10.11.2000

Heftige Angriffe

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Heftige Angriffe

Als Hugo Chávez venezolanischer Präsident wurde, schloss er eine „Elite“ von der Macht aus, deren Einfluss auf den Staat von Unfähigkeit und Korruption geprägt war. Und wenn er mitunter aggressiv gegen die traditionellen Politiker vorgeht, so tut er das nicht ohne Grund.

Seit Dezember 1998 dokumentieren Angehörige der wohlhabenden Oberschicht ihre Opposition gegen das Regime, indem sie auswandern, viele von ihnen nach Miami. Mit der Zeit haben sie Werte von insgesamt 90 Mrd. Dollar (das ist das Dreifache der Auslandsverschuldung Venezuelas) ins Ausland verbracht, die aus den großen kreolischen Vermögen stammen, während 70 Prozent der Venezolaner unterhalb der Armutsgrenze leben.

Die nationalen und internationalen Massenmedien, die eng mit den traditionellen politischen Parteien und den Wirtschafts- und Finanzkreisen verwoben sind, äußern heftige Kritik. Chávez wird mit Juan Domingo Perón, Fidel Castro, oder sogar mit Muammar al-Gaddafi und Benito Mussolini verglichen. Der konservative peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa spricht im Fall Venezuela vom „Selbstmord einer Nation“.

Trotz einer häufig aggressiven Rhetorik und nicht selten auch unorthodoxer Methoden bleiben die Beratungen und Entscheidungen, die den politischen Raum Venezuelas so einschneidend verändern, im Rahmen der Legalität. Auch die kirchliche Obrigkeit kritisiert das autoritäre Vorgehen des Regimes und unterstellt dem Präsidenten, dass er „die Bibel manipuliere“. Oberstleutnant Francisco Arias (Gouverneur des Bundesstaates Zula), ein Christdemokrat und praktizierender Katholik, beschwichtigt die alten Kräfte und hat seine politische Position stabilisiert, indem er verspricht, die Wirtschaft zu öffnen und die Rolle des Staates zu beschneiden.

In Wirtschaftskreisen reagierte man empört auf den „etatistischen“ und „interventionistischen“ Ton in der neuen Verfassung, insbesondere auf den Mix der Wirtschaftspolitik (aus Markt und staatlicher Intervention), auf die Sozialversicherungsleistungen für verheiratete Mütter und Personen über 65, die niemals Beiträge gezahlt haben, auf die Verschärfung des Kündigungsschutzes und die Festlegung der Wochenarbeitszeit auf maximal 42 Stunden. Als die Regierung am 3. Juli 2000 eine 20-prozentige Anhebung der Gehälter beschloss, reagierten die Unternehmen mit Massenentlassungen.

Obwohl Hugo Chávez den amerikanischen Investoren versicherte, sie könnten unbesorgt sein, äußern die USA unentwegt ihre „tiefe Besorgnis“ angesichts der Ereignisse, die ihren Haupterdölliferanten erschüttern. Dass der umtriebige Präsident so gute Beziehungen zu Kuba unterhält und mit Fidel Castro Baseball spielt, dass er die alljährlich von venezolanischen und amerikanischen Streitkräften gemeinsam abgehaltenen Manöver fürs Erste auf Eis gelegt hat, stellen eine Absage an die Strategie Washingtons in dieser Region dar.

Damit nicht genug: Chávez untersagte den auf der niederländischen Antilleninsel Aruba stationierten amerikanischen Militärs, bei ihren Aufklärungsflügen gegen die kolumbianische Guerilla venezolanisches Territorium zu überfliegen, und sprach sich unmissverständlich gegen den Kolumbienplan aus. Peter Romero, der US-amerikanische Staatssekretär für Lateinamerika-Angelegenheiten machte seinem Ärger über den karibischen Nachbarn Luft, als er am 29. Januar kritisierte, dass die venezolanische Regierung der Politik den Vorrang vor der Wirtschaft einräume: „Der venezolanischen Führung fehlt eben die eindeutige Richtung, und wir Gringos sind nicht gerade für unsere Geduld bekannt.“1

Laut einem gemeinsamen Bericht der Banken Mercantil und Santander von Ende Juli übertraf der Geldabfluss durch Kapitalflucht aus Venezuela in den letzten sechs Monaten die aus dem Erdölexport erzielten Erlöse.2

Fußnoten: 1 ABC, Madrid, 29. Januar 1999. 2 El País, Madrid, 30. Juli 2000.

Le Monde diplomatique vom 10.11.2000