16.06.2000

Gesetz gegen die Beschneidung im Senegal

zurück

Gesetz gegen die Beschneidung im Senegal

WENN es fünf Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking einen Bereich gibt, in dem wenig Fortschritte zu verzeichnen sind, dann gilt dies, neben der Prostitution, vor allem für die Beschneidung der Frauen – trotz aller Anstrengungen von UN-Sonderorganisationen, Frauenvereinigungen und Menschenrechtsorganisationen, in einigen Fällen sogar der betroffenen Länder. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind etwa 130 Millionen Frauen und Mädchen in 28 Ländern Afrikas und des Nahen Ostens von der Praxis der genitalen Verstümmelung betroffen.

Und die Zahl der Opfer ist durchaus nicht im Rückgang begriffen, sie wächst jedes Jahr um ungefähr zwei Millionen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser trostlosen Situation lässt sich im Senegal verzeichnen. Dort bemüht sich seit knapp drei Jahren eine Gruppe von Frauen in einem kleinen Dorf mit aller Entschlossenheit, dieses archaische und lebensgefährliche Ritual abzuschaffen. Sie hat damit zugleich ein unübersehbares und überregional ausstrahlendes Zeichen gesetzt.

Es waren etwa dreißig Frauen, die im Juli 1997 den Mut fanden, sich gegen die Gebote der Tradition zu stellen, und sich zu dem feierlichen öffentlichen Bekenntnis zusammenfanden, die Praxis der Beschneidung abschaffen zu wollen.1 Dieser Gründungsakt ist als das Gelöbnis von Malicounda bekannt geworden. Malicounda ist der Name des Dorfes, in dem die Frauen leben. Der Ort liegt in der Thiès-Region, etwa eine Autostunde von Dakar entfernt. In der Folge entwickelte sich eine Initiative, die gegen alle politischen, religiösen und sozialen Widerstände ihren Einfluss immer weiter ausdehnen konnte.

Dass eine solche Mobilisierung möglich wurde, ist vor allem das Verdienst von Tostan, einer amerikanisch-senegalesischen Nichtregierungsorganisation (NGO), die von der Unicef unterstützt wird2 : Den Mitarbeitern von Tostan gelang es, bei den Frauen des Dorfes, die der Ethnie der Bambara angehören, Verständnis für die Idee der Menschenrechte zu wecken. Die Organisation hat ein einfaches Bildungsprogramm entwickelt, das aus einer Reihe von thematischen Blöcken besteht. Die Durchführung dieses Programms macht es tatsächlich möglich, im Rahmen von Gesundheitsfragen auch so heikle Themen wie die weibliche Sexualität, das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper und sogar das Tabu der Beschneidung anzusprechen. Der Ansatz von Tostan zeichnet sich dadurch aus, dass er den offenen Konflikt mit den Traditionen vermeidet.

Im Verlauf ihrer eigenen Bewusstwerdung haben die Frauen von Malicounda auch ganz behutsam versucht, ihre Einsichten an die Männer des Dorfes weiterzugeben und ihnen klarzumachen, was sie für die Gesundheit ihrer Frauen und Töchter tun könnten.

In der Praxis bedeutete dies, sich für die Abschaffung der genitalen Verstümmelung einzusetzen, die nicht selten tödliche Folgen hat. Das ist kein einfaches Unterfangen in einer Gesellschaft, in der nach wie vor die Beschneidung mit weiblicher Tugend und Familienehre gleichgesetzt wird. Das ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil dieser Brauch sehr häufig als eine Vorschrift des islamischen Sittengesetzes ausgegeben wird. Aber natürlich ist es eine unsinnige und vollkommen falsche Behauptung, dass eine nicht beschnittene Frau unrein und nicht würdig sei, das Leben eines gläubigen Muslims zu teilen. Mehr als ein Jahr brauchten die Frauen von Malicounda, um die Dorfbewohner und auch den Imam für ihre Sache zu gewinnen – am Ende haben sie es geschafft.

Dabei hat sich eine Reihe von Faktoren für ihre Initiative als günstig erwiesen: zum Beispiel das steigende Bildungsniveau, die Tendenz zur Urbanisierung, das Aufkommen neuer Vorstellungen und der allmähliche Wandel der Lebensweisen. Damit beginnt der operative Eingriff, der an wenige Monate alten Kindern vollzogen wird, seinen Sinn zu verlieren – denn als ein sozial verankertes Ritual kann er kaum noch gelten. Inzwischen erscheint die Beschneidung schlicht und einfach als ein Versuch von Männern, durch Verstümmelung die Sexualität ihrer Frauen und Töchter zu beherrschen.

Die senegalesische Regierung war sich zunächst im Unklaren darüber, wie sie mit der Malicounda-Bewegung umgehen sollte, die im ganzen Land sehr rasch für großes Aufsehen sorgte. Monatelang hüllten sich die Machthaber in Schweigen. Das war umso erstaunlicher, als die Regierung von Senegal alle wichtigen Menschenrechtsabkommen unterzeichnet hat und überdies 1995 bei der Frauenkonferenz in Peking genau zu diesen Fragen als Koordinator der afrikanischen Delegation aufgetreten ist.

In einer Rede vor dem Kongress der Internationalen Föderation der Menschenrechtsvereinigungen (FIDH) in Dakar brach Senegals Präsident Abou Diouf am 20. November 1997 endlich das Schweigen. Er würdigte die Leistung der Frauen von Malicounda und rief dazu auf, „mit allen Mitteln gegen die Praxis der sexuellen Verstümmelungen vorzugehen“. Ein Jahr später erhielt die Initiative den offiziellen Segen: Das senegalesische Parlament verabschiedete ein Gesetz zur Abschaffung der Beschneidung, das diese Praxis in Zukunft unter Strafe stellt.

Die Malicounda-Bewegung hatte unterdessen viele Anhänger gewonnen und mit ihren Aktivitäten große Wirkung erzielt. Nach mehreren Zusammenkünften mit den Frauen von Malicounda schlossen sich im Februar 1998 dreizehn Dörfer in der Thiès-Region ihrer Initiative an und beantragten die Aufnahme in das Bildungsprogramm von Tostan. Im Juli bekundeten achtzehn Dörfer der Peul in der Kolda-Region in Anwesenheit von Regierungsvertretern und mehreren islamischen Geistlichen ihre Unterstützung für die Bewegung. Ihrem Beispiel folgten im April 2000 rund zwanzig Ortschaften im Süden – mit farbenprächtigen Beitrittszeremonien. Damit war die Zahl der Dörfer im Senegal, die der Beschneidung der Frauen abgeschworen hatten, auf 178 angewachsen.

Angesichts der Tatsache, dass in mehreren tausend Orten die Beschneidung noch immer durchgeführt wird, mag diese Zahl nicht eindrucksvoll erscheinen. Doch sie ist es, wenn man bedenkt, wie wenig in anderen Ländern geschieht. Zudem zeigen im Senegal noch weitere Dörfer ihre Bereitschaft, sich dem Programm anzuschließen. Anfang Mai 2000 traf ich in Thiès eine Frau aus Fouta, also aus dem Norden des Senegal, und einen ehemaligen Parlamentsabgeordneten (der Sozialisten) aus der Casamance, also aus dem Süden. Beide waren angereist, um sich mit den emanzipierten Frauen dieses Dorfes zu unterhalten. Sie wollten herausfinden, wie diese den Mut gefunden hatten, das Tabu zu durchbrechen, und auf welche Weise sie damit Erfolg haben konnten. Wie diese beiden setzen auch viele andere Senegalesen große Hoffnungen auf die positiven Wirkungen, die das Gelöbnis von Malicounda auch für sie haben kann.

dt. Edgar Peinelt

* Journalist

Fußnoten: 1 Siehe Le Monde, 14. Oktober 1997, sowie Joëlle Stolz, „Burkina Faso drängt Beschneidung zurück“, Le Monde diplomatique, September 1998. 2 Auch Hillary Clinton hat Tostan unterstützt. Im April 1998 hat sie, zusammen mit US-Präsident Bill Clinton, im Rahmen eines Staatsbesuchs in Dakar eine Delegation von Frauen aus Malicounda empfangen. Siehe auch „Tostan – Outcomes and Implications“ (http://ili2.literacy.upenn.edu/explorer/tost_out.html).

Le Monde diplomatique vom 16.06.2000, von ROLAND-PIERRE PARRINGAUX