15.12.2000

Die Wüste kommt

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Die Wüste kommt

Von PIERRE ROGNON *

DIE 1997 in Kioto unterzeichneten Vereinbarungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen haben nicht viel Wirkung gezeigt. Und nach dem Scheitern der Haager Klimakonferenz liegen die unterschiedlichen Interessen zwischen Europa und den USA offen zutage. Die weiterhin ungebremste Klimaerwärmung wird unter anderem die Versteppung vorantreiben. Doch die von der Konvention zum Kampf gegen die Wüstenbildung initiierten Programme bleiben halbherzig oder ersticken an ihrem Verwaltungsaufwand.

Die große ökologische Krise der Versteppung, die seit nun schon beinahe zwanzig Jahren den Sahel heimsucht, ist für die betroffene Bevölkerung mit katastrophalen Folgen verbunden und hat in der Öffentlichkeit für beträchtliches Aufsehen gesorgt. Seit 1968 wurden von allen Seiten wissenschaftliche Programme für die so genannten Trockenzonen gefordert; zuvor hatte es solche Programme praktisch nicht gegeben. Das Phänomen weckte ein äußerst reges Forschungsinteresse, was sich in hunderten von Veröffentlichungen, Büchern und Artikeln niederschlug. Als es dann aber um die Anwendung der noch in den Kinderschuhen steckenden Theorien ging, lieferten die Wissenschaftler sehr unterschiedliche, zuweilen sogar widersprüchliche Lösungsansätze, insbesondere auf den beiden Konferenzen der Vereinten Nationen über die Versteppung (Uncod), die 1977 und 1981 in Nairobi abgehalten wurden.1

Die Meinungsverschiedenheiten fingen schon bei der Definition des Begriffs „Versteppung“ an. Man stritt sich aber auch über die zugrunde liegenden Mechanismen, ihre klimatischen wie sozioökonomischen und in zunehmendem Maße demografischen Ursachen sowie über Ausmaß und weitere Entwicklung der Katastrophe. Es gab Wissenschaftler, die die Welt aufrütteln und die internationale Solidarität mobilisieren wollten und so weit gingen, eine irreversible Ausdehnung der Wüste um jährlich mehr als fünf Kilometer zu prognostizierten. Und es konnte keine Einigkeit erzielt werden über Strategien und staatliche Großprojekte wie etwa die „grünen Gürtel“, die ohne entsprechende Untersuchungen angelegt werden sollten.

Angesichts des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der Hungersnot in der Sahelzone wurde der größte Teil der von den internationalen Organisationen bereitgestellten Dollarmilliarden für die direkte materielle Hilfe verwendet. Nur etwas weniger als 10 Prozent wurden in Projekte zur Problembekämpfung bzw. in langfristige Studien investiert. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) hat zur Vergabe dieser Kredite jedes der betroffenen Länder mit der Erstellung eines nationalen Aktionsplans beauftragt. Die meisten dieser Länder, die erst vor zwei oder drei Jahrzehnten ihre Unabhängigkeit erlangt haben, waren, mit Ausnahme von Tunesien (1985) und Mali (1987), nicht imstande, ein solches Dokument zu erarbeiten. Ihre Bemühungen erbrachten nur inkohärente, unrealistische Vorschläge ohne konkrete Finanzplanung.

Negativere Auswirkungen hatte allerdings die wachsende Anzahl internationaler Organisationen und Forschungseinrichtungen, die mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung der Versteppung zu tun haben, sowie die damit einhergehende rapide Zunahme von Koordinationstreffen, Gutachten, Empfehlungen und Berichten. Diese vorbereitenden Aktivitäten haben den Löwenanteil der bereitgestellten Mittel verschlungen, noch bevor überhaupt irgendeine konkrete Aktion begonnen war. 1991 bestätigte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in einem Bericht, dass die Bemühungen fehlgeschlagen seien und die Versteppung fortschreite. Im Mai 1992 wurde auf Initiative Frankreichs die Beobachtungsstelle für die Sahara und den Sahel gegründet. Ihre Aufgabe sollte die Dokumentation der fortschreitenden Versteppung sein. Von dem ohnehin mehr als knappen Budget wurde das meiste Geld für die Beobachtung und eben nicht für Programme zur Bekämpfung des Problems ausgegeben.

Zu den drei Aktionsplänen, die 1992 auf dem Umweltgipfel von Rio zum weltweiten Schutz der Umwelt verabschiedet wurden, gehörte die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung (CCD).2 Um weltweit agieren zu können, hat die CCD ihren Zuständigkeitsbereich auf die Gesamtheit der von Versteppung bedrohten Länder ausgeweitet – einschließlich der europäischen Mittelmeerregion. Freilich steht die Situation in Afrika an erster Stelle. Während es schon in der Sahelkrise der Siebzigerjahre schwierig war, Prioritäten zu setzen, haben wir es heute mit einer geografischen Vielfalt zu tun, die unterschiedliche Bekämpfungsstrategien erforderlich macht.

Wie also soll eine für alle 170 vertretenen Länder annehmbare Strategie aussehen, eine Strategie, die darüber hinaus auch von den Geberländern akzeptiert würde, denn diese kennen natürlich die wissenschaftlichen Schwachstellen der Konvention? An solchen Schwierigkeiten lag es dann auch, dass die Konvention als letzte, erst im Juni 1994, und nur unter großen Vorbehalten und nach langem Zögern angenommen wurde.

Im Rahmen der Rio-Folgekonferenzen werden regelmäßige Treffen abgehalten, auf denen Experten globale Aktionspläne propagieren, etwa zur Bekämpfung des Treibhauseffektes, gegen den Abbau der Ozonschicht, zur Bewahrung der Artenvielfalt etc. In der Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung bekommt die Versammlung der Mitgliedstaaten die nationalen Aktionspläne vorgelegt. Diese entscheidet dann, welche Projekte finanziert werden.

Hier hat sich die Strategie im Vergleich zu früher insofern verändert, als es in den Siebziger- und Achtzigerjahren galt, Hungersnöte zu bekämpfen und den ökonomischen Zusammenbruch der Sahelländer zu verhindern, während man seit den Neunzigerjahren eine langfristige Perspektive vorzieht, die auf dem Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ basiert.

Da die nachhaltige Entwicklung alle Lebensaspekte eines Landes umfasst, spielen die politischen Erwägungen im Rahmen dieser Konvention eine beträchtliche Rolle. Und ob es den Anhängern unterschiedlicher Richtungen nun gefällt oder nicht: ein besonders rasches Bevölkerungswachstum im Nahen Osten, im Maghreb oder in Mexiko begünstigt auf lange Sicht die Versteppung.

Entwicklungshilfe wird von den Industriestaaten mittlerweile nicht mehr groß geschrieben. In Rio auf 0,7 Prozent des BIP festgesetzt, ist sie inzwischen wieder gesunken – in Frankreich von 0,64 Prozent (1994) auf 0,38 Prozent (1999), in Deutschland beträgt sie gegenwärtig 0,28 Prozent und in den USA ganze 0,1 Prozent. Die äußeren Umstände erweisen sich also als ausgesprochen ungünstig.

Die Millenniumskonferenz im September 2000 hat ein breit angelegtes Programm zur Bekämpfung der größten Armut durch die Vereinten Nationen mit Unterstützung der Weltbank in Aussicht gestellt. Im Rahmen einer solchen Initiative könnte es möglich werden, die Durchführung von Entwicklungsprogrammen, die gegen die fortschreitende Umweltzerstörung und eine weitere Einkommensverringerung der betroffenen Bevölkerung angehen, in einer Institution zu bündeln. Diese würde auch die Aufgaben der CCD übernehmen, d. h. die Projekte evaluieren und die Geldmittel der Geberländer verwalten – Aufgaben, die bei der Konvention von Rio nicht bedacht worden waren. Die CCD könnte sich somit der Suche nach globalen Lösungen von Umweltproblemen widmen und den Zielen der Nachfolgekonferenzen von Kioto und Den Haag zum Erfolg verhelfen.

Im Unterschied zur CCD, für die politische Imperative vor wissenschaftlichen Erkenntnissen rangieren, wurden die Konventionen zum Klima- und Artenschutz unter dem Druck der Wissenschaftler ausgearbeitet, nachdem diese vor dem Gipfel von Rio die internationale Öffentlichkeit alarmiert hatten. Das Comittee on Science and Technology (CST), das an der Entstehung der Konvention über die Wüstenbildung maßgeblich beteiligt war, ist dagegen unmittelbar an die Weisungen der übergeordneten politischen Instanz, nämlich der Versammlung der Mitgliedstaaten, gebunden. Diese ernennt die etwa 200 Experten des CST, die eher als Landesvertreter fungieren denn als spezialisierte Wissenschaftler. Auf den kurzen Jahressitzungen äußern sie ihre Einschätzungen zu den von der Konferenz erörterten Fragen. Die Hauptarbeit erledigen allerdings die jeweiligen Expertenkomitees, auf die sich die Mitgliedstaaten verständigen.

Seit 1996 wurden auf den drei Folgekonferenzen und auf zahlreichen Expertentreffen die Indikatoren der Versteppung (1997), eine Bestandsaufnahme des traditionellen Wissens (1998) und Methoden zur Frühwarnung (1999) erörtert. Obwohl diese Themen allesamt von Interesse sind, lässt sich doch einiges einwenden: Die Feststellung des Status quo in Sachen Versteppung begnügt sich mit einer rein passiven Beobachterrolle. Das traditionelle Wissen bezieht sich vorrangig auf die Suche nach lokal begrenzten, selten auf andere Länder übertragbare Lösungen. Und mit Hilfe von Frühwarnsystemen lassen sich drohende Trockenperioden oder Versteppung eben einige Monate oder Jahre im Voraus ankündigen.

Verblüffend ist die Doppelzüngigkeit der CCD allemal. Wenn es darum geht, die Kreditgeber zur Finanzierung der nationalen Aktionspläne zu bewegen, spielt sie die Gefahren der Versteppung dramatisch hoch; sobald es aber darum geht, Prioritäten zu setzen und konkrete Mittel dafür bereitzustellen, stellt sie sich taub. In den Weltregionen mit großer Trockenheit, die lange nicht so gut erforscht sind wie die Feuchtgebiete, herrscht ein dringender Bedarf an innovativen Lösungen, die sich den rapiden Fortschritt in allen Wissensdisziplinen zunutze machen müssen.

Um nur ein Beispiel aus vielen herauszugreifen: Alle von der Versteppung bedrohten Länder müssen Bewässerung und Trinkwasserproduktion steigern, um erstens die Bodenerosion einzudämmen und zweitens dem dramatischen Bevölkerungswachstum – wie in den Städten des Maghreb, im Nahen Osten oder in der Sahelzone – gewachsen zu sein.3 Einigkeit besteht in allen Vorhersagen, dass im Lauf der nächsten zehn Jahre die Entwicklung neuer Techniken der Wassergewinnung und -nutzung unbedingt erforderlich ist.

Falls die Forscher in einem realistischen Zeitrahmen von einigen Jahren und mit ausreichendem Budget arbeiten können, werden sich auch Lösungen abzeichnen: billigere Methoden der Meerwasserentsalzung; die Lagerung großer Wasservorräte bei minimierter Verdunstung durch Wiederauffüllung der Grundwasservorräte, eine Technik, die in gemäßigten Klimazonen entwickelt wurde; eine effizientere Ausnutzung der Niederschläge durch die Entwicklung von Techniken zur Erzeugung von künstlichem Regen etc.4

Das letztgenannte Ziel wurde als einziges in der 1994 verabschiedeten Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung namentlich angeführt (cloud-seeding, Artikel 17,1g). Gegenwärtig werden – mit bescheidenen Mitteln – in Südafrika und Mexiko durchaus viel versprechende Untersuchungen in diesem Bereich angestellt. Um Politiker und Geldgeber zur Finanzierung dieses Programmes zu motivieren, hätte die CCD Wissenschaftler und Medien mobilisieren müssen, wie dies bei der Klimakonvention der Fall war, als eine Senkung der CO2-, Methan- und FCKW- Emissionen beschlossen wurde.

Dass die Öffentlichkeit nicht mehr viel Interesse für eine Politik aufbringt, die bislang zur Bekämpfung der Versteppung wenig beigetragen hat, und dass in den Medien von der Jahresversammlung der CCD kaum die Rede war – wer will sich darüber noch wundern. Bedauerlich ist diese Interesselosigkeit gleichwohl, schließlich ist die Versteppung in den letzten Jahrzehnten nicht zum Stillstand gekommen. Sie wird sich vielmehr in den nächsten Jahren weiter verschlimmern, denn noch bis zum Jahr 2030 wird die Weltbevölkerung zunehmen, und die Erwärmung der Erdatmosphäre wird aller Voraussicht nach vor allem in den tropischen Wüstengebieten und im südlichen Mittelmeerraum sehr lange und häufige Trockenperioden verursachen.

dt. Andrea Marenzeller

* Professor an der Université Pierre et Marie Curie, Paris VI.

Fußnoten: 1 Zur Vorgeschichte der Konferenz von Rio (1992) siehe die detaillierten Informationen in David S. Thomas und Nicholas J. Middleton, „Desertification: Exploding the Myth“, Chichester (J. Wiley) 1994. 2 Der offizielle Text der Konvention wurde in der United Nations Convention to combat desertification (UNCCD) veröffentlicht, Genf 1995, S. 71. Die CCD hat ihren Sitz in Bonn und liefert unter der Netzadresse www.unccd.int aktuelle Informationen zum Thema. 3 Vgl. den Bericht der Weltbank, „From Scarcity to Security. Averting a Water Crisis in the Middle East and North Africa (1995)“, Weltbank, Washington, Dezember 1995. 4 Vgl. Pierre Rognon: „Pourra-t-on faire face à la pénurie d’eau dans les pays en voie de désertification?“ Beitrag zur Unesco-Konferenz „Water: a loming crisis?“, Paris, Juni 1998, S 363-366.

Le Monde diplomatique vom 15.12.2000, von PIERRE ROGNON