15.12.2000

Jeder Fünfte ist infiziert

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Jeder Fünfte ist infiziert

Von DOMINIQUE FROMMEL *

NEUNZEHN Millionen Tote, 13 Millionen Waisen und 35 Millionen mit dem Immunschwächevirus HIV lebende Männer und Frauen, Jugendliche und Kinder, das ist der erdrückende Tribut, den die Aidskrankheit in den letzten zwanzig Jahren gefordert hat. Nach wie vor ist das südliche Afrika besonders betroffen. Und anders als in den westlichen Industriestaaten, wo sehr viel Geld für allgemeine Grundlagenforschung und aufwendige Therapien ausgegeben werden kann, ist der Teufelskreis von Armut, Ansteckung und Ausbruch der tödlichen Krankheit hier kaum zu durchbrechen.

Seit jeher erleben die Menschen große Epidemien als von außen hereinbrechende Aggression. Aids bildet hier keine Ausnahme. Noch bevor Afrika als „Wiege“ der Krankheit erkannt wurde und manche Länder Einreisevisa nur noch an negativ Getestete ausgaben, hatte man in den Vereinigten Staaten die Haitianer als besondere Risikogruppe stigmatisiert. In der Dritten Welt, wo Aidsfälle anfangs geleugnet worden waren, kursierten unterschiedliche Versionen für die Entstehung der Krankheit: Zunächst hieß es, der Virus sei aus einem US-amerikanischen Forschungslabor entwichen und solle die autochthone Bevölkerung dezimieren. Als die Tragödie dann ihren Lauf nahm, stand das südliche Afrika als prädestiniertes Opfer da. Auch in Indien wurden die Gefahren von HIV über Jahre hinweg verharmlost.

Erst nach der explosionsartigen Ausbreitung von Aids in den Vereinigten Staaten begann man, die Krankheit weltweit zu erforschen und ihre Verbreitung zu ermitteln. Dabei stellte sich heraus, dass die Lage in Afrika südlich der Sahara besonders dramatisch war. Hier waren Männer wie Frauen gleichermaßen betroffen, in den Städten waren über zehn Prozent der wirtschaftlich und sexuell aktiven Altersgruppe (15 bis 49 Jahre) HIV-positiv.1 Da unter den älteren Menschen praktisch keine Aidsinfizierungen nachgewiesen werden konnten, lag der Schluss nahe, dass sich der Virus in jüngster Zeit ausgebreitet haben musste.

Angesichts dieser alarmierenden Erkenntnisse wurde 1985 eine konzertierte internationale Hilfsaktion eingeleitet. Unter Aufsicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden im nationalen Rahmen Programme zur Bekämpfung von Aids aufgelegt, die sämtliche Aktivitäten im Zusammenhang mit der Krankheit abstimmen sollten. Unter dem immensen Handlungsdruck wurden diese Programme meist jedoch nicht in die allgemeine Gesundheitsverwaltung integriert, sondern direkt den Gesundheitsministerien unterstellt. Die Aktivitäten liefen also weitgehend an den nationalen Gesundheitssystemen vorbei.

Anfangs konzentrierte sich die Tätigkeit der WHO-Programme unter Anleitung ausländischer Fachkräfte auf die Epidemiologie2 , auf sichere Blutkonserven und auf Kampagnen zur Aidsprävention mithilfe des nach westlichen Kriterien entwickelten Modells „Information – Aufklärung – Kommunikation“ der WHO. Die im Rahmen dieser Programme durchgeführten Untersuchungen bestätigten rasch, dass HIV in Afrika und Asien hauptsächlich durch heterosexuelle Kontakte übertragen wird. Überdies zeigte sich, dass die weit verbreiteten und oft verharmlosten Geschlechtskrankheiten das Ansteckungsrisiko deutlich erhöhen.

Die Vorbeugemaßnahmen richteten sich vor allem an die so genannten Risikogruppen: Prostituierte (aber nicht ihre Kunden), Patienten, die wegen Geschlechtskrankheiten behandelt wurden, Fernfahrer und in Asien auch Drogensüchtige.3 Dieses Vorgehen konnte jedoch die weiteren Ausbreitung der Epidemie in den Bevölkerungsgruppen mit hohem Infektionsrisiko nicht eindämmen. Vielmehr wurde Aids zunehmend als anrüchige Geschlechtskrankheit tabuisiert und in die Privatsphäre verdrängt. Ein kollektives Bewusstsein über die Gefahren von HIV und Aids konnte so nicht entstehen.

Im Rahmen der internationalen Mobilisierung waren es die Fachleute aus dem Norden, die über die Einsatzziele entschieden, Informationen sammelten und die Ergebnisse auswerteten. Das verleitete die Institutionen vor Ort lange Zeit dazu, in Untätigkeit zu verharren. Sie sahen in der Epidemie nicht etwa ein schwer wiegendes Problem der öffentlichen Gesundheit, das die aktive Beteiligung der politischen Kräfte erfordert, sondern ein höchst komplexes medizinisches Problem, das nicht ohne Hilfe von außen zu bewältigen ist.

Der Einfluss westlicher Wissenschaftler unterlief die Legitimität der nationalen Partner und stellte ihre Arbeitsweise in Frage – was im Endeffekt zur Unentschlossenheit der politisch Verantwortlichen beitrug und ihre Neigung zu Ausflüchten unterstützte.

Zu den vermeidbaren und heilbaren Dauerübeln wie Malaria, Masern, Mangelernährung, Tuberkulose, Durchfallerkrankungen, Mutter- und Kindersterblichkeit kam dann auch das weitere Unheil der Strukturanpassungsprogramme hinzu, die einschneidende Folgen für die Gesundheitsbudgets hatten. Damit wurde jede Gesundheitsreform verkrüppelt, die auf die Befriedigung von Grundbedürfnissen, auf die Verhütung von HIV-Infektionen und die Betreuung von Aidskranken ausgerichtet war.4

Zwar entstanden auch in den Ländern des Südens zahlreiche Initiativen und Verbände. Doch gelang es ihnen nicht, einen ähnlichen Einfluss auf die Gesundheitspolitik auszuüben und insbesondere die heikle, mit Sexualität und Blut verbundene Thematik anzusprechen wie vergleichbare Gruppierungen im Norden, deren Druck die dortige Gesundheitspolitik stark verändert hatte. Obwohl viele verschiedene Akteure beteiligt waren und beträchtliche Summen für Informationskampagnen aufgebracht wurden, obwohl zwischen dem Personal des Gesundheitswesens, den Verbänden und den Oberhäuptern der Glaubensgemeinschaften vielfältige Beziehungen geknüpft wurden, konnte das Schweigen nicht gebrochen werden. Die allgemeine, öffentliche Diskussion über Aids fand nicht statt.

Dass die gesundheitlichen Aspekte des Kampfs gegen Aids in den Ländern des Südens von Wissenschaftlern der reichen Länder vereinnahmt wurden, passte durchaus in das vom Westen propagierte Solidaritätsprinzip. Als die Epidemiologen einen Zusammenhang zwischen prekären sozialen Verhältnissen und der Ausbreitung von HIV nachweisen konnten, rüttelten sie an den Gewissheiten des UN-Aidskonsortiums, das aus den zuständigen Organisationen und Abteilungen von UNO und Weltbank besteht. Die Erkenntnis, dass der biomedizinische Ansatz allein zur Bewältigung des Aids-Problems nicht ausreicht, stellte für die Chefstrategen, die von New York und Genf aus die Krankheit einzudämmen versuchten, eine Herausforderung dar. Um keinen Preis wollten sie von den Ländern des Südens mit den Folgen dieses Irrtums konfrontiert werden, die mittlerweile dramatische Ausmaße annahmen. Um für Entlastung zu sorgen, wurden weitere Faktoren beleuchtet: Die beobachteten Schwächen beruhten demnach auf Unkenntnis über das Sexualverhalten der Bevölkerung des Südens, das aufgrund kultureller Voraussetzungen verzerrt wahrgenommen worden sei.

Daraufhin wurden die Programme um einen neuen Bereich ausgeweitet, der die Verhaltensweisen der Menschen unter die Lupe nehmen sollte. Auch hier blieb den Forschern des Südens nichts anderes übrig, als sich ausländischen Projektbeauftragten unterzuordnen. Diese Untersuchungen weisen allerdings noch mehr Unwägbarkeiten auf als der biomedizinische Ansatz. Denn einerseits verletzt es das individuelle Schamgefühl der Menschen und ihre kollektive Selbstwahrnehmung, wenn jemand in ihre Privatsphäre und ihr Intimleben eindringt, andererseits kommen die Einsichten der Sozioanthropologen den Politikern und institutionellen Entscheidungsträgern häufig ungelegen. Zudem bleibt fraglich, ob wirklich zuerst die vielfältigen psychologischen, psychosozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren des Sexualverhaltens entschlüsselt sein müssen, bevor Verhaltensänderungen vorgeschlagen werden, die eine HIV-Ansteckung verhindern könnten.

Vielleicht haben die Sozioanthropologen ja vergessen, dass gegenwärtig in den Ländern der Dritten Welt ein – durchaus auch mit Sexualität und Blut zusammenhängender – Geburtenrückgang zu verzeichnen ist, eine Entwicklung, die ganz ohne groß angelegte Umfragen und Untersuchungen vonstatten geht und die vor allem aus der verbesserten Bildungslage und Gesundheitsversorgung erwächst.

Über Sexualität wird nicht geredet

WIE die Erfahrungen, die WHO und Unicef auf dem Gebiet der menschlichen Reproduktion gesammelt haben, werden wohl auch die Forschungsarbeiten von UNAIDS gesicherte Ergebnisse hervorbringen, mit deren Hilfe wir Einblick in die Vielfältigkeit der menschlichen Sexualität gewinnen können.

Offen bleibt dennoch, ob diese Informationen dazu beitragen, genauer herauszufinden, wann und warum sich Männer und Frauen entschließen, angesichts der Gefahren von HIV und Aids ihre Einstellung und ihre Sexualverhalten zu verändern. Werden diese Informationen womöglich doch nur zu überflüssigen Kontroversen führen, die das Ausmaß der sozialen und wirtschaftlichen Faktoren verschleiern, durch die ein verändertes Verhalten verhindert wird?5

Führt man sich vor Augen, mit welcher Zurückhaltung Menschen im Westen – bei aller Vertrautheit mit psychoanalytischen Kategorien – über ihre Sexualität sprechen, lässt sich ermessen, wie kompliziert es ist, die sexuellen Beziehungen in den WTO-Aufklärungskampagnen zu thematisieren. Wenn schon die gewöhnlichen Aussagen der Kampagnen mit ihrer weitgehend medizinischen Argumentation von der Bevölkerung kaum aufgegriffen, verstanden und diskutiert werden, ist zu befürchten, dass der emotionale Zündstoff der Sexualität eine wirkliche Diskussion über Aids in der Bevölkerung unwahrscheinlich macht.

Das südliche Afrika hat die rasanteste Zunahme von HIV und Aids zu verzeichnen. Da die Aufklärungsprogramme offenbar an den benachteiligten Bevölkerungsgruppen vorbeigehen, sah sich der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki 1999 veranlasst, einen Runden Tisch einzuberufen, an dem unterschiedliche Experten neue Grundlagen für den Kampf gegen Aids in der Dritten Welt definieren sollen (siehe Artikel von Anatole Ayissi, Seite 5). Bleibt zu hoffen, dass die Medienberichterstattung über die zahlreichen Kontroversen, die diese Initiative ausgelöst hat, das Eis brechen wird – damit endlich die Opfer und ihre Angehörigen zu Wort kommen und damit Aids nicht länger nur als eine Angelegenheit der anderen betrachtet wird.6

Eine wesentliche Voraussetzung, um die vom HI-Virus bedrohten Bevölkerungsgruppen aufzurütteln, ist tatsächlich das offene, vorurteilsfreie Gespräch mit den Angehörigen. Außerdem müssten die Frauen gegen die ungleichen Geschlechternormen aufbegehren (insbesondere gegen ihre schwache Position bei der Entscheidung, ob sie Geschlechtsverkehr akzeptieren), den vorzeitigen Schulabbruch von Mädchen anprangern, die Erwähnung ihrer Rechte als reine Beschwörungsformel qualifizieren, solange auch die revidierten Unterrichtsmaterialien weiterhin vom Männlichkeitskult geprägt sind. Die Jugendlichen dürften nicht länger über den Slogan „Mir kann Aids nichts anhaben“ spotten, weil für sie die mit der Sexualität verbundene Gefahr nur eine unter vielen ist. Und die Verantwortlichen der Aids-programme schließlich müssten die Krankheit nicht mehr nur mit angelernten Begriffen und aus vorgegebenen Blickwinkeln betrachten, sondern ihre eigene Sichtweise entwickeln. Nur offene, erfolgreiche Gespräche können den Boden bereiten für Initiativen, die unmittelbar am Leben der Menschen anknüpfen. Im Kampf gegen HIV und Aids sind solche Initiativen wirksamer als der Einsatz neuer Medikamente, wie etwa antiretroviraler Therapien.

Viele Organisationen, die sich für die Kranken einsetzen, verurteilen zu Recht die horrenden Preise der Aktivbehandlungen gegen Aids, die im Norden angewandt werden und für die Betroffenen im Süden unerschwinglich sind. Sie fordern das Recht auf Behandlung für alle, mit allen vorhandenen Mitteln und werfen den Anhängern der auf Aidsprävention setzenden Strategien vor, eine „eigennützige und aussichtslose Politik“ zu verfolgen.7

Vor diesem Hintergrund gestaltet sich die Aufgabe von Ärzten in ländlichen Gesundheitszentren ausgesprochen schwierig. Zwar wissen sie, dass eine solche Epidemie nicht allein durch Medikamente unter Kontrolle gebracht werden kann, aber ihnen ist auch klar, dass sie die Menschen kaum zu Beratungen und Aidstests – den Kernpunkten jeder HIV-Prävention – bewegen werden, solange sie keine Behandlung anbieten können. Jedenfalls müssen im Falle von Aids die im Kampf gegen die Tuberkulose gesammelten Erfahrungen berücksichtigt werden. Obwohl es sich hier um eine heilbare Krankheit handelt, deren Therapieschritte klar dokumentiert sind, gibt es noch keine qualifizierte und zuverlässige Behandlung mit Antikörpern. Zum einen ist es nötig, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass sie in weniger als einem Jahr geheilt werden können, sofern sie sich streng an die ärztlichen Anweisungen halten. Dennoch setzen zahllose Patienten nach ein paar Wochen, wenn sie sich besser fühlen, die Behandlung ab und erleiden einen Rückfall, mit dem sie sich und ihre Umgebung gefährden. Zum anderen ist es für die Mitarbeiter in den Gesundheitsdiensten ein großes Problem, dass bei ständig zunehmenden Erkrankungen die Arzneimittelvorräte immer knapper werden.8

Ähnliche praktische Schwierigkeiten stehen auch einer Einführung der gezielten Aidstherapie im Wege. Nur wenige städtische Gesundheitszentren verfügen über Personal, das in Sachen Krankenbetreuung und im Umgang mit familiären und sozialen Problemen ausreichend geschult ist. Es fehlt auch an der Infrastruktur für die regelmäßig notwendigen Kontrolluntersuchungen, ohne die diese invasive Therapie mit ihren häufigen unerwünschten Nebenwirkungen nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Auf dem Lande sind solche Mittel allerdings erst gar nicht verfügbar. Angesichts dieser Realität ist der Einsatz von Medikamenten gegen HIV verfrüht. Eine nicht richtig befolgte oder unterbrochene medikamentöse Behandlung nützt den Patienten wenig und erhöht das Risiko des Auftretens der gefürchteten resistenten HIV-Stämme. Antiretrovirale Medikamente werden gegenwärtig vor allem zur Verhinderung der HIV-Übertragung von der Mutter auf das Neugeborene eingesetzt. Man verabreicht sie für eine begrenzte Zeit, und die Kosten dafür liegen im Bereich üblicher Impfungen.

Anlass zu Hoffnung gibt die erfolgreiche Einbindung von Vorbeugemaßnahmen in Krankenpflegeprogramme. So konnte in Uganda durch die individuelle Information, das starke Engagement des Staatschefs und die langfristige Mitarbeit einiger Minister die Zahl der HIV-Infizierungen innerhalb von fünf Jahren fast halbiert werden. Unabhängig vom wohl wollenden Druck aus dem Ausland ist es dringend geboten, sich nicht von verführerischen kurzfristigen Erfolgsaussichten blenden zu lassen (indem man beispielsweise nur auf den lebenslangen Einsatz antiretroviraler Medikamente setzt), das in der Aidsprävention tätige Personal besser zu schulen, die Arbeitsinstrumente zu verbessern und die gesamte Bevölkerung zu erreichen.

Was die öffentliche Diskussion betrifft, so kann hier das Personal der Gesundheitsdienste, das ja das Vertrauen der Bevölkerung in die ohnehin mangelhafte Gesundheitsversorgung aufrechterhalten soll, nicht besonders viel ausrichten. „Brechen wir das Schweigen“ lautete denn auch das Motto der 13. Internationalen Aidskonferenz, die im Juli 2000 in Durban, Südafrika, abgehalten wurde. Ein ehrgeiziges Motto – ob es auch „ansteckend“ werden kann, wird man abwarten müssen. Es genügt heute nicht mehr, das mangelnde Engagement der Regierungen der Länder des Südens und die eher rhetorischen denn konkreten Aktivitäten der UN-Behörden anzuprangern. Die über Asien und Osteuropa schwebende tödliche Gefahr kann Ende des Jahres 2000 nicht mehr so einfach übergangen werden, wie dies 1990 angesichts der alarmierenden Prognosen über die Verbreitung von Aids in Afrika geschehen ist.

Jenseits aller kulturellen und wissenschaftlichen Partikularinteressen, die weltweit den Kampf gegen HIV erschweren, gilt es, Aids als Symbol des ökonomischen Ungleichgewichts in der Welt ernst zu nehmen. Die Chance, ein eindeutiges Zeichen in diese Richtung zu setzen, hat der UNO-Sicherheitsrat am 20. Januar 2000 verpasst. Aids ist eine Tragödie für all jene Menschen, deren persönliche Rechte mit Füßen getreten werden und die besonders gefährdet sind, sich mit HIV zu infizieren. Erst die kleinkarierte Haltung der Finanzmächte im Norden und Süden hat Aids zu einem solchen Skandal werden lassen.9

Zur Ausrottung von HIV, das für die Entstehung von Aids verantwortlich ist, gibt es nur einen Ausweg: die Impfung. Die Wissenschaft hat endlich Fortschritte in dieser Richtung gemacht. Der ab 2007 vorgesehene Einsatz des Impfstoffes macht verstärkte Anstrengungen im Bereich der Finanzierung, Aufklärung und Information erforderlich, also zunächst einmal Diskussionen über diese Fragen. Die Prädisposition für Aids und ähnliche Krankheiten kann nur dann wirklich überwunden werden, wenn die soziale Bewegung ein großes Stück vorankommt. Vor allem aber darf der ungleiche Zugang zu allen und gerade zu den medizinischen Ressourcen kein Tabu mehr bleiben.

dt. Birgit Althaler

* Arzt, Forscher am staatlichen französischen Institut national de la santé et de la recherche médicale.

Fußnoten: 1 Im südlichen Afrika hat der Ausbreitungsgrad 1999 die 20-Prozent-Grenze überschritten. 2 Die Epidemiologie ist die Wissenschaft vom Auftreten, der Verbreitung und den Determinanten des Gesundheits- und Krankheitszustandes einer Bevölkerung. Die moderne Epidemiologie bemüht sich um die Erforschung der Ursachen von Gesundheitszuständen, einschließlich ihrer sozioökonomischen Bedingungen. Siehe Didier Fassin, „Entre politiques du vivant et politiques de la vie. Pour une anthropologie de la santé“. Anthropologie et Sociétés, Quebec, Januar 2000. 3 Die Lage im frankophonen Afrika untersucht Marc-Eric Gruénais, Karine Delaunay, Fred Eboko, Eric Gauvry, „Le sida en Afrique, un objet politique“. Bulletin de l‘APAD (Association euro-africaine pour l’anthropologie du changement social et du développement, D-55099 Mainz) 1999, Bd. 17. Siehe auch: Jean-Pierre Dozon und Didier Fassin, „Raisons épidémiologiques et raisons d‘Etat. Les enjeux sociopolitiques du sida en Afrique“. Sciences sociales et santé, Februar 1989. 4 Josef Decosas, „Fighting AIDS or responding to the epidemic“. The Lancet, Mai 1994, und Dave Haran, „Africa: do health reforms recognise challenge of HIV“. The Lancet, Juni 1997, Beilage III. 5 Basil Donovan, Michael W. Ross, „Preventing AIDS: determinants of sexual behaviour“. The Lancet, 27. Mai 2000. 6 Siehe Martine Bulard, „Nachrichten vom biologisch-medizinischen Komplex“, Le Monde diplomatique, Januar 2000. 7 „De quelle guerre parle-t-on?“, Act Up-Paris, Le Monde, 29. Januar 2000. 8 Jährlich werden acht Millionen neue Tuberkulosefälle (bei zwei Millionen Todesfällen) gemeldet. 9 Die afrikanischen Regierungen haben 1998 sechs Milliarden Dollar für Rüstungskäufe und 15 Millionen Dollar für die Bekämpfung von Aids ausgegeben. Im selben Jahr belief sich die offizielle Hilfe für Programme zur Aidsbekämpfung in den Ländern des Südens auf 160 Millionen Dollar.

Le Monde diplomatique vom 15.12.2000, von DOMINIQUE FROMMEL