10.11.2000

Mythos und Wirklichkeit der Heiligen Stadt

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Mythos und Wirklichkeit der Heiligen Stadt

Von MARIUS SCHATTNER *

JERUSALEM hat sich als das entscheidende Problem bei den einstweilen gescheiterten Verhandlungen über den endgültigen Status der 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiete erwiesen. Es geht dabei vor allem um den Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom. Israel ist nicht bereit, Ostjerusalem aufzugeben. Ministerpräsident Ehud Barak hat zwar erkennen lassen, dass er sich die Koexistenz zweier Hauptstädte – „Jerusalem“ und „Al-Quds“ – am selben Ort vorstellen könne, doch die israelische Souveränität über den Tempelberg gilt nach wie vor als unabdingbare Voraussetzung für einen Friedensvertrag mit den Palästinensern. So erstaunlich es klingen mag: Diese Haltung ist ein Ergebnis des Sechstagekriegs von 1967. Die Führer der zionistischen Bewegung, von Theodor Herzl bis zu Staatsgründer David Ben Gurion, haben solche Positionen nicht vertreten.

Eine Begebenheit des Sechstagekrieges im Juni 1967 hat sich besonders tief in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingebrannt: das Bild von den Fallschirmjägern, die voller Ergriffenheit am Fuß der Klagemauer stehen, und dazu die Stimme ihres Befehlshabers, des Generals Notta Gur, der den Satz spricht: „Der Tempelberg ist in unserer Hand.“

Am 7. Juni 1967 hatte die israelische Armee ganz Jerusalem eingenommen, auch das Plateau, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen – der Tempelberg der Juden. Auf dem Vorplatz sprach der Verteidigungsminister Mosche Dayan in die Rundfunkmikrophone: „Heute morgen hat der Tsahal [die Armee] Jerusalem, die geteilte Hauptstadt Israels, befreit. Wir sind an unsere heiligste Stätte zurückgekehrt, und wir werden diesen Ort nie mehr aufgeben.“1

An jenem Tag entstand der Mythos von der Unteilbarkeit Jerusalems, als der „wiedervereinigten und ewigen Hauptstadt Israels“. Und weil er seither so oft beschworen worden ist, scheint es heute fast unglaublich, dass vor 1967 weder die israelische Staatsführung noch die bis dahin maßgeblichen zionistischen Führer ein ernsthaftes Interesse daran gezeigt hatten, das Territorium von Ostjerusalem zu annektieren. Man muss es noch deutlicher sagen: Im weltlichen und diesseitigen Sinne hatte sich bis dahin die Frage der jüdischen Souveränität über den Tempelberg noch nie gestellt.

Wie jeder Mythos wurzelt aber auch die Idee des „befreiten Jerusalem“ in der Vergangenheit – sie drückt die zweitausendjährige Verbundenheit der Juden mit Zion aus, jener Bergkuppe, die zum Symbol für Jerusalem geworden ist. Und während Christen und Muslime zuallererst nach Rom und Mekka blicken, gibt es für die Juden nur Jerusalem.

Der Tempel, der wie die Bibel berichtet von König Salomo auf dem Berg Moria errichtet wurde, war für die gläubigen Juden der heiligste Ort auf Erden. Es war der Ort, wo Abraham – stellvertretend für seinen Sohn Isaak – einen Hammel opferte. In diesem Tempel befand sich das „Allerheiligste“, das allein der Hohepriester betreten durfte.

Die zwiespältige Haltung des weltlichen Zionismus

DASS die Zerstörung des Tempels durch die Römer, im Jahre 70 u. Z., die Heiligkeit des Ortes nicht aufheben konnte, geht auf Maimonides, den großen jüdischen Philosophen des 12. Jahrhunderts. Schon aus der Zeit nach dem Untergang des ersten Tempels, im Jahre 587 vor unserer Zeitrechnung, ist der Klagegesang der vertriebenen Juden überliefert: „An den Wassern von Babylon saßen wir und weinten, und wir dachten an Zion.“ Zum Gedenken an diese Klage ist es bis heute bei jüdischen Hochzeiten üblich, dass die Brautleute ein Glas zu Boden werfen und ausrufen: „Eher will ich meine Rechte (Hand) aufgeben, als dich, Jerusalem.“

In den letzten vier Jahrhunderten gewann die Klagemauer (hebr. kotel) innerhalb des jüdischen Glaubens immer mehr an Bedeutung. An dieser Mauer, der den letzten Überrest des Tempels darstellt, versammelten sich die Gläubigen, um dessen Zerstörung zu beweinen und für die Ankunft des Messias zu beten, die das Ende ihres Exils bedeuten würde. Dann, und erst dann, sollte der Tempel wieder errichtet werden, so wie es im Talmud geschrieben steht: „Die Wiedererrichtung des Tempels und des Altars liegt wohl nicht in der Macht des Menschen.“

Der Waqf, die Verwaltung der heiligen Stätten und Besitztümer des Islam, tolerierte die Gebete der Juden an der Klagemauer. Aber zum Haram asch-Scharif, dem heiligen Bezirk des Islam auf dem einstigen Tempelberg, wollte man den jüdischen Gläubigen keinen Zugang gewähren. Diese Anlage mit ihren beiden Moscheen, die sechshundert Jahre nach der Zerstörung des Tempels errichtet wurde, ist nach Mekka und Medina der drittwichtigste heilige Ort des Islam. Die Forderung wurde von den frommen Juden auch gar nicht erhoben – für sie wäre es ein Sakrileg gewesen, den heiligen Boden des Tempels zu betreten, ohne die rituellen Reinigungsgebote erfüllen zu können.

Schon damals kamen viele Juden ins Heilige Land, die vor den Verfolgungen aus ihren Heimatländern flohen und zugleich von der Hoffnung auf die baldige Wiederkehr des Messias angetrieben wurden. Die Ärmsten unter ihnen hofften häufig einfach auf Zuwendungen aus der Haluka.2

Auch der zionistischen Bewegung, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden war, ging es darum, die im Exil verstreuten Juden wieder zusammenzuführen, aber sie wollte damit nicht bis zur Ankunft des Erlösers warten. Von der Orthodoxie, die hilflos zusehen musste, wie sich der Nationalismus der religiösen Symbole bemächtigte, wurde die zionistische Bewegung deshalb in Acht und Bann getan. Paradoxerweise legte der weltliche Zionismus gegenüber der Stadt, von der er seinen Namen ableitete, eine zwiespältige Haltung an den Tag.

Die Kluft zwischen dem Himmlischen Jerusalem und der Wirklichkeit der Stadt Jerusalem musste bei den ersten Zionisten jene Enttäuschung hervorgerufen haben, von der so viele Besucher des Heiligen Landes berichten. „Auf dieser Stadt, der Heiligen Stadt dreier Religionen, scheint der Fluch Gottes zu lasten“, notierte Gustave Flaubert am 11. August 1850 in sein Reisetagebuch. „Sie versinkt in Langeweile, Nichtstun und Verfall.“ Für Elieser Ben Jehuda, den Schöpfer des modernen Hebräisch, war der erste Eindruck erschreckend: „Die Stadt Davids, zerstört und verlassen, abgrundtief erniedrigt.“3

Theodor Herzl, dem es vorrangig darum ging, die Unterstützung der Großmächte für sein Projekt eines Judenstaates zu gewinnen, wollte natürlich vermeiden, sich die Sympathien dieser – vorwiegend christlichen – Mächte durch überzogene oder verfrühte Ansprüche auf Jerusalem zu verscherzen. Bereits in seinem Werk „Der Judenstaat“ (1896) sicherte der Begründer des Zionismus den Christen zu, dass für die heiligen Stätten „eine Art von Exterritorialität“ vorgesehen sei. Bei einer Zusammenkunft mit dem Apostolischen Nuntius in Wien, am 18. Mai 1896, stellt Herzl sogar Exterritorialität für ganz Jerusalem in Aussicht: Die Hauptstadt des künftigen jüdischen Staates solle nördlich der Heiligen Stadt errichtet werden. Die gleiche Zusicherung machte er sogar seinen türkischen Gesprächspartnern, die als Herrscher des Osmanischen Reiches die Oberhoheit über Jerusalem innehatten.4 Aber es handelte sich natürlich um taktische Zusagen, die ihn nichts kosteten . . .

Chaim Weizmann, der am Ende des Ersten Weltkriegs die Führung der zionistischen Bewegung übernahm, hatte für Jerusalem nicht viel übrig. Die Stadt war „in seinen Augen das Gegenteil des zionistischen Traums, sie symbolisierte die überholte Form des Judentums“, bemerkt dazu der israelische Historiker Tom Segev.5

Wie heikel die Frage der heiligen Stätten war, wusste nicht zuletzt David Ben Gurion, das große Vorbild von Ehud Barak. Ben Gurion hatte wohl die Absicht, ein geeintes Jerusalem eines Tages zur Hauptstadt des jüdischen Staates zu machen, doch zunächst galt es, diesen Staat überhaupt zu schaffen – ein Ziel, das weit wichtiger war als alle historischen und religiösen Ansprüche auf die Heilige Stadt.

Gegenüber der zionistischen Rechten, die bereits Ende der zwanziger Jahre „Komitees zur Verteidigung der Klagemauer“ gegründet hatte, vertrat Ben Gurion eine Politik des Machbaren. 1937 akzeptierte er den Teilungsplan der Peel-Kommission, der vorsah, in Palästina einen arabischen und – auf einem kleinen Teil des Territoriums – einen jüdischen Staat zu gründen. Jerusalem sollte unter britischer Oberhoheit bleiben.

Dem Vorwurf, er vertrete einen „Zionismus ohne Zion“, hielt der Präsident des zionistischen Exekutivrats (Jewish Agency) damals entgegen, man müsse die Chance wahrnehmen, einen jüdischen Staat in Israel zu gründen, in der Hoffnung, ihn später ausweiten zu können. „Ich habe stets zwischen Eretz Israel [jenem Großisrael, das ganz Palästina umfassen soll] und einem Staat in Eretz Israel unterschieden“, schrieb Ben Gurion 1937. „Ich weiß die Gebete und die Preislieder auf Zion zu würdigen“, erklärte er nicht ohne Sarkasmus, „doch die Tatsache, dass sie eintausendachthundert Jahre lang dreimal täglich an 365 Tagen im Jahr wiederholt wurden, hat uns nicht das kleinste Fleckchen Land eingebracht, und wir sind der Erlösung keinen einzigen Schritt näher gekommen.“

Doch einige Zionisten sperrten sich gegen eine Aufteilung Jerusalems in Verwaltungsbezirke. Dies hatte zur Folge, dass die Stadtverwaltung in palästinensischer Hand verblieb. „Unsere Situation in Jerusalem wäre heute viel besser“, schrieb Ben Gurion damals, „wenn wir begriffen hätten, dass es besser wäre, Jerusalem zu teilen und eine eigenständige jüdische Verwaltung zu schaffen. Unglücklicherweise hat sich in dieser Frage ein fruchtloser, dummer und aufgeblasener so genannter Patriotismus durchgesetzt [. . .] Mit dem Resultat, dass wir zwar ein ungeteiltes Jerusalem haben, aber die Autorität bei den Naschaschibi und Chaladi liegt [den beiden Familien von palästinensischen Notabeln]. Und das alles nur, weil ein paar Möchtegernpolitiker in Jerusalem es gerne hätten, dass wir die Hoheit über den Tempelberg und die Omar-Moschee gewinnen.“

Wie schon Herzl, war Ben Gurion vor allem daran interessiert, das neue Jerusalem westlich der Altstadt zu fördern. Dort sollte eine „jüdische Stadt“ entstehen, in Abgrenzung zum alten Jerusalem, das sich der spätere Staatsgründer als ein „geistiges und religiöses Museum aller Religionen“ vorstellte.6 Dementsprechend entwickelte die Jewish Agency, die von Ben Gurion geführte Exekutive der zionistischen Bewegung, 1938 einen sehr detaillierten Plan, in dem vorgesehen war, dass der Westteil der Stadt zur Hauptstadt des jüdischen Staates wird, während der Ostteil, einschließlich der gesamten Altstadt, unter britischer Hoheit bleiben sollte.

In den Teilungsplan, den die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 29. November 1947 verabschiedete, wurden diese Vorstellungen aufgenommen. Die UN-Resolution 181 sieht einen jüdischen und einen arabischen Staat vor und stellt Jerusalem und die Heiligen Stätten unter ein „internationales Sondermandat“. Ben Gurion besaß die Weitsicht, diesen Plan zu akzeptieren – gegen den Widerstand der zionistischen Rechten, die jedoch überstimmt wurde. Die Palästinenser hingegen lehnten den Plan ab. Die sich daraus ergebenden militärischen Auseinandersetzungen endeten für sie in der Katastrophe – auf Arabisch an-Nakba. Nicht nur, dass kein palästinensischer Staat zustande kam, die israelischen Streitkräfte nutzten darüber hinaus die Kampfhandlungen, um das Gebiet, das dem Staat Israel nach dem UN-Teilungsplan zugestanden hätte, um ein Drittel zu erweitern – mit der Folge, dass Hunderttausende von Palästinensern vertrieben wurden.

Die Versuchung von 1967: ewig ungeteiltes Jerusalem

IN Jerusalem allerdings errang Israel keinen vollständigen Sieg. Ende Mai 1948 mussten 2 000 Juden aus der Altstadt in den Westteil Jerusalems fliehen, weil es der jordanischen Armee gelungen war, das jüdische Viertel zu erobern. Da die Verteidiger nicht genügend Männer unter Waffen hatten, um sich ohne Hilfe von außen zu halten, musste sich die zionistische Führung entscheiden, ob sie ihnen Verstärkung schicken oder das ganze Viertel evakuieren sollte. Am Ende tat sie weder das eine noch das andere: Sie wollte das jüdische Viertel seiner symbolischen Bedeutung wegen nicht aufgeben, doch sie war auch nicht gewillt, Truppen für Ostjerusalem abzustellen, die anderenorts dringender gebraucht wurden.

Am 13. Dezember 1949 verwarf Ben Gurion die UN-Resolutionen über die Internationalisierung Jerusalems und stellte in einer feierlichen Erklärung im Parlament fest, dass „Israel heute und künftig nur eine Hauptstadt hat – das ewige Jerusalem“. Auch wenn es der Ministerpräsident nicht ausdrücklich betont hatte: Er dachte dabei an Westjerusalem. Als kurz darauf der Führer der nationalistischen Rechten, Menachem Begin, den Antrag stellte, schwarz auf weiß niederzulegen, dass zur Hauptstadt Israels auch die Altstadt und die heiligen Stätten gehörten, hielt ihm David Ben Gurion ironisch entgegen, ob er denn die Altstadt erobern wolle, und verwarf eine solche Erklärung als sinnlos.7

Erst im Juni 1967 stand eine israelische Regierung erneut vor der Frage, ob man Jerusalem dadurch wiedervereinigen wolle, dass man denOstteil der Stadt erobert. Vor 1967 hatte nur die zionistische Rechte, die bis zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit (kurz vor Beginn des Junikrieges) permanent in der Opposition gewesen war, regelmäßig die „Befreiung Jerusalems“ in die Diskussion gebracht. Es schien, als hätten die Israelis den Ostteil Jerusalems abgeschrieben.

Am Abend des 5. Juni 1967 äußerte Ministerpräsident Levi Eschkol noch Bedenken: „Man muss sehr sorgfältig abwägen, welche politischen Konsequenzen eine Besetzung der Altstadt hätte“, erklärte er im Kabinett. Am nächsten Morgen zögerte auch Verteidigungsminister Mosche Dayan, die Eroberung zu befehlen. „Was machen wir mit dem Vatikan?“, fragte er den befehlshabenden General.8

Aber die Versuchung war zu groß, und wie es weiterging, ist bekannt: Eine Art mystisch-nationalistische Hochstimmung erfasste große Teile der jüdischen Bevölkerung, man feierte nicht allein den Sieg, der wie ein Wunder erschien, man feierte auch die „Wiederkehr des Volkes Israel nach Eretz Israel“. Damit war der Weg frei gemacht für die Erfolge der religiösen Ultrarechten.

Bereits am 10. Juni 1967 rückten israelische Planierraupen an, um das arabische Mugrabi-Viertel dem Erdboden gleichzumachen und einen riesige Platz vor der Klagemauer frei zu räumen. Über hundert Familien wurden vom Militär vertrieben. Man hatte ihnen nur drei Stunden Zeit gewährt, ihre Häuser zu verlassen. Am 27. Juni verabschiedete die Knesset ein Gesetz, das den Ostteil der Stadt unter israelische Verwaltung stellte. De facto war damit die Annexion vollzogen.

Die neuen Stadtgrenzen im Osten Jerusalems waren so beschaffen, dass sie ein möglichst großes Territorium und möglichst wenige palästinensische Bewohner einschlossen. Den israelischen Behörden lag aber auch daran, sich nicht den Zorn der Muslime in aller Welt zuzuziehen: Sie erlaubten sich keine Übergriffe auf den heiligen Bezirk der Moscheen auf dem Tempelberg. Nach der Eroberung des Plateaus sorgte Mosche Dayan dafür, dass die von den Soldaten gehisste israelische Fahne wieder eingeholt wurde, und am 17. Juni sicherte er der Verwaltung der religiösen Stiftungen (Waqf) die Erhaltung ihrer Zuständigkeit für den Haram asch-Scharif zu. Am 20. August 1967 entschied die israelische Regierung schließlich, den Juden das Gebet auf dem Vorplatz der Moscheen zu untersagen, um den Besorgnis erregenden Initiativen von Schlomo Goren, Großrabbiner der Armee, das Wasser abzugraben.9

Dass die Erlösung der Juden ihren Anfang mit der Eroberung des Tempelbergs nehmen müsse, war allerdings nicht nur die Idee eines verrückten Rabbiners. Zwar hielt der Philosoph Jeschajahu Leibowitz die kultischen Veranstaltungen am kotel, der Klagemauer, für ein abstoßendes und letztlich heidnisches Phänomen, gegen das er sogar mit der Wortschöpfung „Discotel“ polemisierte.10 Doch überzeugte Zionisten wie der 1988 verstorbene elsässische Germanist und Schriftsteller André Néher formulierten, was in der Luft lag. Für ihn stand außer Frage, dass „an jenem Morgen des Schawuot [das jüdische Pfingstfest, das 1967 auf den 7. Juni fiel] alle Juden spürten, dass ein messianisches Zeitalter angebrochen war.“ Néher verstand die Parole „Jerusalem ist nicht verhandelbar“ als ein Glaubensbekenntnis oder doch zumindest als „gemeinsame Grundlage ausnahmslos aller politischen Parteien in Israel“.11

Inzwischen ist deutlich geworden, dass Jerusalem eben doch verhandelbar ist, und spätestens seit den Oslo-Verträgen von 1993 wurde es tatsächlich zum Gegenstand von Verhandlungen. Doch die Hoffnung, dass man in dieser Frage zu einer Einigung kommen könne, hat sich im Sommer 2000 innerhalb weniger Wochen zerschlagen.

dt. Edgar Peinelt

* Journalist, Tel Aviv.

Fußnoten: 1 Siehe „Israels Foreign Relations, selected document, Ministry of Foreign Affairs“, Jerusalem 1976, S. 243. 2 Geldmittel für die religiösen Institutionen in Jerusalem, aufgebracht von Juden in der Diaspora. 3 Siehe Eliezer Ben Yehouda, „Le rêve traversée“, Paris (Desclée de Brouwer) 1998, S. 100. 4 Siehe Theodor Herzl, „Der Judenstaat: Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“, Zürich (Manesse) 1996. In Herzls Tagebüchern heißt es in den Einträgen zum 19. Mai 1896 und 18. Juni 1896: „Ich versprach eine weitgehende Extraterritorialität.“ Theodor Herzl, „Zionistisches Tagebuch 1895 – 1899“, Propyläen (München) 1984 5 Das hinderte Weizmann nicht, immer wieder zu versuchen, die Mauer in israelische Hand zu bringen. Siehe Tom Segev, „C'était en Palestine au temps des coqueliqots“, Paris (Liana Lévi) 2000. 6 Brief an das Zentralkomitee der Mapai vom 1. Juli 1937. Siehe David Ben Gurion, „Israel: der Staatsgründer erinnert sich“, Frankfurt a. M. (Fischer-Taschenbuch-Verl.) 1998. 7 In der Parlamentsdebatte am 9. November 1949. 8 Siehe die Memoiren von Eschkols damaligem Militäradjudanten: Israel Lior, „Heute bricht der Krieg aus“ (Hebr.), Tel Aviv 1987. Siehe auch Haaretz vom 29. September 2000. 9 Der Rabbiner Goren glaubte, den Ort zu kennen, an dem sich das Allerheiligste der Juden befunden hatte, und glaubte deshalb, den Vorplatz der Moscheen betreten zu können, ohne ein Sakrileg zu begehen. 10 Zit. n. Haaretz, 21. Juli 2000. 11 Siehe André Néher, „Jérusalem l'irremplaçable“ und „Les grandes retrouvailles“, in: „Dans tes portes, Jérusalem“, Paris (Albin Michel) 1972.

Le Monde diplomatique vom 10.11.2000, von MARIUS SCHATTNER