13.10.2000

Politik und Aberwitz in der Elfenbeinküste

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Politik und Aberwitz in der Elfenbeinküste

Von TIEMOKO COULIBALY *

Das Monument des Félix Houphouët-Boigny scheint den politischen Raum der Elfenbeinküste immer noch vollständig zu beherrschen. Die „Houphouët-Manie“ erfasst sogar ihren eigenen „historischen Gegner“, Laurent Gbagbo, der sich dem „Diktator“ einst so heftig widersetzt hat und heute versucht, seine Konfrontation mit dem ehemaligen Präsidenten zu relativieren oder vergessen zu machen. Die Wallfahrt zum Grab von Houphouët-Boigny in Yamoussoukro ist mittlerweile ein sakraler Ritus und politischer Akt1 , der an die alljährliche Prozession erinnert, die französische Gaullisten nach Colombey-les-deux-Eglises unternehmen.

Dabei ist das vergiftete Erbe, das Houphouët-Boigny hinterlassen hat, unbestreitbar das ursprüngliche Drama der Elfenbeinküste. Der gewaltige Zuspruch, den die Anhänger seiner Politik parallell zum derzeitigen Vormarsch der „Ivoirité“ (siehe Kasten) erfahren, zeigt in Wahrheit die Erschöpfung eines Systems, das stets auf Antiwerten basierte: auf Tribalismus, Fremdenfeindlichkeit, Korruption und Bestechung. Das zweite Drama ist die blinde, laut tönende Begeisterung, mit der dieses vergiftete Erbe von mittelmäßigen Politikern gepriesen wird, die unfähig sind, auch nur einen kritischen Gedanken zu fassen und zu begreifen, dass die heutige Katastrophe, die in der „Ivoirité“ zum Ausdruck kommt, ihrer eigenen Vergangenheit entspringt. Wenn sich das Land nicht auf sich selbst besinnt, wenn es das Vermächtnis von Houphouët-Boigny nicht klar in Frage stellt, droht es in endlosen Konflikten und einem gefährlichen Identitätswahn zu versinken.

Houphouët-Boigny hat trotz aller seiner Versuche, sich hinter täuschenden Reden zu verbergen, einen puren Tribalismus praktiziert. Und das schon 1958, als er in Reaktion auf das von De Gaulle vorgeschlagene Referendum die Unabhängigkeit mit großem Getöse ablehnte, gleichzeitig aber eine ultranationalistische Kampagne gegen das Projekt eines föderativen Systems für die Kolonien anführte. Sein Motto lautete: „Die Elfenbeinküste will nicht die Milchkuh von Französisch-Westafrika (AOF) sein.“ Das hiermit aufgestachelte Gefühl, die Reichtümer der ivorischen Kolonie könnten auf Kosten der Ivorer von Fremden ausgebeutet werden, entlud sich 1958 – angeführt von Pepe Paul, einem Vertrauten Houphouët-Boignys, der heute eine Partei der extremen Rechten anführt – in gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Dahomeyaner, denen die Besetzung wichtiger Positionen im Bildungswesen vorgeworfen wurde.

Diese ausländerfeindlichen Angriffe führten zur massenhaften Flucht der brutal verfolgten und grundlos ausgeplünderten Dahomeyaner – ein Exodus, der an den der 12 000 Burkiner erinnert, die im November 1999 nach blutigen Gemetzeln aus der Elfenbeinküste vertrieben wurden. Auch sie waren Opfer einer fremdenfeindlichen Kampagne, die von der Regierung Henri Konan-Bédiés unter Berufung auf die „Ivoirité“ und den Vorrang der eigenen Nation angezettelt wurde.

Viele Ivorer aus dem Norden beklagen regelmäßig, man stelle ihnen wegen „fremder“ Anklänge in ihrem Namen keine Papiere aus oder weigere sich, sie in die Wählerlisten einzutragen. Solche Erfahrungen führen zu einem Riss zwischen dem Norden und dem Süden und verstärken bei der Bevölkerung der nördlichen Regionen das Gefühl, aus der Nation ausgeschlossen zu sein. Auch die Benachteiligung dieser Volksgruppen ist ein giftiges Erbe von Houphouët-Boigny und seiner ungleichen Behandlung der Religionen. So fühlten sich etwa die Muslime, die im Lande die Bevölkerungsmehrheit stellen, durch die bevorzugte Behandlung zurückgesetzt, die der „Vater der Nation“ der christlichen Religion angedeihen ließ. Heute prangern die muslimischen Würdenträger ihre Diskriminierung an und beteiligen sich ohne Scheu an der politischen Debatte, was unter Houphouët-Boigny undenkbar gewesen wäre.

1990 wurde die Gründung des Front Populaire Ivoirien (FPI) unter der Führung von Laurent Gbagbo, eines Bete, als politische Artikulation der benachteiligten Bete-Gruppe wahrgenommen, die lange Zeit unter der herrschenden Akan-Gruppe gelitten hatte, der die Präsidenten Houphouët-Boigny und Konan-Bédié entstammen. Das Regime diffamierte den FPI prompt als „gewalttätige Bete-Partei“ und beschuldigte dessen Führer der Subversion und der Verschwörung.

Während Houphouët-Boigny die Elfenbeinküste auf der Basis einer Allianz zwischen den Akan und der Bevölkerung des Nordens gegen den Westen regierte, begannen die Einwohner des Nordens Anfang der Neunzigerjahre, sich über ihre immer unerträglichere Benachteiligung zu äußern. Sie fühlten sich für ihre politische Unterstützung nicht angemessen belohnt und empörten sich darüber, dass ihre Region sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung als auch bei der Verteilung politischer Posten benachteiligt wurde. Sie mussten Schikanen erdulden, um in den Besitz staatlicher Personalausweise zu gelangen, weil sie aufgrund hartnäckiger Vorurteile allzu leicht als „Fremde“, Einwanderer aus Mali oder Burkina Faso, abgestempelt wurden. Im September 1994, nur wenige Monate nach Houphouëts Tod, wurde das Rassemblement des Républicains (RDR) gegründet, eine hauptsächlich im Norden verwurzelte Partei, die sich von der Mehrheitspartei, dem Parti Démocratique de Côte-d’Ivoire (PDCI), abgespalteten hatte, womit Letztere de facto auf ihre Akan-Basis zurückgeworfen war. Das alte Bündnis zwischen Houphouët-Boigny und dem Norden hatte ausgedient.

Henri Konan-Bédié, dem jedes persönliche Format abging,wurde von Houphouët-Boigny mit allen Mitteln protegiert, sodass ein Teil der Öffentlichkeit ihn lange für einen illegitimen Sohn des Präsidenten hielt. Trotz der Skandale, in die Konan-Bédié verwickelt war, ebnete Houphouët seinem Schützling unbeirrt den Weg, indem er mehrere Verfassungsänderungen zu dessen Gunsten vornahm.

Der zum Präsidenten aufgerückte Bédié appellierte sogleich an die niederen Instinkte der Bevölkerung, indem er erklärte, sein politischer Gegner sei kein echter Ivorer, sondern ein Burkiner, und müsse infolgedessen vom höchsten Staatsamt fern gehalten werden. 1994 wurde ungeachtet der geschichtlichen und geografischen Gegebenheiten eine so genannte Ivoirité-Klausel in die Verfassung aufgenommen: Sie besagt, dass ab der Wahl von 1995 jeder Präsidentschaftskandidat „gebürtiger Ivorer sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits in der zweiten Generation“ sein muss – eine ebenso absurde wie unanwendbare Bestimmung, da es vor 1960 praktisch kein Personenstandsregister gab. Durch diese Verfassungsänderung wurde die Auseinandersetzung zwischen den beiden Erben Houphouët-Boignys, den Herren Konan-Bédié und Alassane Ouattara, auf die Spitze getrieben.

Am 24. Dezember 1999 putschte sich General Robert Gueï an die Macht und setzte die Verfassung Konan-Bédiés außer Kraft, weil sie angeblich gegen eine Person (Alassane Ouattara) gerichtet sei und das Land zu spalten drohe. Am 23. Juli 2000 ließ er dann per Referendum über eine neue, noch härtere Verfassung abstimmen. Sollte er es schaffen, mit wohlwollender Hilfe des handverlesenen Verfassungsgerichts seine eigene Disqualifizierung als Präsidentschaftskandidat abzuwenden, könnte er mit Hilfe dieser Verfassung auf einen Schlag alle ihm unliebsamen Kandidaten aus dem Weg räumen.2 Alle Vertreter der Opposition haben ihre Anhänger aufgerufen, für diese Verfassung zu stimmen – wobei jeder offenbar im Stillen erhofft, dass der Gegner aufgrund der Wählbarkeitskriterien eliminiert wird.

Erstmals in der Geschichte der Elfenbeinküste wurden, nach dem Vorbild Südafrikas, Organisationen zur Verteidigung der Mischlingsrechte gegründet, die gegen den Ausschluss vom höchsten Staatsamt protestieren und der rassistischen Hetze entgegentreten, die von General Robert Gueï mit Unterstützung des PDCI und des FPI betrieben wird. So hat etwa die Vereinigung „Sang pour sang“ eine „feierliche Erklärung“ gegen die „Apartheid“ und die Schaffung einer „reinen Rasse“ abgegeben. Auch der Verband „Tous Ivoiriens“ verweist zum Vergleich auf „die Gesetze des Apartheidsregimes in Südafrika, der Sklavenhaltung in Amerika und des Rassismus im Hitler-Deutschland“3 .

Beim Referendum wurde die neue Verfassung mit mehr als 86 Prozent aller Stimmen angenommen, und zwar mit den Stimmen sämtlicher Parteien, einschließlich der Partei Alassane Ouattaras, der selbst die Hauptzielscheibe der fremdenfeindlichen Attacken gewesen war. Er begründete seine Zustimmung mit der verbesserten Transparenz der Wahlen und den Fortschritten bei der Einführung des allgemeinen Wahlrechts ab 18 Jahren.

Diese kurzsichtigen Politiker werden die ersten Opfer ihrer eigenen Inkonsequenz und Verkommenheit sein. Es ist in der Tat eine Ironie der Geschichte, dass damit eine rein hypothetische Präsidentschaftswahl – nämlich ohne Präsidentschaftskandidaten – möglich wird. Wir haben also gewiss allen Grund, uns vor dem beispiellosen Scharfsinn der politischen Führungsriege der Elfenbeinküste zu verneigen. Die Lektüre der einheimischen Presse, die unausgesetzt Schlagzeilen über die Nichtwählbarkeit der Herren Laurent Gbagbo, Alassane Ouattara, Konan-Bédié, Francis Wodie und Robert Gueï produziert, wäre höchst amüsant, wenn es dabei nicht um das tragische Schicksal des Landes ginge. Eine umstrittene, von den Politikern ohne Sinn und Verstand erfundene Klausel zur Ausschaltung jedes Präsidentschaftskandidaten, der eine andere Nationalität „geltend macht“, wird zum Alptraum der gesamten politischen Klasse. Die nationale Wahlkommission hat bereits mit Hinweis auf die schwierige Lage des Landes die Benennung der zugelassenen Kandidaten hinausgeschoben.

Die demokratischen Spielregeln sind bereits verfälscht, zudem ist damit zu rechnen, dass das Wahlergebnis nachträglich von allen Seiten angefochten wird. Sollte der Junta-Chef verlieren, könnte die wenig republikanisch gesonnene, von Stammesdenken und Korruption zerfressene Armee die Einrichtung eines autoritären Militärregimes begünstigen, das sich leicht nach dem alten Rezept an der Macht halten könnte. Es würde eben Pfründen verteilen: zum einen an die Politiker, um sie in Zaum zu halten, zum anderen an die Armee, um die Sicherheit des Regimes zu gewährleisten. Wenn Robert Gueï durch einen Gegen-Staatsstreich und zunehmende „Komplotteschmiederei“ die Kontrolle über die Verteidigungskräfte verlieren sollte, droht eine lange Instabilität, geprägt von Konflikten zwischen mehr oder weniger unkontrollierbaren militärischen Banden. Denn die Mittelmäßigkeit, die beim politischen Personal herrscht, dominiert auch in der Armee. Das hat sich bei den jüngsten Plünderungen während des Staatsstreichs im Dezember 1999 ebenso gezeigt wie bei den Meutereien am 4. und 5. Juli 2000.

Aber so dramatisch stellt sich die Zukunft wohlt nicht für alle Ivorer dar. Unter der Schirmherrschaft der Präsidenten von Togo und Benin, Gnassigbe Eyadéma und Mathieu Kérékou, haben die Politiker der Elfenbeinküste schon im Voraus, am 10. August dieses Jahres, in Yamoussoukro, dem Geburtsort von Houphouët-Boigny, einen besonders originellen Pakt geschlossen: Wer auch immer als Sieger aus den nächsten Wahlen hervorgeht, wird mit seinen unterlegenen Gegnern ein Regierungsbündnis eingehen müssen. Ist damit die Demokratie bereits auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben?

dt. Grete Osterwald

* Historiker

Fußnoten: 1 Siehe dazu Marc Augé, „Das Leichenbegängnis eines Kronprinzen“, Le monde diplomatique, Mai 1999. 2 Ouattaras RDR stellt die Unparteilichkeit von Gueï in Frage und hat Verfassungsklage eingereicht. 3 Siehe den Brief von „Tous Ivoiriens“ an General Gueï, Le Patriote, 19. Juli 2000. Auch der islamische Nationalrat (CNI), die wichtigste muslimische Organisation, hat in einer öffentlichen Erklärung gegen den diskriminierenden, die nationale Einheit gefährdenden Charakter der neuen Verfassung protestiert.

Le Monde diplomatique vom 13.10.2000, von TIEMOKO COULIBALY