15.09.2000

Die Weltsanierer vom Dienst

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Die Weltsanierer vom Dienst

Von NICOLAS GUILHOT *

IN den fünfzig Jahren ihres Bestehens hat sich die Weltbank zum Schiedsrichter in allen Entwicklungsfragen aufgeworfen. In ihren Jahresberichten setzt sie die Prioritäten, definiert die Begriffe und legt die Konzepte vor, die das Verständnis der Entwicklungsproblematik wesentlich vorprägen. „Abbau der Armut“ – ein Slogan von Robert McNamara, 1968 bis 1981 Weltbankpräsident –, „Strukturanpassung“, „nachhaltige Entwicklung“ oder zuletzt „gute Regierungsführung“: Die von der Weltbank vorgegebenen Slogans haben der entwicklungspolitischen Diskussion stets die Stichworte geliefert, die Forschungsschwerpunkte bestimmt und die Wissensproduktion angestoßen.

Bei ihrer Gründung im März 1946 war die Weltbank ein Kompromiss zwischen dem Interesse der Gründerstaaten, die Terms of Trade und die Wechselkurse stabil zu halten, und dem Ziel der Wallstreet, den Einfluss Washingtons möglichst zu begrenzen. Die Weltbank hatte anfänglich mehr den Wiederaufbau als die Entwicklung im Auge, wollte eher Investitionsgarantien als Direktkredite vergeben, verfolgte zunächst also eine prinzipiell vorsichtige Geschäftspolitik. Auch waren ihr schon deshalb enge Grenzen gesetzt, weil die Investoren sie nur bis zur Höhe der Kapitalanteile ihres Hauptbürgen, der Vereinigten Staaten, als finanziell vertrauenswürdig ansahen.

Dass die Weltbank derart mit den öffentlichen Finanzen der USA verkoppelt war, blieb lange Zeit eines der Haupthindernisse für ihre Selbstfinanzierung über die freien Geld- und Kapitalmärkte. Erst in den Fünfzigerjahren gelang es der Bank, das Vertrauen der amerikanischen Anleger zu gewinnen und ihre Obligationen in sichere Papiere mit AAA-Rating umzuwandeln. Dank beträchtlicher Gewinne, ihrer neuen finanziellen Selbständigkeit und reduzierter Budgetzwänge war sie nunmehr imstande, die Kreditvergabe zu diversifizieren und flexibler zu gestalten. Damit gewann sie ein eigenständiges Profil, das in deutlichem Kontrast zu ihrer staatlichen Herkunft steht. Bis dahin hatten die Banker und Administratoren den Ton angegeben, während die Techniker und die paar Ökonomen in ihrer inneren Hierarchie ganz unten standen. Jetzt aber musste die Bank ihre Überschüsse reinvestieren und neue Kreditformen entwickeln, das heißt auch, ihre Vergabekriterien lockern, ohne das Vertrauen der institutionellen Anleger zu verlieren.

Die Einstellung zusätzlicher Ökonomen war die erste Antwort auf die neuen Anforderungen. Die neuen Mitarbeiter sollten die Expansion der Bank vorbereiten und die „Rentabilität“ von neuen Projekten durchrechnen. Das war etwas ganz anderes als die zuvor praktizierte „Bedarfseinschätzung“, für die sich die Banker nie begeistern konnten.

Im Zuge ihrer Expansion setzte die Weltbank auf eine kontinuierliche Stärkung des ökonomischen Sachverstandes. Das gilt vor allem für die Personalpolitik in der Ära McNamara, als die Bank ihr Betätigungsfeld ständig ausweitete: Das Kreditvolumen stieg von 1 auf 14 Milliarden Dollar, die Personalstärke auf das Vierfache, das Verwaltungsbudget auf das Dreieinhalbfache.1 In dieser Ära war die Bank eine wichtige Stimme in der entwicklungspolitischen Theoriedebatte, was zwei Folgen hatte: die Aufwertung der „Entwicklungsökonomen“ innerhalb der Institution und eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für die Weltbank insgesamt.

Diese Aufwertung des ökonomischen Expertenwissens entsprach auch einem allgemeineren Trend der Sechzigerjahre: der verstärkten Einbindung von akademischen Lehrern in das politische Establishment der USA. In der Tat brachte die Kennedy-Ära den Triumph der „politischen Berater“, die das Weiße Haus in den Prestige-Fakultäten der Ostküste angeworben hatte. Die Verschränkung von universitärer Forschung und Politik kam vor allem den Ökonomen zugute. Ein gutes Beispiel war in dieser Hinsicht die Brookings Institution, die nicht nur die Kennedy-Regierung beriet, sondern auch enge Beziehungen zur Weltbank unterhielt.2

In den Sechzigerjahren stammten die Weltbank-Ökonomen aus demselben akademischen Milieu und hegten dasselbe reformerische Ethos wie die Mitglieder der Kennedy- und der Johnson-Regierungen. Das lag nicht nur daran, dass die „Entwicklungsökonomie“ aus der keynesianischen Wirtschaftstheorie hervorgegangen ist. Weil diese Ökonomen in ihren bürokratischen Funktionen auf staatsinterventionistische Eingriffe in die Entwicklungsökonomien aus waren, kam ihnen der Keynesianismus höchst gelegen. Kein Wunder, dass die großen entwicklungspolitischen Themen der Weltbank – Armutsbekämpfung, Wachstumsförderung und Umverteilung – sich wie ein Echo auf die innenpolitischen Ziele Kennedys („Krieg gegen die Armut“) und Johnsons („Große Gesellschaft“) ausnahmen.

Diese Allianz endete mit der Schuldenkrise und dem Amtsantritt der Reagan-Administration. In den Siebzigerjahren war die „McNamara-Bank“ zum Tempel des Keynesianismus und einer staatlich gelenkten Modernisierungspolitik geworden. Als Reagans neokonservative Mannschaft das Weiße Hause eroberte, setzte der ideologische Gegenwind ein – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als der Expansionskurs der Weltbank aufgrund der Verschuldung der Dritten Welt zunehmend in die Kritik geriet. Man sah sich als verschwenderische Bürokratie verschrien und dem Vorwurf ausgesetzt, dem Privatsektor das Feld streitig machen zu wollen. Beryl Sprinkel, der neue Unterstaatssekretär im US-Schatzministerium, gab sogar ein Gutachten zu der Frage in Auftrag, ob die Bank „sozialistische“ Ziele verfolge.

Zug um Zug wurde die Bank gleichgeschaltet: Ihre Zuständigkeiten wurden revidiert, ihre wissenschaftlichen Zuarbeiter abserviert. In der akademischen Entwicklungstheorie dominierten zwar immer noch die Wirtschaftswissenschaften, aber tonangebend wurde nun Ökonomen, die der Chicago-Schule nahestanden. 29 von 37 Spitzenökonomen der Weltbank wurden entlassen. Seitdem wird in einer Kartei festgehalten, welcher Schule jeder einzelne Ökonom zuzurechnen ist. Nach Ansicht der neuen Macher hatte das alte Personal nicht den „nötigen wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand“ und war zu sehr auf die Praktiken der Vergangenheit fixiert.3

Offizielle Linie wurden nun jene ultraliberalen Konzepte, wonach jeder staatliche Akteur als Parasit gilt, der nur an seinen Pfründen interessiert ist und das harmonische Spiel der Marktkräfte hintertreibt. Diese ideologische Konterrevolution war der Endpunkt einer Entwicklung, die weit in die Vergangenheit zurückreicht.4 Den Vertretern der Chicago-Schule war es – anders als ihren keynesianischen Vorgängern – nicht vergönnt gewesen, ihr Wissen durch mehr oder weniger formelle Regierungskontakte zu vermarkten. Den fehlenden Zugang zu den politischen Machtzentren kompensierten sie damit, dass sie ihre wissenschaftliche Disziplin zunehmend professionalisierten. Fachliche Kompetenz bedeutete für sie, wirtschaftliche Fragen in mathematischen Formeln darzustellen. Damit fielen die Entwicklungsökonomen durch das akademische Raster und waren als fachfremde Generalisten und abgehobene Literaten abgestempelt.

Um ihre fachlichen Fähigkeiten zu verwerten, verbündeten sich die neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler nicht nur mit der Finanzwelt. Sie boten sich auch den neokonservativen Politikern als ideologische Avantgarde an. Sämtliche Forschungsinstitute und Denkfabriken, die sich als geistige Wegbereiter des Reagan-Wahlsieges von 1980 betätigt hatten, waren Hochburgen der Chicago-Boys. Ihre ökonomischen Expertisen waren so etwas wie maßgeschneiderte „Produkte“, die den Erwartungen der Kunden zu entsprechen hatten. Diese neuen Vulgärökonomen waren bestens mit den Disziplinen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit vertraut und taten nichts lieber, „als einem Journalisten in weniger als einer Stunde zu erklären, worum es in der Sache eigentlich geht“5 .

Da die Weltbank ihren Sitz in Washington hat, konnte sie von den Veränderungen nicht unberührt bleiben, die sich in ihrem politischen Umfeld abspielten und auch die Zusammensetzung ihrer professionellen Kader beeinflussten. Auch diese Institution wurde zunehmend von der neoklassischen Wirtschaftslehre erobert. Unter dem Deckmantel der Methodenstrenge griffen die Bank-Ökonomen zur Evaluierung ihrer Projekte zunehmend auf neoklassische Ansätze und Modelle zurück, angeblich die einzigen, die dem Anspruch quantifizierender Erfolgsnachweise gerecht wurden.

Die Strategien der neuen Ökonomen, der Neokonservativen und der Finanzkreise treffen sich in einem gemeinsamen Nenner, der inzwischen allgemein als „Washington-Konsens“ bezeichnet wird. In den Achtzigerjahren verfestigte sich diese Allianz, was während der Schuldenkrise die Annäherung zwischen Wallstreet und Weltbank erleichtert hat. Diese engagierte sich denn auch für die Rettung gewisser Bankinstitute, die sich bei der Vergabe von Handelskrediten an Entwicklungsländer zu weit vorgewagt hatten. Über die Strukturanpassungsprogramme wurden diese Interessen in die Sprache der Entwicklungspolitik übersetzt. Dabei waren das exportorientierte Entwicklungsmodell und die Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen auch deshalb so leicht durchzusetzen, weil die Weltbank nach 1982, angesichts des Versiegens privater Handelskredite an Entwicklungsländer, als Lender of Last Ressort ihre Bedingungen diktieren konnte.

Die neoliberalen Denker und Ökonomen schafften es mit ihrer ideologischen Offensive, intellektuelle Kompetenz perfekt mit parteiischem Engagement zu vereinbaren. Das bedeutete einen Bruch mit dem technokratischen oder gar szientistischen Image ihrer Vorgängergeneration, für die Rationalität zugleich Neutralität bedeutet hatte. Die neuen Berater fanden zunehmend Nachahmer, zumal unter den Experten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Universitätsangehörigen, die keine Ökonomen sind, sich also aus den maßgeblichen Institutionen ausgegrenzt sahen. In der schrittweisen Anpassung, die diese beiden Gruppen in den Achtzigerjahren vollzogen, wiederholte sich in abgewandelter Form die Fusion von werteorientiertem Aktivismus und wissenschaftlicher Kompetenz, die den Ultraliberalen zum politischen Durchbruch verholfen hatte. Nach dem gleichen Muster konnten nun die NGO-Repräsentanten und Hochschullehrer die Weltbank und die großen Entwicklungshilfe-Agenturen mit ihrem Sachverstand beeindrucken.

Die Entwicklungshilfeprofis haben die NGOs lange als militante Amateure wahrgenommen und ignoriert oder gar bekämpft, weil sie sich zu Fürsprechern derer machten, die durch die propagierten Anpassungsprogramme ins Hintertreffen gerieten. Inzwischen gibt es jedoch humanitäre NGOs, die sich auf Katastropheneinsätze konzentrieren und mit ihrer moralischen Autorität die Öffentlichkeit mobilisieren können, um damit ihre Kampagne zu finanzieren. Dieser Trend stellt die Entwicklungs-NGOs vor eine ganz neue und bedrohliche Situation. Wenn sie unter den extremen Konkurrenzbedingungen überleben wollen, müssen sie sich eine regelrechte Unternehmensdisziplin zulegen. Das geht mit zunehmender Professionalisierung einher: Die neuen angloamerikanischen NGOs sind Profis, die Methoden des Fundraising ebenso gut beherrschen wie PR-Techniken.

Charakteristisch für die zu Managern mutierten Aktivisten sind die Qualifikationen, die führende Repräsentanten der großen NGOs heute mitbringen müssen. Sie haben Jura, Betriebswirtschaft oder Verwaltungswissenschaft studiert, verfügen über Berufserfahrungen und beherrschen alle nötigen Finessen, um sich in Politik und Wirtschaftskreisen durchzusetzen. Diese Unternehmer in Sachen Menschlichkeit haben nichts mehr gemeinsam mit den idealistischen Aktivisten, die man normalerweise in diesem Milieu vermutet. Im Zuge ihrer Professionalisierung haben sie sich immer mehr den Sachverständigen der Institutionen anverwandelt, gegen die sie einst angetreten waren. Damit wurde der Gesellschaftskritik der NGOs nicht nur ihre Spitze gebrochen, sondern auch die Entpolitisierung der humanitären Einsätze befördert.

Dass die Nichtregierungsorganisationen seit 1985/86 mehr Einfluss auf die Weltbank gewonnen haben, erklärt sich also mitnichten aus ihren Basisaktivitäten, sondern aus der Tatsache, dass ihre Experten mit dem Personal der Bank kompatibel geworden sind. Die Bank wiederum wusste aus dieser Situation Humankapital zu schlagen: Statt die NGOs als potentielle Spielverderber zu behandeln, deren Lieblingsthemen man schulterklopfend würdigt, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, versteht sie es heute, die Professionalität ihrer einstigen Widersacher trefflich auszubeuten.

Das Finanzierungsvolumen, das die Weltbank den Nichtsregierungsorganisationen anvertraut, hat seither um ein Vielfaches zugenommen, was den NGOs die Chance bot, stattliche Provisionen abzuzweigen. Der Anteil der Weltbank-Projekte mit NGO-Beteiligung hat sich zwischen 1988 und 1997 von 5 auf 47 Prozent erhöht; die professionellen Standards der NGOs haben sich den Weltbank-Standards angenähert; die Grenze zwischen beiden Sektoren ist durchlässiger geworden. Inzwischen nutzen viele Hochschulabsolventen eine NGO-Tätigkeit als Sprungbrett zu internationalen Organisationen.

Der Reformanspruch, mit dem sich die neuen offiziellen Vertreter der Entwicklungspolitik begnügen, ist für die Bank umso akzeptabler, als er sich in der Praxis – dank der übernommenen professionellen Standards und der Funktionsweise vieler Nichtregierungsorganisationen als reine Subunternehmer – längst zum bloßen Reformgerede verharmlost hat. Die Entwicklungsprojekte werden einfach „administrativ umetikettiert“6 , etwa indem man sie mit ökologischen, zivilgesellschaftlichen oder „Gender“-Floskeln überpudert, damit substantiell alles beim Alten bleiben kann und die neoliberale Grundorientierung keinen Schaden nimmt.

In den Neunzigerjahren verkündete die Weltbank „good governance“ (etwa: ein „gutes Regierungssystem“) als neue Matrix aller Entwicklungspolitik7 – ein Ideologem, das die neue Koalition haarscharf abbildet. Mit Schlagworten wie „Bürgerbeteiligung“, „Transparenz der Institutionen“, Achtung „rechtsstaatlicher Grundsätze“ und Entfaltung der „Zivilgesellschaft“ hat sich die Bank ein demokratiefreundliches Vokabular zugelegt, und die NGOs können sich einreden, das sei ihrem Einfluss zu verdanken. Sie verweisen dabei auf den tollen Unterschied zu früher, als man noch quasiautoritäre Regime unterstützte, weil man denen eher zutraute, sich dem sozialen Druck von unten zu widersetzen und die verordnete Strukturanpassung durchzuziehen.8

Vor allem aber wurde unter der Parole der good governance die anfangs nur ökonomische Strukturanpassungspolitik auf die politischen Systeme der Entwicklungsländer ausgeweitet. Um die desaströsen Ergebnisse der in den Achtzigerjahren implementierten Reformprogramme9 zu erklären, fand die Weltbank nämlich heraus, dass man bei allem makroökonomischen Strukturanpassungswillen versehentlich vergessen hatte, die institutionellen Faktoren zu berücksichtigen, die bei der Umsetzung solcher Maßnahmen eine Rolle spielen. Flugs erklärte man das Scheitern der Reformpolitik mit innenpolitischen Blockaden in den Entwicklungsländern und meinte, die Misere auf reformwidrige Partikularinteressen und Einflussgruppen zurückführen zu können. Noch im Bankrott ihrer ökonomischen Rezepte wollen die Neoliberalen paradoxerweise einen Beweis dafür ausmachen, dass die antistaatlichen Ausgangshypothesen für ihre politischen Strukturanpassungsprogramme eben doch zutreffen.

Die Lösung des Problems versprach man sich von einer Reform der politischen Strukturen in den Entwicklungsländern, das heißt einer Öffnung ihrer politischen Sphäre für gesellschaftliche Gruppen, die vor Ort für die Umsetzung der Weltbank-Politik sorgen würden. Dieses Vorhaben lief unter dem Stichwort „Demokratisierung“. Den meisten internationalen Nichtregierungsorganisationen wie ihren örtlichen Adepten war diese „zivilgesellschaftliche“ Wende der Weltbank durchaus willkommen, zumal sie damit, nachdem der Staat zurückgedrängt und die öffentlichen Dienstleistungen praktisch verschwunden waren, ein weites Feld besetzen konnten.

Um ihre Dienste anbieten zu können, begannen die NGOs, sich nach und nach das nötige Kapital an Kompetenzen anzueignen. Sie verbündeten sich mit Soziologen und vor allem mit Politologen, denen man in Sachen Entwicklungspolitik bis dahin keine besondere fachliche Autorität zuerkannt hatte. Solange makroökonomische Fragen für die Strukturanpassungspolitik entscheidend waren, verfügten die Ökonomen praktisch über ein Erklärungsmonopol. Als dann aber die Nichtregierungsorganisationen darauf aus waren, Experten in Sachen „Bürgerbeteiligung“ und „Zivilgesellschaft“ zu rekrutieren, sahen die Nichtökonomen, die aufgrund der Art ihres Wissens zuvor nicht gefragt worden waren, ihre Stunde gekommen. Und ihre Auftraggeber wurden zu publikumswirksamen Maklern, die ihre Forschungsergebnisse in popularisierter Form unters Volk brachten.10

„Die Hochschullehrer und NGO-Vertreter, die ihr Fachwissen und ihre Energie darauf verwandten, die Auswirkungen der Strukturanpassung zu untersuchen“, meinen Susan George und Fabrizio Sabelli11 , haben ihre Zeit nur deshalb nicht vergeudet, weil sie das im Studium akkumulierte Sachwissen auf dem expandierenden Expertisen-Markt in klingende Münze verwandeln konnten. Und diese Konversion dürfte in Zukunft noch häufiger vorkommen, da die Themen, mit denen sich die Weltbank neuerdings befasst, in die Zuständigkeit der Politologen fallen.

Während die ökonomische Strukturanpassung nach dem Motto „die Preise in Ordnung bringen“ (get the prices right) verfuhr, soll eine gute Regierungsführung erst einmal „die Politik in Ordnung bringen“ (get the politics right), damit Strukturanpassung überhaupt Erfolgsaussichten habe. Und weil die Evaluierung solcher Projekte – die die „Transparenz“ der Institutionen erhöhen, die gesellschaftlichen Verhältnisse verrechtlichen und den Entwicklungsstand der „Zivilgesellschaft“ vermessen sollen – von der traditionellen Wirtschaftsanalyse nicht zu leisten ist, müssen eben die Politologen ran.

Die Forderung nach good governance bietet ihnen die große Chance zur beruflichen Revanche gegenüber ihren wirtschaftswissenschaftlichen Kollegen, die zehn Jahre lang mit dickem Spesenkonto zwischen ihren Universitäten und den multilateralen Institutionen pendeln konnten und dabei die Entwicklungsproblematik monopolisierten und nebenbei noch erkleckliche Honorare kassierten.

Bereits 1991 forderte ein internes Weltbank-Papier, man solle die Nichtökonomen – im Jargon der Institution „Nessies“ genannt – stärker in die Vorbereitung von Entwicklungsprojekten einbinden. Damals verlangte man von ihnen freilich nur, dass sie die Politikvorschläge der Ökonomen mit den Weihen ihres Fachwissens legitimieren. Manche fanden die Eingliederung in die neoliberal beherrschte Domäne eher frustrierend, andere fühlen sich mittlerweile in dieser Gesellschaft wie zu Hause, lassen alle Kritik fahren und bescheiden sich damit, maßvoll reformistische Positionen zu vertreten und diese oder jene sozialen Aspekte der Strukturanpassungspolitik zu erforschen. Aber deren Prinzipien in Frage zu stellen, dazu werden sie sich niemals durchringen.

dt. Bodo Schulze

* Mitarbeiter am European University Institute, Florenz.

Fußnoten: 1 In diesem Zeitraum gelang es McNamara und dessen Schatzmeister Eugene Rotberg, fast 100 Milliarden Dollar auf diversen nationalen Märkten aufzunehmen. 2 Zum 25. und 50. Jahrestag ihrer Gründung beauftragte die Weltbank die Brookings Institution, die Geschichte der Bank nachzuzeichnen. Die beiden Festschriften sind bis heute die Hauptquellen zur Geschichte der Institution: E. Mason u. R. Ascher, „The World Bank since Bretton Woods“, The Brookings Institution, Washington D.C., 1973; D. Kapur, J.-P. Lewis u. R. Webb, „The World Bank. Its First Half Century“, The Brookings Institution, Washington D.C., 1997. 3 Vgl. D. Kapur, J.-P. Lewis, u. R. Webb (Fußnote 2), S. 1193. 4 Über die Beziehungen zwischen den Wirtschaftswissenschaften und den Washingtoner Institutionen (Weltbank und IWF) in den Achtzigerjahren siehe Yves Dezalay und Brian Garth, „Le Washington Consensus. Contribution à une sociologie de l'hégémonie du néolibéralisme“, Actes de la recherche en sciences sociales 121-122, Paris, März 1998, S. 3-22. 5 Michael Weinstein, „Economists and the Media“, Journal of Economic Perspectives 6 (3), Jg. 1992. 6 Den Ausdruck „administrative relabeling“ benutzen die quasioffiziellen Geschichtsschreiber der Bank; vgl. D. Kapurs u. a., a.a.O., S. 369. 7 Dazu „Governance. The World Bank's Experience“, The Word Bank, Washington D.C., 1994. 8 Ein Ökonom der Bank, Deepak Lal, hat diese Position explizit vertreten; siehe „The Poverty of ,Development Economics‘ “, Hobart paperbacks 16, Institute of Economic Affairs (London) 1987. 9 Dazu Michel Chossudovsky, „The Globalisation of Poverty“, Third World Network, Penang 1997. 10 Dazu Yves Dezalay, „L'impérialisme de la vertu“, Manière de voir 53 („L'Amérique dans les têtes“). 11 Susan George und Fabrizio Sabelli, „Kredit und Dogma. Ideologie und Macht der Weltbank“, Hamburg (Konkret Literatur Verlag) 1995.

Le Monde diplomatique vom 15.09.2000, von NICOLAS GUILHOT