Konkurrenten und Komplizen
DREI Monate nach der Geiselnahme vom 2. Oktober 1999 in der birmesischen Botschaft in Bangkok, deren friedliche Beendigung die Machthaber in Rangun erboste, sind die Grenzen zu Thailand wieder offen. Die Schließung der Grenzstationen, die Teile der Wirtschaft Birmas lahm legte, macht deutlich, wie konfliktreich die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern sind, deren Annäherung gegensätzliche Wirtschaftsinteressen entgegenstehen.
Von ANDRÉ UND LOUIS BOUCAUD *
Als General Than Shwe, birmesischer Ministerpräsident und Chef der Militärjunta, die sich inzwischen State Peace and Development Council (SPDC) nennt, am 8. März 1999 zu seinem Amtskollegen Chuan Leekpai nach Thailand reiste, war dies der erste offizielle Besuch eines führenden birmesischen Politikers in Thailand seit dem Militärputsch in Birma vom September 1988. Thailändische Militärs und Politiker waren seit damals häufiger in Rangun zu Gast gewesen.
Schon am 14. Dezember 1988 hatte sich der Oberbefehlshaber der thailändischen Armee, General Chaovalit Yongchaiyuth, in der birmesischen Hauptstadt eingefunden. Seine damaligen Erklärungen sollten zur Grundlage für die politische Linie des gesamten Verbands Südostasiatischer Staaten (Asean) werden. Eine Haltung des „konstruktiven Engagements“ wollte man gegenüber Birma einnehmen, was sich unter anderem darin ausdrückte, dass Birma im Juli 1997 in den Kreis der Asean-Staaten aufgenommen wurde. General Chaovalit hatte damals äußerst vorteilhafte Wirtschaftsverträge mit den birmesischen Militärs ausgehandelt, wobei es vor allem um Konzessionen für die Nutzung der Wälder und um Fischereirechte ging. Als Gegenleistung hatte er der Junta angeboten, jene Gruppen der birmesischen Opposition auszuschalten, die an die thailändische Grenze geflohen waren. In der Folgezeit gaben sich thailändische Generäle und Minister in Rangun die Klinke in die Hand. Da dies in Bangkok zu Protesten führte, dauerte es aber immerhin bis März 1996, bevor ein Ministerpräsident, damals Banharn Silapa-Archa, nach Rangun reiste. Auf ihn folgte im März 1997 General Chaovalit Yongchaiyuth, der unterdessen Ministerpräsident geworden war. Und immer kamen die Thais als Bittsteller nach Rangun.
Aus Gründen, die weit in die Geschichte beider Länder zurückreichen, sah sich Thailand stets von seinem Nachbarn bedroht, dessen Armee dank erheblicher Unterstützung durch China in den letzten zehn Jahren immer mächtiger geworden ist. Vier Jahrzehnte lang hatte Thailand eine Pufferzone entlang seiner Grenzen unterhalten, indem es die ethnischen Minderheiten im Kampf gegen die birmesische Zentralregierung unterstützte. Der Richtungswechsel, den General Chaovalit im Jahre 1988 aus reiner Bereicherungssucht einleitete, trug dazu bei, dass die Aufständischen aus diesem Gebiet vertrieben wurden und dass sich die Armeen beider Länder wie noch nie seit der Unabhängigkeit Birmas direkt gegenüberstanden.
Um diese Bedrohung einzudämmen, ist Thailand unentwegt um eine politische Annäherung bemüht, die durch solide Wirtschaftsbeziehungen zementiert werden soll. Auch blickt man in Thailand begehrlich auf die natürlichen Reichtümer des Nachbarn und würde nur zu gern seinen Beitrag zur Verbesserung des miserablen Straßennetzes leisten, damit thailändische Produkte leichter auf den birmesischen Markt gelangen können.
Das Treffen zwischen Chuan Leekpai und Than Shwe fand allerdings nicht in der Hauptstadt Bangkok, sondern im nordthailändischen Chiang Rai statt. Begründet wurde dies mit Sicherheitserwägungen und den geplanten Gesprächen über Drogenhandel und Substitutionsprogramme für den Mohnanbau, die speziell diese Gegend betreffen. Die birmesische Militärjunta, der es allein um die Anerkennung ging, die ihr bisher von der internationalen Gemeinschaft verweigert worden war, akzeptierte in diesem Fall den unspektakulären Empfang. Der bilaterale Gipfel war nämlich eine Nachfolgeveranstaltung zur Konferenz über das Heroinproblem, die im Februar 1999 von Interpol in Rangun veranstaltet worden war. Damals ging es darum, die Anstrengungen Birmas im Kampf gegen die Drogen zu unterstützen, da dieses Land einer der beiden größten Opiumproduzenten der Welt ist.
Die USA und eine Reihe europäischer Länder boykottierten das Treffen und führten so den birmesischen Militärs vor Augen, dass man sie nach wie vor nicht als akzeptable Partner anerkennt. Than Shwe musste sich den besorgten Bericht seines thailändischen Kollegen anhören, der darüber klagte, dass Thailand mit Drogen aus Birma überschwemmt werde - ein recht deutlicher Vorwurf an die Behörden. Doch mit der Einladung nach Thailand einen Monat später konnte der Beinahe-Misserfolg dieser Konferenz wieder ausgeglichen werden.
Die Führer des SPDC brauchen Thailand als Partner, um über die Asean wieder Fühlung mit der Europäischen Union und den USA aufzunehmen. So kam Than Shwe mit einer imposanten Delegation nach Thailand, zu der General Khin Nyunt, Chef des Geheimdienstes und starker Mann des Regimes, ebenso wie der neue Außenminister Win Aung zählten. Man beschloss, die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern durch einen ständigen bilateralen Militärausschuss zu verstärken, vor allem im Bereich der Bekämpfung des Drogenhandels. Doch bei diesem sensiblen Thema sind die Ziele, die jeder der beiden Partner verfolgt, mit Vorsicht zu beurteilen. Zweifelsohne ist diese Ankündigung eine Reaktion auf die Interpol-Konferenz. Das SPDC will um jeden Preis sein Image aufpolieren und das Wohlwollen internationaler Organisationen und der amerikanischen Drug Enforcement Agency (DEA) gewinnen - vor allem in der Hoffnung, die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und die Wiederaufnahme der amerikanischen Unterstützung zu erreichen, die an die Bekämpfung des Drogenhandels geknüpft ist.
Das Thema Drogenhandel stand im Zentrum der Begegnungen in Chiang Rai, doch könnte es letztlich auch als Vorwand gedient haben. Zweifelsohne ist die Situation in Thailand ernst: Nach dem Bericht des Office of Narcotics Control Board (ONCB) vom März 1999 sind 94 Prozent aller Bezirke des Landes davon betroffen, davon 20 Prozent sehr stark, vor allem wegen der Flut von Amphetaminen aus Birma. Allerdings gibt es für die Thais ein noch schwerwiegenderes Problem, nämlich die Versorgung mit Wasser.
Thailand hat schon seit vielen Jahren unter Wasserknappheit zu leiden, ganz abgesehen davon, dass der Nordosten seit jeher keine Wasservorräte besaß. Hinzu kommt, dass die Abholzung der Wälder ein katastrophales Ausmaß angenommen hat und die Holzeinschläge, obwohl sie seit zehn Jahren verboten sind, illegal fortgesetzt werden. Die Reihe von Skandalen, in die führende Persönlichkeiten verwickelt waren, hat daran wenig geändert. Mit der massiven Vernichtung des Regenwalds gingen die Regenfälle zurück, die Niederschläge können nicht mehr im Boden gespeichert werden, und die vor dreißig Jahren erbauten riesigen Staudämme kann der Monsunregen längst nicht mehr füllen. König Bhumibol persönlich hat darauf hingewiesen und die Entwicklung des Bewässerungssystems zu einem der obersten Ziele des Königshauses erklärt; so wurde das Royal Irrigation Department ins Leben gerufen.
Allerdings kann Thailand sein hydrographisches System, das über 28 große und 800 kleine Staubecken sowie 1 000 Rückhaltebecken von geringerer Kapazität verfügt, kaum noch weiter ausbauen. Dies um so weniger, als die verantwortlichen Politiker bei neuen Staudammprojekten zunehmend auf Widerstand von Seiten ökologischer Bewegungen und auf Bauernproteste stoßen. So sind sie auf den Gedanken gekommen, das Ressourcenproblem lösen und die Konfrontation mit den Umweltschützern vermindern zu können, indem sie sich mit Wasser aus Birma versorgen.
Die natürliche Grenze zu Birma besteht vielerorts aus Flüssen. Der Saluen-Fluss, der den gesamten Shan-Staat durchquert und bei Martaban in den Golf von Bengalen mündet, bildet über dutzende Kilometer hinweg die Grenze zu Thailand. Im Saluen-Tal, das sich durch schwach besiedelte Gebirgs- und Dschungellandschaften hinzieht und noch bis vor kurzem in der Hand bewaffneter Aufständischer war, ist die Natur noch fast unzerstört. Thailand plant nun, einen Teil des Wassers, das der Monsunregen im Übermaß nach Birma bringt, vom Saluen und anderen Grenzflüssen abzuleiten und damit die eigenen Stauseen zu füllen.
Kampf um die Wasserressourcen
DIESES Wasser soll nicht nur zur Bewässerung und zur Ernährung der Bevölkerung, sondern auch als Energiequelle dienen. Die Entwicklung dieser Projekte wurde zwar zunächst durch die Wirtschaftskrise und den dadurch rückläufigen Energiebedarf verzögert, doch sind Bangkok und Rangun seit langem gleichermaßen an deren Verwirklichung interessiert. Schon seit 1988 sind darüber, ungeachtet der Rückschläge in den bilateralen Beziehungen, regelmäßig Gespräche geführt worden. 1992 wurde der Bau von acht größeren Wasserkraftwerken beschlossen, sowohl auf birmesischem Gebiet als auch in verschiedenen gemeinsamen Abschnitten der Grenzflüsse.
Nach der katastrophalen Trockenheit der letzten beiden Jahre wurden neue Untersuchungen vorgenommen. Die thailändische Regierung hat vor kurzem auf Antrag des Wissenschaftsministeriums 186 Millionen Baht (etwa 5 Millionen Euro) für Machbarkeitsstudien bewilligt, die klären sollen, wie das Wasser des Saluen und des Moi zum Bhumibol-Reservoir umgeleitet werden kann.1 Die in Thailand ansässige Nichtregierungsorganisation Toward Ecological Recovery and Regional Alliance (Terra) verurteilt ein solches Projekt, das die Ressourcen von bestimmten Bevölkerungsgruppen abzieht, um sie anderen zuzuführen, ganz zu schweigen davon, dass die Umleitung großer Wassermengen das natürliche hydraulische Gleichgewicht verändern wird, ohne dass die Folgen absehbar wären.
Neben diesen offiziell bekannten Projekten werden im Geheimen seit zehn Jahren weitere Vorhaben intensiv geprüft. Dabei geht es um den Bau eines riesigen Staubeckens am Saluen, im südlichen Teil des Shan-Staates. Aufgedeckt wurden die Pläne, zu denen es keinerlei offizielle Stellungnahme gibt, von lokalen regierungsunabhängigen Gruppen der Shan. Thailand und Birma gehen hier in enger Zusammenarbeit und mit äußerster Diskretion vor, handelt es sich doch um ein Aufstandsgebiet, in dem die zivile Shan-Bevölkerung furchtbare Repressionen durch die birmesische Armee zu erdulden hat.2 Von Oktober 1998 bis Ende März 1999 haben verschiedene Expertengruppen drei Orte im Saluen-Tal inspiziert, die etwa 120 Kilometer von der thailändischen Grenze entfernt, beiderseits der Ta-Sang-Brücke, in der Nähe des Dorfes Wan Hsala gelegen sind. Thailändische Spezialisten von der Gesellschaft MDX Power Co., Birmeser vom Unternehmen Aye Chan Aye und rund zwanzig Experten der japanischen Firma Electronic Power Development Corporation (EPDC) nahmen geologische Untersuchungen, Bohrungen und Machbarkeitsstudien vor. Je nach Gebiet, Dimension der geplanten Anlage, Konstruktionstyp und Leistungsfähigkeit der hydroelektrischen Turbinen sollen die Kosten für einen Staudamm zwischen 3 und 3,4 Milliarden Dollar betragen. Ein Viertel der erzeugten Energie, die auf 3 400 Megawatt veranschlagt wird, soll nach Birma gehen, den Rest würde Thailand erwerben. Das umgeleitete Wasser, das bis zu 10 Prozent des Gesamtvolumens des Saluen betragen könnte, soll über die vorhandenen Kanäle und Flüsse über dreihundert Kilometer hinweg bis zu den Flüssen Kok und Ping nach Thailand geführt werden. Eine finanzielle Evaluierung für einen solchen Wassertransport fehlt zwar noch, aber die Kosten dürften außerordentlich hoch sein.
In diesem Sektor des Shan-Staates operiert der bewaffnete nationalistische Widerstand der Shan, der gegen die Diktatur in Rangun kämpft. Der demokratische Abgeordnete und ehemalige Minister Subin Pinkayon, ein Berater der thailändischen Gesellschaft MDX Power, hat inzwischen mit den Oppositionellen Kontakt aufgenommen, um vom Führer der Shan State Army South (SSA-S), Oberst Yord Serk, zu erreichen, dass die Expertenteams nicht behindert werden.
Das schwierigste Problem dürfte jedoch die Finanzierung bleiben. Vor Ort gibt es reichlich Spekulationen um den so genannten Miyazawa-Plan, den der japanische Finanzminister Kiichi Miyazawa im Oktober 1998 aufgestellt hat, um 30 Milliarden Dollar in die krisengeschüttelten asiatischen Länder fließen zu lassen. Birma ist der Zugang zu diesen Mitteln wegen der beklagenswerten Situation der Menschenrechte in diesem Land prinzipiell verwehrt. Nun hat das Land aber einen dringenden Bedarf an Elektrizität. Das Staubecken von Lawpita, in der Nähe von Loikaw im Karen-Staat gelegen, ist nur zur Hälfte gefüllt. In dutzenden Siedlungen gibt es überhaupt keine Elektrizität, und in den Städten Mandalay und Rangun fällt Tag und Nacht immer wieder der Strom aus, was die ohnehin schon geschwächte Wirtschaft zusätzlich belastet. In Rangun haben sich bereits viele Verkaufsstände lärmende und stinkende Dieselgeneratoren für die Selbstversorgung zugelegt. Birmas Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit Thailand ist also mehr als offensichtlich. Denn ein Staudamm-Projekt am Saluen, das als rein thailändisches Unternehmen ausgegeben werden kann, würde in den Genuss von Mitteln aus dem “Miyazawa-Plan“ kommen.
Dieses Staudamm-Projekt am Saluen beunruhigt nicht nur Umweltschutzorganisationen und die Bevölkerung vor Ort. Nichtregierungsorganisationen und Oppositionelle der Shan betrachten es als ernste Gefahr, denn man kennt die üblen Begleiterscheinungen solcher Entwicklungsprojekte. So diente der Bau der Gas-Pipeline von Yadana, ein Projekt des französischen Unternehmens Total und der amerikanischen Firma Unocal, als Vorwand für ethnische Säuberungen im Tenasserim-Staat. Dies wurde damit begründet, dass man die nach Autonomie strebenden Guerillas der Mon und Karen bekämpfen müsse. In den Führungsetagen beider Firmen lehnt man zwar jede Verantwortung ab und bestreitet, dass es zu irgendwelchen Übergriffen gekommen sei, doch die zehntausende Mon- und Karen-Flüchtlinge, die in den Lagern entlang der thailändischen Grenze vegetieren, bezeugen etwas anderes.3 Diese ethnische Säuberung hat lange vor Beginn der Arbeiten begonnen, da die birmesischen Generäle die Sache von langer Hand vorbereiten wollten.
So gab es im Shan-Staat die ersten Zwangsumsiedlungen der Bevölkerung bereits 1996. Die birmesische Armee rechtfertigte dies damit, dass sie den bewaffneten Shan-Widerstand der SSA von jeglicher Unterstützung durch die Bevölkerung abschneiden wolle. Mehr als 300 000 Shan sind bereits aus ihren Dörfern vertrieben worden und haben alles verloren. Diese Aktionen gehen einher mit Plünderung, Vergewaltigung und Mord, die kaum registriert werden. Hier regt sich selten Kritik, es gibt keine Fernsehteams, keine Zeugen. Die Angst, zur Zwangsarbeit für den Bau eines Staudamms herangezogen zu werden, dürfte eine weitere große Flüchtlingswelle der Shan an die Nordgrenze des Landes treiben.
Man muss befürchten, dass Thailand, unter dem Vorwand der Entwicklung und im Namen der Bekämpfung der Wirtschaftskrise, den Führern des SPDC freie Hand lässt und zusieht, wie diese ihre Repression gegen die Bevölkerung, vor allem gegen ethnische Minderheiten, fortsetzen. Von den UNO-Resolutionen zeigt sich die birmesische Diktatur wenig beeindruckt. Und was die erhoffte Demokratisierung des Regimes über den Weg der wirtschaftlichen Entwicklung anbelangt, die der Asean mit seiner Politik des „konstruktiven Engagements“ erreichen will, so gibt es dafür keinerlei Anzeichen.
Mit dieser Begründung hatte sich übrigens der französische Präsident Jacques Chirac für die Aufnahme Birmas in den Asean ausgesprochen, wie er im Mai 1997 gegenüber der Far Eastern Economic Review erklärte. Auch in diesem Fall stand die Unterstützung wirtschaftlicher Interessen an erster Stelle, ohne dass man die Lage der Menschenrechte wirklich ernsthaft berücksichtigt hätte. Aber offenbar ist es in unserer Welt nun einmal so, dass manche Diktaturen genehmer sind als andere, vor allem wenn ihr Fortbestand die internationale Investitionstätigkeit fördert.
dt. Erika Mursa
* Journalisten