16.06.2000

Neoliberale Zwangsjacke für Europa

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Neoliberale Zwangsjacke für Europa

Große Ereignisse werden üblicherweise an Jahrestagen gefeiert, die mit einer Fünf oder einer Null enden. Nicht anders war es am 9. Mai dieses Jahres, als sich ein Vorschlag Robert Schumans zum 50. Mal jährte. In diesem Fall war die routinemäßige Übung jedoch angesichts der wahrhaft epochalen Bedeutung des Projekts ausnahmsweise gerechtfertigt. Die von Jean Monnet verfasste Erklärung des damaligen französischen Außenministers gab den entscheidenden Anstoß zur Schaffung einer internationalen Behörde, die die französische und deutsche Kohle- und Stahlproduktion koordinieren sollte. Bereits ein knappes Jahr später, am 8. April 1951, wurde in Paris der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) unterzeichnet, an dem sich neben Deutschland und Frankreich auch die drei Benelux-Staaten und Italien beteiligten.1 Logischerweise wurde der 9. Mai vor fünfzehn Jahren zum Europatag erklärt.

Ein halbes Jahrhundert später ist Schumans Vision noch immer die Messlatte für den Stand des europäischen Einigungsprozesses. In den Wochen vor dem 9. Mai 2000 herrschte in der französischen Presse allerdings eine düstere Stimmung vor. Die commemoratio geriet zur lamentatio: Europa sei „orientierungslos“, hieß es, befinde sich auf „Sinnsuche“, habe „den Blues“ und stecke in einer „Sackgasse“, während der Euro seinen Sinkflug gegenüber dem Dollar fortsetzte. So war der Stand der Dinge, als Joschka Fischer das Podium betrat.

Am 12. Mai rief der deutsche Vizekanzler und Außenminister in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität zu einer „konstitutionellen Neugründung“ der Europäischen Union auf. Eine „kleine Gruppe von Mitgliedstaaten“, so Fischer, solle sich in absehbarer Zeit zu einer Föderation mit eigener Verfassung, einem Zweikammerparlament und einem direkt gewählten Präsidenten zusammenschließen und als „Gravitationszentrum“ des weiteren Einigungsprozesses fungieren.2 Völlig neu ist dieser Gedanke nicht. Bereits im Vertrag von Amsterdam war von „verstärkter Zusammenarbeit“ die Rede, dem ersten Schritt in Richtung „Gravitationszentrum“ oder „Kerneuropa“, wie es bei anderen heißt. Auch lag der Gedanke einer europäischen Föderation – Victor Hugo sprach von den Vereinigten Staaten von Europa – bereits dem Montanunion-Vertrag von 1951 sowie dem Plan einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft von 1952 zugrunde, den das französischen Parlament dann jedoch 1954 ablehnte.

Dass Fischers Rede in den französischen Medien so breiten Widerhall fand, hat weniger mit deren Inhalt als vielmehr mit dem gewählten Zeitpunkt zu tun: Die EU-Regierungskonferenz verhandelt im Augenblick über einen neuen EU-Vertrag, und Frankreich wird in Kürze den Ratsvorsitz übernehmen. Ein weiterer Grund war die Statur des Redners. Fischer behauptete zwar, er spreche nur „als Privatmann“, aber es war gleichwohl der deutsche Außenminister, der sich hier in die anhaltende Debatte über das Verhältnis von supranationalen Institutionen und nationalen Souveränitäten einschaltete. Das reichte aus, um den angeblich so verhangenen Horizont plötzlich wieder aufzuhellen und allen möglichen Leuten das Gefühl zu geben, sie müssten zu dieser Rede, die bald als Epoche machender Einschnitt gelten dürfte, irgendwie Position beziehen. Damit hatte der europäische Einigungsprozess innerhalb von drei Tagen erneut an Dynamik gewonnen. Dass etwa zur gleichen Zeit die Regierung in London eine europäische Luft-Luft-Rakete vom Typ Meteor bestellte und die spanische Telefónica-Gruppe das amerikanische Internet-Portal Lycos aufkaufte, war ein willkommenes Signal dafür, dass sich Europa wieder auf der Siegerstraße befand.

Aufsichtsrat statt Regierung

DER Rummel um die Fischer-Rede steht in auffälligem Kontrast zur weit zurückhaltenderen Berichterstattung über das EU-Ministertreffen in Lissabon am 23. und 24. März dieses Jahres. Doch um den „Sinn“ der europäischen Einigung zu erfahren, muss man sich keineswegs in die fernere Zukunft katapultieren (die Erklärung des grünen Außenministers spricht von mittel- und langfristigen institutionellen Perspektiven). Es reicht durchaus, einige Wochen zurückzublicken und die Schlusserklärung des Gipfeltreffens in der portugiesischen Hauptstadt beim Wort zu nehmen.

Am Tag nach dem Ratstreffen brachten die Titelseiten keine reißerischen Schlagzeilen, und die politischen Reaktionen ließen nichts Außerordentliches vermuten. Eher „business as usual“, wie Anthony Blair gesagt hätte, der die Zusammenkunft im Verein mit José María Aznar eindeutig dominierte. Dabei werden sich die Beschlüsse von Lissabon weit nachhaltiger auf den Alltag der Bürger und die künftige Gestalt der EU auswirken als alle perspektivischen Debatten über den Umbau der politischen Institutionen. Um es deutlich zu sagen: Die Zukunft der EU wird in die liberale Zwangsjacke gesteckt.

Neben der Hymne auf die „sich herausbildende neue Gesellschaft“ – eine Anspielung auf die „neue Ökonomie“, rund zwei Wochen nach dem Mini-Krach des Nasdaq – hätten die Passagen über die europäischen Bildungs- und Ausbildungssysteme mehr Aufmerksamkeit verdient. Letztere sollen sich – in einer ungeheuerlichen Verkürzung des Bildungsauftrags – allein „auf den Bedarf der Wissensgesellschaft und die Notwendigkeit von mehr und besserer Beschäftigung einstellen“, wobei das Lehrpersonal einzig als Internet-Nutzer Erwähnung findet. Was für ein humanistisches Bildungsprogramm! Sodann seien die sozialen Sicherungssysteme zu „modernisieren“, und zwar „unter besonderer Berücksichtigung der Tragfähigkeit der Altersversorgungssysteme in verschiedenen zeitlichen Abschnitten bis 2020 und, sofern erforderlich, darüber hinaus“. Hier schimmert deutlich die Einführung privater Pensionsfonds durch, ohne dass die politisch-semantischen Empfindlichkeiten von Lionel Jospin verletzt würden.

Auch die öffentlichen Dienstleistungen wurden nicht vergessen: „Der Europäische Rat ruft [...] die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten dazu auf, dass sie [...] die Liberalisierung in Bereichen wie Gas, Strom, Postdienste und Beförderung beschleunigen. Ebenso ersucht der Rat die Kommission, hinsichtlich der Nutzung und des Managements des Luftraums so rasch wie möglich ihre Vorschläge zu unterbreiten.“3

Die übrigen Schlussfolgerungen des Lissabonner EU-Gipfels sind nach demselben Muster gestrickt. Dagegen findet sich keine Spur vom Vorschlag der portugiesischen Regierung, für die Sozialpolitik der EU bis ins Jahr 2010 präzise quantitative Ziele vorzugeben: eine Senkung der Arbeitslosigkeit von 8,8 auf 4 Prozent und eine Reduzierung der Armutsquote von 18 auf 10 Prozent. Die Verfasser des Maastricht-Vertrags scheuten vor einem solchen Volontarismus nicht zurück, als sie die drakonischen Konvergenzkriterien für den Beitritt zur Europäischen Währungsunion prozentgenau festklopften. Und auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, den der Rat am 17. Juni 1997 in Amsterdam beschloss, ist in Sachen Haushaltsdisziplin äußerst streng.

Wer wird angesichts dieser Sachlage noch behaupten wollen, der EU fehle es an eindeutigen Prioritäten und an jenem „Sinn“, den die Krisendiagnostiker so gerne vermissen? Am selben Tag, an dem der Generalsekretär der französischen KP vor den Delegierten seiner Partei eine „Linkswendung“ forderte – die Lissabonner Ratstagung war gerade zu Ende –, trat Staatspräsident Chirac, umgeben von seinem Ministerpräsidenten Jospin und dessen Ressortleitern, vor die Kameras und erklärte: „Es gibt keine ideologische Debatte mehr.“ Will sagen: Alle Regierungen Europas, auch die der pluralen Linken in Paris, haben das liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell zum Modell für Europa erkoren.

Bestätigt wurde dieser Eindruck von einer Zeitung, die es wissen muss. Nach Abschluss des Sondergipfels schrieb die Financial Times unter dem Titel „Ein Unternehmensplan für die Aktiengesellschaft Europa“ begeistert: „In ihrem ganzen Stil glich die soeben beendete Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs in Lissabon mehr als alle vorherigen Ratsgipfel eher einer Verwaltungsratssitzung. Das Schlusskommuniqué zeigt eine klare Linie und zeugt von gesundem Menschenverstand. Der Marktwirtschaft wird in allen Bereichen der Vorrang eingeräumt. Erfolgreiche Unternehmen und liberalisierte Märkte werden als Haupttriebkräfte wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit anerkannt. Die Regierungen sollen sich weitgehend darauf beschränken, Hilfestellung zu geben, wobei die Union als Katalysator wirkt.“4

In diesem Zusammenhang sei kurz an die Funktion der EU-Gipfel erinnert. Die Konferenz der Staats- und Regierungschefs bestimmt die Leitlinien für die künftige Arbeit von EU-Kommission, Europaparlament und Mitgliedstaaten. Damit setzt sie eine komplexe Gesetzgebungsmaschinerie in Gang. Die EU-Kommission wird auf der Grundlage der Lissabonner Beschlüsse EU-Richtlinien und andere gemeinschaftliche Rechtsakte vorschlagen (nur im Bereich des Wettbewerbsrechts kann die Kommission eigenmächtig Recht setzen). Die Minister der Mitgliedstaaten, die an die Beschlüsse ihrer Regierungschefs gebunden sind, werden die Empfehlungen der Kommission billigen, und den nationalen Parlamenten wird schließlich nichts anderes übrig bleiben, als das fortan geltende Gemeinschaftsrecht in nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften umzusetzen.

Maßnahmen, die bei den Abgeordneten auf erbitterten Widerstand stoßen würden, wenn sie von ihrer Regierung kämen, passieren das Parlament, als sei nichts gewesen – Europe oblige. Der französische Verkehrsministers Claude Gayssot zum Beispiel wird nicht umhin können, im Ministerrat eine EU-Richtlinie zur „Liberalisierung“ (will heißen: Teil- oder Totalprivatisierung) des Luftraummanagements zu beschließen und den Abgeordneten der pluralen Linken anschließend zur Abstimmung vorzulegen.

So fungiert die Europäische Union als mächtige Maschinerie einer Liberalisierung „von oben“, die die Meinung der Bürger und ihrer Abgeordneten wenig kümmert. Selbst Regierungen, die (wie derzeit die Regierung Jospin) zaghafte Vorbehalte äußern, können kaum etwas unternehmen, wenn sie in Europa nicht „isoliert“ dastehen wollen. So gleichgültig ihnen die Entfremdung von ihren Mitbürgern ist, so wichtig ist ihnen die Gesellschaft der Herren Blair, Schröder und Aznar. Schritt für Schritt kristallisiert sich so ein Europa heraus, das sich von seinem ursprünglichen Modell, und auch von seiner anfangs intendierten Vorbildfunktion, mehr und mehr entfernt. Dieses EU-Europa reduziert die Parlamente auf bloße Registrierungskammern und entwickelt ein Gebaren, das sogar die ultraliberale Wochenzeitschrift The Economist auf die Frage bringt: „Wozu ist Europa nütze, wenn es sich als Kopie der Vereinigten Staaten erweist?“5

Wie die Bürger übergangen werden, wie man ihnen Lösungen aufnötigt, die sie weder gefordert, geschweige denn per Votum gebilligt haben, hat Alain Touraine (unvorsichtigerweise?) verraten: „Das Wort Liberalismus war in Frankreich unaussprechbar; also hat man ein anderes gefunden: Europa.“6 Genau dies meinte Jacques Delors, als er davon sprach, „Frankreich auf dem Umweg über Europa“ umzugestalten, wie der Titel eines seiner Bücher lautet.

Kann man über das künftige Institutionengefüge der Europäischen Union ehrlich diskutieren, ohne auch über die Strukturen zu verhandeln, die es derzeit erlauben, die gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen der Bürger außer Acht zu lassen? Natürlich nicht.

Nun stehen auf der offiziellen Tagesordnung der Regierungskonferenz, die auf dem Europäischen Rat in Nizza im Dezember dieses Jahres abgeschlossen wird, ausschließlich institutionelle Reformen, die die Handlungsfähigkeit der Euopäischen Union auch nach Aufnahme der zwölf Beitrittskandidaten garantieren sollen (die Türkei nicht mitgezählt). Das betrifft im Einzelnen: die Größe der EU-Kommission (nach der Erweiterung würde die Zahl der Kommissare nach den derzeit geltenden Regeln von 20 auf 33 anwachsen), die Stimmgewichtung im Rat bei Entscheidungen, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern (was das heikle Problem einer Balance zwischen „großen“ und „kleinen“ Staaten aufwirft), und die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen auf Bereiche, in denen bisher Einstimmigkeit gefordert war (darunter die Steuerpolitik). Dass diese Reformen außerordentlich wichtig sind, wird niemand bestreiten, aber sie betreffen eben nur die Verfahrensseite und nicht die inhaltliche Richtung der EU-Politik.

Letztere scheint überhaupt kein Thema mehr zu sein. Die Marschrichtung steht offenbar endgültig fest: Die Fünfzehn werden auf Teufel komm raus liberalisieren, und die osteuropäischen Neumitglieder werden sich strukturelle Anpassungsprogramme à la IWF gefallen lassen müssen (siehe den Beitrag von Catherine Samary). Dass der ach so grüne Außenminister Deutschlands darauf mit keinem Wort eingeht, ist kein Zufall. Aber auch der neue italienische Ministerpräsident Giuliano Amato schweigt sich zu diesem Thema vornehm aus. Dagegen greift er Fischers Auslassungen zum „Gravitationszentrum“ dankbar auf. Damit die Regierungskonferenz nicht scheitert, komme es wesentlich darauf an, „dass wir bei der Überarbeitung der Bestimmungen zur Flexibilität Mut zeigen“. Flexibilität dient hier als Codewort für jene viel beschworene „verstärkte Zusammenarbeit“ im kleineren Kreis, von der es „in entscheidendem Maß abhängt, ob der Einigungsprozess in den Bereichen Justiz, Einwanderung sowie Sicherheit und Verteidigung vorankommt, wo wir völliges Neuland betreten“7 .

Die EU als Büttel des IWF

AMATOS Neuland kennt nur die Zwangsfunktionen des Staats. Das Gesellschaftsmodell, das die EU-Staaten nach innen und nach außen verteidigen sollen, sucht man vergebens. Das Modell Europa zerfällt in eine dem Bürger verschlossene Wirtschafts- und Finanzsphäre hier und eine auf die Funktion des Aufpassers und Ausputzers reduzierte politische Sphäre dort.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang, wo genau das ambitionierte Projekt Platz finden soll, das Lionel Jospin am 4. Mai 2000 vor Studenten in Budapest an die Wand geworfen hat: „ein Europa im Dienst der Bürger, das den sozialen Fortschritt zum Mittelpunkt seiner Anliegen macht“. Ob er dabei an Lissabon zurückdachte?

Die politischen Führungen Europas haben, das wird hier offensichtlich, von den liberalen Rezepten der vergangenen zwanzig Jahre nichts vergessen. Aber sie haben auch nichts von der Gegenbewegung gelernt, die sich als Anti-WTO-Demonstrationen in Seattle im November 1999 und in den Aktionen gegen IWF und Weltbank im März 2000 in Washington kristallisiert hat. Sie mögen sich damit beruhigen, dass diese Bewegung gegen nichteuropäische, abgehobene Institutionen gerichtet war; doch immer mehr Bürger sind der begründeten Ansicht, dass es zwischen den Initiativen der internationalen Finanzorganisationen und dem Handeln von EU-Kommission und Rat fließende Übergänge, wenn nicht totale Übereinstimmung gibt. In der Welthandelsorganisation (WTO) stellt die EU in puncto Liberalisierung selbst die Vereinigten Staaten in den Schatten, und die Institutionen von Bretton Woods und deren weltweite Politik der strukturellen Anpassungsprogramme finden auch in Brüssel Zuspruch und Anerkennung.

Angesichts dessen steht zu erwarten, dass die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften die institutionellen Treffen der EU-Staaten mehr und mehr zum Anlass nehmen werden, um gegen eine Politik zu mobilisieren, die nur noch die regionale Übersetzung der liberalen Globalisierung darstellt. Wenn nicht alles täuscht, wird Nizza hier wohl den Anfang machen.

Da die Leitlinien der EU-Politik auf den Gipfeltreffen der hinter verschlossenen Türen tagenden Staats- und Regierungschefs beschlossen werden, ist es nur logisch, den Gegendruck auf dieser Ebene anzusetzen. Dabei wird sich niemand durch den vorhersehbaren Anwurf der Europafeindlichkeit irritieren lassen, denn als besonders „europäisch“ lässt sich die von den Fünfzehn praktizierte Politik wahrlich nicht bezeichnen. Die Akteure dieser Politik müssen daher auch die Proteste aushalten, die sich nicht nur auf dem Alten Kontinent formieren.

Viele Bürger betrachten den europäischen Einigungsprozess als eine unverzichtbare historische Perspektive. Umso trauriger ist es, mit ansehen zu müssen, wie dieses Projekt in das institutionelle Gewand einer Aktiengesellschaft Europa gezwängt wird. Mehr noch: Die Fusionsverhandlungen zur World Company schreiten scheinbar unaufhaltsam voran, und Kommissionspräsident Romano Prodi macht sich bereits Gedanken über den geeigneten „kulturellen“ Firnis: „Die Stärke der amerikanischen Kultur im weiteren Sinn, wie sie in den Massenmedien symbolisch zum Ausdruck kommt, wird von manchen Beobachtern als möglicher einheitlicher Bezugspunkt für Europa angesehen, das auf der Suche nach seiner Seele ist. Diese Hypothese hat nichts Schockierendes an sich.“8 Europa auf dem Umweg über Amerika: Das ist zumindest eine klare Auskunft.

dt. Bodo Schulze

Fußnoten: 1 Typisch für die „Methode Monnet“ war, dass die Operation unter höchster Geheimhaltung vorbereitet wurde. Nicht einmal Regierungschef Georges Bidault war im Bilde. Erst am 3. Mai 1950 wurde er andeutungsweise informiert, während zwei seiner Minister (René Pleven und René Mayer) längst Bescheid wussten. Sie wischten Bidaults Vorbehalte beim entscheidenden Ministertreffen vom Tisch. 2 Die Rede Fischers steht unter der Adresse http://www.auswaertiges-amt.de/4_europa/index.htm im Netz. Siehe dazu Le Monde vom 14./15. Mai 2000. 3 Das Abschlussdokument des Europäischen Rats (Lissabon) vom 23. und 24. März 2000 hat die Adresse: http://www.auswaertiges-amt.de/4_europa/2/4-2-1i.htm. 4 „A corporate plan for Europe Inc.“, Financial Times (London), 25. März 2000. Belén Balanyà, Ann Doherty, Olivier Hoedeman, Adam Ma'anit und Erik Wesselius beschreiben in ihrem umfassend dokumentierten Buch mit dem viel sagenden Titel „Europe Inc.“ (erschienen in London, Pluto Press 2000) den enormen Einfluss der transnationalen Unternehmen und ihrer Lobbyisten auf die Entstehung und Ausarbeitung zahlreicher gemeinschaftlicher Rechtsakte. Die Einzelabhandlungen über den Europäischen Industriekreis (ERT), den Transatlantic Business Dialog (TABD), die Union des Confédération de l'Industrie et des Employeurs d'Europe (UNICE) sowie die Internationale Handelskammer (ICC) sind besonders erbaulich. Das Buch sollte in alle europäischen Sprachen übersetzt und in großer Auflage verbreitet werden. 5 The Economist (London) vom 12. Februar 2000. 6 Alain Touraine, „Le marché, l'État et l'acteur social“, Cultures en mouvement, No. 17, Paris, Mai 1999. 7 Giuliano Amato, „Un cour fort pour l'Europe“, Le Monde vom 25. Mai 2000. 8 Romano Prodi, Rede vor dem Europäischen Parlament am 13. April 1999: http://europa.eu.int/comm/commissioners/prodi/speeches/designate/130499_fr.htm.

Le Monde diplomatique vom 16.06.2000, von BERNARD CASSEN