11.02.2000

Wasserknappheit im Nahen Osten

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Wasserknappheit im Nahen Osten

Von CHRISTIAN CHESNOT *

Dass die Jahrtausendwende im Nahen Osten von starken Regenfällen und Schneeschauern begleitet war, ist von den Bewohnern der Region, vor allem von den Landwirten, mit Erleichterung aufgenommen worden. Aber auch dieses Geschenk des Himmels konnte die Sorgen der Experten nicht zerstreuen. Denn die ergiebigen Niederschläge kamen fast zwei Monate zu spät und waren nicht ausreichend, um zwei Jahre relativer Trockenheit auszugleichen.1 Angesichts dessen sah sich der jordanische Minister für Wasser und Bewässerung veranlasst, ein Notprogramm vorzustellen, um mit der für den kommenden Sommer zu erwartenden Wasserknappheit zurechtzukommen. Dieses Programm wird im März in Kraft treten und sieht vor allem die Bohrung neuer Brunnen und die Nutzung privater Brunnen vor, darüber hinaus sind eine Reihe von Wassersparmaßnahmen geplant.

Jordanien ist durchaus nicht das einzige Land der Region, das mit dem Problem zu kämpfen hat, dem Fachleute den Namen „Wasserstress“ gegeben haben. Auch Israel, Palästina, Syrien, der Libanon und die Golfstaaten müssen sich damit auseinander setzen, wie sie auf das strukturelle Ungleichgewicht zwischen ihren begrenzten Wasserreserven und dem steigenden Bedarf reagieren, der wiederum vom Bevölkerungswachstum und der wirtschaftlichen Entwicklung abhängt.

Adel al-Beltagy, Leiter des „International Center for Agricultural Research in the Dry Areas“ (Icarda), weist darauf hin, dass „die Schere zwischen den Wasservorräten und der Nachfrage sich immer weiter öffnet. Im Nahen Osten wird es jeden Tag schwieriger, einen Ausgleich zwischen der privaten Nachfrage und der Sicherstellung der Versorgung zu finden.“ In manchen Fällen reichen die „konventionellen“ Ressourcen (Flüsse, Bäche, Grundwasser) nicht aus, um den Bedarf von Landwirtschaft und Industrie wie auch die Wasserversorgung der Städte abzudecken. In Jordanien zum Beispiel wird bereits Raubbau am Grundwasser betrieben; hier erreichen die Entnahmen 180 Prozent, im Gasastreifen wird das Doppelte der erneuerbaren Ressourcen abgepumpt.

„Zwei Drittel der arabischen Staaten verfügen über weniger als jene 1 000 Kubikmeter Wasser pro Jahr und Einwohner, die als die Grenze zur Wasserknappheit gelten“, heißt es in einem Bericht der Arabischen Liga.2 Bei 500 Kubikmeter wird die Lage kritisch, und bei weniger als 100 Kubikmeter muss auf Methoden der Versorgung zurückgegriffen werden, etwa auf die Entsalzung von Meerwasser oder die Aufbereitung von Abwasser. Die Golfstaaten, Jordanien, Israel und Palästina liegen bereits in diesem Grenzbereich zur Wasserknappheit. „1999 betrug das Wasserdefizit in Jordanien 155 Millionen Kubikmeter“, so Mohammad Schatanawi, ein Experte für Wasserfragen an der Jordan University. „Wenn nichts unternommen wird, dürfte es sich bis 2020 auf 485 Millionen Kubikmeter erhöht haben.“

Die jordanischen Behörden haben sich eine Reihe von Zielen gesetzt, die bis zum Jahr 2010 erreicht werden sollen. Die dringendste Aufgabe besteht darin, die Grundwasserentnahme zu reduzieren (und zwar von derzeit 430 Millionen Kubikmeter pro Jahr auf 280 Millionen), weil sich die meisten der Reservoirs nicht erneuern werden. Im Bereich der Trinkwasserversorgung bemüht man sich darum, die Verluste im Leitungsnetz der Städte zu verringern, vor allem in Amman, wo fast die Hälfte des eingespeisten Wassers verloren geht. Für die Landwirtschaft, die den größten Anteil am Wasserverbrauch des Landes hat, sind Anreize vorgesehen, die Effektivität der Bewässerung der Felder zu erhöhen – schließlich ist das hier verbrauchte Wasser nach wie vor in hohem Maße subventioniert. „Früher oder später müssen wir mutige Entscheidungen in schwierigen Fragen treffen“, meint Salameh al-Hiary, der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Wasser und Landwirtschaft. „Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben.“ Er plädiert dafür, den Wasserpreis für die landwirtschaftliche Nutzung schrittweise auf das reale Kostenniveau anzuheben.

Mohammad Schatanawi ist überzeugt, dass Jordanien durch eine um 10 Prozent erhöhte Effektivität der Wassernutzung (Verringerung der Wasserverluste, Gesamtnutzungsplan, moderne Bewässerungssysteme) bis zu 100 Millionen Kubikmeter im Jahr einsparen könnte.

Da aber auch ein solch sparsamer und ausgewogener Umgang mit der Ressource die Wasserkrise nicht beenden wird, bemüht sich Jordanien um die Erschließung nichtkonventioneller Wasservorräte. Dabei geht es vor allem um zwei Maßnahmen: die Aufbereitung von Abwässern für die Bewässerung, die bis 2010 von derzeit 65 Millionen Kubikmeter auf 200 Millionen Kubikmeter gesteigert werden soll, und die Trinkwassergewinnung durch Entsalzung. Mit der zweiten Methode, die bislang in Jordanien nicht zum Einsatz kam, sollen in den nächsten fünf Jahren 70 Millionen Kubikmeter gewonnen werden. Demnächst wird südlich von Amman in Hisban eine Anlage in Betrieb genommen, die jährlich 30 Millionen Kubikmeter Brackwasser entsalzen soll.

Bau am „Staudamm der Einheit“

AUSSERDEM will die Regierung zwei nationale Großprojekte beschleunigen: die Erschließung der Grundwasservorräte in Disi, im Süden des Landes, und den Bau des „Staudamms der Einheit“ am Fluss Jarmuk. Kamal Mahadine, Minister für Wasser und Bewässerung, hat vor kurzem dem Projekt in Disi, dessen Kosten er mit wenigstens 250 Millionen Dollar beziffert, eine „entscheidende langfristige Bedeutung“ beigemessen. Das geförderte Wasser soll über 350 Kilometer bis nach Amman gepumpt werden. Im September 1999 ist eine jordanische Delegation nach Libyen gereist, um das Projekt mit den Verantwortlichen in Tripolis zu erörtern, und Libyen hat inzwischen seine Bereitschaft erklärt, die Hälfte der Baukosten zu übernehmen und die gleichen Rohrleitungen zu liefern, wie sie beim Bau des großen künstlichen Flusses in Libyen verwendet wurden.3

Im Übrigen sind zwischen Jordanien und Syrien wieder Gespräche über den Bau des „Staudamms der Einheit“ aufgenommen worden. Die Verwirklichung des 1987 beschlossenen Projekts war an der Opposition Israels, der Zurückhaltung der großen internationalen Geldgeber und der Unstetigkeit der jordanisch-syrischen Beziehungen gescheitert. Da sich beide Länder nach dem Tod von König Hussein ausgesöhnt haben, kann das Vorhaben nun erneut angegangen werden.

Dafür spricht auch, dass Syrien sich im Frühjahr 1999 zu einer freundlichen Geste von hoher symbolischer Bedeutung gegenüber dem Nachbarland entschlossen hat: Jordanien erhielt vier Monate lang täglich 70 000 Kubikmeter Wasser, eine Gesamtmenge von 8 Millionen Kubikmeter, die dazu beigetragen hat, die Folgen der Trockenheit zu mildern. Diese Hilfe war höchst willkommen, denn sie erfolgte wenige Wochen nach der israelischen Ankündigung, man könne 1999 nicht die 50 Millionen Kubikmeter Wasser liefern, die man Jordanien im Friedensvertrag von 1994 pro Jahr zugesichert hatte. Angesichts der heftigen Reaktionen, die der israelischen Entscheidung in Jordanien folgten, hat Israel den Entschluss später revidiert, um die Beziehungen zum haschemitischen Königreich nicht zu belasten.

Aber der Versuch, das Wasser als Druckmittel einzusetzen, ist in Jordanien übel aufgenommen worden. Das hat auch damit zu tun, dass der Friedensvertrag mit dem Nachbarstaat dem Land nicht die erhofften Vorteile gebracht hat. Dabei heißt es in Artikel 6 dieses Vertrags: „Durch verschiedene Maßnahmen, darunter regionale und internationale Gemeinschaftsprojekte, soll [beiden Staaten] mehr Wasser für ihre Zwecke verfügbar gemacht werden.“ Und weiter: Israel und Jordanien sollen zusammenwirken, um Wege zu finden, „Jordanien jährlich eine zusätzliche Menge von 50 Millionen Kubikmeter Trinkwasser zu liefern“ (Anhang II, Art. I. Abs. 3) und „um am Jarmuk, unmittelbar flussabwärts von Punkt 121/Abzweigung Adassija, einen Staudamm zur Sammlung und Verteilung des Wassers zu errichten“ (Anhang II, Art. II, Abs. 1).

Bis heute, fünf Jahre nach dem Vertrag, ist kein einziges dieser gemeinsamen Projekte im Bereich der Wasser-Infrastruktur (Staudämme, Speicher, Entsalzungsanlagen) entstanden. Salameh al-Hiary, der Vorsitzende des jordanischen Parlamentsausschusses für Wasser und Landwirtschaft, sieht den Friedensvertrag, durch den nach seiner Ansicht „Jordanien keineswegs alle Rechte am Wasser zurückerhalten hat“, sehr kritisch: „Einige Bestimmungen des Vertrages sind uneindeutig; so ist etwa der Abschnitt, in dem es um die Erschließung zusätzlicher Ressourcen geht, so ungenau formuliert, dass Israel sich seinen Verpflichtungen entziehen kann. Ein anderes Beispiel: Die Israelis entnehmen 16 Millionen Kubikmeter aus unterirdischen Vorkommen im Gebiet von Wadi Araba und 25 Millionen Kubikmeter aus dem Jarmuk4 , und wir bekommen als Gegenleistung Wasser von schlechter Qualität aus dem südlichen Teil des Sees Genezareth.“

Im Kontext der Verhandlungen über den endgültigen Status der Palästinensergebiete und der Wiederaufnahme der syrisch-israelischen Friedensgespräche geht es Israel darum, den Zugriff auf die Wasservorräte im Westjordanland und auf dem Golan zu behalten. Nach Schätzungen der Weltbank können die Palästinenser nur über 10 Prozent des Wassers im Westjordanland verfügen, der Löwenanteil der Ressourcen wird also von Israel genutzt. Im Anhang B, Art. 40 des israelisch-palästinensischen Interimsabkommens über das Westjordanland und den Gasastreifen (das so genannte Oslo-II-Abkommen vom 28. September 1998) heißt es dazu allerdings, dass „Israel die Wasserrechte der Palästinenser im Westjordanland anerkennt“ (Artikel 40).

Aber die Verhandlungen über die Wasserfrage, die für die Übergangsphase vorgesehen waren, erwiesen sich als zu kompliziert und wurden zurückgestellt. In der Zwischenzeit bedient sich Israel allerdings ungehindert aus den palästinensischen Wasservorräten. Nach den vorläufigen Vereinbarungen mit den Palästinensern behält Israel seine Zugriffsrechte. So ist etwa für den Gasastreifen festgelegt, dass die Siedlungen und militärischen Einrichtungen ihr Wasser von dem israelischen Unternehmen Mekorot erhalten, dem auch weiterhin die oberste Verfügungsgewalt über die technische Infrastruktur zusteht.

Gegenüber Syrien befindet sich Israel in einer wesentlich schwächeren Position. Ein Drittel des israelischen Wasserbedarfs wird aus dem Golangebiet gedeckt, 770 Millionen Kubikmeter im Jahr. Die Quellen auf der syrischen Hochebene speisen den See Genezareth, Israels größtes Wasserreservoir, und von dort verteilt das Staatsunternehmen „National Water Carrier“ das Wasser ins ganze Land, wobei vor allem der Süden versorgt werden muss. Über die Frage, wie mit der „Wasserquelle Golan“ zu verfahren sei, sind sich Israel und Syrien völlig uneinig.

Israel beruft sich auf ein Zugriffsrecht, dessen Grundlage die gewaltsame und widerrechtliche Annexion des Golan ist, schließt aber kategorisch aus, dieses Resservoir, das es seit nunmehr drei Jahrzehnten nutzt, gänzlich oder zu Teilen aufzugeben. „Vor dem Krieg von 1967 hatten wir das Problem, dass Syrien die Quellflüsse auf dem Golan umgeleitet hat“, erklärte Gadi Baltiansky, Sprecher des israelischen Ministerpräsidenten Barak, gleich zu Beginn der neuen Verhandlungsrunde zwischen Israel und Syrien. „Der Ministerpräsident vertritt die Position, dass wir eine Wiederholung dieser Situation ausschließen müssen.“5

Syrien wiederum vertritt in den Verhandlungen mit Israel den klassischen Standpunkt der nationalen Souveränität. Wie ein arabischer Journalist feststellte, ist „Präsident Assad aus nationalistischen, ideologischen und geschichtlichen Gründen nicht bereit, sich mit weniger zu begnügen, als Anwar as-Sadat erreicht hat, also Land gegen Frieden. Dieser Präzedenzfall, die Rückgabe des gesamten Sinai, einschließlich der Enklave Taba, setzt den Maßstab für die Länder, die mit Israel im Konflikt liegen.“6 Kurz: Allein Syrien hat das Sagen über die Nutzung des Wassers auf dem Golan, weil das Wasser ihm ebenso gehört wie der Boden dort.

Obwohl die Standpunkte unvereinbar scheinen, wäre es möglich, im Rahmen eines Friedensvertrags zwischen den beiden Ländern pragmatische Lösungen anzustreben. Die wahrscheinlichste Variante besteht darin, dass Israel die syrischen Hoheitsrechte am Wasser des Golan anerkennt und Damaskus sich im Gegenzug verpflichtet, die Zuflüsse nicht abzusperren, die den See Genezareth speisen. Über die Wassermengen, die Syrien an Israel liefert, wäre dann zu verhandeln, als Vorbild könnten die Bestimmungen im israelisch-jordanischen Friedensvertrag dienen. Ein mit Fachleuten beider Seiten besetzter Ausschuss hätte die Aufgabe, diesseits und jenseits der Grenze die Durchflussmengen zu kontrollieren, aber auch nach Wegen zu suchen, wie das Wasser des Golan zum Nutzen beider Seiten gemeinsam zu erschließen wäre.

Schließlich sind sich die Experten heute darüber einig, dass angesichts sinkender Wasservorräte in der Region diverse Formen bilateraler und regionaler Zusammenarbeit die einzige Möglichkeit darstellen, wenigstens die Folgen akuter Mangelsituationen zu lindern, wenn schon nicht die Störungen des Wasserkreislaufs zu beheben. 7 Das „Komitee für nachhaltige Wasserversorgung im Mittleren Osten“, ein mit US-amerikanischen, palästinensischen, jordanischen und israelischen Wasserexperten besetztes Gremium, betont die Notwendigkeit eines „regionalen Ansatzes im Umgang mit den Wasservorräten“ und vertritt die Auffassung, „dass eine regionale Datenbank als Informationsquelle zur Unterstützung wasserpolitischer Maßnahmen heute absolut unverzichtbar ist.“8

Darüber hinaus empfiehlt das Komitee den Staaten der Region, bei der Verwaltung des Wassers nicht nur auf die nationalen, sondern auch auf die „hydraulischen Grenzen“ zu achten. Eine Wiederaufnahme der multilateralen Verhandlungen, die nach der Konferenz von Madrid im Oktober 1991 begonnen hatten und seit vielen Jahren ausgesetzt sind, könnte die Chance für neue Initiativen in diesem Bereich bieten – damals war eine Arbeitsgruppe zum Problem der Aufteilung der Wasserressourcen eingerichtet worden.

Aber ein solcher – durchaus technizistischer – Ansatz kann nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn die politischen und territorialen Differenzen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn durch gerechte und dauerhafte Lösungen auf der Grundlage des internationalen Rechts beendet werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Pläne für eine gemeinsame Verwaltung der Wasserressourcen im Nahen Osten sich schon bald als Makulatur erweisen.

dt. Edgar Peinelt

* Journalist, Amman, Autor von „La Bataille de l'eau au Proche-Orient“, Paris (L'Harmattan) 1993.

Fußnoten: 1 Nach Angaben des jordanischen Ministers für Wasser und Bewässerung machten die Regenfälle zu Jahresbeginn (etwa 500 Millionen Kubikmeter) 11,6 Prozent des durchschnittlichen jährlichen Niederschlags aus, der in guten Jahren um die 8 Milliarden Kubikmeter liegt. 2 „Major aspects of scarce water ressources management with reference to the Arab countries“, Bericht der Arabischen Liga für die Internationale Konferenz über den politischen und praktischen Umgang mit Wasser in den ariden Zonen (Amman, 1. bis 3. Dezember 1999). 3 Al-Sharq al-Awsat (London), 7. September 1999. Der libysche „große künstliche Fluss“ ist ein Projekt, das mittels eines riesigen Netzes von Rohrleitungen einen Teil der Grundwasservorkommen im Süden des Landes in die Küstenregion pumpen soll. Ein erster Bauabschnitt wurde 1991 fertiggestellt. 4 Artikel 1 des Anhangs II zum jordanisch-israelischen Friedensvertrag legt fest, dass Israel während der Sommermonate (15. Mai bis 15. Oktober) 12 Millionen Kubikmeter und während der Wintermonate (16. Oktober bis 14. Mai) 13 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Jarmuk entnehmen darf. 5 „La ligne rouge d'Israel, acces à l'eau du Golan“, Agence France Press, 31. Dezember 1999. 6 Al-Wasat (London), 12. Dezember 1999. 7 Siehe Mohamed Sid-Ahmed, „L'eau, facteur de coopération israélo-arabe“, Le Monde diplomatique, Juni 1998. 8 „Water for the future. The West Bank and Gaza Strip, Israel and Jordan“, Committee on Sustainable Water Supplies for the Middle East, Washington D.C. (National Academic Press) 1999.

Le Monde diplomatique vom 11.02.2000, von CHRISTIAN CHESNOT