Virtuelle Gewerkschaften
DIE Besetzung unternehmensinterner Rechenzentren und die Blockade von Websites durch Denial-of-Service-Angriffe entwickeln sich langsam zu recht wirkungsvollen Kampfformen. Als die Beschäftigten von Elf Exploitation Production in Pau am 12. April 1999 erfuhren, dass die Unternehmensleitung die Hälfte des Personals auf die Straße setzen will, legten sie das Computernetz des Unternehmens lahm, gründeten ein gewerkschaftsübergreifendes Betriebskomitee und stellten ihre eigene Website ins Netz: Elf-en-Résistance. Die Seite diente als Dreh- und Angelpunkt des Informationsaustauschs, an dem sich auch die 4 000 Hinausgeworfenen beteiligten. Ein Streik durchs Netz.
In den Vereinigten Staaten sind Cyber-Kämpfe inzwischen gang und gäbe, meistens auf Initiative unzufriedener Arbeitnehmer. IBM musste aufgrund einer Flut von Protest-Mails darauf verzichten, die unternehmensinternen Ruhestandsregelungen abzuschaffen. „Die Revolte der IBMler hat in der Unternehmenswelt für großen Aufruhr gesorgt und die Beschäftigten anderer US-Unternehmen zur Nachahmung animiert“, schreibt die New Yorker Korrespondentin des Nouvel Économiste.1 Die meisten amerikanischen Großunternehmen müssen sich seit einiger Zeit mit der elektronischen Fronde ihrer Beschäftigten auseinander setzen, die mit Gewerkschaftskämpfen bisher wenig zu tun hatten. Sogar Microsoft hat inzwischen mit einer „virtuellen Gewerkschaft“ zu rechnen: Mit traditionellen Mitteln wäre „WashTech“ sicher nie zustande gekommen, da die Beschäftigten über die ganze Welt verstreut sind.
In Frankreich machten eher die Bürgervereinigungen den Anfang, obwohl langsam auch die Gewerkschaften einsteigen und das Netz als Mittel zur Mitgliederinformation nutzen. „Damit können wir unsere Gewerkschafter viel schneller erreichen“, erklärt Noël Lechat, Generalsekretär der CGT für den Bereich Marktforschungsunternehmen und Planungsbüros. „Das Internet war während der Verhandlungen zur Arbeitszeitgestaltung ein wirklich wichtiges Diskussionsinstrument.“ Ob es im Unternehmen benutzt werden darf, hängt von der Direktion ab. Bei Cégétel und France Télécom zum Beispiel wurde eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, die den Gewerkschaften das Recht einräumt, eine Seite auf dem unternehmenseigenen Intranet zu unterhalten. Zwar handelt es sich dabei nur um ein Schwarzes Brett – die Beschäftigten haben keinen aktiven Zugriff darauf –, aber immer noch besser als nichts.
IN den meisten Fällen ist die Information der Beschäftigten per E-Mail noch immer ein recht riskantes Unterfangen. Manche Unternehmen verbieten es, andere schließen die Augen – bis zu dem Tag, an dem sie den Zugang schließen. Einige zogen sogar vor Gericht. „Die Rechtsunsicherheit in diesem Bereich ist einfach unglaublich“, empört sich Noël Lechat, der im Namen seiner Gewerkschaft eine gesetzliche Regelung anregt. Die Gewerkschaften sollten freien Zugang zum Intranet haben und eine Liste der unternehmensinternen E-Mail-Adressen aller Beschäftigten besitzen. Dabei läge es natürlich in ihrer Verantwortung, die Zahl der Sendungen zu begrenzen, um die Beschäftigten nicht mit E-Mails zu überschwemmen. Im Übrigen würden Letztere dies kaum akzeptieren.
Die Vertraulichkeit der empfangenen und abgesandten Nachrichten müsste eigentlich garantiert und im Arbeitsrecht festgeschrieben sein. Im Kalender rot anzustreichen ist in dieser Hinsicht die wegweisende Entscheidung des Pariser Tribunal Correctionnel vom 2. November 2000: Erstmals befand ein Gericht, dass elektronische Post am Arbeitsplatz als „Privatkorrespondenz“ einzustufen ist.
M. B.