13.10.2000

Der Irak wird zahlen!

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Der Irak wird zahlen!

AM 15. Juni 2000 wurden die Risse im Konsens erstmals sichtbar. Das verbindliche Geprächsklima, das die Routinesitzungen des Verwaltungsrats kennzeichnet, kippte plötzlich um. Lautstarkes Auftreten gehört in Genf eigentlich nicht zum guten Ton. Hier tagt man lieber in diskreter Stille, in gedämpfter Atmosphäre, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In diesem Fall ging es allerdings um imposante Summen: über 15 Milliarden Dollar, das Doppelte des jordanischen Bruttoinlandsprodukts. Nein, es ging nicht um eine Bankenfusion, auch nicht um Geldwäsche oder ein öffentliches Übernahmeangebot. Und am Verhandlungstisch saßen keine Banker oder Großfinanciers, sondern hochrangige Diplomaten der fünfzehn Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats.

Auf der Tagesordnung stand ein Entschädigungsantrag der Kuwait Petroleum Corporation, der an Bagdad gerichtet war. Die französischen und russischen Diplomaten äußerten Vorbehalte. Kann man einem Land, das nach allen einschlägigen Berichten im Elend versinkt, so viel Geld abzwingen? Die Gespräche wurden auf den 30. Juni vertagt. Die neue Runde endete wiederum in einer Sackgasse – also gab es eine weitere Sitzung am 28. September. Frankreich und Russland gaben am Ende den amerikanischen Pressionen nach und segneten die 15,9-Milliarden-Dollar-Forderung schließlich ab. Im Gegenzug willigten die USA ein, den Prozentsatz der irakischen Exporterlöse, der für die Entschädigungszahlungen verwendet wird, niedriger anzusetzen und sich auf ein „verbessertes“ Funktionieren der Kommission zu verständigen. An den skandalösen UNCC-Praktiken hat sich damit nichts Grundlegendes geändert.

Die seit zehn Jahren tätige UN-Entschädigungskommission (UNCC) für den Irak ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Dabei bildet diese diskret operierende Institution, die sich vor neugierigen Blicken zu schützen weiß, eines der wichtigsten Instrumente der Vernichtungsstrategie gegen den Irak. Die Wirtschaftssanktionen gegen das Land und ihre Folgen werden in den Medien durchaus häufig thematisiert: die Kinder, die mangels ärztlicher Hilfe sterben, die Krankenhäuser, denen es am Nötigsten fehlt, der Verfall einer der ältesten Kulturen der Welt. Ab und zu berichten die Agenturen in wenigen Zeilen – die nur selten in die Medien gelangen – über die tägliche Bombardierung des Irak durch US-amerikanische und britische Kampfflugzeuge. Aber nicht ein Journalist interessiert sich für die Arbeit der Entschädigungskommission. Und es gibt keinerlei öffentliche Diskussion über die – durchaus umstrittene – Rechtmäßigkeit dieser Institution und ihre – durchaus zweifelhaften – Praktiken. Und dies, obwohl seit Dezember 1996 insgesamt 11 Milliarden Dollar, rund ein Drittel der Exporterlöse des Irak, in die Kassen der Kommission geflossen sind.

Im April 1991, kurz nach dem Sieg der Aliierten im Golfkrieg, wurde in einer Resolution des UN-Sicherheitsrats festgelegt, der Irak sei „kraft internationalen Rechts haftbar für alle Verluste, alle Schäden [...] sowie für alle Beeinträchtigungen, die andere Staaten, natürliche Personen und ausländische Gesellschaften erlitten, sofern diese Verluste, Schäden und Beeinträchtigungen als unmittelbare Folge der irakischen Invasion und Besetzung Kuwaits entstanden“. Für die Bearbeitung der Entschädigungsanträge (vgl. Kasten auf S. 7) wurde die UN-Entschädigungskommission gegründet (mit der Resolution 692 des UN-Sicherheitsrats vom 20. Mai 1991). Der Verwaltungsrat dieser Kommission setzt sich aus Vertretern der fünfzehn Mitglieder des Sicherheitsrats zusammen. Er entscheidet in jedem Einzelfall über die Höhe der Entschädigungszahlungen. Entscheidungsgrundlage ist dabei der Bericht eines dreiköpfigen Expertenteams, dessen Mitglieder das Exekutivsekretariat bestimmt. Obwohl dieses Gremium eigentlich nur ein Verwaltungsorgan ist, liegt bei ihm die Entscheidungsmacht. Der Exekutivrat, der seit seiner Gründung von den US-Vertretern beherrscht wird, „orientiert“ alle Entscheidungen der Kommission (wobei „desorientiert“ wohl der treffendere Ausdruck wäre).

Methoden der Inquisition

DAS vom Sicherheitsrat beschlossene Verfahren ist historisch ohne Beispiel – zumindest seit dem Versailler Vertrag, der den Ersten Weltkrieg beendete und zugleich zu einer Ursache für den Zweiten wurde. In Artikel 231 des Versailler Vertrages wurde Deutschland zum alleinigen Kriegsschuldigen erklärt und zu endlosen Reparationszahlungen verpflichtet. Die Parole „L’Allemagne paiera!“ wurde zum Wegbereiter für Adolf Hitlers Machtergreifung. Die Vereinigten Staaten haben den Versailler Vertrag damals nicht ratifiziert, aber heute verfahren sie nach einem ganz ähnlichen Motto: „Der Irak wird zahlen!“ Wie werden dieses Mal die Folgen aussehen?

Rechtsanwalt Michael E. Schneider von der Kanzlei Lalive & Partners1 , vormals Professor für Völkerrecht, zeigt den entscheidenden Verfahrensfehler auf: Der Irak wird nicht als „eine Prozesspartei“ (defendant party) anerkannt: „Man verzichtet auf die Zustimmung des Hauptbetroffenen. Der Irak und allein der Irak soll auf Heller und Pfennig für die Verfahrenskosten und die Bezüge der Kommissare und ihrer Sachverständigen aufkommen, obwohl das Land nicht einmal Einblick in die Arbeit dieser Experten erhält.“ Unbestritten ist, dass Bagdad für die Schäden geradezustehen hat, die durch seine mörderische Invasion in Kuwait entstanden sind.

Aber selbst ein gewöhnlicher Krimineller hat das Recht auf einen Anwalt und auf Verteidigung, und niemand verlangt von ihm, das Verfahren, die Richter und die „Ermittlungstätigkeit“ zu bezahlen. Anders im Fall des Irak. Jahr für Jahr werden von den irakischen Exporteinnahmen 50 Millionen Dollar abgezweigt, um die Tätigkeit der Kommission, die Reisekosten ihrer Experten (in der Business Class) und die stattlichen Bezüge ihrer Mitglieder zu finanzieren. Zum ersten Mal in der Geschichte des Völkerrechts seit Ende des Zweiten Weltkriegs wird einem Staat jedes Mitspracherecht in einer ihn betreffenden Rechtsangelegenheit verwehrt.

Der irakische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, Mohammad al-Duri, vormals Professor für internationales Recht, arbeitet unter regelrechten Embargo-Bedingungen. Der Irak hat sein Stimmrecht bei den Vereinten Nationen verloren, weil er seine Beiträge nicht bezahlt hat.2 Aber noch nie wurde daran gedacht, den größten Schuldner der Weltorganisation mit ähnlichen Sanktionen zu belegen; schließlich stehen die USA bei den UN mit über 1 Milliarde Dollar in der Kreide. Die Kommunikation zwischen dem irakischen Botschafter und seiner Regierung ist eine mühselige Sache. Mindestens vier Tage benötigt ein Gesandter für den Hin- und Rückweg nach Bagdad. Und im Büro des Botschafters fehlen sogar die einfachsten Dinge: Die Firma Xerox weigerte sich, ihm Fotokopierer zu verkaufen – zweifellos aus Angst, er könnte aus ihnen chemische Waffen basteln.

Al-Duri gibt ausführliche und detaillierte Auskunft. Die Unterlagen mit den Aktenzeichen 4 003 197 und 4 004 439, die die Kuwait Petroleum Corporation mit ihrem Antrag auf Entschädigungsleistungen in Höhe von 21,6 Milliarden Dollar einreichte, seien ein exemplarisches Beispiel. Sie beziehen sich auf die Verluste, die Kuwait durch die Einstellung der Erdölförderung und -ausfuhr sowie durch die Brände der Förderanlagen während der Besetzung durch den Irak entstanden seien. Die Unterlagen im Umfang von mehreren zehntausend Seiten wurden den drei Kommissaren, die mit der Bearbeitung des Dossiers betraut wurden, am 20. Mai und 24. Juni 1994 vorgelegt. Über ihren Inhalt wurde Bagdad nur durch eine zusammenfassende Darstellung des Exekutivsekretariats informiert, und zwar am 2. Februar 1999, mit fünf Jahren Verspätung. Zur Stellungnahme setzte man der irakischen Regierung eine Frist bis zum 19. September 2000.

Am 13. Juni 2000 erklärte die irakische Delegation auf einer Sitzung des Verwaltungsrats: „ ... [die kuwaitischen Anträge] berühren eine Unmenge rechtlicher, wissenschaftlicher, technischer und abrechnungstechnischer Fragen. Sie müssen sich vor Augen halten, wie lange es dauert, diese voluminösen Unterlagen zu übermitteln, zu verifizieren, zu prüfen, ins Arabische zu übersetzen, eine Antwort vorzubereiten und diese wieder ins Englische zu übersetzen.“

Die Kommission hat der irakischen Regierung nicht gestattet, ihre Exporterlöse – immerhin ihr eigenes Geld – zur Bezahlung großer Anwaltskanzleien zu verwenden. „Wir haben gleichwohl eine Stellungnahme abgegeben. Kuwait hat darauf geantwortet, aber wir kennen den Inhalt dieser Erwiderung nicht. Erst nach langem Hin und Her erhielten wir die Erlaubnis, unseren Standpunkt vor den Kommissaren am 14. Dezember 1999 darzulegen, wozu uns maximal eine Stunde Redezeit eingeräumt wurde.“ Schließlich legte die Kommission die Entschädigungssumme trotz der französischen und russischen Vorbehalte auf 15,9 Milliarden Dollar fest. Erstmals konnte kein Konsens erzielt werden. „Der Irak steht in der Pflicht“, meint der irakische Botschafter abschließend, „aber dies rechtfertigt nicht eine Verletzung des internationalen Rechts.“

Rechtsanwalt Michael Schneider legt den Finger auf den wunden Punkt: „Wie kann man einen Rechtsstreit austragen, ohne die gegensätzlichen Meinungen zu hören, ohne beiden Parteien die Möglichkeit einzuräumen, ihren Standpunkt darzulegen? Wie soll man auf ein so umfassendes und kompaktes Dossier reagieren? Kuwait hat die Anwaltskanzleien, die das Dossier vorbereiten sollten, über eine internationale Ausschreibung engagiert. Um das Dossier aufzudröseln, wäre eine minutiöse Arbeit erforderlich, für die der Kommission gar keine Zeit bleibt. Und dem Irak verweigerte man nicht nur das nötige Geld für die Verteidigung, obendrein waren sämtliche großen Anwaltskanzleien bereits vom Kläger oder von der UNCC ausgebucht.“

Der UN-Generalsekretär empfahl 1991, den Irak „über alle an ihn gerichteten Rechtsansprüche zu informieren und ihm das Recht einzuräumen, den Kommissaren seinen Standpunkt darzulegen“. Der Sicherheitsrat hielt sich nicht an diese Empfehlung und gewährte Bagdad lediglich das Recht, „eine Zusammenfassung der vom Exekutivsekretariat verfassten Berichte zu erhalten und dazu Stellung zu beziehen“. Dass diese Verfahrensweise eher den Methoden der Inquisition als modernen rechtsstaatlichen Gepflogenheiten entspricht, sieht der Chef der UNCC-Rechtsabteilung, Norbert Wuhler, durchaus.3 Und der Erste UNCC-Exekutivsekretär, Carlos Alzamora, räumt ein, dass rechtliche Schutzvorkehrungen, die „ein Rechtsverfahren zu einer langwierigen Angelegenheit machen“, beseitigt worden seien.

Die UNCC rechtfertigt diese Praktiken jedoch mit der Notwendigkeit, die nach Hunderttausenden zählenden „kleinen Leute“ und „Fußsoldaten“, die durch den irakischen Einmarsch in Kuwait schweren Schaden erlitten haben, möglichst schnell zu entschädigen. In der Tat stammen die 2,6 Millionen Entschädigungsanträge bis auf wenige Ausnahmen von Einzelpersonen; doch der Gesamtbetrag ihrer Forderungen beläuft sich auf lediglich 20 Milliarden Dollar – ein Bruchteil, gemessen an den Gesamtforderungen von rund 320 Milliarden Dollar. Die Summe von 15 Milliarden Dollar, die der Kuwait Petroleum Corporation zuerkannt wurden, entspricht in etwa der Gesamtentschädigung, die schließlich den 2,6 Millionen Einzelpersonen zugesprochen wurde. Und sie liegt doppelt so hoch wie der Betrag, den man der irakischen Zentralregierung von Dezember 1996 bis Juli 2000 zur Ernährung und medizinischen Versorgung von 15 Millionen Menschen effektiv ausgezahlt hat. Durch die Einführung beschleunigter Verfahren, die auf statistischen Modellannahmen beruhen (eine Einzelbearbeitung der Individualanträge war in Anbetracht der Antragsmenge in der Tat ausgeschlossen), ermöglichte die Kommission zwar tatsächlich eine schnelle Entschädigung von Einzelpersonen, aber sie hat damit auch Tür und Tor für politische Manipulationen vielfacher Art geöffnet.

So fielen etwa unter die Kategorie C 1 659 840 Einzelanträge mit einer Entschädigungssumme von unter 100 000 Dollar, und zwar für zerstörtes Hab und Gut, für erlittene Angstzustände, für die Unbilden der Flucht oder des Untertauchens und ähnliches mehr. Die letzten Fälle der Kategorie C wurden im September 2000 abgeschlossen. Dass nur 632 004 Anträge positiv beschieden wurden, darf nicht etwa als Beleg für die Ernsthaftigkeit der Kommissionsarbeit missverstanden werden. Denn wenn man den Gruppenantrag von 1 240 000 ägyptischen Arbeitern abzieht, bleiben in dieser Kategorie nur 420 000 Einzelanträge übrig, von denen 408 187, das heißt 97 Prozent, anerkannt wurden. Von Gleichbehandlung kann dennoch nicht die Rede sein. Während fast alle der etwa 160 000 kuwaitischen Antragsteller einen positiven Bescheid erhielten und manche gar 110 Prozent der geforderten Summe ausbezahlt bekamen, wurden von den etwa 40 000 Jordaniern, größtenteils Palästinenser, nur 40 Prozent entschädigt.

Das C-Verfahren unterlag von Anfang an einer bestimmten „Orientierung“. Schlüsselfigur des UNCC ist der US-Staatsbürger Michael F. Raboin, der stellvertretender Exekutivsekretär und verantwortlicher Leiter der Antragsabteilung (und insofern für alle Entschädigungsforderungen zuständig) ist. Als er 1991 begann, das Sekretariat aufzubauen, brachte er Norbert Wuhler mit, mit dem er schon am Iran - United States Claims Tribunal zusammengearbeitet hatte, das zu Beginn der Achtzigerjahre in Den Haag eingerichtet wurde und bis heute mit der Regelung der Streitigkeiten zwischen den beiden Ländern befasst ist. „Wir sind unparteiisch“, meinen die beiden hohen Beamten: „Die Kommission hat bei ihren Sitzungen stets die Position des Irak berücksichtigt. Zumal wir innerhalb kürzester Zeit mehrere hunderttausend Anträge bearbeiten mussten. Viele Antragsteller werfen uns sogar vor, den Irak zu sehr zu begünstigen.“

Unparteiisch? Im April 1995 äußerte die Leiterin der Abteilung für C-Entschädigungen, Erika Wilbers, auf einer Mitarbeiterbesprechung: „Diese ganze abstrakte Arbeit, die wir in diesem klimatisierten Gebäude in der Schweiz verrichten, lässt uns leicht vergessen, warum wir hier sind: um den Antragstellern zu helfen.“ Angesichts der Qualen, die die Kuwaiter durchzustehen hatten, „sollten wir uns immer wieder vor Augen halten, in welchem Luxus wir leben. Wir sind alle mehr oder weniger schuldig, und daran sollten Sie stets denken, wenn Sie den Eindruck haben, ‚ein bisschen zu weit zu gehen‘.“ Das läuft auf eine kaum verhohlene Aufforderung zur Rechtsbeugung hinaus.

Ein ehemaliger ägyptischer Beamter dieser Abteilung erinnert sich, wie man ihn regelmäßig aufforderte, „die Kriterien möglichst großzügig auszulegen“, um ein Maximum an positiven Bescheiden zu erzielen. Ein europäischer Beamter war konsterniert, immer wieder zu hören, dass man, „die Stichproben frisieren“ solle („doctoring the samples“). So wurde bei der Erstellung der statistischen Modelle, die eine schnelle Auszahlung der Opfer gewährleisten sollten, frisch-fröhlich drauflosmanipuliert.

Erleichtert wurden diese Machenschaften durch den Umstand, dass die Antragsteller kaum Belege (Quittungen, Rechnungen usw.) beibringen konnten. Einige der 160 000 Einzelanträge von kuwaitischen Staatsbürgern lauteten auf den Namen von Säuglingen; oder verschiedene Dokumente trugen dieselbe Telefonnummer und machten dieselben Verluste geltend. Die Tatsache solcher „Doppelanträge“ findet sich in mehreren offiziellen Dokumenten bestätigt. Die Vertreterin Chinas legte wiederholt Protest ein, eine öffentliche Anhörung kritisierte die Methoden (siehe Kasten auf S. 6), vergebens.

Ein anderer europäischer Beamter bekundet, die kuwaitische Delegation habe ständig Druck gemacht, „um ein möglichst kuwaitfreundliches Verfahren durchzusetzen. Das Opfer war an der Ausarbeitung der Verfahrensregeln ein wenig zu eng beteiligt. Ich will nicht übertreiben: Sie waren nicht jeden Tag in unserem Büro – sagen wir, alle anderthalb Tage.“ So erhielten viele kuwaitische Geschäftsleute Entschädigungszahlungen für Unternehmen, die anderen Staatsbürgern, in vielen Fällen Palästinensern gehörten: Nach kuwaitischem Recht können Ausländer ein Unternehmen nur über einen kuwaitischen „Strohmann“ eröffnen.

Noch skandalöser ist, dass die US-Regierung den Verwaltungsrat im Februar 1998 offiziell aufforderte, die Parameter zu überarbeiten, nach denen die Kuwaiter entschädigt werden. „Die Vereinigten Staaten erinnern daran, dass sie für die Verwendung eines statistischen Modells eintraten, weil dies eine schnelle Bearbeitung einer großen Zahl von Anträgen ermöglicht. Die Vereinigten Staaten stellen mit Besorgnis fest, dass das Modell einen Fehler aufweisen könnte.“ Das Exekutivsekretariat kam diesem „Ratschlag“ nach. Die Praktiken Washingtons in Bezug auf die UNCC erinnern an die Manipulation der mit CIA-Agenten durchsetzten UN-Sonderkommission für die Vernichtung der Massenvernichtungswaffen im Irak (Unscom).

Die umfangreichsten Entschädigungsanträge werden derzeit noch geprüft; am 16. Juni 2000 waren noch Forderungen in Höhe von 267 Milliarden Dollar unbearbeitet. Eine ganze Reihe von ihnen sind völlig aus der Luft gegriffen und wurden oder werden sicherlich abgelehnt – manche Länder reklamieren zum Beispiel die Kosten für die Mobilisierung ihrer Truppen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Verbündeten der Vereinigten Staaten – Kuwait, Saudi-Arabien und Israel – eine Vorzugsbehandlung erfahren, angeblich weil sie von Scud-Raketen getroffen wurden. So wurden viele israelische Unternehmen – Blumen- und Gemüsegärtnereien, Kino- und Hotelbesitzer – für ihre Umsatzeinbußen während der Krise entschädigt. Wer würde auf die Idee kommen, dass Großbritannien von Deutschland Schadenersatz fordern könnte wegen der geringeren Zahl von Kinobesuchern in den Jahren 1939 bis 1945?

Die Anträge verschiedener kuwaitischer Ministerien (Kategorie F-3) über eine Summe von 2,2 Milliarden Dollar wurden mit 1,53 Milliarden honoriert. Die mit diesem Dossier befasste Kommission hat zur Überprüfung der Ansprüche sechs Abordnungen nach Kuwait und in die USA geschickt. Doch bei keiner dieser Missionen war ein irakischer Vertreter dabei, und der Irak wurde auch zu keinem Zeitpunkt in dieser Angelegenheit gehört. In fünf von sechs Fällen reisten nicht die Kommissionsmitglieder selbst an, sondern nur die „Experten“, die das Exekutivsekretariat auswählt, das sich immer mehr in den Vordergrund schiebt. Und von den „Gewinnen“ und „Einsparungen“, die der Krieg den Kuwaitis brachte – durch steigende Ölpreise, Schließung von Institutionen und die Erneuerung des Maschinenparks – war entweder überhaupt nicht oder nur am Rande die Rede.

Maßlose Entschädigungssummen

DER Gesamtwert der Entschädigungsanträge beläuft sich auf 320 Milliarden Dollar. Davon entfallen allein 180 Milliarden auf Kuwait, das Neunfache des kuwaitischen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 1989. Selbst unter der Voraussetzung, dass nur ein Drittel der Gesamtsumme bewilligt wird – wie es in den Gängen der Kommission heißt –, würden Forderungen von über 100 Milliarden Dollar auf den Irak zukommen. Einschließlich der Zinsen, die dafür in den nächsten 10 bis 15 Jahren anfallen4 , käme man auf 300 Milliarden Dollar. Das entspricht bei dem aktuellen, sehr hohen Ölpreis den Einnahmen von fünfzehn bis zwanzig Jahren irakischer Erdölausfuhr. Wenn das Land ein Drittel seiner Exporteinnahmen für diese Forderungen reservieren würde, wäre es erst im Jahr 2050 oder 2060 schuldenfrei5 (die Auslandsverbindlichkeiten aus der Zeit vor dem 2. August 1999 nicht mitgerechnet). Was wird bis dahin von den Krankenhäusern und Schulen, von der irakischen Infrastruktur noch übrig sein?6

Ist es rechtens, ein Land ohne Rücksicht auf seine Leistungsfähigkeit zu endlosen Zahlungen zu verurteilen? In Artikel 14 des Friedensvertrags zwischen den Vereinigten Staaten und Japan von 1951 heißt es: „Japan müsste an die alliierten Mächte Reparationen für die während des Kriegs entstandenen Schäden und Leiden zahlen. Nichtsdestotrotz erkennen wir an, dass die Ressourcen Japans, soll die Wirtschaft lebensfähig bleiben, nicht ausreichen, um die Reparationen vollständig zu bezahlen [...] und gleichzeitig alle anderen Verpflichtungen zu erfüllen.“7 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass auch der damalige japanische Staatschef Kaiser Hirohito als Kriegsverbrecher zu gelten hat, der (wie Saddam Hussein) ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof gewesen wäre, wenn es den damals schon gegeben hätte. Im Übrigen präzisiert der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 687 ausdrücklich, bei Entschädigungszahlungen seien „die Bedürfnisse des irakischen Volks und die Zahlungsfähigkeit des Irak“ zu berücksichtigen.

Seit Jahren schon befasst sich die UN-Völkerrechtskommission mit der Haftbarkeit von Staaten. Sie bereitet ein Übereinkommen vor, über dessen zentrale Bestimmungen schon heute weitgehend Konsens besteht. In Artikel 42 des Entwurfs heißt es: „In keinem Fall haben Reparationszahlungen zur Folge, eine Bevölkerung ihrer eigenen Subsistenzmittel zu berauben.“

Manche Juristen, darunter der deutsche Völkerrechtler Bernhard Graefrath, gehen sogar so weit, dem Sicherheitsrat das Recht zu bestreiten, in Streitfällen zwischen zwei Parteien die Höhe der Kompensationszahlungen festzulegen. In mehreren Fällen – beim israelischen Angriff auf den Beiruter Flughafen 1968, bei der portugiesischen Aggression gegen Guinea 1970 und bei den südafrikanischen Übergriffen auf Angola 1976 – befand der Sicherheitsrat, dass den Opfern Entschädigung zusteht, aber in keinem Fall legte er deren Höhe fest. Dies liegt nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Im Fall von Angola bespielsweise unterstrich der britische Vertreter im Sicherheitsrat: „Der Sicherheitsrat ist kein Gerichtshof, und er ist nicht der geeignete Ort, um über Entschädigungsanträge zu befinden.“

Auf dieses Thema angesprochen, antworteten Michael F. Raboin und andere Sekretariatsmitglieder: „Wir gingen davon aus, dass die Vereinten Nationen (nach der Invasion Kuwaits) einen Präzedenzfall schaffen wollten.“ Wird man etwa Israel zwingen, für die 25-jährige Besetzung des Libanon Entschädigung an Beirut zu zahlen? Ein europäischer Diplomat räumt denn auch ein, dass die Parteilichkeit der UNCC mit der internationalen Situation des Jahres 1991 zusammenhängt. „Heute wäre eine solche Institution nicht mehr möglich. Die USA wären nicht in der Lage, sie durchzusetzen. Alle Welt wäre dagegen.“

Kurz nach der UNCC-Sitzung vom 28. September beschloss der Sicherheitsrat, einige der skandalösesten Bestimmungen des Entschädigungsmodus leicht abzumildern. Ab Dezember dieses Jahres soll der Anteil der irakischen Exporteinnahmen, der für die Entschädigungszahlungen abgezweigt wird, von 30 Prozent auf 25 Prozent sinken. Darüber hinaus soll das UNCC-Verfahren die Interessen des Irak besser berücksichtigen. Als Gegenleistung segneten Paris und Moskau die 15,9 Milliarden Dollar ab, die größtenteils in die Kasse der Kuwait Petroleum Corporation fließen werden. Ein Kuhhandel, der einmal mehr belegt, dass die Vereinigten Staaten in der Kommission den Ton angeben.

Titus Livius kolportiert folgende, zweifellos in den Bereich der Mythen gehörende Geschichte, die sich 385 v. Chr. zugetragen haben soll. Rom war besiegt und sah sich zu Verhandlungen genötigt. Der Senat beauftragte die Kriegstribunen, mit den Galliern, die die Stadt belagerten, Verhandlungen aufzunehmen. Man einigte sich auf ein Lösegeld von 1000 Pfund Gold, eine Schande „für das Volk, das in Kürze die Welt beherrschen sollte“. Und Livius weiter: „Eine Würdelosigkeit vergrößerte diese Schande noch. Die Gallier brachten falsche Gewichte mit. Als der Tribun sie ablehnte, warf der übermütige Gallier noch sein Schwert zu den Gewichten. Dazu sprach er ein Wort, das einem römischen Ohr unerträglich war: ‚Wehe den Besiegten!‘ “

dt. Bodo Schulze

Fußnoten: 1 Die Kanzlei stellte den Antrag, die Verteidigung zu übernehmen und aus Mitteln des UNCC-Fonds zu finanzieren. Der Antrag wurde abgelehnt. Dazu Michael E. Schneider, „How fair and efficient is the United Nations Compensation Commission System“, Journal of International Arbitration, vol. 15, Nr. 1, März 1998. 2 Der irakische Vorschlag, die Vereinten Nationen sollten den Betrag aus den Exporteinnahmen bestreiten, wurde abgelehnt. 3 Wuhler sprach von einem „Inquisitionsverfahren“. Dazu Wuhler, „The United Nations Compensation Commission: A New contribution to the process of international claims resolution“, Journal of International Economic Law, Oxford University Press 1999. 4 Am 18. Dezember 1992 beschloss der Verwaltungsrat, dass die Zinsen bezahlt werden müssen. 5 Mit den Entschädigungsanträgen bei der UNCC ist die Sache für den Irak nicht ausgestanden, da die Zuständigkeit der Kommission keinen Ausschließlichkeitscharakter hat. Der ein oder andere Antragsteller könnte Bagdad auch anderweitig auf „Entschädigung“ verklagen. 6 Dazu Alain Gresh, „Unerhörte Agonie“, Le Monde diplomatique, Juli 1999. 7 Zit. n. Bernhard Graefrath, „Iraqi Reparations and the Security Council“, Heidelberg Journal of International Law, Heidelberg 1995, 55/1.

Le Monde diplomatique vom 13.10.2000, von ALAIN GRESH