17.03.2000

Weltwasserpolitik

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Weltwasserpolitik

Von RICCARDO PETRELLA *

VOM 17. bis 22. März findet auf Einladung der niederländischen Regierung in Den Haag das 2. Weltwasserforum statt. Im Mittelpunkt der vom Weltwasserrat initiierten Veranstaltung steht neben einem wissenschaftlichen und kulturellen Rahmenprogramm das Ministertreffen. Der Weltwasserrat wurde 1994 unter Mitwirkung der Weltbank, einer Reihe von Staaten, darunter Frankreich, die Niederlande und Kanada, sowie einigen Unternehmen (zum Beispiel der Suez-Lyonnaise des Eaux) gegründet. 1996 beschloss der Rat, eine „globale Vision“ für die langfristige Wasserbewirtschaftung zu erarbeiten, auf deren Grundlage konkrete Analysen und Vorschläge für eine „globale Wasserpolitik“ erstellt werden sollten.

Vor allem die Weltbank machte sich seit Jahren1 für nachhaltige Formen des Wassermanagements stark und konnte dabei auf die Kooperation aller relevanten UN-Organisationen zählen. Sie unterstützte die Gründung der „Global Water Partnership“ (GWP), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Expertenwissen zu mobilisieren, die Zusammenarbeit von Regierungen, Hilfsorganisationen und privaten Investoren zu fördern und projektgebundene Finanzierungshilfen bereitzustellen.

Die Arbeiten des Weltwasserrats und der GWP brachten mangels Koordination keine zufrieden stellenden Ergebnisse, und so wurde im August 1998 die „Weltwasserkommission“ gegründet. Diese Kommission hat nach einer breit angelegten internationalen Konsultation die „Vision 2020“2 vorgestellt und die GWP beauftragt, konkrete „Handlungsvorschläge“ zu erarbeiten. Beides soll nun dem Weltwasserforum in Den Haag vorgelegt werden. Die Ministerkonferenz mit Vertretern aus über 100 Ländern wird voraussichtlich mit einer Erklärung zur „Weltwasserpolitik“ der kommenden 15 bis 20 Jahre enden.

Im Laufe der neunziger Jahre entstand somit eine Art Generalstab für Wasserbewirtschaftung, an dessen Arbeiten neben der Weltbank, dem Weltwasserrat, der GWP und der Weltwasserkommission auch alle relevanten UN-Organisationen und internationalen Berufsverbände sowie namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Forschung mitwirken.

Obwohl die Privatwirtschaft formal in diesen verschiedenen Wassergremien nur durch zwei Unternehmen vertreten ist – die Suez-Lyonnaise des Eaux und die Vivendi-Gruppe –, übt die Geschäfts- und Finanzwelt über zahlreiche „Sachverständige“, die ihr häufig treu ergeben sind, einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse aus.

Die Thesen und Empfehlungen, die in Den Haag verabschiedet werden sollen3 , bewegen sich im Rahmen einer Strategie der „Eroberung des Wassers“, die seit den siebziger Jahren den Prinzipien der Kommerzialisierung und Privatisierung folgt und zur weltumspannenden oligopolistischen Integration der Bereiche Trinkwasser, Flaschenwasser, Wasseraufbereitung und kohlensäurehaltige Getränke tendiert. Im Hintergrund dieser Entwicklung stehen die zwischenstaatlichen Konflikte um knappe Wasserressourcen und die scharfe Unternehmerkonkurrenz um die Kontrolle des Wassermarktes.

Nach Ansicht des Generalstabs für Wasserbewirtschaftung sollte Wasser als wirtschaftliches Gut anerkannt werden. Nur auf diesem Wege sei es möglich, der Verknappung der Süßwasserressourcen und dem rapiden Anstieg der Wasserpreise entgegenzuwirken. Wasser ist teuer geworden, und es wird in Zukunft noch teurer werden. Deshalb spricht man auch vom „blauen Gold“ des 21. Jahrhunderts.

Das Gleichgewicht zwischen Angebot und stark wachsender Nachfrage sieht der Entwurf der Ministererklärung nur durch angeblich gerechte Marktpreise gewährleistet, die die Gesamtkosten der erbrachten Leistung getreulich widerspiegeln sollen. Nur so ließen sich die Konflikte begrenzen, die allenthalben auftauchen: zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung, zwischen Bauern und Industriellen, zwischen Umweltschützern und Verbrauchern, zwischen wasserreichen und wasserarmen Regionen und schließlich zwischen Staaten, die sich dasselbe hydrographische Becken teilen. Die Vermarktung und der Export von Wasser im Rahmen des freien Wettbewerbs wäre demzufolge nicht nur ein profitables Geschäft, sondern auch eine Erfolg versprechende Strategie der Konfliktvermeidung.4

Dies sind die Hauptelemente des „integrierten Managements der Wasserressourcen“ (IWRM), das die lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Organe und Interessengruppen nach Ansicht der Global Water Partnership in konkrete Maßnahmen umsetzen sollen. Für den erfolgversprechendsten Weg hält man dabei die Privatisierung aller relevanten Dienstleistungen: von der Wasserfassung und -aufbereitung über die Verteilung und Lagerung bis zur Abwasseraufbereitung. Nur eine „gerechte“ Kapitalverzinsung erlaube es, diese knappe Ressource zweckmäßig zu bewirtschaften, Verschwendung zu bekämpfen und Verschmutzung zu vermeiden. Da die staatliche Wasserwirtschaft völlig ineffizient arbeite, soll die Wasserversorgung in private Hände gelegt werden – eine Empfehlung, die sich an der weltweit fortschreitenden Privatisierung sämtlicher öffentlicher Versorgungseinrichtungen orientiert (Gas, Strom, Personenverkehr, Post und Telekommunikation).

Nach diesem Konzept sollen auch soziale, kulturelle und ethische Belange nicht unter den Tisch fallen. Vor allem ethische Aspekte nehmen in den vorbereitenden Dokumenten und im kulturellen und wissenschaftlichen Begleitprogramm des Weltwasserforums einen breiten Raum ein.5 Doch als sich die Verfasser des Entwurfs der Ministererklärung entscheiden mussten, ob sie den Zugang zu Wasser als soziales Grund- und Menschenrecht oder als menschliches Grundbedürfnis qualifizieren sollten, stimmten sie für die zweite Formulierung. Aus ihrer Sicht hätte ein Recht auf Wasser die „Freiheit“ der privaten Akteure zu sehr eingeschränkt und ihnen zu viele Verpflichtungen auferlegt.

Die Integration der einzelnen Sektoren der Wasserwirtschaft ist noch nicht so weit fortgeschritten wie die Kommerzialisierung des Wassers. Jeder Sektor – Trinkwasser- und Abwasseraufbereitung, Flaschenwasser, kohlensäurehaltige Getränke – hat immer noch seine eigenen Akteure, seine eigene Berufsstruktur, seine eigenen Märkte, seine eigenen Konflikte. Im Trinkwasserbereich dominieren Vivendi, Suez-Lyonnaise des Eaux, Thames Water, Biwater sowie Saur-Bouygues mit ihren Filialen. Beim Flaschen- und Mineralwasser liegen die Weltmarktführer Nestlé und Danone weit vor ihren Rivalen. Aber auch diese, und vor allem Coca-Cola und Pepsi-Cola, schicken sich an, mit den Trinkwasseraufbereitern zu konkurrieren, und zwar mit dem Argument, das so genannte Synthesewasser sei gesünder als normales Trinkwasser.

Die Trinkwasserversorger wiederum drängen auf den Markt für Abwasseraufbereitung und setzen außerdem auf die Herstellung von gereinigten und synthetischen Wassersorten. So könnten sie versuchen, einen Anteil am Markt für kohlensäurehaltige Getränke zu erobern, der bisher weitgehend von Coca-Cola und Pepsi-Cola beherrscht wird. Die Herausbildung global agierender Multi-Utility-Konzerne wird die Integrationstendenzen und die Konkurrenz in diesem Bereich weiter verschärfen. Es sei denn, die zuständigen nationalen und internationalen Stellen revidieren ihre Entscheidung, die Wasserversorgung den „Gesetzen“ der freien Marktwirtschaft zu unterwerfen.

Denn was bleibt unter solchen Bedingungen noch vom persönlichen und gemeinschaftlichen Grundrecht auf Wasser? Und was wird aus dem Gemeinwohl und dem sozialen und territorialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften? Gewiss, die Verstaatlichung der Wasserversorgung durch diktatorische, expansionistische, militaristische oder korrupte Regime ist genauso abzulehnen wie die Kommerzialisierung, Privatisierung und oligopolistische Integration durch einige weltmarktbeherrschende Großunternehmen. Deshalb brauchen wir dringend einen Weltwasservertrag.6 Dieses gemeinsame Erbe und Gut der Menschheit muss wieder in öffentliche Hände gelangen. Hier ist vor allem Europa gefordert. Die zuständigen Behörden dürfen sich nicht auf Regulierungs- und Aufsichtsfunktionen beschränken – und sei es in der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft und Umwelt. Sie müssen die Wasserversorgung erneut in Eigenregie betreiben. Eine Wiederaneignung des entsprechenden Fachwissens, der beruflichen Kenntnisse, der Technologien und nötigen Entscheidungskompetenzen ist dafür ebenso unerlässlich wie eine breite Bürgerbewegung. Das wachsende Interesse der Bürgervereinigung Attac an Fragen der Wasserversorgung ist deshalb ein viel versprechendes Zeichen.7

dt. Bodo Schulze

* Gründer und Sekretär des Komitees für einen Weltwasservertrag (Vorsitz: Mario Soares). Autor von „Wasser für alle. Ein globales Manifest“, Zürich (Rotpunktverlag) 2000.

Fußnoten: 1 Vgl. das grundlegende Dokument der Weltbank, „Gestion des resources en eau“, Washington 1993. 2 Dazu World Water Council, „Messages to initiate consultations for the World Water Vision“, Paris, März 1999. 3 Siehe www.worldwaterforum.org. 4 Zur Kritik am Wasserexport vgl. Maude Barlow, „Blue Gold. The Global Water Crisis and the Commodification of the World's Water Supply“, International Forum on Globalization (San Francisco) Juni 1999. 5 Dazu „La Charte sociale de l'eau“ der französischen „Académie de l'eau“ sowie die Arbeiten des Unesco-Ausschusses „Wasser und Ethik“. 6 Dazu Riccardo Petrella, „Pour un contrat mondial de l'eau“, Le Monde diplomatique, November 1997. 7 Attac wird mit seinen 150 örtlichen Initiativen eine Untersuchung und Aktionen zur Funktionsweise und zu den finanziellen, sozialen und umweltbezogenen Praktiken von vier multinationalen Versorgungsunternehmen, darunter Vivendi, durchführen. Nähere Informationen bei Attac, 9 bis, rue de Valence, 75 005 Paris, Tel. (0033 1) 43 36 30 54; e-mail: attac@attac.org; Web-Site: http://www.attac.org.

Le Monde diplomatique vom 17.03.2000, von RICCARDO PETRELLA