14.07.2000

Afrikas Front gegen die Patentierung von Leben

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Afrikas Front gegen die Patentierung von Leben

Von FRANCK SEURET und ROBERT ALI BRAC DE LA PERRIÈRE *

KEIN Land verfügt allein über genügend Genressourcen, über genügend Biodiversität. Um den Austausch zu fördern, fordert die Welthandelsorganisation ein angemessenes juristisches Rahmenwerk. Doch angemessen für wen? Wenn lediglich die Interessen der Züchter geschützt werden sollen, wird das Regime des geistigen Eigentums zu einem neokolonialen Instrument. Die Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) hat jetzt ein Alternativmodell vorgeschlagen, mit dem die einseitige Nutzung der Genressourcen durch technisch avanciertere Länder eingeschränkt werden könnte.

1995 meldete die Universität von Wisconsin vier Patente auf das ultrasüße Protein Brazzein an, das eine Forschergruppe aus der Beere einer in Gabun wachsenden Pflanze isoliert hatte. Seither hat die Universität für die Nutzung ihrer Patente mehrere Biotech-Unternehmen lizensiert, die verschiedene Obst- und Gemüsesorten mit einem brazzeinproduzierenden Gen aufrüsten wollen, um süße, aber kalorienarme Sorten zu erzielen. Das Geschäft verspricht hohe Gewinne. Doch von diesen Gewinnen bekommen die gabunischen Bauern nichts zu sehen, die seit langem mit den Eigenschaften der brazzeinhaltigen Pflanze vertraut sind und die Pflanze seit Generationen hegen.

Brazzein ist kein Einzelfall. Jahr für Jahr lassen sich Unternehmen und Universitäten der nördlichen Hemisphäre Pflanzen patentieren, die in südlichen Ländern angebaut und genutzt werden. Die örtlichen Bauern und Behörden werden dabei weder um Erlaubnis gefragt noch in irgendeiner Weise finanziell entschädigt. Gegen diese Bio-Piraterie hat der Ausschuss für Wissenschaft, Technik und Forschung bei der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) jüngst ein „Modellgesetz“ vorgelegt. Es soll „die Rechte der lokalen Gemeinwesen, der Bauern und Züchter, sowie den Zugang zu den biologischen Ressourcen“ regeln. Neben einem „adäquaten Verwaltungsverfahren, das den Zugang zu den biologischen Ressourcen sowie den Kenntnissen und Technologien der lokalen Gemeinwesen von der Information und Zustimmung der staatlichen Behörden und betroffenen Gemeinwesen abhängig macht“, formuliert dieser Gesetzentwurf verschiedene „Mechanismen zur gerechten und fairen Aufteilung“ des Gewinns, der sich aus der kommerziellen Nutzung dieser Ressourcen ergibt.

Die Originalität des Modellgesetzes liegt in der Verknüpfung von Ressource und Innovation. Es regelt den Ressourcenzugang und schützt die geistigen Eigentumsrechte der Züchter an ihren Pflanzensorten. Im Gegensatz zum Patentierungsverfahren, das viel enger gehalten ist, garantiert dieses System auch den Nutzern weitgehende Rechte. Aber dieses Gesetz ist auch als Rahmen konzipiert, innerhalb dessen die afrikanischen Staaten ihre Positionen harmonisieren können. Nachdem der erste Entwurf im November 1999 von einer Expertengruppe gebilligt wurde, liegt nun eine endgültige Fassung vor. Sie ist zugleich die Basis für weitere Diskussionen zwischen den afrikanischen Regierungen, den regionalen Organisationen (Afrikanische Organisation für geistiges Eigentum, Afrikanische Behörde für Biotechnologie usw.) und verschiedenen Nichtregierungsorganisationen.

Mit dem Aufschwung der Biotechnologien wurden die Länder des Südens zu einem gigantischen Erkundungsterrain für die einschlägigen Firmen. Hier finden sich die Genminen, aus denen die amerikanischen, europäischen und japanischen Biotech-Firmen ihren Rohstoff gewinnen. Afrikanische Unternehmen sucht man vergebens. Wohl wachsen die meisten interessanten Genressourcen im Süden, doch die nötigen Technologien, Genom-Plattformen und Patente werden im Norden erarbeitet. Die liberale Weltwirtschaftsordnung zeigt wenig Neigung, die Rechte der lokalen Gemeinwesen und der bäuerlichen Bevölkerung anzuerkennen, sie fühlt sich vielmehr berechtigt, über alle Staatsgrenzen hinweg sämtliche genetischen Ressourcen auszubeuten.

Das Modellgesetz der OAU will dieser Tendenz entgegentreten und dafür sorgen, die „Terms of Trade“ angemessen auszubalancieren. Völkerrechtlich gründet der Gesetzentwurf auf der Biodiversitätskonvention, die 1992 auf dem Umweltgipfel von Rio verabschiedet wurde. Diese Konvention, die sich als Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt versteht, bedeutet in dreierlei Hinsicht eine grundsätzliche Umorientierung.

Erstens räumt sie den Staaten das souveräne Recht über die biologischen und genetischen Ressourcen in ihrem Hoheitsgebiet ein, die bislang als gemeinsamer Besitz der Menschheit galten, und macht den Zugriff auf diese Ressourcen davon abhängig, dass die betreffenden Staaten in Kenntnis der Sachlage ihr Einverständnis erteilen.

Zweitens verpflichten sich die Signatar-staaten der Biodiversitätskonvention, die Rechte der einheimischen Gemeinwesen, der bäuerlichen Bevölkerung und der autochthonen Völker an ihren biologischen Ressourcen und Wissensbeständen zu schützen.

Drittens fordert die Konvention eine gerechte Aufteilung des Gewinns aus der kommerziellen Nutzung der biologischen Ressourcen und des Wissens der lokalen Gemeinwesen. In diesem Punkt ist vielleicht das wichtigste Interesse dieser Konvention festgeschrieben. Denn hier wird endlich anerkannt, dass die Bauern einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt von Biodiversität leisten. Mit anderen Worten: dass die biologische Vielfalt kein Geschenk der Natur ist, sondern eine Frucht der Arbeit und des Wissens der ländlichen Bevölkerung.

Im diesem Geist hat die OAU ihr Modellgesetz konzipiert. Darin ist festgelegt, dass „der Zugang zu allen biologischen Ressourcen und/oder Wissensbeständen oder Technologien der lokalen Gemeinwesen in jedem Landesteil beantragt werden muss und nach ausreichender Information der Zustimmung und schriftlichen Genehmigung bedarf“. Die Genehmigung wird von der „zuständigen nationalen Behörde“ ausgestellt, nachdem der Staat und die betroffenen lokalen Gemeinwesen ihr Einverständnis erklärt haben. Darüber hinaus legt die zuständige Behörde die Lizenzgebühren fest, die ein Varietätenzüchter für die Nutzung der biologischen Ressourcen des Landes zu entrichten hat. Die Höhe dieser Abgabe bemisst sich nach den Verkaufszahlen der neuen Pflanzensorte. Die daraus anfallenden Gelder fließen in einen Fonds, mit denen lokale Gemeinschaftsprojekte finanziert werden sollen, die der „nachhaltigen Entwicklung, Erhaltung und Nutzung der landwirtschaftlichen Genressourcen“ zugute kommen.

Das OAU-Modellgesetz schützt aber auch die geistigen Eigentumsrechte der Züchter neuer Pflanzensorten. Die einschlägigen Gesetzesbestimmungen erfüllen die Anforderungen des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentum (Trips), das die Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 in Marrakesch darauf verpflichtet, entsprechende Schutzrechte in ihrer nationalen Gesetzgebung zu verankern. In Artikel 27, Absatz 1 heißt es: „Patente sind für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren.“ Zwar räumt die WTO den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, „Pflanzen und Tiere mit Ausnahme von Mikroorganismen“ von der Patentierbarkeit auszunehmen; aber sie fordert auch, dass jeder einzelne WTO-Staat den „Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein System sui generis oder durch eine Kombination beider“ selbst gewährleisten müsse.1

Obwohl das von der OAU erarbeitete Modellgesetz die geistigen Eigentumsrechte der Züchter schützt, gehen diese Schutzrechte nicht so weit wie im Patentrecht. Anders als dieses gibt das OAU-Regelwerk den Bauern jedoch das Recht, einen Teil der Ernte abgabenfrei zur Wiederaussaat zu verwenden (im Züchterjargon nennt man diese Bestimmung ein „Privileg des Bauern“). Eine Sonderregelung gilt auch für die Forschung: Sie darf geschützte Varietäten unentgeltlich als genetische Ressource zur Entwicklung neuer Pflanzensorten verwenden.

Der Sui-generis-Ansatz der OAU entspricht der Lage Afrikas also weit besser als das Patentrecht oder das Sortenschutzrecht der Internationalen Gemeinschaft für den Schutz von neuen Pflanzensorten (UPOV) – ein weiteres System sui generis, das von rund vierzig, meist westlichen Staaten übernommen wurde. Während die technisch hochgerüsteten Landwirte in den Industrieländern ihr Saatgut normalerweise jedes Jahr neu einkaufen, säen die meisten afrikanischen Bauern einen Teil ihrer Ernte im nächsten Jahr wieder aus, weil sie kein Geld für teure Inputs haben. Gerade in Afrika ist man also auf das „Privileg des Bauern“ angewiesen. Zudem liegt die Auswahl und Verbesserung des Saatguts in den Entwicklungsländern noch immer hauptsächlich in den Händen von Bauern, kleinen Saatgutzüchtern und öffentlichen Forschungsinstituten, was eine Ausnahmeregelung für die Forschung hier besonders wichtig macht.

Bleibt abzuwarten, ob die WTO den Sui-generis-Ansatz der OAU als „wirksam“ einstufen wird. Die afrikanischen Staaten wollen die für dieses Jahr geplante Überarbeitung des Trips-Abkommens nutzen, um ihr Modellgesetz in die WTO-Regeln einfließen zu lassen. Die in Artikel 27 Absatz 3b des Trips-Abkommens festgeschriebene Möglichkeit, Pflanzen und Tiere von der Patentierbarkeit auszunehmen, ist aus ihrer Sicht unzureichend: „Die Überprüfung [des Abkommens] sollte in die Feststellung münden, dass Pflanzen und Tiere ebenso wie Mikroorganismen und alle anderen lebenden Organismen und deren Teile nicht patentierfähig sind“, heißt es in einer Mitteilung an das WTO-Sekretariat.2 Sie fordern also ein generelles Verbot der Patentierung lebender Organismen.

Darüber hinaus wünschen die afrikanischen Staaten eine Präzisierung der Sui-generis-Bestimmung, um ihren eigenen Ansatz abzusichern und umsetzen zu können. Die Effizienzbedingung des Artikels 27 Absatz 3b sei zu schwammig. Das Abkommen sollte daher festschreiben, dass „jedes Gesetz Sui-generis-Bestimmungen enthalten kann, die Innovationen und traditionelle Agrarpraktiken der einheimischen und landwirtschaftlichen Gemeinwesen in den Entwicklungsländern schützen, einschließlich des Rechts, Saatgut aufzubewahren und auszutauschen und die Ernte zu verkaufen“.

Der OAU-Ansatz wird von vielen Industrieländern abgelehnt, vor allem von den USA. Sie wollen die Möglichkeit, „Pflanzen und Tiere von der Patentierfähigkeit auszuschließen“, aus dem Trips-Abkommen eliminieren. Einstweilen wollen sie durchsetzen, dass die WTO nur das UPOV-Sortenschutzrecht als „wirksames“ System sui generis anerkennt. Die Patentlobby – und ihre eifrigsten Förderer in den Vereinigten Staaten, in der internationalen Biotech-Industrie und in der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) – versucht seit 20 Jahren immer wieder, die afrikanischen Länder zur Unterzeichnung des UPOV-Übereinkommens zu bewegen. Das ist nicht ohne Erfolg geblieben. Die Regelung, der die französischsprachigen Länder Afrikas im Anhang des Abkommens von Bangui vom Februar 1999 zugestimmt haben, kommt dem UPOV-Sortenschutzrecht sehr nahe.

Dieser übereilte Beschluss, der auf Druck der nördlichen Industrieländer erfolgte, läuft dem Modellgesetz der OAU direkt zuwider. Innerhalb der Afrikanischen Organisation für geistiges Eigentum (OAPI) regte sich daher lebhafter Widerstand, und die meisten Mitgliedstaaten haben den Anhang auch nicht ratifiziert.

Angesichts des massiven Bestrebungen, die Patentierfähigkeit von Leben weltweit durchzusetzen, mag der Gesetzentwurf der OAU als Totgeburt erscheinen. Die afrikanischen Länder sind ausgeblutet, überschuldet und von Konflikten zerrissen. Ihre Vertreter werden bei internationalen Verhandlungen oft beiseite geschoben und bleiben von den wichtigsten Diskussionen ausgeschlossen. Dennoch könnte die OAU in der Diskussion um die Patentierung von Genmaterial durchaus eine Vorreiterrolle spielen. Ihr Modellgesetz eröffnet den afrikanischen Ländern die Möglichkeit, eine gemeinsame Position zu entwickeln, um mit einer Stimme sprechen zu können.

Seit der Supreme Court der USA vor rund zwanzig Jahren die Patentierfähigkeit einer Bakterie anerkannt hat, ist der Damm gebrochen. Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und demnächst auch der Mensch werden Gegenstand exklusiver Verwertungsrechte. Angesichts dieser Fehlentwicklung im Völkerrecht vertritt die OAU eine starke moralische Position: „Patente auf jedwede Lebensform und auf biologische Verfahren werden nicht anerkannt.“

Da alle Lebewesen einen genetischen Code haben, ist die von der OAU vertretene Nichtpatentierfähigkeit von Leben die einzig stimmige Position. Wie will man das Patentrecht auf eine bestimmte Gruppe von Organismen beschränken, wenn die Biotechnologie sämtliche Art- und Gattungsschranken niederreißt? Menschliche Gene in Pflanzen, Bakteriengene im Menschen – all dies liegt fortan im Bereich des Möglichen. Deshalb ist jeder Versuch, das industrielle Patentrecht mit dem Prinzip der freien Reproduktion von Leben unter einen Hut zu bringen, zum Scheitern verurteilt.

dt. Bodo Schulze

* Franck Seuret ist Journalist (www.multimania.com/pressepiges/), Ali Brac de la Perrière ist Berater. Gemeinsame Veröffentlichung: „Plantes transgéniques, une menace pour les paysans du Sud“, Paris (Éditions Charles Léopold Mayer) 1999.

Fußnoten: 1 Das Trips-Abkommen steht unter http://europa.eu.int/eur-lex/de/lif/dat/1994/de_294A1223_17.html. 2 Aus der Mitteilung, die die ständige Mission Kenias im Namen der Gruppe der afrikanischen Staaten am 29. Juli 1999 an das WTO-Sekretariat gerichtet hat.

Le Monde diplomatique vom 14.07.2000, von FRANCK SEURETROBERT ALI BRAC DE LA PERRIÈRE