14.04.2000

Finanzkrisen und schmutziges Geld

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Finanzkrisen und schmutziges Geld

Von GUILHEM FABRE *

DIE Fälle von Unterschlagung internationaler Kredite häufen sich. Zumal seit dem Versickern von Geldern in Russland und Indonesien stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Finanzkrisen und Geldwäsche. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt das Volumen an schmutzigen Geldern auf 590 bis 1 500 Milliarden Dollar oder 1 bis 5 Prozent des Weltbruttoinlandsproduktes.1

Das internationale Finanzsystem, das seit dem Ende des Kalten Kriegs globale Dimensionen angenommen hat, beruht auf zwei Postulaten, die sich gegenseitig aufheben. Das erste besagt, dass die Liberalisierung der Kapitalflüsse die weltweite Verteilung der Ressourcen optimiere. Diese Annahme ist – selbst nach Ansicht des liberalen Vorzeigeökonomen Jagdish Bhagwat2 – fragwürdig und empirisch unhaltbar, wie auch zahlreiche offizielle Gutachten und Berichte (Weltbank, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und andere) belegen.

Das zweite Postulat besteht darin, die rechtsstaatliche Infrastruktur und die Sicherheitsvorkehrungen, die erst eine Liberalisierung der Finanzströme zwischen Nordamerika, Europa und Japan erlaubt haben, auch in den so genannten Transformationsländern entweder einfach vorauszusetzen oder für zweitrangig zu halten. Mit dem Nebeneinander von völlig freier Kapitalzirkulation, Aufrechterhaltung national begrenzter Überwachungssysteme und Existenz von Offshorezonen ergaben sich gänzlich neue Freiräume, in denen alle Arten von grenzüberschreitender Kriminalität aufblühen konnten.3

Die rechtliche Extraterritorialität, die diese Offshorebereiche genießen, spielte in den Finanzkrisen der letzten Jahre eine erhebliche Rolle. Der Fall Russlands zeigt, in welchem Maß Gelder aus Unterschlagungen, Schutzgelderpressung und geplünderten Staatskassen, aus Korruption und organisiertem Verbrechen in die spekulative Fremdfinanzierung der öffentlichen Schulden, zu deren Entstehung sie weitgehend beigetragen haben, reinvestiert werden können. Dass so die Wirtschaft in Diebstahl, Kleptokratie und Mafiaunwesen versinkt, hat den Bedarf an Geldwäscheleistungen auf den internationalen Wertpapiermärkten – die nicht zuletzt mit russischen Schatzscheinen handeln – deutlich belebt und direkt in die Finanzkrise des Jahres 1998 geführt.4

Die mexikanische Krise des Jahres 1994/95 und der „Tequila-Effekt“, der auf andere lateinamerikanische Länder ausstrahlte, ist ebenfalls nur zu verstehen, wenn man die informellere Dimension eines „Kokain-Effekts“ mit berücksichtigt. Seit Anfang der Neunzigerjahre blieben in den Händen mexikanischer Händler Gelder hängen, die wertmäßig der Hälfte der kolumbianischen Drogenexporte in die USA entsprechen. Damit wurden jährlich zwischen drei und acht Milliarden Dollar ins Land zurückgeschleust – mehr als die Erlöse aus den mexikanischen Erdölexporten. Ein Teil dieser Gelder floss in den demonstrativen Konsum amerikanischer Luxusgüter, der Rest in Kleinhandelsaktivitäten, in exquisite Immobilien und in den „grauen“ Devisen- und Wertpapiermarkt, auf dem für Geldwäscheleistungen zwischen 10 und 15 Prozent Kommission üblich sind.

Die Privatisierungswelle unter Präsident Carlos Salinas (1988-1994), in der eine Reihe von staatlichen Finanzinstituten für 12 Milliarden Dollar verschleudert wurden, war für die Mafia eine weitere Gelegenheit, ihre Drogendollars insbesondere in den Banksektor zurückzuschleusen. Nach der Krise 1994/95 hatten diese Banken Schulden von 120 Milliarden Dollar angesammelt, die selbstverständlich der öffentlichen Hand aufgehalst wurden.

Hier verschränkte sich das Geschäft der Geldwäsche mit einer Dynamik kurzfristiger internationaler Kapitaltransaktionen; das Ergebnis war eine Überliquidität der Wirtschaft und ein aufgeblähter Immobilien- und Börsenmarkt, eine sogenannte „bubble economy“.

Drogengelder lösen Tequila-Krise aus

OBWOHL die Drogengelder ursprünglich nicht mehr als 1 bis 3 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachten, verzerrten sie im Kleinhandel und im Bankensektor die Wettbewerbsfähigkeit zugunsten der Mafianetze, die Dank ihrer „Geldwäscheprämie“ bessere Ausgangsbedingungen hatten und ihre Konkurrenz notfalls völlig schlucken konnten, wobei zugleich auch kurzfristige spekulative Investitionen begünstigt wurden. Der Zugang zu Krediten bedeutete auch, dass diese Kreise Kapital zweifelhafter Herkunft zurückschleusen und ihren Einfluss ausbauen konnten.

Anstatt die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft zu verbessern oder einen Beitrag zum Abbau der Auslandsverschuldung zu leisten, führte die Geldwäsche zu vermehrten Importen von Konsumgütern und zur Aufgabe produktiver Sektoren zugunsten kurzfristiger Investitionen. Der Zufluss von Drogengeldern beeinträchtigte damit den Außenhandel, verschärfte die Zahlungsschwierigkeiten, beschleunigte die Abwertung des Peso und löste letzten Endes die Finanzkrise des Jahres 1994/95 aus.

Auch in Thailand, wo die Asienkrise des Jahres 1997 begann, spielte sich ein entsprechendes Szenario ab. Eine Studie von drei Forschern der Universität Chulalongkorn5 kommt zu dem Schluss, dass unmittelbar vor dem Börsenkrach 8 bis 11 Prozent des thailändischen BIP durch das organisierte Verbrechen kontrolliert wurden, das insbesondere von verbotenen Spielen und Prostitution profitierte, aber auch vom Handel mit aus Birma stammenden Drogen. Wie in Mexiko wurde der Zustrom von kurzfristigem ausländischem Kapital, das mehrheitlich über die Bangkok Offshore Banking Facility transferiert wurde, durch die Spekulationswelle vor Ort beschleunigt, was die Investitionsmöglichkeiten in den produktiven Sektoren und in der Exportwirtschaft beeinträchtigte. Durch diese Explosion der Auslandsschulden wurde – verschärft durch den Kursanstieg des Dollar und das Schrumpfen der Exportmärkte – die Abwertung des Baht enorm beschleunigt.

Das Finanzsystem und die politischen Verhältnisse Thailands trugen zu dieser Entwicklung insofern bei, als sie die Geldwäsche illegaler und mafiöser Gewinne begünstigten. Als Ende 1999 das thailändische BIP gegenüber 1998 um 10 Prozent geschrumpft war und der Überhang an Immobilienobjekten in der Region Bangkok auf über 300 000 Einheiten geschätzt wurde, hatten die Preise dennoch nicht nachgegeben.6 Diese nach marktwirtschaftlichen Gesetzen unbegreifliche Stabilität erklärt sich durch den Einfluss der Geldwäsche auf die Kapitalzirkulation und die entsprechend verzögerte Sanierung des Finanzsektors.

Der Verzögerungseffekt lässt sich auch in Japan, also bei der weltweit zweitstärksten Wirtschaftsmacht beobachten. Wir haben heute detaillierte Kenntnisse über den Einfluss, den die japanische Mafia (Yakuza) auf die Spekulationsblase der Achtzigerjahre gehabt hat.7 Sie kontrollierte den Rauschgifthandel, die Prostitution, die Bauwirtschaft und die öffentliche Auftragsvergabe, dazu einen Teil der äußerst lukrativen Pachinko-Industrie8 – jener Flipperautomaten, die einen Umsatz in Höhe von 6 Prozent des BIP machen, das ist das Eineinhalbfache der japanischen Automobilindustrie.

Die Netzwerke des organisierten Verbrechens eroberten die Wohnbaukooperativen (Jûsen), Wertpapierhäuser und die Aktionärsversammlungen gewisser Unternehmen. Über die Aufnahme von Krediten konnten sie ihre Spekulationsgewinne weißwaschen, die sie vorwiegend mit hoch riskanten Operationen erzielten.

Nachdem die spekulative Seifenblase Anfang der Neunzigerjahre geplatzt war, brachen die Börsenkurse und Immobilienpreise ein, während massenweise dubiose Forderungen von Banken und Kreditinstituten auftauchten. Raisuke Miyawaki, ein ehemaliger Polizeidirektor, schätzt, dass 10 Prozent dieser Verbindlichkeiten auf das Konto der Yakuza gehen und weitere 30 Prozent mit dem organisierten Verbrechen zusammenhängen. Über die Summe der nicht eintreibbaren Schulden der Gangster gibt es Schätzungen, die sich zwischen 75 und 300 Milliarden Dollar bewegen, was maximal 6,5 Prozent des BIP von 1996 entspricht.

Nach der Hausse spekulierten die Yakuza auf Baisse und versuchten, Immobilien zu Schleuderpreise aufzukaufen und durch gezielte Erwerbsstrategien zu verhindern, dass bestimmte Unternehmen ihre Schulden liquidieren können. Das erklärt, weshalb das reale Absinken der Immobilienpreise um 30 bis 70 Prozent seit Anfang der Neunzigerjahre nicht mit einer entsprechenden Zunahme an Transaktionen einherging, sondern die Gesundung des Finanzsektors, des Kreditangebots und letztlich des Wachstums verzögerte.

Dass die japanische Krise ungeachtet verschiedener Konjunkturbelebungsmaßnahmen der Regierung, die jeweils mehrere Prozent des BIP verschlangen, noch immer andauert, wird nur verständlich, wenn man das Ausmaß der Geldwäsche- und der Wirtschaftsaktivitäten der Verbrechersyndikate berücksichtigt, die ihre Verluste aus nicht zurückgezahlten Krediten vergesellschaften und die mafiösen Gewinne privat einstreichen. Während zwischen 1985 und 1995 das japanische BIP um 52 Prozent zugenommen hat, ist im selben Zeitraum der Gesamtumfang der Vermögenswerte um 85 Prozent angewachsen.

Der Unterschied zwischen diesen zwei Kennzahlen zeigt, dass sich nach wie vor eine spekulative Seifenblase gehalten hat, die eindeutig im Immobiliensektor anzusiedeln ist, denn die Kurskorrekturen der Achtzigerjahre sind unbestritten. Gerade dieser Sektor ist es, auf dem sich die Yakuza mit Vorliebe betätigen und mit ihren versteckten Manövern eine Marktkorrektur verzögern.

So aufschlussreich die Beispiele von Mexiko, Russland, Thailand und Japan sind, sie besagen dennoch nicht, dass es einen automatischen Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrisen und Geldwäscherei gibt. Zwar gibt es weitere Fälle – wie Venezuela, die Türkei und Nigeria – bei denen sich dieselbe Fragestellung aufdrängt, doch gilt nach wie vor, dass die kriminellen Profite es mit der Macht der formellen Wirtschaft noch nicht aufnehmen können. Noch nicht. Um zu verhindern, dass es so weit kommt, bedarf es des politischen Willens und der Mittel zur Überwindung eines Systems der zweierlei Geschwindigkeiten – bei dem die Methoden der Überwachung und die Spielregeln gegenüber dem Tempo der Finanzströme und den bestehenden Umgehungsmöglichkeiten um mindestens zehn Jahre im Rückstand sind.

dt. Birgit Althaler

* Professor an der Fakultät für internationale Politik der Universität Le Havre; Autor von „Les Prospérités du crime: Trafic de stupéfiants, blanchiment et crises financières dans l'après-guerre froide“, La Tour-d'Aigues (Unesco/Editions de l'Aube) 1999.

Fußnoten: 1 Siehe Financial Times vom 24. September 1999. 2 Siehe Jagdish Bhagwati, „The Capital Myth“, Foreign Affairs, Mai 1998. 3 Siehe Jean de Maillard, „Un monde sans loi. La criminalité financière en images“, Paris (Stock) 1998. 4 Siehe Fréderic F. Clairmont, „Die Internationale der Plünderer, Sektion Russland“, Le Monde diplomatique, März 1999. 5 Siehe Pasuk Phongpaichit, Sungsidh Piriyarangsan und Nualnoi Treerat, „Guns, girls, gambling, ganja: Thailand's illegal economy and public policy“, Chiang Mai (Silkworm Books) 1998. 6 Siehe den Artikel von Odile Cornet in Le MOCI, Paris, 1. März 1999. 7 Siehe Philippe Pons, „Misère et crime au Japon du XVIIe siècle à nos jours, Reihe „Bibliothèque des sciences humaines“, Paris (Gallimard) 1999. 8 Siehe Thierry Ribault, „Au Japon, la folie du pachinko“, Le Monde diplomatique, August 1998. 9 Vgl. Teruhiko Mano, „New moves in the money and capital markets“, Japan Review of International Affairs, Nr. 4, Winter 1998.

Le Monde diplomatique vom 14.04.2000, von GUILHEM FABRE