17.03.2000

Chronik der Ereignisse

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Chronik der Ereignisse

21. Januar 2000. Gemeinsam mit einer Handvoll abtrünniger junger Militärs unter Führung von Oberst Lucio Gutiérrez stürmt eine große Gruppe Indígenas der Conaie (Konföderation der indigenen Nationalitäten von Ecuador) das Parlamentsgebäude in Quito. Seit Juli 1999 wurde offen der Rücktritt des Staatspräsidenten Jamil Mahuad gefordert; dahinter stehen sowohl die „Demokratische Linke“ (ID), die Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Rodrigo Borja und der streng konservative „Partido Social Cristiano“ (PSC) unter Jaime Nebott als auch die sozialen Bewegungen und die Indígenas.

Die Ankündigung der „Dollarisierung“ am 9. Januar 2000 beschleunigt die Ereignisse. Am gleichen Tag kündigt die „Patriotische Front“ (FP), ein Zusammenschluss unterschiedlicher sozialer Organisationen, einen landesweiten Streik an. Ab dem 11. Januar tagt ununterbrochen ein „Nationales Parlament der Völker Ecuadors“ (PNPE) unter Leitung von Alberto Lunas, dem Erzbischof von Cuenca, und Antonio Vargas, dem Präsidenten der Conaie.

Dieses PNPE ernennt am Morgen des 21. Januar eine „Regierungsjunta der nationalen Rettung“, ein Triumvirat aus Zivilpersonen und Militärs, bestehend aus Oberst Gutiérrez, Antonio Vargas und Carlos Solarzano, dem ehemaligen vorsitzenden Richter des Obersten Gerichtshofes. Das Räderwerk beginnt zu knirschen, als Leutnant Gutiérrez nach einer Unterredung hinter verschlossenen Türen seinen Platz in der Junta dem Verteidigungsminister General Carlos Mendoza überlässt. Nur drei Stunden später verlässt dieser völlig überraschend die Junta und bietet die Macht Gustavo Noboa an.

Das Oberkommando wusste sehr wohl, dass Ende November 1999 eine Reihe junger Unteroffiziere mit der Conaie in Kontakt getreten war. Die militärischen Chefs bestärkten sie darin, den Sturz von Präsident Mahuad vorzubereiten. Dieser hatte nicht nur die Unvorsichtigkeit begangen, Kürzungen im Rüstungsetat anzukündigen, er hatte außerdem die Armee aufgefordert, ihm bei der Durchführung des „Fujimorazo“, des Staatsstreichs von oben à la Fujimori, behilflich zu sein, durch den er genügend Macht auf sich zu konzentrieren hoffte, um seine Wirtschafts- und Finanzpolitik durchzusetzen. Eine solche Operation konnte die USA nur verärgern, von denen die ecuadorianische Armee sich erhoffte, in der Strategie der Bekämpfung der kolumbianischen Guerilla unterwiesen zu werden.1

Die ecuadorianische Armeeführung ließ also zu, dass die „revolutionäre“ Strömung den Präsidenten stürzte, und nahm dann selber wieder das Heft in die Hand. Dadurch schlug sie mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie entledigte sich des Präsidenten und zog dadurch sowohl die politische Klasse wie auch die USA auf ihre Seite. Als Beweis mag gelten, dass die Vereinigten Staaten, nachdem sie zunächst den golpe aus „heiliger Achtung vor der Demokratie“ verurteilt hatten, umgehend nach der Absetzung des fortschrittlichen Triumvirats den neuen Präsidenten Gustavo Noboa anerkannten. Noboa beeilte sich, anzukündigen, dass er die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers fortsetzen werde.2

M. L.

Fußnoten: 1 Siehe Enrique Vigil, „Le grand retour de Washington“, und Pascal Drouhaut, „Apres négociations en Colombie“, Manière de voir, Nr. 40, Januar/Februar 2000. 2 Siehe das Dossier „Poker menteur en Equador“ auf der Homepage der französischen Ausgabe von Le Monde diplomatique: www.monde-diplomatique.fr.

Le Monde diplomatique vom 17.03.2000, von M. L.