14.04.2000

In der Hölle der Steuerparadiese

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In der Hölle der Steuerparadiese

Von CHRISTIANDE BRIE

EIN Collier gestohlener Diamanten umkränzt unsere Erde, eine Kette von Steueroasen, von rechtsfreien Räumen, in denen das Geld des Verbrechens Unterschlupf findet. Das Angebot reicht von der Aruba-Insel (eine falsche Mafia-Perle, eingefasst ins Blau der Karibik) bis hin zum makellosen Schweizer Diamanten inmitten des alten Kontinents. Es gibt rund einhundert dieser Edelsteine, die meisten von ihnen liegen aufgereiht vor den Küsten der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und in der japanischen „Prosperitätszone“ in Asien und im Pazifik (siehe Karte).

Hier werden in mehreren Arbeitsgängen die Profite des organisierten Verbrechens gewaschen. Im Vorwaschgang treffen die Gelder von ihrem jeweiligen Erwerbsort ein und verschwinden bei den lokalen Finanzinstituten auf verschiedenen Konten. Anschließend werden die Spuren verwischt. Man schiebt das Geld zwischen zahllosen Konten hin und her und jagt es via Swift1 und Chips2 kreuz und quer über den Globus von einem Börsenplatz zum nächsten. Abschließend werden die gewaschenen Kapitalien in den regulären Geldkreislauf zurückgespeist und auf speziellen Konten deponiert. Einer legalen Weiterverwendung steht nun nichts mehr im Wege.

Die beschriebenen Techniken und Transfernetze dienen nicht nur dem organisierten Verbrechen. Hier lassen finanzstarke Familien und habgierige Diktatoren ihre Vermögen und die Größen aus Sport und Showbiz ihr Schwarzgeld verwalten. Auch unlautere Spekulationsgewinne und hinterzogene Steuern finden einen sicheren Hafen. Multinationale Unternehmen nutzen die Gründung von Offshore-Filialen, um durch manipulierte Transferpreise in ihren Stammländern geringere Gewinne auszuweisen. Gern gesehene Kunden sind auch Briefkastenfirmen. Die illegalen Zuwendungen an Parteien und Politiker laufen ebenso über solche Konten wie Provisionszahlungen aus Geschäftsabschlüssen oder Honorare für alle möglichen illegalen Aktivitäten.

Dabei steht eine breite Palette an Finanzdienstleistungen zu extrem konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung. Das Bankgeheimnis genießt den Schutz des Strafgesetzbuchs, Devisenkontrollen sind unbekannt, Steuerbefreiungen dagegen die Regel (mitunter wird auch ein symbolischer Pauschalbetrag verlangt). Jeder hat das Recht, jede Art von Vertrag abzuschließen, jede Art von Transaktion vorzunehmen, jede Art von Unternehmen zu gründen – Scheinfirmen eingeschlossen –, und die Anonymität der Teilhaber ist garantiert.

Freier Zugang zu allen Börsenplätzen versteht sich von selbst, desgleichen die gesicherte Anbindung an die Netze der Großbanken, die vor Ort in der Regel eine Filiale unterhalten, dazu ein leistungsfähiges Equipment, eine effiziente Logistik und ein modernes Kommunikationssystem. Und natürlich stehen Rechtsanwälte, Gutachter, Schlichter und Buchhalter zur Verfügung. Innenpolitische Stabilität und Sicherheit sind selbstverständlich, Finanzkriminalität wird kaum oder gar nicht verfolgt, internationale Zusammenarbeit: Fehlanzeige.

Obgleich nur wenige Plätze die gesamte Palette anbieten und die meisten sich auf bestimmte Dienstleistungen spezialisieren, können sie dem interessierten Anleger dank enger Verflechtungen doch ein Höchstmaß an Effizienz bieten, sowohl was die Verwaltung illegaler Gelder als auch was den Schutz vor Strafverfolgung betrifft.

So haben etwa die Schweizer Banken den kaum präsentablen Vorwaschgang und das nicht minder anstößige Geschäft des Spurenverwischens ins Ausland verlagert: Die Schweizer Geldwaschanlage wäscht eben weißer.3 Hochglanzprospekte und Websites erleichtern den Finanzkriminellen ihre Wahl, wobei man ihnen allenthalben versichert, dass ihnen eine Beratung zuteil wird, wie sie die renommiertesten Banken ihren besten Kunden bieten. Als optimale Faustregel hat sich folgendes Modell bewährt: Man lässt sich von einem in Panama ansässigen Unternehmen ein Konto bei einer luxemburgischen Bank einrichten und beauftragt einen Schweizer Treuhänder mit der Kontoführung.

So dienen Millionen von Konten und zigtausend Scheinfirmen nur dem einen Zweck: die Milliarden und Abermilliarden Dollar zu verwalten und zu recyceln, die auf der Schattenseite der Weltwirtschaft akkumuliert werden. „In meiner zwanzigjährigen Tätigkeit als Rechtsanwalt und Richter ist mir kein einziger Fall von Finanzkriminalität begegnet, in dem die Täter nicht die Dienste zumindest einer Handels- oder Finanzfirma in Anspruch genommen hätten, die in einer Steueroase ansässig war“, erklärt der Schweizer Richter Paolo Bernasconi stellvertretend für sämtliche Geldwäsche-Experten.4

Bei 95 Prozent aller Steueroasen handelt es sich um ehemalige britische, französische, spanische, niederländische und amerikanische Handelsstützpunkte oder Kolonien, deren formale Unabhängigkeit und fiktive Souveränität kaum verbergen kann, dass die Schutzmächte die finanzkriminellen Vorgänge nicht nur dulden, sondern durchaus fördern – mit Blick auf ihren Nutzen und ihre Bedeutung für das Funktionieren der Märkte. Die Londoner City arbeitet mit diesem Geld, andere große Finanzplätze ebenso. Daher rührt wohl der Widerstand Großbritanniens, aber auch Luxemburgs und der Niederlande gegen jeden Versuch der europäischen Politik, die Kapitalströme zu überwachen und zu besteuern.

Wie weit reicht die Macht der großen Mächte und der „internationalen Staatengemeinschaft“? Sie zwingen Dutzenden von Ländern mittels IWF und Weltbank drakonische Strukturanpassungsprogramme auf, sie verhängen Embargos gegen unbotmäßige Staaten (Irak, Iran, Libyen, Kuba), sie handeln für die internationalen Organisationen einen Souveränitätstransfer nach dem anderen aus – und dann soll ihre Macht nicht ausreichen, eine Hand voll Konfetti-Staaten zur Einhaltung gewisser allgemein verbindlicher Regeln zu bewegen? Aus Achtung vor ihrer Souveränität und nationalen Unabhängigkeit? So zimperlich sind die Welthandelsorganisation (WTO) und die Europäische Union ansonsten nicht. Hier könnten sie einmal beweisen, dass sie ihrem hochfliegenden Anspruch, alle Diskriminierung zu beseitigen und Transparenz zu schaffen, gewachsen sind.

dt. Bodo Schulze

Fußnoten: 1 Zur Beschleunigung des internationalen Zahlungsverkehrs haben sich rund 4 000 Banken aus ca. 100 Ländern in der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift) zusammengeschlossen, deren EDV-Verbundnetz alltäglich 2 Millionen Zahlungsaufträge abwickelt. 2. Chips ist ein von US-Banken organisiertes Clearingsystem zur Abwicklung von Dollarzahlungen in New York. Der Tagesumsatz beträgt durchschnittlich 1 000 Milliarden Dollar. 3 Vgl. Jean Ziegler, „Die Schweiz wäscht weißer“, aus dem Frz. von Friedrich Griese und Thorsten Schmidt, München (Droemer Knaur) 1996; siehe auch Gian Trepp, „Swiss Connection“, München (Heyne) 1999. 4 Paolo Bernasconi, „La criminalité transfrontière: sophistications financières et faiblesse judiciaire“, Les Cahiers de la sécurité intérieure 19 (1995). 5 Dazu „Des paradis fiscaux à la finance hors la loi“, erscheint im Mai 2000 bei den Editions des Mille et une nuits, Paris (Attac, 9bis, rue de Valence, 75005 Paris).

Le Monde diplomatique vom 14.04.2000, von CHRISTIANDE BRIE