Europas extreme Rechte zwischen Marginalisierung und Salonfähigkeit
Von JEAN-YVES CAMUS *
Nachdem die rechtsextremen Parteien bei den Europawahlen am 13. Juni 1999 einbrachen und der französische Front National sich spaltete, glaubte man, die rechtsextremen Parteien hätten ihren Zenit überschritten. Doch diese Annahme wurde durch verschiedene Wahlen relativiert: Am 3. Oktober 1999 avancierte in Österreich die von Jörg Haider geführte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit 26,91 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Partei des Landes; in der Schweiz erreichte am 24. Oktober 1999 die konservative, bäuerlich geprägte Schweizerische Volkspartei (SVP) unter ihrem Führer Christoph Blocher 22,5 Prozent der Stimmen, wodurch sie mit den Sozialdemokraten gleichzog und zur führenden Partei des Landes wurde.1 Der Einzug der Deutschen Volksunion (DVU) in zwei Landtage der neuen Bundesländer geht in die gleiche Richtung, ebenso die Stimmengewinne der norwegischen Fortschrittspartei, die bei den Kommunalwahlen am 14. September 1999 einen Gesamtzuwachs von 1,4 Prozent (auf 13,4 Prozent der Stimmen) verzeichnete.
Das Fortbestehen und der Wahlerfolg fremdenfeindlicher Parteien in Westeuropa sind eng gebunden an den Vormarsch des ultraliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepts, denn die Angriffe der politischen und wirtschaftlichen Eliten auf den Nationalstaat haben der extremen Rechten eine gesellschaftliche Basis verschafft, und gewaltsame Aktionen wurden durch Wahlpolitik abgelöst.
In jenen Ländern allerdings, in denen die rechtsextremen Parteien nicht durch Wahlen zum Zuge kommen, sind die gewaltsamen Aktionen nach wie vor beunruhigend: Während in Großbritannien ein für kleine Parteien aussichtsloser Wahlmodus (Mehrheits- und Persönlichkeitswahl in einem einzigen Wahlgang) die „Antisystemparteien“ von vornherein zum Scheitern verurteilt, sorgt in anderen Ländern, wie etwa Schweden, ein starker gesellschaftlicher Druck dafür, dass Parteien, die dem vorhandenen Konsens widersprechen, keine Wahlerfolge verbuchen können. Im Übrigen kann auch die organisatorische Zersplitterung rechtsextremer Gruppierungen und das Fehlen charismatischer Führerfiguren verhindern, dass diese Parteien aus dem Schatten treten.
So kommen seit einigen Jahren neben den legalen Parteien und teils sogar innerhalb dieser Parteien kleine gewalttätige Gruppen auf, die eine offen neonazistische und rassistische Ideologie vertreten. Wie die US-amerikanischen Politologen Jeffrey Kaplan und Leonard Weinberg aufzeigen2 , haben diese Gruppen Strategien und Organisationsformen von terroristischen Vereinigungen übernommen (The Order, Aryan Nations) und mittlerweile eine gewisse Schlagkraft erreicht, wie die Attentatsserie in Schweden zeigt.
Gewalttätige Gruppierungen wie diese, zu denen auch Skinheads zählen, haben jedoch (außer unter den Jugendlichen im Osten Deutschlands) keinerlei politische oder gesellschaftliche Dynamik ausgelöst. Wo sie existieren, berufen sie sich ausdrücklich auf die NS-Ideologie oder andere faschistische Varianten und verwenden – den Verboten zum Trotz – deren Symbole. Sie bleiben in der Minderheit.
Erfolgreicher ist eine andere Ausprägung der extremen Rechten, die zwischen 1945 und den achtziger Jahren nur in Italien und in den Diktaturen Südeuropas existierte, doch heute in vielen europäischen Ländern Bedeutung erlangt hat, da in den meisten westlichen Demokratien die steigende Massenarmut und die multikulturelle Entwicklung Unzufriedenheit schüren. Die derzeitige Einwanderungspolitik ist von einer Welle von Einbürgerungen und Aufenthaltslegalisierungen charakterisiert; allgemein herrscht die Tendenz vor, die Gewährung politischer Rechte vom Erwerb der Staatsbürgerschaft abzukoppeln und sprachlichen sowie kulturellen Minderheiten größere Freiheiten zu gewähren.
Wähler aus dem linken Spektrum
DER Schwerpunkt der rechtsextremen Strömungen, der in den sechziger und siebziger Jahren in den industriell noch wenig entwickelten Ländern des europäischen Südens lag, hat sich heute nach Mittel- und Nordeuropa verschoben. Entsprechend wurde das Movimento Sociale Italiano (MSI), einst das Leitbild der rechtsextremen Bewegungen, in den achtziger und neunziger Jahren in dieser Funktion vom französischen Front National (FN) abgelöst. Diese Partei stand – zumindest in Westeuropa – Pate für einige mehr oder weniger erfolgreiche rechte Gruppen, darunter für die (zwar greifbar, doch nur kurzzeitig erfolgreiche) belgische FN und deren Führer Daniel Féret; nicht unbedeutend, aber doch nicht stark genug, um Abgeordnete stellen zu können, war die schwedische Sverigedemokraterna. In den meisten Fällen aber waren die vom französischen FN inspirierten Parteien von marginaler Bedeutung (Democracia Nacional in Spanien und Fronte Nazionale in Italien.) Seit ihrer Spaltung und den enormen Wahleinbrüchen hat die Partei Le Pens ihren Vorbildcharakter eingebüßt.
Mittlerweile gibt es eine dritte Welle des Rechtsextremismus, die zukunftsträchtiger scheint: Es handelt sich um rechtspopulistische Strömungen, wie sie in den Alpenländern (Haider, Blocher, die Lega Nord des Umberto Bossi, die Lega dei Ticinesi) und in Skandinavien (die norwegische „Fortschrittspartei“ unter Carl Hagen und die Dansk Folkeparti von Pia Kjærsgaard) entstanden sind.3 Mit Ausnahme von Jörg Haider selbst haben diese Parteien keine Verbindung zum traditionellen Faschismus oder Nazismus; sie treten vielmehr ein für eine Beschränkung staatlicher Einflussnahme, sind fremdenfeindlich, verurteilen aber in ihrer offiziellen Darstellung den „wertenden“ Rassismus und den Antisemitismus; sie verweigern sich jeglicher Kooperation mit Gruppierungen wie dem FN oder dem Vlaams Blok, die sie als extremistisch bezeichnen, und sind einer Koalition mit der bürgerlichen Rechten nicht abgeneigt.
Gerade weil diese Parteien nicht dem traditionellen Bild des Faschismus entsprechen, sind manche Erklärungen für ihren Erfolg – etwa die fehlende Entnazifizierung in Österreich und die in der Schweizer Bevölkerung tief verankerte Ausländerfeindlichkeit – unzureichend. Solche Begründungen genügen nicht einmal, um den Erfolg von „gemischten“ Gruppierungen wie dem FN und dem Vlaams Blok zu erklären, die sowohl als Sammelbecken für die Protestwähler dienen als auch eine deutlich rechtsextreme Anhängerschaft haben.4 Der Vlaams Blok etwa wird immer wieder dargestellt als Nachfolger des pronazistischen Randes der flämischen Vorkriegsbewegung, doch (wie der Politologe Marc Swyngedouw zeigt) nur 4 bis 5 Prozent der Vlaams-Blok-Wähler begründeten ihre Wahl mit der Verteidigung eines flämischen Nationalismus. Unter den Wählern der Volksunie waren es 17 Prozent.
Ähnlich wie beim Front National scheint es auch hier einen Unterschied zu geben zwischen der Parteiführung, die in ihren Überzeugungen und ihrem militanten Kurs noch ganz von der traditionellen Ideologie der extremen Rechten geprägt ist, und einer Wählerschaft, die damit nichts zu tun hat, ja teils sogar aus dem linken Lager kommt. In Flandern zum Beispiel haben 21 Prozent der Jungwähler, die 1991 den Sozialisten ihre Stimme gegeben hatten, bei späteren Wahlen für den Vlaams Blok votiert; bei den österreichischen Nationalratswahlen im Oktober 1999 konnte die FPÖ etwa 213 000 Stimmen aus der sozialdemokratischen Anhängerschaft gewinnen; und in Dänemark kamen 1998 10 Prozent der Wähler der dänischen Volkspartei (Dansk Folkeparti) aus den Reihen der Sozialdemokraten.
In manchen Fällen haben nicht einmal die führenden Persönlichkeiten dieser Gruppierungen eine rechtsextreme Vergangenheit: Mogens Camre, der die Dansk Folkeparti führt, war früher Abgeordneter der Sozialdemokraten, und der FPÖ-Aufsteiger Thomas Prinzhorn ist ein führender Industrieller ohne ultrarechte Vergangenheit. Hierin liegt ein bedeutsamer Unterschied zu dem französischen Mouvement National Républicain (MNR) des Bruno Mégret, dem es nicht gelungen ist, seine Anhängerschaft aus den Reihen der klassischen Rechten zu vergrößern. Denn die Abspaltung vom FN führte keineswegs zu irgendeiner Art von ideologischer Neuorientierung. Im Gegenteil: Mag der MNR sich auch als reformwillig darstellen und mögen Mégret und seine Leute sich noch so sehr von den Entgleisungen Le Pens distanzieren, so ist die Führung dieser Partei doch durch und durch geprägt von einer nationalrevolutionären Ideologie, oder aber von den Thesen der nouvelle droite in den siebziger Jahren, welche das Recht auf nationale und kulturelle Identität betonen.
Zwei unterschiedliche Auffassungen vom politischen Kampf stehen also einander gegenüber: auf der einen Seite ein Bekenntnis zur Geschichte, und zwar meist konterrevolutionär, religiös-fundamentalistisch oder nostalgisch gefärbt; auf der anderen Seite eine programmatische wie organisatorische Modernisierung, deren es dringend bedarf, um an die Macht zu kommen. Parteien, die sich nicht neu formieren, verlieren an Bedeutung und werden zu Splittergruppen: Das italienische Movimento Sociale Fiamma Tricolore (MSFT), Sammelbecken für all jene, welche 1995 das von Giovanni Fini verordnete aggiornamento ablehnten, erreicht heute nicht mehr als 1,6 Prozent der Stimmen. Jene Gruppierungen, die in ihrem Programm einzig und allein die autoritären Regime der Vergangenheit (beispielsweise in Spanien, Portugal und Griechenland) verteidigen und verklären, sind praktisch von der Bildfläche verschwunden.5
Besonders ausgeprägt ist der Vormarsch fremdenfeindlicher populistischer Parteien in jenen Bevölkerungsschichten, in denen Arbeitsplätze und sozialer Status am meisten gefährdet sind. In dieser Hinsicht bildet die Situation in Frankreich keine Ausnahme: So erreichte der FN bei den Parlamentswahlen von 1997 in bestimmten Wahlbezirken 30 Prozent der Stimmen. Sehr deutlich ist der Vormarsch der Rechtsparteien auch bei jungen Wählern (33 Prozent der unter 35-Jährigen in Frankreich, 35 Prozent der unter 30-Jährigen in Österreich), bei Leuten, die keine religiösen Bindungen mehr haben, und bei denen, die normalerweise nicht zur Wahl gehen würden.
Diese Situation lässt sich durch die Theorie der „bedrohten ökonomischen Interessen“ erklären: Die Bevölkerungsschichten, die sich von der Krise bedroht fühlen und die ausländischen Arbeitskräfte als Konkurrenz empfinden, tendieren zur Wahl fremdenfeindlicher Parteien (Gruppierungen), deren Versprechungen ihnen den exklusiven Genuss des Rechtes auf Arbeit und anderer fundamentaler Rechte zu garantieren scheinen. So stellen unter den Wählern des Vlaams Blok die Arbeiter und niedrig qualifizierten Angestellten die größte Gruppe dar, und im Oktober 1999 wählten in Österreich 48 Prozent der Arbeiter die FPÖ, die damit zur stärksten politischen Vertretung der Arbeiterschaft wurde.
Was die „Republikaner“ in Deutschland betrifft, so sieht der Politologe Patrick Moreau einen deutlichen Zusammenhang zwischen rechtsextremem Wahlverhalten und einer Reihe von Faktoren, zu denen das Fehlen einer Gewerkschaftszugehörigkeit, die Erfahrung der Arbeitslosigkeit, die Herkunft aus einer kinderreichen Familie, Abhängigkeit von Sozialhilfe und ein niedriges Bildungsniveau gehören. Nach seinen Schätzungen waren bei den Landtagswahlen von 1996 17 Prozent der Rep-Wähler Arbeiter.
Hingegen konnte in Dänemark und Norwegen, wo die rechtsextremen Parteien 9,8 bzw. 15,3 Prozent der Stimmen erreichten, kein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und rechtsextremem Wahlverhalten hergestellt werden. Dennoch setzt sich die Wählerschaft dieser Parteien sowohl aus selbständigen Kleinunternehmern als auch in zunehmendem Maße aus Arbeitern zusammen: In beiden Ländern sind die rechten Fortschrittsparteien sogar die stärksten Arbeiterparteien und liegen bei den Wahlergebnissen noch vor den Sozialdemokraten. Eine der möglichen Erklärungen hierfür ist, dass in jenen Ländern, in denen sich der Wohlfahrtsstaat sowohl unter bürgerlichen als auch unter sozialdemokratischen Regierungen weiter entwickelt hatte, die Treue der Arbeiterklasse zu den linken Parteien zu bröckeln beginnt und nun der autoritäre Teil einer bestimmten Arbeiterkultur die Oberhand gewinnt, der sich in der „Neuen Rechten“ eine neue Heimat sucht.
Insgesamt stehen wir vor einer paradoxen Situation: Eine Wählerschaft, die vorwiegend aus einfachen Bürgern besteht, stimmt für Gruppierungen, die der „postindustriellen“ extremen Rechten angehören und deren Programme – in unterschiedlicher Gewichtung – sowohl einen „nationalen“ Faktor als auch streng marktwirtschaftliche Elemente bis hin zu orthodox neoliberalen Komponenten beinhalten.
So betont das Wirtschaftsprogramm der FPÖ ausdrücklich die Notwendigkeit einer „totalen Deregulierung der Wirtschaft“, um die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft zu garantieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das Programm der SVP verurteilt „den Missbrauch der Wohlfahrtseinrichtungen“, verlangt eine „Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Lohnstrukturen“ und spricht sich für eine „Abschaffung gewisser staatlicher Leistungen“ aus. Gleichzeitig sollen „steuerliche Rahmenbedingungen“ geschaffen werden, die „für alle Unternehmen von Vorteil sind“. Auch die entsprechenden skandinavischen Parteien sind aus dem Protest gegen überhöhte Steuern entstanden, und auch sie fordern eine Beschränkung der Leistungen des Wohlfahrtsstaates. Diese Thematik findet sich ebenfalls im Programm des kleinen liberalen Flügels des Vlaams Blok, der von der Abgeordneten Alexandra Colen angeführt wird.
Die Lega Nord hingegen stellt ein komplexeres Phänomen dar. Hier handelt es sich wohl um eine Reaktion der aufstrebenden norditalienischen Mittelschichten und Kleinunternehmer auf eine Situation, in der die explosionsartige Entstehung zahlreicher Kleinstunternehmen und damit die Modernisierung des regionalen Kapitalismus nicht von einer entsprechenden und ebenso schnellen Modernisierung der institutionellen und politischen Rahmenbedingungen begleitet wird. Auf diesem Nährboden – und auch weil der Zerfall der Democrazia Cristiana Platz für eine neue Rechtspartei geschaffen hatte – ist die Lega Nord entstanden. Das Programm der Partei vereint eine feindselige Haltung gegenüber Ausländern und Süditalienern mit dem Protest gegen das bestehende Steuersystem und mit einem Streben nach Unabhängigkeit, die sich auf eine mystifizierte nationale und historische Identität beruft (Padanien und das „padanische Volk“ haben in Wirklichkeit nie existiert).
Die Anbindung des einfachen Volkes an den Neoliberalismus erklärt der Politologe Herbert Kitschelt7 mit der wirtschaftlichen Globalisierung: Diese verhindere jede Politik, die Ungleichheiten durch staatliche Intervention abschwächen könnte, und deshalb würden die einfachen Wähler zu der Annahme genötigt, die soziale Gerechtigkeit sei nur durch das freie Spiel der Marktkräfte und durch eine möglichst geringe staatliche Einflussnahme zu erreichen. Nach Darstellung der Rechtspopulisten und der Ultraliberalen soll das freie Spiel der Marktkräfte die kreativen Energien befreien, die Eigeninitiative fördern und somit den sozialen Aufstieg begünstigen.
Autarker Liberalismus
DAMIT lässt sich teilweise auch die fremdenfeindliche Komponente der rechten Wählerschaft erklären. In der Tat akzeptieren diejenigen, die die Konkurrenz der Ausländer auf dem Arbeitsmarkt fürchten, das liberale Programm der rechtspopulistischen Parteien nur deshalb, weil darin der Ausschluss der Einwanderer von den Sozialleistungen und sogar von der Beschäftigung vorgesehen ist. Unter dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Analyse erscheint ihnen ein Ultraliberalismus, der durch nationale Präferenzen „gemildert“ ist, erträglicher. Der Front National allerdings ist seit der „sozialen Wende“ vom Herbst 1995 im Unterschied zu anderen rechtsextremen Parteien auf Distanz zum Liberalismus gegangen; in seinen Reihen stößt man hier und da auf eine Verteidigung des öffentlichen Dienstes und der sozialen Errungenschaften – unter der Bedingung, dass sie französischen Bürgern vorbehalten bleiben.
Das Gespann Politiker/Beamte wird in den Reden der ultrarechten Parteien unmittelbar mit Misswirtschaft und Korruption assoziiert. Der Politiker-Beamte steht für das Scheitern der hoheitsrechtlichen Funktionen des Staates (was den beständigen Ruf nach mehr Ordnung und Sicherheit erklärt) und für die erdrückende Steuerlast, die in Zusammenhang gebracht wird mit der wachsenden Last der „unproduktiven Kräfte“, denen in dieser Sichtweise die Schöpfer des wirtschaftlichen Reichtums gegenüberstehen – will heißen: die Kleinunternehmer, Selbständigen, Handwerker, Landwirte und sogar die Arbeiter.
Wenn sich auch der Zusammenhang zwischen hohem Ausländeranteil in der Bevölkerung und rechtsextremem Wahlverhalten nicht durchgehend feststellen lässt, so ist die ablehnende Haltung gegenüber der Einwanderung doch ein Hauptmerkmal rechter Wähler. Die Eurobarometer-Umfrage von 1997 zeigt deutlich, dass die Wähler des FN, des Vlaams Blok und der „Republikaner“ diskriminierenden Ideen gegenüber Einwanderern nahe stehen und jede Form eines multikulturellen Zusammenlebens ablehnen. Es handelt sich um Parteien, deren hierarchischer Rassismus auf der Angst vor Vermischung gründet. Die Anhänger anderer Bewegungen wie z. B. der skandinavischen populistischen Strömungen, der Alleanza Nazionale, der Lega und der FPÖ sind weniger stark vom Rassismus geprägt und begründen ihre Opposition gegen die Einwanderung mit der kulturellen Verschiedenheit, was beispielsweise im Programm von Jörg Haider deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn man um die besonderen Eigenheiten seines Volkes weiß, heißt es da, sei es unumgänglich, die besonderen Eigenheiten der anderen Völker zu respektieren. Diese Aussage deckt sich weitgehend mit den Theorien des Ethnopluralismus der „Neuen Rechten“.
Der Zusammenhang zwischen der ultraliberalen Globalisierung und dem Anstieg rechtsextremer Strömungen wird auch in folgender Beobachtung deutlich: Die oben erwähnte Studie zeigt, dass 87,5 Prozent der Wähler, die für die „Republikaner“ gestimmt haben, 68,4 Prozent der FN-Anhänger und 45,7 Prozent der FPÖ-Wähler die europäische Einigung für eine schlechte Sache halten. Beim Vlaams Blok sind es allerdings nur 40,8 Prozent – also kaum mehr als bei den Anhängern der Sozialistischen Partei – was sicherlich damit zu tun hat, dass in der flämischen Bewegung die Idee eines Europa der Ethnien sehr populär ist. Denn diese Idee erscheint als Hauptwaffe im Kampf gegen den Nationalstaat, dem sich wiederum die deutschen, österreichischen und französischen Populisten verbunden fühlen. Die antieuropäische Dimension ist auch in Skandinavien und in der Schweiz bemerkbar: Die norwegische Fortschrittspartei hat gegen den Beitritt Norwegens zur EU agitiert, und die Schweizerische Volkspartei tritt für strikte Neutralität ein.
Die rechtsextremen Parteien bekennen sich zu einer Art „autarkem Liberalismus“. Dieser Liberalismus ohne Freihandel würde an den Grenzen Halt machen und sich im Abbau sozialer Errungenschaften und staatlicher Gestaltungsmöglichkeiten ausdrücken. Es gibt hier allerdings unterschiedliche Entwicklungen: So hat der französische FN, wie viele andere Schwesterparteien auch, gegen die Welthandelsorganisation (WTO) agitiert. Christoph Blocher hingegen stellt diese Organisation nicht in Frage. Jörg Haider wiederum hat sich für den Beitritt Österreichs zur Nato ausgesprochen.
Zum Schluss sollte ein besonders wichtiger Grund für das Erwachen rechtsextremer Bewegungen in Europa erwähnt werden: die Blockierung des politischen Lebens durch erstarrte Parteiensysteme. In Skandinavien, in der Schweiz oder – bis zu den Wahlen von 1999 – in Österreich und Belgien ist bzw. war das politische Leben gekennzeichnet entweder durch eine Dauerkoalition oder durch einen regelmäßigen Wechsel zwischen sozialdemokratischen und rechtsliberalen Regierungen, deren Programme sich kaum mehr unterscheiden, außer vielleicht hinsichtlich der Maßnahmen zur Regulierung bzw. Liberalisierung des Marktes.
Die „Verfilzung“ der großen Parteien und ihre Verflechtung mit dem Staatsapparat, die jegliche tief greifende Reform der institutionellen Strukturen verhindert, führen zur Erstarrung der Repräsentationssysteme. In der Ablehnung der Politikerklasse liegt einer der wichtigsten Beweggründe für die Wahlerfolge des französischen FN, des Vlaams Blok, der FPÖ und der Lega. Die Wähler der Alleanza Nazionale unterscheiden sich von denen der Lega insofern, als sie das Spiel der demokratischen Kräfte ebenso akzeptieren wie die politischen Führungskreise, in welche sich die Partei integriert hat. Die einzigen echten Gegenbeispiele sind Luxemburg und die Niederlande, wo es einen sehr starken politischen Konsens gibt. Die Rechtsaußenparteien Nationalbewegong und Centrum Demokraten sind allerdings bei den letzten Wahlen durchgefallen.
Abgesehen von ihrer unleugbaren autoritären und fremdenfeindlichen Dimension haben die rechtsradikalen Parteien ganz sicher in hohem Maße von der Verwischung des Rechts-Links-Gegensatzes und von der (auf einem breiten Konsens beruhenden) Annäherung der Sozialdemokratie an die „Neue Mitte“ profitiert. In einer Gesellschaft, in der der Wettstreit der Ideen sich reduziert auf einen Wettstreit über die besseren Methoden, das neoliberale Modell zu verwalten, erscheinen die Rechtsextremen als Hauptkraft des Dissenses, was die Linke auf ihre Unzulänglichkeiten und auf die Preisgabe ihrer Ziele stößt und die Rechte auf ihre Verblendung und Feigheit.
Es ist schwer vorherzusagen, wie sich diese Parteien entwickeln werden oder würden, wenn sie einmal an die Macht gelangt sind. Das italienische Beispiel lässt eine gewisse „Formbarkeit“ der extremistischen Bewegungen vermuten. Und auch der Opportunismus mancher ihrer Führer – man denke an Jörg Haider – legt eine solche Vermutung nahe. Haben diese Leute ihre Funktion als Volkstribune hinter sich gelassen, werden sie sich möglicherweise den beweglichen Rahmenbedingungen der liberalen Demokratie anpassen. In naher Zukunft jedenfalls wird man es mit Gruppierungen zu tun haben, die mit ihrer Forderung nach autoritären Strukturen Druck auf die Regierungen ausüben und in die politische Debatte demokratiefremde Wertvorstellungen einbringen werden – und so in gewissem Rahmen fremdenfeindlicher Gewalt Vorschub leisten.
dt. Dorothea Schlink-Zykan
* Politologe, Autor von „Les Extrémismes en Europe“, Jahresbericht des Centre de recherche et d'action sur le racisme et l'antisémitisme (CERA), Editions de l'Aube 1998 und von „Front National: eine Gefahr für die französische Demokratie?“, Bonn (Bouvier Verlag) 1998.