12.05.2000

Das Modell Simbabwe vor dem Ende

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Das Modell Simbabwe vor dem Ende

AM Vorabend einer für die Staatspartei sehr riskanten Parlamentswahl befindet sich Simbabwe in einer Krise ungeahnten Ausmaßes. Staatspräsident Robert Mugabe sieht sich zum ersten Mal einer glaubwürdigen Opposition gegenüber. Deshalb setzt er alles auf eine Karte und initiiert die gewaltsame Auseinandersetzung mit einigen tausend weißen Farmern, die noch immer das beste Ackerland besitzen. Das Modell eines friedlichen Übergangs in die Unabhängigkeit, als welches Simbabwe lange gegolten hatte, scheint ausgedient zu haben.

Von CHRISTOPHE CHAMPIN *

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine gerechte Sache: Seit Februar 2000 besetzen Veteranen des Unabhängigkeitskampfes in Simbabwe die Güter weißer Farmer, die immer noch den Großteil des besten Ackerlands besitzen. Die gerechtere Verteilung des Bodens war schließlich eine der wesentlichen Forderungen des Befreiungskampfes. Innerhalb weniger Wochen wurden so im ehemaligen Rhodesien fast tausend der ungefähr 4 500 weißen Farmen besetzt, manchmal mit Gewalt. Dabei gab es auch Tote.

Nicht alle diese „Veteranen“ sind ehemalige Freiheitskämpfer, doch sie genießen die Unterstützung eines Staatschefs, der dringend an Popularität gewinnen muss. Robert Mugabe ist seit zwanzig Jahren an der Macht, und sein Regierungsstil wird von allen Seiten kritisiert. Angesichts einer drohenden Niederlage bei den kommenden Parlamentswahlen hat er die Enteignung der weißen Gutsbesitzer zum zentralen Thema seines Wahlkampfes gemacht. Es folgten zahlreiche gewaltsame Übergriffe, die das seit der Unabhängigkeit bestehende fragile Gleichgewicht zwischen den ethnischen Gruppen zu zerstören drohen und die schwere wirtschaftliche und soziale Krise in Simbabwe noch verschärfen könnten.

Diese Situation ist sehr beunruhigend für die Nachbarländer und die internationalen Partner, die den Zusammenbruch der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Region befürchten. Auch in Südafrika verfolgt man die Entwicklung sehr genau, denn auch dort stünde eine Landreform an, die man aber lieber nicht auf die Tagesordnung setzt.1

Dabei galt Simbabwe bis vor kurzem als Modellstaat im südlichen Afrika. Als das ehemalige Rhodesien im April 1980 die Unabhängigkeit errang, war es eines der ersten Länder, denen in dieser krisengeschüttelten Region ein friedlicher Übergang gelang. Südafrika und das damals noch der Verwaltung in Prätoria unterstellte Namibia lebten unter einem Apartheidregime, Mosambik und Angola waren von blutigen Bürgerkriegen zerrissen, und Sambia wurde vom sinkenden Kupferpreis in eine schwere Wirtschaftskrise gerissen.

Vor diesem Hintergrund galt die Unterzeichnung des Abkommens von Lancaster House zwischen dem weißen Premierminister Ian Smith und den schwarzen Guerillaführern Robert Mugabe und Joshua Nkomo im Dezember 1979 als großer Erfolg. Damit sollte die schwarze Bevölkerungsmehrheit an die Macht gelangen. Wichtiger noch: Der Regimewechsel führte nicht zum wirtschaftlichen Zusammenbruch. Der amerikanische Politologe Jeffrey Herbst erläutert: „Die zukünftigen Machthaber Simbabwes hatten beobachtet, welche Auswirkungen die schlagartige Durchsetzung der revolutionären Politik der Frelimo in Mosambik gehabt hatte. Daher war ihnen klar, dass ein Sozialismus, der nach mosambikanischem Muster auf Verstaatlichungen und weitere wirtschaftliche Umwälzungen hinauslief, eine Flucht der weißen Bevölkerungsteile und die Destabilisierung der Wirtschaft zur Folge gehabt hätte.“2 In die Verfassung, die aus der Vereinbarung von Lancaster House hervorging, übernahmen die Führer der Befreiungsbewegungen deshalb einen Artikel, der das Privateigentum schützte, insbesondere das an Grund und Boden, sowie eine Klausel, die jegliche Veränderung des Grundgesetzes für einen Zeitraum von sieben Jahren ausschloss. Dies beruhigte die Geschäftsleute und hielt den Exodus der weißen Rhodesier in Grenzen.

Es handelte sich um einen mutigen Kompromiss, denn die schwarzen Simbabwer, die zum größten Teil auf dem Land leben, forderten vor allen Dingen die Rückerstattung der bei der Kolonisierung konfiszierten Ländereien. Auch die marxistische Rhetorik des zukünftigen Premierministers Robert Mugabe, des Führers der Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (Zanu-PF) stand in krassem Gegensatz zu dieser Haltung. Doch genau wie einige Jahre später Nelson Mandela in Südafrika erwies sich der starke Mann Simbabwes als Pragmatiker: Er wollte die Destabilisierung des dynamischen Privatsektors vermeiden und entschied sich dafür, die Erwartungen der schwarzen Bevölkerung erst nach und nach zu erfüllen.3 Man konzentrierte sich zunächst auf die Bereiche Bildung und Gesundheit, von denen das rhodesische Regime die afrikanische Bevölkerung systematisch ausgeschlossen hatte.

Erstmals regt sich eine echte Opposition

IN den ersten zehn Jahren der Unabhängigkeit konnte sich Simbabwe somit – als Alternative zu dem international als Apartheidstaat geächteten Südafrika – einen hervorragenden internationalen Ruf und eine Führungsrolle im südlichen Afrika sichern. Besonders demokratisch aber verhielt sich der nach einer Verfassungsreform von 1987 zum Präsidenten gekürte Mugabe nie. Kurz nach der Unabhängigkeit erstickte er das Aufbegehren seiner Rivalen, der Zimbabwe African People's Union (Zapu) von Joshua Nkomo, in einem Blutbad. Doch er war geschickt genug, ihnen zugleich in Form einer Fusionierung der beiden Bewegungen eine „ehrenhafte Niederlage“ anzubieten.

Mit Blick auf die anderen Länder der Region besaß Simbabwe also wegen des gelungenen Machtwechsels von weißem Regime zu schwarzer Führung lange Zeit Modellcharakter. Damals sahen viele Beobachter in diesem friedlichen Übergang sogar ein Vorbild für Südafrika.

Das „ Modell Simbabwe“ sollte jedoch sehr bald an seine Grenzen stoßen. Anfang der Neunzigerjahre ging der Wirtschaft langsam, aber sicher die Luft aus. Man musste sich daher in Harare ab 1991 auf die Strukturanpassung einlassen, die zuvor bereits vielen afrikanischen Ländern aufgezwungen wurde. Diese Entscheidung fiel Mugabe als eingeschworenem Gegner der Methoden des Internationalen Währungsfonds (IWF) besonders schwer, zumal sie zwangsläufig unpopuläre Maßnahmen mit sich brachte, und das genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die immer noch ungelöste Frage der Landverteilung wieder aufkam. Etwa 4 500 weiße Farmer kontrollierten mit ihren großen Gütern weiterhin mehr als ein Drittel des Ackerbodens in den fruchtbarsten Zonen. Mehr als 700 000 schwarze Bauernfamilien teilten sich den Rest in Form von „Gemeinschaftsländereien“ in weit weniger fruchtbaren Regionen. Damals kam es zu den ersten Besetzungen weißer Farmen durch arme Bauern und junge Landbewohner. Zu diesem Zeitpunkt fand der Staatschef es nicht opportun, sie zu unterstützen. Mugabe zog es vor, jene Landreform wieder aus der Schublade zu ziehen, die man zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit entworfen hatte, die aber in den zehn Jahren danach nur 62 000 Familien zu Grundbesitz verholfen hatte statt der vorgesehenen 162 000.

Seither wird Mugabe nicht müde, den schwarzen Bauern „den Tag der Wende“ in der Landreform anzukündigen. Gleichzeitig schwankt er zwischen heftigen Anwürfen gegen „die Weißen“ – und beruhigenden Botschaften an die „Simbabwer europäischer Herkunft“. Im Februar 1992 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das der Regierung erlaubt, sich jedweden landwirtschaftlichen Besitz zu einem vom Staat einseitig festgesetzten Preis anzueignen. Doch angesichts der Proteste der mehrheitlich weißen Commercial Farmers Union (CFU) und des Drucks der Geberländer wurde das Gesetz zurückgezogen. Als 1993 schließlich die erste Phase der Umverteilung begann, die sich auf siebzig Landgüter bezog, waren die Nutznießer nicht landlose Bauern, sondern Minister und Günstlinge des Regimes.

Bei der Präsidentschaftswahl im März 1996 wurde Mugabe dennoch zum dritten Mal zum Staatschef berufen. Doch die niedrige Wahlbeteiligung (31,7 Prozent der Wähler) war ein deutlicher Hinweis, dass die Bevölkerung sich von ihm abwandte. Im August 1996 kam es zur ersten großen Demonstration der Staatsbeamten, die Lohnerhöhungen forderten, und zu einer Reihe von Streiks in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst. Sie lähmten das Land und warfen Schatten auf die Prunkhochzeit des alternden Präsidenten, der seine junge Sekretärin Grace Marufu zur zweiten Ehefrau gekürt hatte.

1997 wurde dann die Aufdeckung eines Skandals um die Unterschlagung von Veteranenpensionen durch hohe Funktionäre des Regimes zu dem Funken, der die Explosion auslöste. Die stets als Hätschelkinder des Regimes angesehenen ehemaligen Guerillakämpfer demonstrierten über einen Monat lang gewaltsam und belagerten sogar den Präsidentenpalast. Mugabe blieb nichts anderes übrig, als spezielle Maßnahmen zu ihren Gunsten anzukündigen. Doch damit regelte er nur eines von unzähligen Problemen.

Das anhaltende Sinken des Lebensstandards hat inzwischen in Simbabwe die stärksten sozialen Bewegungen seit der Unabhängigkeit entstehen lassen. Die Situation verschärfte sich durch den Eintritt Simbabwes in den Kongokrieg – Mugabe entsandte im August 1998 zuerst 6 000, dann 11 000 Soldaten zur Unterstützung des Präsidenten Laurent Kabila, dessen Macht in der Republik Kongo (Kinshasa) durch eine von Uganda und Ruanda unterstützte Rebellion bedroht ist. Dass diese bis heute andauernde Militärintervention schätzungsweise eine Million US-Dollar pro Tag verschlingt, empört die Gewerkschaften, die ihre Aktionen verstärkt haben – und einige Monate später Rückendeckung vom IWF erhielten, der Mugabe beschuldigte, falsche Angaben zu seinen Militärausgaben gemacht zu haben, um einen Kredit zu bekommen.

Aus dieser Protestwelle ging zugleich die erste echte Oppositionspartei hervor: das Movement for Democratic Change (MDC) unter der Führung von Morgan Tsvangirai, dem Generalsekretär des Gewerkschaftsbunds Zimbabwe Confederation of Trade Unions (ZCTU). Die neue Partei existiert seit weniger als einem Jahr, und sie hat bereits einen ersten Sieg errungen: ein „Nein“ bei einem Verfassungsreferendum im Februar 2000. Für Mugabe, der noch nie von den Wählern im Stich gelassen worden war, bedeutet das eine herbe Niederlage. In der zur Abstimmung vorgelegten Verfassungsänderung war unter anderem die kompensationslose Enteignung von Grundeigentum vorgesehen; aus der Ablehnung dieses Textes kann man also entweder schließen, dass für die Simbabwer die Landverteilung nicht mehr die wichtigste Frage ist, oder aber, dass die Mehrheit der Bevölkerung dem Präsidenten die Umsetzung eines solchen Programms einfach nicht mehr zutraut.

Ermutigt durch diesen ersten Erfolg hofft die Opposition auf einen Sieg bei den anstehenden Parlamentswahlen. Doch Mugabe wird, wie er bereits öffentlich erklärt hat, alles tun, um diesen Sieg zu verhindern. Er baut auf die Unterstützung der Landbevölkerung und hat deshalb die Besetzung der weißen Farmen aktiv unterstützt oder – wie einige sagen – sogar selbst organisiert. Zudem hat er im Parlament jene Verfassungsänderung bezüglich der Enteignungen durchgesetzt, die einige Wochen zuvor beim Referendum keine Mehrheit gefunden hatte.

Gleichzeitig werden die Vertreter der Opposition immer häufiger bedrängt und eingeschüchtert. Sie zweifeln nicht daran, dass es zu Manipulationen bei den Wahlergebnissen kommen wird. Die Regierungspartei beschuldigt die Opposition, mit den „weißen Rassisten“ unter einer Decke zu stecken, seit die ansonsten politisch sehr diskreten weißen Simbabwer öffentlich ihre Unterstützung für die MDC erkennen lassen. Inzwischen beginnen die Weißen, die nach der Unabhängigkeitserklärung geblieben waren, das Land zu verlassen. Die internationalen Partner Simbabwes sind darüber sehr beunruhigt, die meisten haben ihre Beziehungen zu Harare suspendiert und warten auf eine beschwichtigende Geste des Präsidenten. Sie fordern zugleich die Durchführung freier und fairer Wahlen. Vom „Modell Simbabwe“ spricht inzwischen niemand mehr.

dt. Christiane Kayser

* Journalist bei Radio France-Internationale.

Fußnoten: 1 Siehe Le Monde diplomatique, März 1999. 2 Jeffrey Herbst, „State Politics in Zimbabwe“, Harare (University of Zimbabwe Publications) 1990. 3 Die neue unabhängige Nation hatte eine ertragreiche Landwirtschaft, einen entwickelten Produktionssektor und eine mächtige, aber ausschließlich von der weißen Minderheit kontrollierte Bergwerksindustrie geerbt.

Le Monde diplomatique vom 12.05.2000, von CHRISTOPHE CHAMPIN