Erdöl, Menschenrechte und Geschäftsmoral
Von ROLAND-PIERRE PARINGAUX *
DIE „Schlacht von Seattle“ hat es gezeigt: Im Zeitalter des globalen Dorfs operieren die großen internationalen Konzerne unter dem kritischen, wachsamen Blick der Medien, der internationalen Organisationen und der Bürger. Ein Teil der Öffentlichkeit ist zunehmend der Ansicht, dass die Verantwortung, der die internationalen Konzerne in ihren jeweiligen Einflussbereichen verpflichtet sein müssten, auch eine ethische Dimension umfasst, also etwa die Achtung der Menschenrechte und des Willens der betroffenen Bevölkerung sowie den Respekt vor ihrer Kultur und Umwelt. Dies gilt umso mehr, als diese Unternehmen – vor allem die Ölmultis – in einer politischen Umwelt agieren, die sich durch Willkür und Gewalttätigkeit auszeichnet. Dennoch stehen auch heute noch zahlreiche Unternehmen auf dem Standpunkt, dass sie in den Ländern, in denen sie investieren und Geschäfte machen, keinerlei politische Verantwortung tragen.
„Human rights is not the business of business“ – Menschenrechte fallen nicht in den Geschäftsbereich der Unternehmen. So lautet die Formel, die lange Zeit den internationalen Konzernen, die in der Dritten Welt aktiv sind, als Leitlinie diente und ihnen zugleich ein gutes Gewissen verschaffte.
Erfolg wurde vor allem an den industriellen Leistungen, das heißt an den Profiten gemessen. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Profite großenteils mit den Leiden der einheimischen Bevölkerung bezahlt waren, die unter diktatorischen Regimen leben musste. Ansonsten verstand es sich von selbst, dass die Unternehmen nicht dazu da sind, „Politik zu machen“, dass sie „neutral“ sind und dass allein durch ihre Anwesenheit „Entwicklung und Demokratie gefördert werden“. Diese durch Fakten längst widerlegten Behauptungen haben sich im Vokabular der Mineralölkonzerne bis heute gehalten. Doch sie stoßen zunehmend auf Widerspruch.
Die wirtschaftliche Globalisierung hat – im Verein mit einer selbstbewussteren „Zivilgesellschaft“ – für neue Verhältnisse gesorgt. Mit der Überwindung von Ideologien und Grenzen wurde den Konzernen ein weltweiter Markt eröffnet, womit ihnen allerdings auch neue Verpflichtungen auferlegt werden. Dieser Schluss ist schon deshalb zwingend, weil nach Angaben der Vereinten Nationen zu den hundert derzeit wichtigsten Weltmächten fünfzig multinationale Konzerne zählen. Deren Entscheidungen wirken sich auf eine immer größere Zahl von Ländern und ihre Bewohner aus.
Im Unterschied zu Greenpeace mit seinen Umweltschutz-Kampagnen der Siebzigerjahre haben die Menschenrechtsaktivisten längere Zeit gebraucht, um sich bei den Konzernen Respekt zu verschaffen. Erst 1995 starteten amnesty international und Human Rights Watch (USA) parallele Kampagnen mit dem Ziel, die Konzerne dazu zu bewegen, eine ihrer Macht und ihrem Einfluss entsprechende wirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, vor allem auf dem Gebiet der Menschenrechte. Ihr Hauptargument lautete schlicht: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 verkündet und von den meisten Staaten ratifiziert wurde, fordert von „jedem Einzelnen und allen Organen der Gesellschaft“, die Prinzipien dieser Erklärung zu respektieren und zu fördern.
Die Menschenrechte gehen also alle an: Individuen und Gesellschaften, Privatpersonen und juristische Personen. Dieser Verpflichtung wird sich häufig mit dem Argument verweigert, der Privatsektor sei schließlich „nicht da, um Moral zu predigen“. Dem entgegnet Geoffrey Chandler, ehemaliger Shell-Manager und heute in der englischen Sektion von amnesty international für „Business“ zuständig: „Die großen Unternehmen können und dürfen sich nicht als Moralrichter in der ganzen Welt betätigen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie sich die Rolle von Regierungen anmaßen oder alle gesellschaftlichen Probleme lösen, auf die sie stoßen. Andererseits nimmt ihr Einfluss auf die Weltwirtschaftspolitik ständig zu, und die Gesellschaften, in denen sie operieren, werden durch ihre Präsenz immer stärker geprägt. All dies bringt den Unternehmen natürlich auch neue Verpflichtungen.“
Zunächst waren die Kampagnen gegen die international operierenden Textilkonzerne und Modeunternehmen gerichtet, die billige Arbeitskräfte der Dritten Welt, darunter auch Kinder, unter Bedingungen ausbeuten, die durch internationale Abmachungen verboten sind. In diesem Zusammenhang entschloss sich amnesty – nach einer bisweilen stürmischen internen Debatte –, den Konzernen die Hand zu reichen und sie in dieser Frage als Partner zu betrachten. Die Menschenrechtsorganisation verzichtet heute auf die heftigen Anschuldigungen und Boykottaufrufe der Siebzigerjahre und verfolgt stattdessen eine Politik der Begegnungen und des Meinungsaustauschs, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dafür wurden in mehreren Ländern spezifische Rahmenbedingungen geschaffen. In Frankreich etwa kommt es mehrmals im Jahr zu Gesprächen zwischen Mitarbeitern multinationaler Konzerne und Vertretern der französischen amnesty-Sektion.
In allen Fällen geht es amnesty darum, zu verstehen und zu überzeugen anstatt zu verurteilen, wobei man sich gleichzeitig aber seine Kritikfähigkeit erhalten will. Was Sir Geoffrey 1997 bei einem Symposium in Oxford vor Managern der Mineralölindustrie äußerte, war in dieser Hinsicht ganz unzweideutig: „Amnesty international befürwortet weder Boykotts noch Investitionsstopps und kritisiert auch nicht die Unternehmen, die legitime Geschäfte im Ausland betreiben, unabhängig von der Politik des jeweiligen Landes. Amnesty ist allerdings überzeugt – und wird darin auch von einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit unterstützt –, dass es die Pflicht dieser Firmen ist, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Menschenrechte zu verteidigen und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern.“ Die Strategie hat sich geändert, das Ziel ist dasselbe geblieben.
Nike und Reebok verbessern ihr Image
IN ihrer ersten Phase konnte die Kampagne einen gewissen Erfolg verzeichnen. Unternehmen, deren kommerzieller Erfolg großenteils auf dem Image beruht, das man vor allem einer jungen Klientel nahe bringen will, verstanden das Problem, akzeptierten die Zusammenarbeit und entwickelten gemeinsam mit nichtstaatlichen Organisationen einen Verhaltenskodex, der auch die Achtung vor den individuellen Menschenrechten umfasst. Firmen wie Gap, Nike oder Levi Strauss, die wegen der in ihren ausländischen Produktionsstätten herrschenden Arbeitsbedingungen in die öffentliche Kritik geraten waren, fanden so eine willkommene Gelegenheit, ihr Image ohne allzu großen Kostenaufwand aufzupolieren. Die Ausstattungsfirma Reebok fasste dieses Kalkül in ihrer Broschüre „Produktionsstandards und Menschenrechte“ wie folgt zusammen: „Wenn wir international anerkannte Menschenrechtsstandards in unsere Geschäftspraxis einbringen, so glauben wir, dass dies zur Hebung der Arbeitsmoral beiträgt und die Arbeitsatmosphäre sowie die Produktqualität verbessert.“
Damit war ein wichtiger Schritt getan, und die Zusammenarbeit geht weiter. Doch der Widerstand bleibt nach wie vor ziemlich stark, wie die UN-Menschenrechtsbeauftragte Mary Robinson 1999 feststellen musste: „Manche Geschäftsleute scheinen zu glauben, dass das politische und gesellschaftliche Umfeld der Länder, in denen sie tätig sind, sie nicht betrifft. Das ist kurzsichtig. Denn in den kommenden Jahren wird der Erfolg der Firmen auf nationaler wie internationaler Ebene maßgeblich von ihrer Fähigkeit abhängen, der Herausforderung der Menschenrechte gerecht zu werden.“
Auf die Launen der Geologie ist es zurückzuführen, dass Erdöl im Untergrund der Demokratien stets sehr viel knapper war als in Ländern, in denen die Menschenrechte und die Freiheit mit Füßen getreten werden. Auf das Erdölgeschäft, eine der entscheidenden Antriebskräfte für das weltweite Wirtschaftswachstum, konzentrierte sich in den letzten Jahren die Überzeugungsarbeit von amnesty international und Human Rights Watch. Beide Menschenrechtsorganisationen wollen die Mineralölkonzerne dazu bringen, ihre Unternehmenskultur und ihr Verhalten zu überdenken (wobei die eine mehr auf Zuckerbrot, die andere mehr auf die Peitsche setzt). „Wir waren sehr blauäugig“, sagt Sir Geoffrey, „und unsere Trompeten haben die Bunker der Ölmagnaten nicht zum Einsturz gebracht.“ Was die Barone des schwarzen Goldes schließlich an den Verhandlungstisch brachte, war eine Serie katastrophaler Affären, die ihr Ansehen beeinträchtigte.
Am bekanntesten wurde der Shell-Skandal in Nigeria. Dieses Land ist der wichtigste Erdöllieferant Afrikas, seine Bevölkerung gehört bis heute zu den ärmsten des Kontinents. Die von westlichen Großkonzernen geförderten Ölvorkommen ermöglichen es den tyrannischen Eliten und ihrer korrupten Klientel seit Jahrzehnten, sich zu bereichern und an der Macht zu halten. Als Profiteure eines Systems, das zum größten Teil von Shell kontrolliert wird, brachten es manche Repräsentanten dieser Eliten zu beträchtlichen Vermögenswerten.1
Anfang der Neunzigerjahre wurde das Nigerdelta mit seinen ungeheuren Erdölvorkommen zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen: Auf der einen Seite standen die lokalen ethnischen Minderheiten, die Shell beschuldigten, ihre Umwelt und ihre Kultur zu zerstören, auf der anderen Seite die nigerianischen Sicherheitskräfte, die die Aufgabe hatten, die Förderanlagen zu schützen.
1993 gelang es dem „Movement for the Survival of the Ogoni People“ (Mosop) unter der Leitung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa, zehntausende Menschen gegen den Shell-Konzern zu mobilisieren. Der Fall erregte internationales Aufsehen. Unter dem Druck der Weltöffentlichkeit musste der mächtigste Erdölproduzent der Welt seine Förderung in Nigeria einstellen. Um diese wieder in Gang zu setzen, entschloss sich die Regierung des Generals Sani Abacha zu brutalen Repressionsmaßnahmen. Hunderte Ogoni wurden verhaftet, ins Gefängnis gesteckt oder sogar willkürlich hingerichtet. Zwei Jahre später wurden Saro-Wiwa und acht weitere Aktivisten der Ogoni trotz weltweiter Proteste gehenkt, was weltweit als Riesenskandal empfunden wurde. Inzwischen hat die Firma eingeräumt, man habe 1993 die nigerianischen Sicherheitskräfte „gezwungenermaßen“ bei mindestens einer Gelegenheit direkt bezahlt.2
1998 rückte dann der Ölmulti British Petroleum (BP) in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. BP hatte mit der kolumbianischen Armee vereinbart, dass diese ihre Anlagen in einem Guerilla-Gebiet schützen sollte. Kurz darauf wurde ihre Sicherheitsabteilung – Defense Systems Colombia (DSC) – von Human Rights Watch beschuldigt, Waffen importiert und die für ihre Brutalität berüchtigte kolumbianische Polizei ausgebildet zu haben. Bei der Untersuchung dieser Vorwürfe verweigerte die DSC jede Zusammenarbeit.3
Vor kurzem warf die Zeitschrift Business Week dem Erdölkonzern Mobil Oil „Komplizenschaft“ mit den indonesischen Streitkräften vor, nachdem diese nahe der Mobil-Anlagen in der Provinz Aceh mehrere Massaker begangen hatten. Die Separatisten der Gerakan Aceh Merdeka (Bewegung Freies Aceh) haben 1980 damit begonnen, Anlagen von Mobil anzugreifen. Im selben Jahr wurde das Kriegsrecht verhängt, und seitdem sind die Gerüchte über das Verschwinden von Menschen und Massenexekutionen nicht verstummt. Nach dem Sturz des Suharto-Regimes informierte das indonesische Menschenrechtskomitee 1999 die Öffentlichkeit über ein Dutzend Massengräber mit Hunderten von Leichen, von denen viele gefoltert worden waren. Mobil hat jegliche Verwicklung in diese Angelegenheit bestritten. Doch laut Business Week räumt das Unternehmen immerhin ein, dass man den Soldaten, die mit dem Schutz von Mobil-Anlagen beauftragt waren, Lebensmittel, Treibstoff und Ausrüstung geliefert habe.4 Nach Auskunft einer indonesischen Assoziation nichtstaatlicher Organisationen soll ein Teil des Materials aus diesen Lieferungen zum Ausheben der Gräber benutzt worden sein. Aus der Region Aceh kommt etwa ein Drittel der indonesischen Gas- und Erdölproduktion.
Auch im Sudan erweisen sich Erdöl und Menschenrechte als nicht besonders verträglich. Im Süden des Landes, wo vornehmlich teils christianisierte Schwarze leben, bekämpft das islamischen Regime von Khartoum die Guerilla der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA). Diesem Regime werden nicht nur Gräueltaten und Zwangsumsiedlungen ganzer Bevölkerungsgruppen vorgeworfen, sondern auch die Duldung gewisser Formen von Sklaverei, die in seinem Solde stehende Milizen praktizieren sollen.
Vor diesem Hintergrund hat amnesty international einen Bericht veröffentlicht, in dem die Menschenrechtsorganisation die Auffassung vertritt, dass die meisten ausländischen Erdölgesellschaften „Gewaltakte tolerieren, indem sie einfach wegsehen“.5 Die Liste der Gesellschaften, die im Westen der Oberen Nilregion operieren, ist lang. Man findet hier – wenn auch unterschiedlich stark repräsentiert – die China National Petroleum Corporation (China), Petronas (Malaysia), BP Amoco (anglo-amerikanisch) und Talisman Energy (Kanada), die International Petroleum Corporation (Schweden), Agip (Italien), TotalFinaElf (Frankreich), die Gulf Petroleum Company (Katar), die National Iranian Gas Company (Iran) und Shell (Niederlande). Ende 1999, als es noch keinerlei Anzeichen für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation gab, verkündete der sudanesische Energieminister Awad Ahmed Eljaz, dass ein halbes Dutzend ausländischer Erdölgesellschaften auf die Erteilung neuer Konzessionen warten.
In Birma sind es die französische Gesellschaft Total und ihr amerikanischer Partner Unocal, die sich seit 1996 einer weltweiten Kritik ausgesetzt sehen. Den beiden Firmen, die in Assoziation mit der staatlichen Myanmar Oil & Gas Enterprise (MOGE) die Gasvorkommen von Yadana erschließen und eine Pipeline bauen, wird vorgeworfen, von Menschenrechtsverletzungen profitiert zu haben, die während der Bauarbeiten von birmesischen Militärs in einem Dutzend Dörfern begangen wurden. Nach Erkenntnissen der Internationalen Liga für Menschenrechte (FIDH) und anderer NGOs sind in diesem Gebiet Zwangsumsiedelungen mit Waffengewalt vorgekommen, aber auch Zwangsarbeit und sogar willkürliche Hinrichtungen. Total und Unocal bestreiten, dass sie mit den kritisierten Aktionen unmittelbar zu tun zu haben. Die französische Gesellschaft, die ein Wiederaufbauprogramm für die betroffenen Dörfer durchführte, und ihr amerikanischer Partner behaupten nach wie vor, ihre Präsenz sei für die Bevölkerung ein reiner Segen.
Angesichts der wahren Verhältnisse im Lande klingt diese Schutzbehauptung wenig überzeugend: Das Verhalten der seit 1988 herrschenden Militärjunta wurde wiederholt in Resolutionen der USA, der EU und der UN angeprangert, und mehrere international operierende Konzerne – Heineken, Pepsi Cola, Motorola, Eastman Kodak, aber auch die US-amerikanischen Mineralölgesellschaften Texaco und Atlantic Richfield – haben sich mit Hinweis auf „fehlende demokratische Verhältnisse“ aus Birma zurückgezogen. Inzwischen ist Total nach Einschätzung der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zur „besten Stütze“ des Militärregimes geworden.
In Angola dienen die – höchst profitablen – Einnahmen aus dem Erdölgeschäft der Alimentierung eines nicht enden wollenden Bürgerkriegs, der bereits Hunderttausende von Menschenleben gefordert hat. Nach Schätzungen nichtstaatlicher Organisationen soll von den 900 Millionen Dollar, die internationale Mineralölgesellschaften 1999 für Ausbeutungsrechte bezahlt haben, über die Häfte zur Finanzierung einer der unzähligen Militäroffensiven gegen die angolanische Befreiungsunion (Unita) von Jonas Savimbi verwendet worden sein. Der Rest versickerte im Korruptionssumpf.
1999 beschuldigte die englische Umweltgruppe Global Witness hoch gestellte angolanische Militärs, mit den Tantiemen aus dem Erdölgeschäft von der russischen Unterwelt Waffen zu kaufen und diese dann über Tarnfirmen zu überhöhten Preisen an die Regierung zu verschachern.6 In diesem schonungslosen Bericht wird den Erdölmultis und westlichen Banken zudem vorgeworfen, sie würden in Angola zu Komplizen „einer humanitären Katastrophe“. Etwa zwanzig Mineralölkonzerne – darunter BP (inzwischen fusioniert zu BP-Amoco), Exxon, Gulf und TotalFinaElf – operieren in diesem Land und planen in den kommenden Jahren Investitionen in Milliardenhöhe.
Im Januar 1999 beschuldigte Human Rights Watch den amerikanischen Energiegiganten Enron, er mache sich in Indien zum Komplizen „gravierender Verletzungen“ von Menschenrechten. Das Gasturbinenwerk von Dabhol, zu 50 Prozent in Enron-Besitz, „setzt Sicherheitskräfte ein, die immer wieder prügelnd gegen friedliche Antikraftwerks-Demonstranten vorgehen“, schrieb die Organisation und warf den Regierungen der USA und Indiens vor, sich gegenüber diesen Zuständen blind zu stellen. Das Werk von Darbhol, die größte ausländische Investition in Indien, ist ein Joint-Venture zwischen zwei der größten US-Konzerne – General Electric und Bechtel – und der staatlichen Stromversorgungsbehörde des Staates Maharashtra.
Diese schwarze Liste von Ländern, in denen die Erdölförderung sich großzügig über Menschenrechtsprinzipien hinwegsetzt, lässt sich noch erweitern: durch China und Russland, die Türkei und Saudi-Arabien, den Kaukasus und Zentralasien, wo gewaltige Erdölprojekte im Entstehen sind, oder auch durch Algerien und Pakistan, Libyen, Kongo sowie eine Handvoll weiterer afrikanischer Staaten. In den meisten dokumentierten Fällen geht es um Übergriffe seitens der Sicherheitskräfte, die mit der Bewachung der Mineralölanlagen beauftragt sind. Diese richten sich gegen die ansässige Bevölkerung, die aus unterschiedlichen Motiven – Gefährdung der Umwelt, der Kultur, Nichteinhaltung von Vereinbarungen usw. – Widerstand leistet. Human Rights Watch zufolge bestreiten die meisten Gesellschaften allerdings, von solchen Fakten Kenntnis zu haben. Keine einzige hat gegen Missbräuche, die im Zusammenhang mit ihren geschäftlichen Aktivitäten begangen wurden, öffentlich protestiert. Auch wurden keinerlei Versuche unternommen, die Aktionen der bewaffneten Streitkräfte einzudämmen, die für ihre Brutalität berüchtigt sind.
Die Unternehmen sind also allgemein indifferent und tatenlos geblieben – außer in den Fällen, die von der internationalen Presse aufgegriffen wurden. In zahlreichen Ländern operieren die Erdöl-Multis in einem Klima von Gewalt, gegen die sie sich natürlich schützen müssen. Human Rights Watch betont in diesem Zusammenhang jedoch: „Wenn die Erdölgesellschaften Sicherheitskräfte zu Hilfe holen, um sich zu schützen, steigt auch ihre Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Intervention nicht zu Übergriffen führt.“7
Vertrauen tut gut – Kontrolle ist besser
RICHTIG ist allerdings, dass die Mineralölkonzerne sich ihre Standorte nicht aussuchen können, da ihre Entscheidungen in erster Linie von den geologischen Gegebenheiten abhängen; wohl aber können sie bestimmen, wie sie sich engagieren. Und sie können das Nötige tun, um Schäden zu begrenzen. Amnesty hat für diese Firmen ein ganzes Bündel „vernünftiger Maßnahmen“ ausgearbeitet, die dazu beitragen sollen, dass ihre Operationen die Menschenrechte nicht beeinträchtigen.
Dazu gehört unter anderem, dass die Unternehmen sich intern zu einer Menschenrechtspolitik verpflichten, die explizit die Allgemeine Erklärung von 1948 anerkennt. Ferner soll ein Verhaltenskodex des Unternehmens dafür sorgen, diese Politik im Bewusstsein und in der Praxis zu verankern. Auf externer Ebene geht es darum, Klauseln in die Verträge aufzunehmen, welche die Respektierung der einheimischen Bevölkerung und internationaler Abmachungen garantieren. Die Sicherheitsabkommen sollen öffentlich gemacht werden. In Zonen bewaffneter Konflikte soll auf den Einsatz von Streitkräften, die für ihre Brutalität berüchtigt sind, verzichtet werden. Bei Übergriffen ist bei den Behörden Protest einzulegen, die Gerichte sind anzurufen und die Opfer zu entschädigen. Damit all diese Selbstverpflichtungen keine leeren Versprechungen bleiben, muss dafür gesorgt werden, dass sie auch tatsächlich nachprüfbar sind und dass sich ihr Wahrheitsgehalt ermitteln lässt.
Der Dialog einerseits und die Pressionen andererseits haben bewirkt, dass von Großbritannien aus endlich Bewegung in die Menschenrechtsfrage gekommen ist. Hier nahm die Kampagne ihren Anfang, und von hier waren auch die ersten Resultate zu verzeichnen. Ende der Neunzigerjahre bekannten sich mehrere Konzerne, darunter drei der größten Mineralölgesellschaften – Shell, BP-Amoco und das norwegische Staatsunternehmen Statoil – zu einer neuen Politik, die die Menschenrechte in den Vordergrund stellen würde. Eine Entscheidung, die die Norweger mit einem wahren Glaubensbekenntnis verknüpften: „Wir von Statoil“, erklärte deren Präsident Harald Norvik im August 1998, „vertreten die Auffassung, dass [...] Demokratisierung, Beseitigung der Armut und gesellschaftlicher Fortschritt dringend geboten sind. Die Rechte des Einzelnen zu fördern ist nicht nur eine gute Sache, es entspricht auch den Interessen der Industrie.“
Trotz solcher Beispiele verschanzen sich die meisten Erdölgesellschaften noch immer hinter ihren Schutzbehauptungen der politischen Neutralität und des Pragmatismus. „Solange es kein UN-Embargo gibt wie gegenüber dem Irak, machen wir weiter. Im Übrigen ist es Sache der Politik, hier Verantwortung zu übernehmen“, resümiert einer der Konzerne die allgemeine Haltung der Amerikaner und Franzosen. Die „humanistische“ Position von Shell, BP und Statoil halten selbst ihre nachsichtigsten Konkurrenten für eine Utopie, während andere die „Scheinheiligkeit von Versprechungen“ anprangern, „die zwar spektakulär, aber unmöglich zu halten sind“. Vor allem nicht in einer Periode steigender Erdölpreise. Andererseits wollen die meisten Industrievertreter nicht einen Bruch mit amnesty riskieren, weil ihnen hinreichend klar ist, wie angesehen die Organisation ist und was der Zeitgeist von ihnen verlangt. Das gilt beispielsweise für den Konzern TotalFinaElf, der in einer neu auszuarbeitenden Firmencharta möglicherweise auch die Frage der Menschenrechte thematisieren will.
Die „Kultur der Menschenrechte“ macht auch anderweitig Fortschritte. In Umkehrung des Lieblingsarguments der Konzerne eröffneten amnesty international, das Ashridge Center for Business and Society und das Prince of Wales Business Leaders Forum im April 2000 eine Kampagne zum Thema: „Human rights is the business of business“ (Menschenrechte fallen in den Geschäftsbereich der Unternehmen). In diesem Zusammenhang ergab eine Umfrage bei den 500 weltweit größten Unternehmen, dass 36 Prozent von ihnen beschlossen hatten, aufgrund von Menschenrechtsproblemen ein bestimmtes Investitionsprojekt nicht weiter zu verfolgen, und dass 19 Prozent aus denselben Motiven ihre Investitionen gestoppt und sich aus bestimmten Ländern zurückgezogen hatten.
Diese Ergebnisse lassen sich auf zweierlei Weise interpretieren. Für Geoffrey Chandler „hat die Erhebung gezeigt, in welchem Maße die Menschenrechte, für die Industrie fraglos die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts, ignoriert werden“. Sehr viel optimistischer äußerte sich Andrew Wilson, der Direktor des Ashridge Center, der in der Studie den Beweis sieht, dass die Frage der Grundrechte bei den Managementeliten ein nie dagewesenes Niveau erreicht hat. Freilich stehe man damit erst am Beginn: „Für manche Organisationen ist allein die Tatsache, dass sie soziale und ethische Aspekte bei ihrer Geschäftsstrategie in Rechnung stellen, schon ein bemerkenswerter Fortschritt.“
Die verschiedenen Kampagnen der Menschenrechtsorganisationen haben inzwischen auch auf staatlicher Ebene zu Resultaten geführt: Im Juni 2000 verabschiedeten 30 Industrieländer einen Text der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in dem die Konzerne aufgefordert werden, die Menschenrechte und die Umwelt zu respektieren und die Kinderarbeit abzuschaffen. Doch leider agieren die Regierungen in diesem Punkt oft alles andere als vorbildlich. So kommt es immer wieder vor, dass gerade sie die Menschenrechte auf dem Altar strategischer und kommerzieller Interessen opfern. Die meisten Regierungen – selbst diejenigen, die sich der Achtung von Prinzipien besonders stark verpflichtet fühlen – halten sich mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Korruption zurück, sobald Erdöl mit ins Spiel kommt. 1998 zum Beispiel schwenkte die Regierung der Niederlande – zuvor einer der schärfsten Kritiker Chinas in puncto Freiheitsunterdrückung – auf die Haltung der Europäischen Union ein, die es ablehnte, eine chinakritische Resolution der UN-Menschenrechtskommission zu unterstützen. Kurz darauf erhielt die Royal Dutch Shell von der Regierung in Peking den Zuschlag für das größte Investitionsvorhaben (4,5 Milliarden Dollar), das je mit einer ausländischen Gruppe vereinbart wurde. 1997 war das geplante Abkommen noch annulliert worden – aber damals hatte die niederländische Regierung, abweichend von der Linie der Europäischen Union, noch eine Resolution über die Menschenrechte in China unterstützt.
dt. Matthias Wolf
* Journalist