kinder groß. Es gibt nur vereinzelte Studien über ihre Situation, aber auf dem Land arbeiten beispielsweise die senegalesischen Frauen durchschnittlich 16 bis 18 Stunden am Tag.2 In den Nachbarländern sieht es nicht besser aus.

Eine vielsagende und zutiefst beunruhigende Zahl ergänzt das Bild: In Afrika sterben jährlich 160 000 Frauen entweder während der Geburt (beziehungsweise in den unmittelbar anschließenden Wochen) oder an den Folgen illegaler Abtreibungen. Nach jüngsten Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks Unicef in Abidjan kommen auf 100 000 Geburten in Afrika 980 Todesfälle, wobei es sich allerdings um einen Mittelwert handelt: In Guinea etwa sind es 1 600 Mütter, im Tschad 1 500, in Niger und Mali je 1 200, die bei der Entbindung ihr Leben verlieren.Und zwischen 30 und 100 Mal so viele Frauen leiden im Anschluss an eine Geburt an Komplikationen und schwangerschaftsbedingten, akuten Erkrankungen wie Uterusdurchbruch, Entzündungen im Beckenraum, oder an chronischen Leiden wie Entzündungen im Genitalbereich und vor allem Fisteln an der Blase, die zu Harninkontinenz führen können und viele junge Frauen an den Rand der Gesellschaft drängen.3

West- und Zentralafrika haben die höchste Geburtenrate der Welt. Die Frauen leben dort unter Bedingungen, die fast zwangsläufig in die Katastrophe führen: Sie werden zu früh verheiratet, kaum dass ihr eigenes körperliches Wachstum abgeschlossen ist (über die Hälfte der Afrikanerinnen werden bereits als Jugendliche Mütter)4 ; sie werden zu früh schwanger (mehr als 10 Prozent der Mädchen in Kamerun und Nigeria noch vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr) und gebären dann etwa zwanzig Jahre lang ohne längere Pause bis zum Ende ihrer Fruchtbarkeitsphase. Zudem werden sie beschnitten und oft auch infibuliert, was ihre Gesundheit von Kindheit an beeinträchtigt.5 Die rasante Verbreitung des Aids-Virus – nach Schätzungen der zuständigen UN-Behörde sind 22 Millionen Menschen in Afrika HIV-positiv – stellt eine zusätzliche Bedrohung für die afrikanischen Frauen dar.

Und obwohl sie die Gefahr inzwischen sehen und sich auch mobilisieren, sind sie in einer schwachen Position. Das gilt für Frauen mit Schulbildung in den Städten genauso wie für Analphabetinnen auf dem Land. Geschützten Sexualverkehr können sie in der Regel nicht durchsetzen. Eine Frau, die es wagt, ihrem Mann die Verwendung eines Kondoms vorzuschlagen, macht sich verdächtig: Sie wird der Untreue bezichtigt und kann sogar aus dem Haus gejagt werden. Dazu kommen krisenbedingte Verhaltensweisen, die Frauen vorübergehend in die Prostitution treiben, weil ihre Männer arbeitslos sind oder weil sie ihr Studium nur mit Unterstützung eines „Paten“ finanzieren können.

Um die Gesundheit älterer Frauen jenseits der Menopause – von der es heißt, sie werde in Afrika besser erlebt als in Europa, weil sie die Frauen als erfahren und würdig aufwertet – schert sich kaum jemand. Es gibt keine Aufklärung über den immer häufiger auftretenden Brust- und Gebärmutterkrebs oder über Alterskrankheiten. Auch fehlen Geld und Infrastrukturen für Früherkennung und moderne, wirksame Behandlungsmethoden.

Die hohe Sterblichkeitsrate bei Müttern ist der einzige verfügbare statistische Wert zur gesundheitlichen Situation afrikanischer Frauen. In ihr kommen die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zum Ausdruck. Natürlich haben auch Männer unter den krisen- und fehlentwicklungsbedingten Härten des afrikanischen Kontinents zu leiden, aber von ihnen wird ein geringerer Einsatz, vor allem bei der Bewältigung des komplizierten Alltags, verlangt. Sie haben einen höheren gesellschaftlichen Status und nehmen sich Zeit zum Ausruhen und für das Vergnügen. Beim Essen werden sie stets als Erste bedient. Danach sind die Kinder an der Reihe. Die Frau begnügt sich, selbst wenn sie schwanger ist, gewöhnlich mit den Resten. Obwohl es bei den jüngeren Leuten in den Städten zunehmend üblich wird, dass das Essen nach westlicher Art gemeinsam eingenommen wird, leiden auch dort noch viele Frauen unter genau den Traditionen, die auch ihnen selbst als natürlich erscheinen.

Die durch die Arbeitsbelastung hervorgerufene Erschöpfung geht einher mit zahlreichen Mangelerscheinungen. So erhöht etwa Eisenmangel das Risiko einer Anämie, die für 20 Prozent der Todesfälle bei Entbindungen verantwortlich ist. Und der weit verbreitete Mangel an Folsäure, Vitamin A, Zink und Jod wirkt sich verheerend auf die Gesundheit von Mutter und Kind aus. So erhöht beispielsweise Jodmangel das Risiko von Tot- und Fehlgeburten und von schweren Schilddrüsenerkrankungen.

Paradoxerweise richten sich die meisten Gesundheits- und Ernährungsprogramme in erster Linie an Kinder. Frauen werden nur als Vermittler angesprochen und profitieren nie unmittelbar von den Maßnahmen. Untersuchungen in Mali, Senegal, Burkina Faso und Benin haben den Zusammenhang zwischen der Unterernährung der werdenden Mutter, dem niedrigen Geburtsgewicht des Kindes und den Folgen für dessen Zukunft nachgewiesen. Zum einen sind solche Säuglinge in den ersten Wochen einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt, zum anderen können neurologische Fehlentwicklungen zu schweren Behinderungen wie schlechtem Sehvermögen, Taubheit und Autismus führen.

Erfolgreiche Pilotprogramme

EINE besondere Bedrohung für Frauen ist die Malaria: Drei Viertel aller Afrikanerinnen leben in malariaverseuchten Gebieten. Die meisten von ihnen erleiden häufige Malariaanfälle, die die roten Blutkörperchen abtöten und das Anämierisiko bei werdenden Müttern zusätzlich erhöhen. Der Erreger setzt sich – selbst bei gezielter Behandlung – mit Vorliebe in der Plazenta fest. Und als Folge kommt wieder ein untergewichtiges Kind zur Welt.

Frauen wurden allzu lange als bloße Gebärmaschine betrachtet. Bislang kamen sie weder im Rahmen der großen internationalen Projekte noch für die nationalen Behörden als eigenständige Größe vor. Die verschiedenen Regierungen haben sich stets nur in Lippenbekenntnissen für die so genannte „risikolose Mutterschaft“ stark gemacht, die 1989 in Niamey von den Vereinten Nationen groß proklamiert wurde. Dabei hatte die Initiative gleich mit einem Missverständnis begonnen. In jenem Jahr hingen Riesenbanderolen über den Straßen der nigerischen Hauptstadt und gaben eine ungewöhnliche, im lokalen Kontext recht provokative Parole aus: „Kinder, wann ich will, wenn ich will“. Einen solchen Satz wird man aus dem Mund einer Afrikanerin kaum zu hören bekommen, schon gar nicht von einer Sahelbewohnerin. Dort sichert nämlich eine möglichst große Nachkommenschaft zum einen die Anerkennung der Gemeinschaft und zum anderen das Auskommen im Alter. Kinderlose Frauen stehen ohnehin im Abseits. Jedenfalls war das erklärte Hauptziel der 1989er Weltkonferenz der UN-Organisationen und ihrer Geldgeber in Niamey, die Zahl der 500 000 weltweit im Kindbett sterbenden Frauen – 150 000 allein in Afrika – bis zum Ende des Jahrhunderts zu halbieren.

Die umstrittene Einführungsrede des Vertreters der Weltbank stigmatisierte wieder einmal das galoppierende Bevölkerungswachstum in Afrika, statt sich endlich der eigentlichen Thematik der Konferenz zuzuwenden und die Nöte der Frauen ins Zentrum zu rücken, die während der Geburt oder auf dem Weg ins Krankenhaus sterben. Manchmal ist in der Tat schlichte Unkenntnis die Ursache. Und es kommt auch vor, dass Frauen die Fahrt in die Klinik aus Angst vor den Kosten zu lange hinauszögern. Viel häufiger allerdings gibt es einfach keinen Gesundheitsdienst in erreichbarer Nähe. So zutreffend – und trivial – es ist, dass zeitlich weiter auseinander liegende Schwangerschaften zur Senkung der Mortalitätsrate unter der Geburt beitragen würden, so offensichtlich waren für alle Zuhörer das mangelnde Feingefühl und die unsachlichen Verallgemeinerungen in der Eröffnungsrede.

Zwölf Jahre später haben nun die Organisatoren (Unicef, Weltgesundheitsorganisation, UN-Entwicklungsprogramm und Weltbank) eine wenig glorreiche Bilanz gezogen: Weltweit ist die Zahl der Müttersterblichkeit auf 600 000 angestiegen, davon 160 000 allein in Afrika. Im Vergleich dazu liegt die Rate in den Wohlstandsländern bei 10 bis 20 auf 100 000 Geburten.6 In West- und Zentralafrika ist nur bei gut der Hälfte der Geburten gesundheitlich geschultes Personal anwesend, während bei 40 Prozent der Schwangerschaften Komplikationen auftreten und besondere Behandlung erforderlich machen.

In der Gesundheitsversorgung von Frauen spiegeln sich die Mängel der afrikanischen Staatsstrukturen allesamt wider: Die Gesundheitsdienste sind veraltet und unterfinanziert, die medizinische Ausbildung ist schlecht, die – ohnehin niedrige – Entlohnung lässt manchmal monatelang auf sich warten, und die Strukturanpassungsmaßnahmen haben im Busch zu Ärztemangel und in den Städten zu hoher Arbeitslosigkeit unter den jungen Medizinern geführt.

Als problematisch erweist sich überdies, dass die Menschen hin- und hergerissen sind zwischen der oft als erste Hilfe angewendeten traditionellen afrikanischen und der modernen westlichen Medizin. Wenn Frauen eine Entbindungsklinik zur Verfügung haben, in der sie sich nicht gut aufgehoben fühlen, bleiben sie den Vorsorgeuntersuchungen fern und bringen ihr Kind lieber zu Hause zur Welt, auch wenn die Sicherheit dabei auf der Strecke bleibt. Insgesamt gilt, wie in Burkina Faso gezeigt werden konnte: Je gebildeter eine Frau ist, desto wahrscheinlicher wird sie sich an einen Gesundheitsdienst wenden und auch ihre Kinder dort versorgen lassen. Doch da sie weder finanziell noch in ihren Entscheidungen wirklich autonom sind, kommt es auch in Familien mit höherem Bildungsgrad immer wieder vor, dass Väter oder Großeltern die von den Frauen getroffenen Entscheidungen wieder umstoßen.7

In den letzten zehn Jahren hat der Erfolg einer Reihe von Pilotprogrammen in manchen afrikanischen Ländern die Gesundheit der Frauen zu einer wichtigen nationalen Angelegenheit gemacht. So hat etwa die Regierung von Mali, die als eine der wenigen in Westafrika die Restrukturierung des Gesundheitswesens angegangen ist, eine neue, lokal verankerte Gesundheitspolitik entwickelt.

Diese Strategie wird von der WHO für alle afrikanischen Länder empfohlen und könnte die Gesundheitssituation schwangerer Frauen verbessern. Im Flächenstaat Mali soll künftig für jeden Einwohner ein Gesundheitszentrum in maximal 15 Kilometer Entferung zur Verfügung stehen, mit einem Krankenpfleger, einer Hebamme und einem Medikamentenlager zu erschwinglichen Preisen. Das Team muss ein Minimum an Diensten anbieten, das Krankenversorgung, Impfungen, Schwangerschaftsbegleitung, Gesundheitserziehung usw. umfasst. Bis vor kurzem hatten gerade 17 Prozent der Malier Zugang zu diesen Diensten. Im Idealfall steht außerdem im Umkreis von 40 Kilometern jeweils ein so genanntes Referenzkrankenhaus bereit, in dem zwei Ärzte schwierigere Fälle behandeln und operieren können.

Wo es kein Telefonnetz gibt, sind die beiden Strukturen durch ein Funknetz in Verbindung. Für den Transport von Notfallpatienten stellt die Unicef Krankenwagen zur Verfügung. So sind in Mali fast 500 gemeinschaftliche, von der Bevölkerung verwaltete Gesundheitszentren entstanden. Doch neben der ausreichenden Versorgung mit Basismedikamenten fehlt es in Mali wie in den Nachbarländern an ausgebildeten Fachkräften, die ordentlich bezahlt werden und daher bereit sind, auf dem Land zu arbeiten.

Der Zugang der Afrikanerinnen zu besserer Gesundheitsversorgung ist eine große Herausforderung, die eines allgemeinen Umdenkens bedarf. Dazu gehört zu allererst eine Maßnahme, für die die Frauen schon lange ihre Stimme erheben: die Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht nicht nur für Jungen, sondern auch für Mädchen.

dt. Christiane Kayser

* Journalistin bei Radio France Internationale.

Fußnoten: 1 Siehe dazu Joëlle Stolz und Philippe Le Faure, „Das verborgene Leiden der afrikanischen Frauen“, Le Monde diplomatique, Juli 1997. 2 Siehe die Untersuchung von ENDA Tiers-Monde Dakar, 1999, Paris. 3 „Stratégies 1998“, Unicef, New York . 4 Bericht „The Progress of Nations 1999“, Unicef, New York. 5 Siehe „Burkina Faso drängt Beschneidungen zurück“, Le Monde diplomatique, September 1998. 6 Studie von Inserm (Institut National de la santé et de la Recherche Médicale), Paris, unité 149 des Inserm, 1999. 7 „Santé de la Mère et de l'Enfant“, Paris (Editions IRD) 1999.

Le Monde diplomatique vom 14.01.2000, von COLETTE BERTHOUD