Frauen greifen zur Selbsthilfe
Von ELISABETH LEQUERET *
LAUT der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gehört der südlich der Sahara gelegene Teil Afrikas zu den Regionen, wo die Frauen aller Altersstufen am meisten arbeiten. Wobei Welten zwischen den wohlhabenden Geschäftsfrauen aus Togo und Nigeria auf der einen und den Straßenhändlerinnen in Dakar auf der anderen Seite liegen. Die kleine Minderheit, die oft einen hohen Preis für ihre Autonomie gezahlt hat, kann die Not und Abhängigkeit der großen Mehrheit der Afrikanerinnen nicht vergessen lassen. Dazu kommt der tiefe Graben zwischen ihrer wahren wirtschaftlichen Rolle und ihrem sozialen und politischen Einfluss.
Siebzehn Stunden währt der durchschnittliche Arbeitstag einer afrikanischen Frau. Doch in den Städten und Dörfern des Kontinents versteht man das Problem weitaus besser, als es die Statistiken von internationalen Organisationen ausdrücken können. Die Afrikanerinnen schuften, ob auf den Märkten Bamakos, im roten Staub von Burkina Faso, auf den Straßen von Lagos oder an den Stränden Dakars. Sie verkaufen: drei Kokosnüsse, fünf Zigaretten, zehn Stück Zucker. Sie tauschen: fünfzehn Mangos gegen ein Stück Stoff, Trockenfisch gegen zwei Stück Seife. Sie jäten, harken, säen: ein Feld von der Größe zweier Taschentücher, ein von allen verachtetes, ödes Fleckchen Erde.
„Gebär- und Ackermaschine“: der Ausdruck des kamerunischen Schriftstellers René Philombe bewahrheitet sich in allen afrikanischen Dörfern. In Westafrika ist der Feuchtreisanbau mancherorts reine Frauensache. Bei den Fulbe sind sie für die Viehzucht zuständig. Insgesamt werden vier Fünftel der für die Ernährung aufgewendeten Arbeitszeit von Frauen bestritten. Ihre vielen tausend kleinen Hände sorgen dafür, dass es auf dem Kontinent etwas zu essen gibt. Es sind anonyme Hände, lange Zeit vergessen von allen Statistiken und Entwicklungsplänen, und es sind unsichtbare Hände, unbezahlt, ohne Recht auf Boden, Besitz, Kredit oder Erbschaft. Sie werden ausgebeutet und zu Fronarbeit eingesetzt auf einem Land, das ihnen nicht gehört und das im Falle der Scheidung oder des Ablebens des Ehemanns sofort von dessen Familie beschlagnahmt wird.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen – wie etwa Namibia, wo die Himba-Frauen den Großteil des Viehs besitzen, oder den Zulu, wo die Frauen eigene Speicher und Felder haben – gilt immer noch der alte Fulbe-Spruch: „Die Erde ist ein Vater, der seine Töchter nicht anerkennt.“ Die Burkinerin Georgette Konaté schreibt: „ Im Allgemeinen gelten Frauen in ihrer eigenen Familie als Fremde auf der Durchreise und im Klan, in den sie einheiraten, als wirkliche Fremde. Etwas so Unschätzbares wie den Boden können sie daher weder besitzen noch kontrollieren.“1
Die Städterinnen sind auch nicht viel besser dran und müssen die unangenehmsten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten erledigen. Ihr Mangel an Ausbildung2 hat sie massiv in den informellen Sektor gedrängt. In Schwarzafrika sind 60 Prozent der arbeitenden Frauen selbständig (das ist die höchste Rate der Welt): kleine Gemüsehändlerinnen, Marktschieberinnen für mehr oder weniger wirksame bunte Pillen, Maniokschnapsbrauerinnen, Eiswasserverkäuferinnen ... In Afrika hat arbeiten nichts mit einer persönlichen Entscheidung oder gar mit Selbstverwirklichung oder Emanzipation zu tun, es ist einfach eine Frage des Überlebens. Von den wenigen Münzen, die am Abend in der Kasse liegen, hängt das tägliche Brot der Familie ab. Oft reicht es knapp, um dem Elend, der absoluten Not zu entgehen. In Westafrika werden 30 Prozent der Haushalte von alleinstehenden Frauen geführt – es sind die Ärmsten der Armen, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Ginette Yoman aus der Elfenbeinküste belegt.
Die Krise hat die Konkurrenz zwischen Männern und Frauen verstärkt – ein gnadenloser Kampf, den letztere sehr selten gewinnen. Wie auch, wenn landwirtschaftliche Strukturanpassungsprogramme den Ertragsanbau und die Aneignung von Grundbesitz favorisieren und die Bäuerinnen an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen werden. Im regulären Arbeitsleben wurden Frauen als Erste entlassen (proportional waren sie stärker von Budgetkürzungen betroffen als Männer). Im informellen Sektor haben die Anpassungsprogramme die kleinen Händlerinnen in den Städten besonders schwer getroffen: Ihre Kunden haben weniger Geld in der Tasche, und dazu kommen zehntausende neue Arbeitslose, die in Wettbewerb zu ihnen treten und ihnen die lukrativsten Geschäfte streitig machen. Ironischerweise hat die Krise zum einen die schwierige Situation der arbeitenden Frauen aufgezeigt und verschärft und gleichzeitig ihre tragende Rolle in der afrikanischen Wirtschaft deutlich gemacht.
Solidarität unter den Frauen
WAS kann man schon anderes tun, wenn der Mann „weggedrückt“ wird? In den achtziger Jahren standen beispielsweise im Kongo nach drakonischen Etatkürzungen tausende Beamte auf der Straße, und dann sind ihre Frauen auf die Märkte gegangen und haben die Familie ernährt. Wann haben die internationalen Organisationen eigentlich herausgefunden, dass jeder zweite Afrikaner eine Afrikanerin ist? Es ist nicht lange her, genauer: Erst seit 1975 – das mit großem Pomp zum Internationalen Jahr der Frau erklärt wurde – wird die Rolle der Frauen für die Entwicklung dieser Länder allmählich anerkannt und beleuchtet.3
Doch am Alltag der Frauen hat sich durch die (freilich sehr relative) Aufmerksamkeit in den internationalen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen nur wenig verbessert. Ihre unternehmerischen Fähigkeiten sind allenthalben anerkannt, aber der Zugang zu Krediten bleibt ihnen weiterhin größtenteils versperrt.
Eine Vorfinanzierung auszuhandeln ist keine leichte Prüfung, und in den meisten Fällen wird der Antrag negativ beschieden. Wer einen Kredit gewährt bekommen will, muss über ausreichend eigene Mittel verfügen und einen Grundbesitz als Kaution anbieten können. Beide Bedingungen schließen die meisten Frauen von vornherein aus. In Kenia, Malawi, Sierra Leone, Simbabwe und Sambia bekommen Frauen weniger als 10 Prozent aller Kleinhandelskredite. Im landwirtschaftlichen Bereich ist es noch katastrophaler, dort liegen sie unter 1 Prozent.4
Selbst auf ihren ureigensten Gebieten kontrollieren Frauen nur selten die Produktionskette und haben so gut wie nie Zugang zu den Entscheidungszentren. Mit einer rühmlichen Ausnahme: In Togo hat eine Handvoll Frauen bereits vor dreißig Jahren begriffen, dass Geld das A und O des Geschlechterkriegs ist. Sie haben ausgefeilte Abkommen mit großen europäischen Import- und Exportfirmen abgeschlossen (über Exklusivkleiderstoffe, die erst nach Verkauf bezahlt werden müssen) – und sind reich geworden.
Als „Nana-Benze“ werden diese Frauen bezeichnet (in Anlehnung an die prunkvollen Mercedes-Karossen mit den jungen Chauffeuren, die ihnen angeblich bei Bedarf auch als Gigolos dienen). Diese modernen Amazonen sind ledig, verwitwet oder geschieden und managen mit Meister(innen)hand Gebäudeblocks, Geschäfte und Schweizer Bankkonten. Inzwischen hat die Krise ihre Profite zwar reduziert und sie gezwungen, ihre englischen Stoffe zugunsten billigerer nigerianischer Produkte aus dem Programm zu nehmen, dennoch kontrollieren sie etwa die Hälfte der Wirtschaftskraft des Landes.
Die Ahnin der Nana-Benze ist Madame Tinubu, nach der einer der großen Plätze in Lagos (Nigeria) benannt ist. Diese Händlerin ist eine Symbolfigur in der Geschichte der Yoruba. Sie hatte um 1850 ein kleines Wirtschaftsimperium auf Waffenhandel aufgebaut und spielte eine entscheidende politische Rolle, indem sie unter anderem die Kriege gegen das Königreich von Abomey (das heutige Benin) finanziert haben soll.
„Eine Waffenhändlerin, das hat damals niemanden schockiert“, erklärt Corinne Mandjou, eine Journalistin aus Kamerun, die ein Buch über die politische Geschichte der afrikanischen Frauen vom 17. bis 19. Jahrhundert geschrieben hat. „Zu vorkolonialen Zeiten verfügten Frauen über Kapital und Arbeitskräfte. Die westliche Vorstellung von der Situation der afrikanischen Frauen ist eine gigantische Fehleinschätzung. Es stimmt einfach nicht, dass die afrikanische Frau unterdrückt ist und von Entscheidungen ausgeschlossen. Wer hat denn seit dem 19. Jahrhundert über Afrika geschrieben? Das waren doch nur Söhne aus reichen Familien, die sich mit den Dorfältesten unterhalten haben und dann auf der Grundlage ihrer Klassenvorurteile aufschrieben, was sie sich so dachten. Und da sie keine Frauen zu Gesicht bekamen, zogen sie den Schluss, Frauen hätten keinerlei Macht. Dabei wurden in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften immer erst die Frauen gefragt, bevor eine Entscheidung fiel, selbst wenn sie sich nicht öffentlich geäußert haben. Zudem spielten in diesen Gesellschaften die Mutter des Königs und seine Hauptfrau eine wichtige Rolle für die Politik. Heute hat sich die Situation sehr verändert. Die Männer haben die Macht an sich gerissen, und die Frauen müssen auf allen Ebenen kämpfen. Zudem gibt es viel zu wenig Frauenorganisationen, und die sind dann meist nur Ableger der einen oder anderen politischen Partei.“
Sollte also der Übergang vom traditionellen Recht zum modernen Rechtsstaat die Situation der Frauen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert haben? Das senegalesische Gesetz für die ländlichen Gemeinden zeigt, wie eine zunächst geschlechtsneutrale Regelung am Ende die Frauen benachteiligt: Das Gesetz verlangt, dass mindestens einer von drei Gemeinderatsmitgliedern Vertreter einer Kooperative sein muss. Da aber die meisten Zusammenschlüsse von Frauen nicht als Kooperativen funktionieren, sind diese ipso facto von den Entscheidungsinstanzen ausgeschlossen. Resultat: 1994 waren nur 6 der insgesamt 4 000 ländlichen Gemeindevertreter in Senegal Frauen.
Um der Apathie der Behörden und den – nicht selten zweifelhaften – Ergebnissen der Entwicklungspolitik entgegenzuwirken, schließen sich die Frauen zusammen und setzen auf Solidarität. Die Banken wollen ihnen kein Geld leihen? Dann gründen sie eben einen Sparverein. Nicht zufällig interessieren sich junge Afrikanerinnen heute ganz besonders für Fortbildungsmaßnahmen zu den Mechanismen und Strukturen im Finanzwesen. Die Männer verwehren ihnen den Zugang zur Universität? In Kamerun und Ghana gibt es Frauengruppen, die ihre Profite zur Verfügung stellen, um armen Mädchen aus ihrem Dorf das Studium zu finanzieren.5
Die Nana-Benz-Frauen haben bewiesen, dass es darauf ankommt, die Versorgung zu kontrollieren. „In Ghana, in der Demokratischen Republik Kongo und in der Republik Kongo sowie in Nigeria haben Frauen eine zentrale Stellung im Netz der Handelsbeziehungen“, erklärt Corinne Mandjou, „angefangen bei Stoffen bis hin zu Import und Export von Produkten aller Art. In Westafrika wird der Bekleidungsmarkt zu 95 Prozent von Frauen kontrolliert. Sie machen die Geschäftsreisen nach Frankreich und Italien, und heute auch nach Singapur und Taiwan. Selbst im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung sind sie überall vertreten: Offiziell sind die Frauen am Ruder, aber in Wahrheit sind sie moderne Managerinnen.“
In Nigeria nutzen die Yoruba-Händlerinnen ihre Kontakte im Dorf und, wenn es sein muss, auch die Familiensolidarität, um an Informationen über die nächste Ernte zu kommen. In Kamerun durchstreifen die Bayam Sallam (Buy them sell them in Pidgin) das Land, um den Bauern ihre Überschüsse abzukaufen. Sie stellen junge Bauern als Bodyguards ein. In Burkina bewirtschaften Frauen gemeinsam größere Felder. In Senegal verhandeln einzelne Geschäftsfrauen direkt mit den Gemüsebauern und haben manchmal sogar eigenes Land. Zwei Drittel der Fischfangflotte im Hafen von Lomé befinden sich im Besitz der großen Fischhändlerinnen des Landes. Einheit macht stark: In Ibadan haben sich die Frauen im Cowad, dem Committee on Women and Development, zusammengeschlossen, um durch gemeinsame Großeinkäufe günstigere Preise zu erzielen.
Nach und nach organisiert sich der Widerstand. Ebenso wie die Arbeit der Frauen in Afrika bildet er sich oft informell und schreitet im Schneckentempo voran. Der Weg ist lang und schmal, die Hindernisse sind zahlreich. Eine Frau in Kamerun, dem Land der „Businesswomen“, kann noch heute nicht ohne die Genehmigung ihres Ehemannes ausreisen ...
dt. Christiane Kayser
* Journalistin bei Radio France Internationale.