Inszenierung eines Scheiterns
Von AMNON KAPELIUK *
AM 13. September 2000 sollte nach dem Osloer Abkommen von 1995 ein Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern unterzeichnet werden. Dass daraus nichts wird, ist beim Dreiergipfel in Camp David vollends offenbar geworden. Seitdem ahnt US-Präsident Clinton, dass es in seiner Amtszeit wohl keinen Friedensvertrag geben wird. Aber auch Clinton selbst hat zum Scheitern des Gipfels beigetragen, indem er in wichtigen Fragen für Israel Partei ergriff.
Der jüngste Gipfel von Camp David war zweifellos das wichtigste Treffen zwischen Vertretern Israels und der Palästinenser, seit im September 1993 in Washington der erste Oslo-Vertrag unterzeichnet wurde. Obwohl die entscheidenden Fragen zur Sprache kamen – das Problem der palästinensischen Flüchtlinge, der Status von Jerusalem, die Grenzfrage und die Zukunft der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten – war die Konferenz von Beginn an zum Scheitern verurteilt.
„Kurz vor den Einladungen nach Camp David habe ich Madeleine Albright in einem Schreiben unmissverständlich darauf hingewiesen, dass ein so bedeutendes Treffen scheitern müsse, wenn es nicht sehr sorgfältig und grundlegend vorbereitet ist“, meint rückblickend Jassir Arafat. Der palästinensische Präsident nimmt bei unserem Interview in seinen Amtsräumen in Ramallah, kurz nach seiner Rückkehr vom Gipfeltreffen, kein Blatt vor den Mund. Er glaubte, die US-Außenministerin überzeugt zu haben, dass die Vorbereitung dieses Treffens mehr Zeit brauche. Aber Albright unterstützte schließlich doch die Position des israelischen Ministerpräsidenten und empfahl Präsident Clinton, das Treffen der beiden Protagonisten rasch einzuberufen.
Ehud Barak wusste die USA davon zu überzeugen, dass er Arafat bei einem Gipfeltreffen einen Friedensvertrag abpressen könnte, wenn man sich hinter verschlossenen Türen und ohne Medienpräsenz, aber unter aktiver Einflussnahme Clintons zusammensetzen würde. Barak meinte damit einen Friedensvertrag, der für Israel akzeptabel sein und zugleich den hundertjährigen Konflikt zwischen israelischen Juden und palästinensischen Arabern beenden sollte. Angesichts der tiefen Gräben zwischen den Konfliktparteien muss man sich fragen, ob Barak wirklich von dieser Annahme ausgehen konnte. In Teilen der israelischen Presse1 wurde das Ganze als ein abgekartetes Spiel dargestellt: Barak habe sich in zentralen Fragen wie Jerusalem, Flüchtlinge und Siedlungen auf Positionen festgelegt, die für die Palästinenser unannehmbar sind. Würde Arafat dem Druck von Clinton und Barak nachgeben, wäre das natürlich ein großer Sieg für den israelischen Regierungschef. Bei einem Scheitern könnte er den Palästinensern die Schuld zuschieben – womit die alte These der israelischen Rechten bestätigt wäre, dass „es bei den Palästinensern keine Verhandlungspartner gibt“.
Welchem Druck Arafat ausgesetzt war, hat er mit dem Satz verdeutlicht, die zwei Wochen Camp David seien für ihn schlimmer gewesen als die zwei Monate der Belagerung Beiruts und der israelischen Luftangriffe im Sommer 1982.2 Aber er konnte die Einladung des amerikanischen Präsidenten nicht ohne weiteres ausschlagen: Schließlich hatte Clinton seit 1993 die Beziehungen der USA zur Palästinensischen Autonomiebehörde ausgebaut und im Dezember 1998 sogar eine Rede vor dem palästinensischen Nationalrat gehalten. Überdies war Arafat in den acht Jahren von Clintons Amtsperiode 22 Mal zu Gast im Weißen Haus – häufiger als jeder andere arabische Führer. Auf dieses besondere Verhältnis setzte Clinton bei seinem Versuch, Baraks Strategie zu stützen.
Während des Gipfeltreffens erklärte Arafat wiederholt, weshalb er die Vorschläge der Gegenseite unmöglich akzeptieren könne. Als Clinton ihn weiter bedrängte, erklärte er: „Mister President, Sie möchten wohl an meinem Begräbnis teilnehmen?“3 Schon einmal hatten Barak und Clinton versucht, gemeinsam Druck auf einen arabischen Führer auszuüben – auf den damaligen syrischen Präsidenten Hafis al-Assad. Aber dieser Versuch blieb im März 2000 beim Genfer Gipfeltreffen zwischen Clinton und Assad erfolglos. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hatte Arafat kurz vor Camp David gewarnt, die andere Seite versuche vielleicht, die arabischen Führer erneut als „nicht kompromissbereit“ hinzustellen.
Arafat musste also nolens volens teilnehmen. Er wusste auch, was die „Geheimgespräche“ in Stockholm zwischen Schlomo Ben-Ami, dem israelischen Minister für Innere Sicherheit, und dem palästinensischen Parlamentspräsidenten Ahmad Korei (Abu Ala) gebracht hatten: fünfzehn Verhandlungsrunden ohne jedes Ergebnis. Die Palästinenser hatten darauf bestanden, dass die Verhandlungen auf der Respektierung des internationalen Rechts basieren: „Sobald Israel die UN-Beschlüsse anerkennt, wird es uns sehr gesprächsbereit finden“. Gemeint waren vor allem die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats, die sich auf den Rückzug aus den 1967 besetzten arabischen Gebieten bezieht, und die Resolution 194 der UN-Vollversammlung über das Rückkehrrecht der Flüchtlinge. Israels Antwort lautete: „Wenn Sie Ihre Positionen nicht deutlich zurücknehmen, kommen wir nicht weiter.“ Zuvor hatte der israelische Verhandlungsführer bereits erklärt: „Sie sind nicht stark genug, Ihre Forderungen durchzusetzen, seien Sie also realistisch, gehen Sie auf unsere Vorschläge ein.“
Solche Töne mussten die Palästinenser als Beleidigung auffassen. Am Ende der Stockholmer Verhandlungen plädierte Ben-Ami dafür, unverzüglich ein Treffen zwischen den politischen Führern anzuberaumen. Ahmad Korei zeigte sich verwundert: „Wir haben doch keinerlei Ergebnisse erzielt.“ – „Die Zeit drängt“ erwiderte der israelische Minister, „diese Arbeit müssen wir den ,Großen‘ überlassen“.
Provokationen und keine Kompromisse
DER Hauptdarsteller auf der Bühne von Camp David war natürlich der amerikanische Präsident. Clinton versuchte, Arafat mit US-amerikanischen Hilfsprogrammen in Milliardenhöhe zu ködern. Dagegen weigerte sich Barak, der doch auf diesen Gipfel gedrängt hatte, während der ganzen fünfzehn Tage, mit dem Palästinenserpräsidenten unter vier Augen zu sprechen.
In Camp David tagten vier Expertengruppen zu den Themen: Status von Jerusalem, Grenzfragen, Zukunft der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten und Sicherheit. Fortschritte gab es allein in dieser letzten Kommission, die vor allem über die Sicherheit an der östlichen Grenze zu Jordanien diskutierte.
Während einer Verhandlungspause soll Clinton getönt haben, wie gut er sich in der Altstadt von Jerusalem auskenne. Aber offenbar wussten weder er noch seine Berater, welche Provokation es bedeutet, direkt vor der Al-Aqsa-Moschee eine Synagoge zu errichten und die Erhebung, auf der die Moschee steht, „horizontal“ zu teilen und den oberen Teil (mit der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom) den Muslimen, den unteren mit der Tempelmauer den Juden zuzusprechen.
Sandy Berger, US-Regierungsberater für nationale Sicherheit, machte sogar den unglaublichen Vorschlag, Juden das Gebet direkt auf dem Vorplatz der Moschee zu erlauben – obwohl dies vom Großrabbinat von Jerusalem nach wie vor abgelehnt wird.4 Fassungslos vor Wut erwiderte Jasser Abed Rabbo, der palästinensische Minister für Kultur und Information: „Also gut, Mr. Berger – einverstanden. Aber ich warne Sie. Der Aufruhr, den das in der gesamten arabischen und muslimischen Welt hervorruft, wird tausendmal schlimmer sein als die Unruhen nach der Eröffnung des Tunnels unter der Altstadt von Jerusalem, die Netanjahu 1996 beschlossen hat.“ Berger soll blass geworden sein und erwidert haben: „Ich verbiete Ihnen zu erwähnen, dass dieser Vorschlag von mir gekommen ist.“ Und Arafat erklärte scharf: „Ich weigere mich, irgendeinen Teil von al-haram asch-scharif [dem Gelände um die Al-Aqsa-Moschee] abzutreten – und wenn ich dafür Haifa und Jaffa bekäme.“5
Unter Berufung auf die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats forderten die Palästinenser die Souveränität über den gesamten arabischen Teil von Ostjerusalem, den Israel 1967 besetzt hatte; lediglich das jüdische Viertel in der Altstadt und die Klagemauer sollten unter israelischer Oberhoheit bleiben. Israel dagegen wollte den Palästinensern lediglich die Souveränität über einige Viertel und Dörfer am Stadtrand zugestehen, dazu eine Art Teilautonomie in den muslimischen und christlichen Vierteln der Altstadt sowie in Bezirken außerhalb der Stadtmauern. Zugleich boten die Israelis an, 87 Prozent des Westjordanlands zurückzugeben, dafür aber die restlichen Gebiete – mit der Mehrzahl der Siedlungen – zu annektieren.
Besonders unergiebig verliefen die Verhandlungen über die Flüchtlingsfrage. Für die Palästinenser symbolisieren die Flüchtlinge die nationale Katastrophe von 1948 – „an-nakba“ – deren Wunden bis heute nicht verheilt sind. Deshalb erwartete die palästinensische Seite von ihren Gesprächspartnern symbolische Gesten, zumal die Verantwortung Israels für die Flüchtlingswelle von 1948-1949 inzwischen außer Frage steht.6 Doch sie bekamen nur die üblichen Formeln zu hören. Israel lehnte jede Verantwortung für das Flüchtlingsdrama ab und war zu keiner Entschuldigung bereit. Allenfalls könne man sein Mitgefühl mit dem Leiden der Flüchtlinge zum Ausdruck bringen, erklärte ein israelischer Vertreter, als ginge es um Erdbebenopfer. Die israelische Seite erklärte, für diese Tragödie der Palästinenser seien allein die arabischen Länder verantwortlich, die diese damals zum Verlassen der Heimat aufgerufen hätten, „um deren Befreiung durch die arabischen Armeen abzuwarten“ – die alten Propagandaparolen der Fünfzigerjahre.
Für Israel ist die UN-Resolution 194, die den Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr zusichert, nach wie vor gleichbedeutend mit der Vernichtung des jüdischen Staates. Immerhin gab es in Camp David einen „Lösungsvorschlag“: Israel zeigte sich bereit, entweder mehrere tausend Flüchtlinge sofort aufzunehmen, oder fünf- bis zehntausend binnen zehn Jahren.
Bleibt die Frage der Entschädigungen. Dazu erklärte Jasser Abed Rabbo während einer Kommissionssitzung: „Wir erwarten Entschädigung für das Eigentum der Flüchtlinge, das sich unter der Verfügung der israelischen Behörde für aufgegebene palästinensische Vermögenswerte befindet. 1949 wurde der Wert dieser Vermögen von einer trilateralen [britisch-französisch-türkischen] Kommission auf 1 124 000 000 Pfund Sterling geschätzt. Es wird Zeit, diese Gelder zur Entschädigung der Flüchtlinge zu verwenden.“
Eljakim Rubinstein, Rechtsberater der israelischen Regierung, erwiderte: „Diese Gelder haben wir verbraucht, sie sind nicht mehr da. Die Entschädigungssummen wird die internationale Gemeinschaft aufbringen müssen.“
Auch die Rückgabe von Sachwerten an die Flüchtlinge lehnte Israel kategorisch ab. Zudem will es den Palästinensern nur einen Teil der internationalen Hilfsgelder zugestehen, mit dem anderen Teil sollen die nach 1948 „aus den arabischen Ländern geflohenen Juden“ entschädigt werden. Dieser Vorschlag machte die palästinensischen Unterhändler fassungslos: „Diese Neueinwanderer haben die Häuser bezogen, deren Eigentümer vor den Massakern geflohen sind oder vertrieben wurden – und jetzt will man sie auch noch auf unsere Kosten entschädigen.“
„Warum haben Sie bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten keine Reparationszahlungen verlangt?“, fragte Abed Rabbo. Rubinstein antwortete: „Wir haben beschlossen, das Thema erst in den Verhandlungen mit den palästinensischen Flüchtlingen anzugehen.“ Abed Rabbo: „Ich protestiere. Mit diesem Problem haben wir nichts zu tun – bringen Sie es in Marokko oder im Jemen vor.“
Das dürfte schwierig sein, denn Israel hat damals die Auswanderung der Juden aus den arabischen Staaten unterstützt. So hat der Labour-Politiker Schlomo Hillel, der aus dem Irak stammt, wiederholt betont, er sei ein zionistischer Einwanderer – also kein Flüchtling.7 Vor einem Jahr verschickte die Weltunion der orientalischen Juden in Kooperation mit dem Büro des israelischen Ministerpräsidenten Zehntausende Formulare an Juden aus den arabischen Ländern, um deren zurückgelassene Vermögenswerte zu erfassen. Damals hieß es, die Aktion diene nicht dazu, die Einwanderer zu entschädigen. Also ging es nur darum, Argumente für die Gespräche mit den Palästinensern zu sammeln.
Seit Beendigung des Gipfels von Camp David läuft eine Propagandakampagne, die dreierlei bewirken soll: Arafat die Schuld für das Scheitern zuzuschieben, die internationale Öffentlichkeit auf ein weiteres Treffen der drei politischen Führer vorzubereiten und schließlich, Arafat unter Druck zu setzen, indem man die palästinensische Haltung verzerrt darstellt.
An dieser Kampagne hat sich auch Präsident Clinton beteiligt. Im israelischen Fernsehen8 übte er ausgiebige Kritik an Arafat, dem er vor dem Gipfel feierlich versichert hatte, er werde ihn nicht für ein Scheitern der Gespräche verantwortlich machen. Für den Fall, dass Arafat einseitig einen unabhängigen Palästinenserstaat ausrufen sollte, drohte Clinton: „Falls dies geschieht, heißt das für mich, dass unsere gesamten Beziehungen in Frage gestellt werden ...“, und stellte in Aussicht, die Botschaft der USA von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.
Während ein neues Gipfeltreffen – „die letzte Chance“ – anvisiert wird, mehren sich die Appelle aus Israel und den USA an Arafat, „mehr Flexibilität“ zu zeigen. Unter anderem wird darauf verwiesen, welche Risiken Barak angesichts des Zerfalls seiner Regierungskoalition eingeht. Dagegen verwahren sich die Palästinenser aus allen politischen Lagern. Sie verweisen darauf, dass sie bereits in Oslo historische Zugeständnisse gemacht haben, indem sie akzeptierten, ihren Staat auf nur einem Fünftel ihres alten Territoriums zu errichten. Auch die Autonomiebehörde habe sich schon sehr flexibel gezeigt. Auf jeden Fall müsse aber das internationale Recht respektiert werden: Erst wenn Israel die UN-Resolutionen anerkenne, werde man über alle noch offenen Probleme vernünftig reden können.
Ohne die innenpolitischen Schwierigkeiten Baraks zu verkennen, machen die Palästinenser geltend, dass ein Friedensschluss längst möglich gewesen wäre, wenn Barak nach seiner Wahl im Mai 1999, als die nationalistische Rechte noch unter dem Schock ihrer Wahlniederlage stand, mehr Courage gezeigt hätte.9
Die Palästinenser sind mit ihrer Geduld am Ende. Seit fast sieben Jahren erleben sie, wie die Umsetzung der Oslo-Verträge systematisch verschleppt und der Vertragstext gebrochen wird. Ein neuer Vertrag, sagen ihre Vertreter, sei nur denkbar, wenn er bindende Zusagen und Garantien internationaler Institutionen enthalte: Dann müsse jeder Verstoß vor diesen Instanzen verhandelt oder vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden.
dt. Edgar Peinelt
* Journalist, Jerusalem.