14.04.2000

Die tschechischen Kommunistenmelden sich zurück

zurück

Die tschechischen Kommunistenmelden sich zurück

FÜNFUNDSIEBZIG Jahre lang hatten Tschechien und die Slowakei einen gemeinsamen Staat gebildet, bevor sie sich vor sieben Jahren zu zwei Staaten auseinander dividierten. Beide Länder stecken heute in einer tiefen ökonomischen, sozialen und politischen Krise. In der Slowakei hat die politisch äußerst heterogene Koalition der Meciar-Nachfolger die Schonzeit bereits hinter sich. Ihre rigide Sparpolitik stößt in weiten Kreisen auf Ablehnung. In Tschechien hingegen äußert sich die wachsende Abwehr gegen den bislang von Sozialdemokraten und Konservativen vorangetriebenen Wandel in einem Wiedererstarken der Kommunistischen Partei.

Von ADAM NOVAK *

Ein Gespenst geht um in Tschechien, pünktlich zum zehnten Jahrestag der „samtenen Revolution“ von 1989: Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) hat, nachdem sie jahrelang ein Mauerblümchendasein fristen musste, plötzlich ihren Stimmenanteil in den Meinungsumfragen verdoppelt – zum großen Missfallen der seit 1998 regierenden Sozialdemokratischen Partei Tschechiens (ČSSD)1 . Der Erfolg der Kommunisten ist gleichwohl nicht Ausdruck einer zunehmenden Nostalgie für das alte Regime. Miroslav Grebeníček, der Vorsitzende der KP, sieht die Ursache vielmehr darin, dass „das neue kapitalistische System nicht funktioniert. Oder genauer gesagt, es funktioniert sehr gut für die 10 000 Leute an der Spitze der Gesellschaftspyramide und sehr schlecht für alle anderen.“

Milos Zeman, der Chef der Sozialdemokraten, verdankt seinen Wahlsieg über den konservativen ehemaligen Ministerpräsidenten Václav Klaus vier großen Versprechen: Produktivitätssteigerung, Verbesserung des gesunkenen Lebensstandards, Senkung der Arbeitslosigkeit und harte Maßnahmen gegen Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit Privatisierungen. So aufgebracht die Wähler damals waren, blieben die meisten dennoch immun gegen jedwede Nostalgie für den Totalitarismus einer kommunistischen Partei, deren reformerischer Flügel nach dem Prager Frühling von 1968 aufgelöst worden war und die sich nach 1989 als unfähig erwiesen hatte, Lösungen für den Übergang zum Kapitalismus anzubieten.

So schien die kommunistische Wählerschaft bei 10 Prozent zu stagnieren. Die Hälfte davon waren Funktionäre des alten Regimes, die sich allen Veränderungen erbittert widersetzten, der Rest vorwiegend Rentner, ungelernte Arbeiter und Roma, die Stiefkinder des neuen Systems. Das „Phänomen Kommunismus“ würde sich mit der Zeit von selbst erledigen, so der Tenor in den Massenmedien: Die Nostalgiker würden nach und nach aus der Partei austreten oder altersbedingt aussterben. Inzwischen hatten sich die anderen Parteien zu einem demokratischen Block konstituiert und lehnten jede Zusammenarbeit mit der KP auf lokaler und parlamentarischer Ebene ab. Die besonneneren Politiker innerhalb der Sozialdemokratischen Partei formulierten intern einen Katalog von Akzeptanzbedingungen für die KP, darunter eine radikale Selbstkritik, Verzicht auf das Prädikat „kommunistisch“ im Namen, programmatische Übernahme der Prinzipien einer gemischten Wirtschaft und eines Parteienpluralismus als Grundlagen des neuen politisch-ökonomischen Systems.

Unter der konservativen Regierung war die KP regelrecht ghettoisiert, doch mit der Machtübernahme der Sozialdemokraten im Jahre 1998 änderten sich die Spielregeln. „Vor den Wahlen war ich naiv“, so der neue Premierminister Milos Zeman. „Jetzt, in meiner neuen Position, scheint alles viel komplizierter!“2

Paradoxerweise markierte der Wahlsieg der Sozialdemokraten tatsächlich das Ende ihrer Schonzeit. Bis dahin waren sie die einzige fortschrittliche Strömung, die eine Zukunft zu haben schien. Doch die Vorgängerregierung hatte unter der Oberfläche scheinbarer Erfolge eine heikle Situation und zahlreiche Finanzskandale hinterlassen: Nachdem sie die Filetstücke der staatlichen Industrie veräußert hatte, reichten die Erträge aus der Privatisierung und die ausländischen Investitionen nicht mehr zur Deckung der wachsenden Schulden der verbliebenen Unternehmen, die neben den undurchsichtigen Transformationen der Eigentumsverhältnisse in Wirklichkeit kaum eine Umstrukturierung erfahren hatten. Die EU hatte der Vorgängerregierung vorgeschlagen, die Banken zu privatisieren. Dieser Schritt aber hätte die Korruption von der Regierung nahe stehenden Wirtschaftsleuten ans Tageslicht gebracht und den Konkurs von 20 bis 30 Prozent der privaten und halbstaatlichen Unternehmen bedeutet. Nun wurde mit einem Mal die Erhöhung des Lebensstandards, die der frühere Ministerpräsident Václav Klaus und Präsident Hável versprochen hatten, auf unbestimmte Zeit verschoben, und auch die angestrebten liberalen und nicht allzu schmerzhaften Reformen erwiesen sich als immer schwieriger. Bislang durften ausländische Konzerne in der Regel nur dort aufkaufen, wo sie die lokale Produktion anzukurbeln versprachen. Darüber hinaus konnten die sozialen Kosten des Übergangs durch den wachsenden Privatsektor aufgefangen werden, der den freigesetzten Arbeitern der staatlichen Unternehmen insbesondere im Handel, im Fremdenverkehr und in der Metall verarbeitenden Industrie Arbeitsplätze bot.

Der Sozialdemokrat Milos Zeman hat jedoch die Herausforderung angenommen, die Produktion zu steigern und dabei gleichzeitig ein Sparprogramm durchzusetzen, das seinem konservativen Vorgänger alle Ehre gemacht hätte: Der Fortbestand seiner Minderheitsregierung ist auf das Stillhalten der größten konservativen Partei, der von Václav Klaus geführten Demokratischen Bürgerpartei (ODS) angewiesen.

Zeman drohte sogar damit, die Gehälter im öffentlichen Dienst einzufrieren, und leitete eine Reform des Pensionssystems im Sinne einer Teilprivatisierung ein. Zudem plant der neue Regierungschef die Sanierung der Banken – indem er sie ans Ausland verkauft. Der Konkurs vieler kränkelnder Unternehmen scheint heute unabwendbar, und die Arbeitslosenrate liegt erstmals bei über 10 Prozent.

Seit Beginn der Krise angeln sich die Kommunisten die Stimmen enttäuschter Tschechen. Während die Popularität der Sozialdemokraten von 26 Prozent Mitte 1998 auf 15 Prozent im November 1999 gesunken ist, verzeichneten die Kommunisten im selben Zeitraum einen Zuwachs von 12 auf 24,5 Prozent.

Auch das Wählerprofil der KP hat sich verändert. Ihre neuen Anhänger haben keine traditionelle Verbindung zu ihr, vielmehr handelt es sich zumeist um gering qualifizierte Arbeiter über 40, die von der kämpferischen Rhetorik der KP in Sachen Arbeitslosigkeit, Privatisierung und sozialer Sicherheit angezogen werden. Männer sind doppelt so stark vertreten wie Frauen. Im Übrigen wünschen sich nur 15 Prozent der Wähler, die 1998 für die KP gestimmt haben, eine Rückkehr in die Zeit vor 1989. Die rückwärts gewandten Stalinisten stellen also in der zunehmend populären Partei längst nicht mehr die wichtigste soziale Basis.

Diese Situation ist für die KP beinahe ideal: Die entlassenen Arbeiter, die für ihre letzten Monatsgehälter auf die Straße gehen, bringen die Sozialdemokraten und ihre Freunde an der Spitze der Gewerkschaften in arge Verlegenheit. Die Kommunisten, die aus dem „demokratischen Block“ ausgeschlossen sind und von den Sozialdemokraten geschnitten werden, nehmen sich dieses zornigen Unmuts und Frustes an und fordern eine Politik der Wiederverstaatlichung zur Schaffung von Arbeitsplätzen. So stärken sie ihr Image einer „Arbeiterpartei“. „Wir wollen dem Staat wieder jene Betriebe unterstellen, die er zur Erfüllung seiner Rolle benötigt“, verkündet Vojtìch Filip, Koordinator der kommunistischen Fraktion im Parlament. „Dazu planen wir den Aufbau neuer Unternehmen. Eine andere Möglichkeit wäre der Zwangsverkauf, die Verstaatlichung, wenn Sie so wollen.“3

In den Augen der Bevölkerung hat der Antikommunismus sein Gesicht gewandelt. Die rechten Parteien verdoppeln, von Panik ergriffen, ihre Appelle zur Verstärkung des „Cordon sanitaire“, der die KP ausschließt. Doch haben inzwischen 43 Prozent der Wähler nichts mehr gegen eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten.4 Auch wenn die KP immer noch aus der parlamentarischen Welt verbannt ist, hat sie ihre Isolierung in der Bevölkerung überwunden und braucht um ihr Image nicht zu bangen.

Miroslav Grebeníček, Vorsitzender der KP, bereitet seine Anhänger auf eine eventuell notwendige „Neubewertung“ der Verbrechen der Vergangenheit vor. Ein rasches Vorgehen würde die Nostalgiker nur in die Arme der neostalinistischen Sekte von Miroslav Stepan treiben.5 Außerdem erklärt sich der wachsende Einfluss der KP nicht nur durch die Nostalgie für das Regime vor der „samtenen Revolution“. Vielen Tschechen graut bei der Vorstellung, dass deutsche Staatsbürger in dem bei Kriegsende von Deutschen „gesäuberten“ Grenzgebiet nun wieder Häuser erwerben könnten. Ebenso verletzend wirkt für viele potentielle Wähler der westliche Lebensstil der Neureichen. „Sie mögen solche Sorgen vielleicht als nostalgisch abtun, aber für mich geht es um eine patriotische Gesinnung“, erklärte Grebeníček in einem Interview mit Radio Praha während des Parteikongresses der Kommunisten.

Bei jungen Leuten unter 25, die das alte Regime nicht bewusst miterlebt haben, hat der Antikommunismus keine Wurzeln. Vielmehr fühlt sich eine wachsende Minderheit von den kommunistischen Ideen, Werten und dem dazugehörigen Engagement angesprochen. Die Prager Anarchistenszene schließt sich immer häufiger der KP an, wenn es darum geht, gegen die Mieterhöhungen oder die zunehmende Ausrichtung der städtischen Infrastruktur auf die Touristen zu protestieren.

„In Wirklichkeit hat es mehrere kommunistische Vergangenheiten gegeben“, erläutert Miroslav Grebeníček. „Nach der Unabhängigkeit [durch den Zerfall des österreichisch-ungarischen Imperiums 1918] und bis zum Einmarsch der Nazis [1938] zählten die kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien der Tschechoslowakei zu den stärksten Europas. In den Sechzigerjahren haben wir dann eine neue kommunistische Tradition entwickelt: pluralistisch, stark, reformerisch und zutiefst demokratisch. Und das zwanzig Jahre vor Gorbatschow! Wenn wir also von der ,kommunistischen Vergangenheit‘ sprechen, sollten wir auch von diesen Erfahrungen sprechen.“

Paradoxerweise macht der Popularitätsgewinn der Partei in den Meinungsumfragen die – für eine Kooperation mit den Sozialdemokraten notwendige – Erneuerung des kommunistischen Programmes und der kommunistischen Symbole unwahrscheinlicher. Während des Parteikongresses im Dezember 1999 war von der Isolierung, die seit 1990 die Partei geprägt hatte, nichts zu merken.6 Ebenso wenig wie von dem dringlichen Bedürfnis, etwas gegen diese Isolierung zu unternehmen. Mehr innerparteiliche Demokratie und eine größere Offenheit für feministische und ökologische Fragen würden die Isolierung der KP lockern und könnten sogar das linke Spektrum der Sozialdemokraten anlocken. Die kommunistische Parteispitze sieht das allerdings nicht ganz so.

„Die Sozialdemokraten wollen absolut nichts von einem linken Block wissen“, versichert Miroslav Grebeníček. „Das wird sich vielleicht ändern, sobald wir in den Meinungsumfragen 51 Prozent der Wähler hinter uns wissen.“ Die Sozialdemokraten jedoch zeigen nicht die geringste Neigung, aus dem demokratischen Block auszuscheren, um sich mit einer KP zu verbünden, die stärker ist als sie. Ministerpräsident Milos Zeman weiß nur allzu gut, dass eine Öffnung gegenüber den Kommunisten seinen fragilen Stabilitätspakt mit Václav Klaus von der ODS gefährden könnte.

Seit 1996 streben beide Parteien danach, Pfeiler eines politischen Systems mit zwei starken Parteien zu werden. Diese Zweckgemeinschaft erbost weite Kreise der ultraliberalen, antisozialistischen Rechten. So versammelten sich im Dezember 1999 70 000 Menschen auf dem Wenzelsplatz und forderten den Rücktritt von Milos Zeman und Václav Klaus sowie Neuwahlen, die die Errichtung einer Rechtsregierung und „echte“ Wirtschaftsreformen mit sich bringen würden. Immerhin unterzeichneten über 200 000 Tschechen eine entsprechende Petition.

Das Bündnis erzeugt aber auch bei vielen Demokraten Unbehagen, weil sie darin einen ungesunden Eingriff in das politische Leben sehen. Sie sagen, das Bündnis nütze letztlich der Kommunistischen Partei, obwohl diese das Erbe der „Normalisierung“ angetreten habe, das heißt der Unterdrückung des Prager Frühlings. Solange die KP isoliert ist, kann sie in der wichtigen Debatte über die Fortsetzung oder Einstellung der schrittweisen Reformen kaum eine Rolle spielen. Doch solange die Sozialdemokraten nicht bereit sind, sich zu öffnen, haben die Kommunisten keinen Grund, ihre Strategie der grundsätzlichen Opposition zu revidieren.

dt. Andrea Marenzeller

* Tschechischer Journalist.

Fußnoten: 1 Die CSSD ist eine aus dem Bürgerforum (OF) entstandene Partei. Sie hat daher wenig gemein mit den sozialdemokratischen Parteien der Nachbarstaaten, den ehemaligen kommunistischen Parteien, die sich zumeist nur einen neuen Namen gegeben haben. 2 Právo, Prag, 23. Dezember 1999. 3 Lidové Noviny, Prag, 4. Dezember 1999. 4 Meinungsumfrage von Sofres-Factum im Auftrag der Tageszeitung MF Dnes, Prag, 4. Dezember 1999. 5 Miroslav Stepan war einer der Anführer der Tschechischen Kommunisten gewesen. Nachdem er im August 1989 eine Demonstration niederknüppeln ließ, wurde er 1990 zu einer Haftstrafe verurteilt und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. 6 Der Kongress wurde am 4. und 5. Dezember 1999 in Zdar nad Sazavou in der Nähe von Prag abgehalten. Die Kongressdokumente sind abrufbar im Internet unter www.kscm.cz/index.htm (die Website ist in tschechischer Sprache, ein Resümee sowie einige Texte stehen auf Englisch zur Verfügung).

Le Monde diplomatique vom 14.04.2000, von ADAM NOVAK