Zum Samba brauchtes immer zwei
UM in Zukunft gezielter gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorzugehen, haben sich Mitte Dezember 2000 im sizilianischen Palermo Delegationen aus 154 Ländern zu einer viertägigen UNO-Konferenz versammelt. Vielerorts kämpfen unabhängige Institutionen um Transparenz und schärfere Strafverfolgung. Dabei ist Korruption nach wie vor ein Kavaliersdelikt – kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft. Die Mittel und Wege der persönlichen Bereicherung von Politikern und Beamten sind subtil und weit verzweigt. Für viele internationale Geschäfte gilt: Ohne Schmiergeld läuft gar nichts. Von PIERRE ABRAMOVICI *
Korruption hat viele Namen: Von „roten Umschlägen“ spricht man in China, von „Bakschisch“ in den arabischen Ländern, Payola nennt man die Bestechungsgelder auf den Philippinen und Matabiche in Zentralafrika, Propina in den lateinamerikanischen Ländern, Fakelaki in Griechenland, Pots de vin in Frankreich und „Schmiergelder“ in Deutschland.1 Doch wie lässt sich Korruption am besten definieren?
Für den Genfer Staatsanwalt Daniel Bertosa handelt es sich – technisch gesehen – um eine Handlung, die darin besteht, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Beamten, Ministern oder Leitern öffentlicher Unternehmen einen Vorteil zu versprechen oder anzubieten, um die betreffende Person dazu zu verleiten, ihre Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen zu verletzen. Entscheidend ist also der direkte Zusammenhang zwischen dem Versprechen eines Vorteils und der Pflichtverletzung.
Der Umfang der Korruption im internationalen Wirtschaftsleben lässt sich nicht exakt beziffern. Einer Schätzung der Weltbank zufolge soll es sich jährlich um ein „Geschäftsvolumen“ von etwa 80 Milliarden Dollar handeln, wobei unterschlagene Entwicklungshilfegelder ebenso wenig berücksichtigt werden wie die so genannte kleine Korruption, die vor allem in den Schwellenländern vorkommt. Hier sind Bestechungsgelder im Grunde nichts anderes als zusätzliche Steuern, die Polizisten, Zöllner, Beamte und Politiker ohne besondere Gegenleistung von ihren Mitbürgern kassieren.
Im internationalen Handel ist die Korruption nichts Neues. Im Gegenteil: Sie hat Tradition und gehört – im Klartext gesprochen – zum kommerziellen Alltag, seit der Tauschhandel erfunden wurde. So schrieb etwa Samuel Pepys, Erster Sekretär der britischen Admiralität (1633 bis 1703) in seinem berühmten Tagebuch, dass eine Bestechungssumme gar keine sei, solange sie diskret „unter dem Tisch“ überreicht werde. An dieser Auffassung hat sich im Grunde bis heute nichts geändert.
Die Korruption ist in den internationalen Handelsbeziehungen nach wie vor eine gängige Praxis des Wirtschaftslebens. Wobei allerdings festzustellen ist, dass sich das Problem seit der Entkolonisierung in den Sechzigerjahren eindeutig verschärft hat, wie sich insbesondere in den Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien in Afrika feststellen lässt.
In westlichen Geschäftskreisen neigt man übrigens dazu, die Korruption in den Ländern der Dritten Welt als unausrottbares kulturspezifisches Phänomen zu betrachten. Doch „zum Samba braucht es immer zwei“, meint ein ehemaliger Wirtschaftsminister des Tschad, und er hat Recht. Insgesamt kann man festhalten, dass die Institutionen in den Schwellenländern meist in der Rolle des Bestochenen sind, während die aktiven Bestecher in den Unternehmen der wohlhabenderen Länder sitzen.
In Wirklichkeit ist diese „stille“ Korruption – nach Ansicht eines guten Kenners der afrikanischen Geschäftswelt – eine Form von Selbsttäuschung. „Man greift zum Mittel der Bestechung, weil man eben nicht in der Lage ist, auf andere Weise Aufträge zu ergattern, und deshalb zieht man es auch vor, sich geschützte Märkte zu erhalten, selbst auf die Gefahr hin, schließlich ganz auf das Geschäft verzichten zu müssen, weil man die exorbitanten Kommissionen einfach nicht mehr zahlen kann, welche die Kunden verlangen.“
MITTE der Siebzigerjahre führte der exorbitante Anstieg der Erdölpreise zu einem chronischen Defizit der französischen Handelsbilanz. Die Außenhandelsbilanz wurde zu einer magischen Ziffer, und die Ideologie des Verkaufs ersetzte eine sowieso schon angeknackste Moral, aber auch alle anderweitigen ideologischen Erwägungen.
Um die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der französischen Unternehmen auf den ausländischen Märkten auszugleichen, autorisierte die französische Regierung 1977 die Zahlung von Schmiergeldern – offiziell Kommissionen genannt –, unter der Bedingung, dass sie an ausländische Beamte oder Funktionäre gezahlt wurden. Alle anderen europäischen Regierungen folgten diesem Beispiel.
Wenn es darum ging, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, hatte man also das Recht, die Amtsträger eines anderen Landes, vom Staatschef über seine Minister bis zum kleinsten Angestellten in der Hierarchie des öffentlichen Dienstes, auf völlig legale Weise zu bestechen. Ermöglicht wurde dies durch den steuerpolitischen Kniff, der es möglich machte, die Schmiergelder schlicht und einfach von der Steuer abzusetzen.
Nach einer schlichten Mitteilung an die für die Devisenkontrolle zuständige Direction générale des douanes (Oberzolldirektion) konnte ein Unternehmer einen Teil seiner Zahlung auf ein ausländisches Konto – in der Regel in einem Drittland oder aber in dem Verkaufsland – überweisen, wobei diese Summe in euphemistischer Weise als „außerordentliche Geschäftskosten“ (frais commerciaux exceptionnels, FCE) deklariert wurde. Ein Urteil des französischen Conseil d'Etat (der in diesem Fall als oberste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit fungiert) im Jahre 1983 hat bestätigt, dass diese Beträge von der Steuer absetzbar sind, sofern sie im Interesse des Unternehmens gezahlt werden.
Jacky Darne, Abgeordneter und Berichterstatter für den Gesetzentwurf gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger, gibt zwar zu, dass diese Praktiken gegen das öffentliche Interesse und gegen moralische Prinzipien verstoßen, aber andererseits lägen sie auch – im präzisen Sinne des Wortes – im Interesse des Unternehmens.
Bis 1986 schickte die Zolldirektion im einschlägigen Falle eine Mitteilung über den geplanten Vorgang an den Finanzminister. Mit dessen Zustimmung erwarb man zugleich das Recht auf Versicherungsschutz durch die staatliche Compagnie francaise d'Assurances pour le Commerce extérieur (Coface). Wenn der Kunde nicht zahlungsfähig war, mussten also die Steuerzahler die Rechnung begleichen, Schmiergelder inbegriffen. Verweigerte das Ministerium seine Zustimmung, bedeutete dies keineswegs, dass die Transaktion und die Zahlung der Kommission gescheitert waren, sondern lediglich, dass der Versicherungsschutz entfiel.
Nach Abschaffung der Devisenkontrollen 1986 genügte es, die Ausgabe auf der jährlichen Steuererklärung anzugeben, wobei man nicht nur durch das Steuergeheimnis geschützt war, sondern auch durch die militärischen Geheimhaltungsbestimmungen, selbst wenn das Geschäft ein ziviler Auftrag war.
Auf dem Gebiet der Waffenexporte, wo die Korruption zum geschäftlichen Alltag gehört, mussten sich die Unternehmer übrigens an öffentliche Institutionen – so genannte Offices – wenden, die eine Art Abgabe erhoben und diese dann als Kommissionen weitergaben. So kümmerte sich etwa ein Office général de l'air um den Export von Flugzeugen oder ein Office Francais d'Exportation des Matériels d'Armement (Ofema) um die Luft- und Raumfahrtindustrie. Für den Export see- und landgestützter Waffen war die Sofme zuständig und für Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien schließlich die Sofresa (Société francaise d'exportation des matériels d'armement). Seit 1989 wurden in den Berichten der Finanzinspektion immer wieder der öffentliche Status und die Undurchsichtigkeit dieser Organisationen kritisiert.
Ein Beispiel ist die berühmt- berüchtigten Affäre um die an Taiwan gelieferten Schnellboote, für die 1991 riesige Schmiergeldsummen in Höhe von mehreren Milliarden Francs gezahlt wurde, die dem Fiskus mit genauer Angabe des Zahlungstermins mitgeteilt wurden. Illegal war an dieser Transaktion lediglich der Rückfluss (Retro-Kommission) eines Teils der Gelder in französische – öffentliche oder private – Taschen.
Zu dem Zeitpunkt, da die Europäer die Korruption im internationalen Handel zu legalisieren begannen, bewegten sich die USA – zumindest offiziell – in die genau entgegengesetzte Richtung. So wurde 1977 nach dem Lockheedskandal2 der Federal Corrupt Practices Act (FCPA) verabschiedet, der jegliche Bestechung eines ausländischen Amtsträgers zur Straftat machte. In Wirklichkeit aber – so die einhellige Meinung der konkurrierenden Unternehmer – verabschiedeten sich die USA keineswegs von diesen Praktiken, sondern betrieben sie weiter über Tochterfirmen, die sich in den Steueroasen der Welt niedergelassen hatten.
In der Tat fördert die US-amerikanische Regierung die Exporte mittels Subventionen von jährlich etwa 2,5 Milliarden Dollar für die Ansiedlung von Unternehmen in Ländern, die als Steuerparadiese gelten. Diese subventionierten Tochtergesellschaften, die so genannten Foreigns Sales Corporations (FSC), dienen als Basis für das undurchsichtige System der Kommissionszahlungen im Ausland.
Obwohl man zahlreiche US-amerikanische Unternehmen bei Bestechungsvorgängen in flagranti erwischt hatte, hielt sich die gerichtliche Verfolgung dieser Vergehen in Grenzen, weil das System des gerichtlichen Vergleichs zahlreiche Schlupflöcher bietet
Dieses System hat Elisabeth Guigou, bis vor kurzem französische Justizministerin, im Sinn, wenn sie den USA vorhält, sie sollten zuerst vor ihrer eigenen Türe kehren, bevor sie andere kritisierten. Sie verweist dabei auf die in den USA völlig legale Praxis, mit den Staatsorganen, zum Beispiel auch mit der Justiz, in Verhandlungen einzutreten. Im Rahmen eines solchen plea bargaining könne man im amerikanischen Strafsystem, wenn man eines x-beliebigen Vergehens beschuldigt wird, zu einem Staatsanwalt gehen und einfach sagen: „Nun gut, wir werden uns schon irgendwie einigen.“
Auch Jacky Darne verweist auf diese Möglichkeiten und stellt entsprechend fest: „Alle diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Zahl der Unternehmen, die in den USA wegen eines Korruptionsdeliktes gerichtlich verfolgt wurden, sehr gering ist. Lediglich ein paar Dutzend Verfahren sind in Gang gekommen. Die USA geben manchmal besserwisserische Ratschläge, an die sie sich selbst nicht halten.“
Entsprechend halten sich die Gewinneinbußen der amerikanischen Exportwirtschaft, die auf den Kampf gegen die Korruption zurückgehen, in engen Grenzen: Sie belaufen sich auf weniger als eine Milliarde Dollar innerhalb von zwanzig Jahren.
Jahrzehntelang spielte der Ost-West-Konflikt in den internationalen Handelsbeziehungen eine entscheidende Rolle. Jede Seite versuchte, die Treue ihrer Kunden sicherzustellen und zu verhindern, dass sie zum Gegner überlaufen. Der Fall der Berliner Mauer und die Öffnung für die Welt der ehemaligen kommunistischen Staaten und ihrer Satelliten hat die Ausgangslage jedoch grundlegend verändert. Im internationalen Handel herrscht heute ein Hauen und Stechen, wo jeder Akteur versucht, die anderen Akteure zu übervorteilen und wo die wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos über alle anderen Erwägungen gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für den Handel mit Rüstungsgütern und für große Bauprojekte.
IM Osten und in den ehemals kommunistischen Ländern fallen bei großen Bauvorhaben und industriellen Projekten riesige Schmiergeldsummen an. In allen Sektoren, die von öffentlichen Aufträgen abhängen, von der Rüstung bis zum Erdöl, von der Energieversorgung bis zum öffentlichen Verkehr, von der Bauwirtschaft bis zur Wasserversorgung und zu medizinischen Einrichtungen und Hilfsgüterlieferungen – in all diesen Branchen werden Kommissionen gezahlt, die schon fast Zwangsabgaben gleichkommen. Das geht so weit, dass manche Unternehmer allmählich selbst zu der Einsicht kommen, dass sich Bestechung eigentlich nicht mehr richtig lohnt.
Bis Mitte der Neunzigerjahre blieb die Korruption bei internationalen Transaktionen ein Tabu. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank nannten die Korruption nicht beim Namen, man begnügte sich mit dem Initial und sprach nur vom c-word, wenn man die quasikulturelle Unvermeidlichkeit dieses Phänomens in manchen Ländern beklagte oder sich darüber beschwerte. Aber eigentlich veränderte sich nichts; die „Eigentümer“ der Weltbank und des IWF sind schließlich Staaten – und beide Organisationen haben Staaten als Kunden.
Doch im Oktober 1996, bei der Jahresversammlung von Weltbank und IWF in Washington wurde das Tabu gebrochen. Weltbankpräsident James Wolfensohn sprach das Problem erstmals offen an. Er bezeichnete die Korruption als Krebsgeschwür und als Affront gegen die Armen. Die Korruption lenke die Finanzmittel von den Armen zu den Reichen, verursache schwer wiegende Verzerrungen in der Nutzung der kollektiven Ressourcen, und sie schrecke darüber hinaus ausländische Investoren ab.
Im Juli 1997 warf auch der IWF das Ruder herum und teilte Argentinien mit, jegliche weitere Finanzhilfe werde künftig nicht nur von den gängigen Bedingungen zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichtes abhängen, sondern auch von Fortschritten auf wichtigen Gebieten wie Erziehungs-, Gesundheits- und Steuerwesen, vor allem aber von Erfolgen im Kampf gegen die Korruption.
Zeitgleich mit diesen Verlautbarungen begann – auf Initiative der USA – innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Reihe von Diskussionen zur Vorbereitung eines Abkommens, das die Bestechung ausländischer Amtsträger ächten und unter Strafandrohung stellen sollte. Bei einer Ministerkonferenz der OECD-Mitgliedsstaaten unter dem Vorsitz des damaligen französischen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn am 10. Dezember 1997 wurde dieses Abkommen von einundzwanzig Ländern unterzeichnet. Danach musste es von den Parlamenten der Signaturländer ratifiziert werden, was sich als schwierige Angelegenheit erweisen sollte.
In Frankreich sind die Schmiergeldsummen inzwischen derart angestiegen, dass sie die Gewinnspanne empfindlich mindern, wenn nicht gar die Exportunternehmen an den Rand des Ruins bringen. Die Beträge, die als „Kommissionen“ gezahlt wurden, haben in den letzten Jahren alle Rekorde gebrochen. Insbesondere in der Rüstungsbranche ist die Korruption heute die Regel, geht es doch um immense Aufträge im Wert von 100, 200, 500 Millionen Dollar oder noch mehr. Diese Kommissionen, die in den entwickelten Ländern durchschnittlich etwa 5 bis 6 Prozent der Auftragssumme ausmachen, erreichen in der Rüstungsbranche manchmal 20 bis 30, gelegentlich sogar 40 Prozent.
Und dennoch steht die europäische Industrie im Allgemeinen und die französische Industrie im Besonderen – und hier vor allem die Rüstungsindustrie – dem OECD-Abkommen gegen die Korruption sehr ablehnend gegenüber. „Damit haben wir ein Eigentor geschossen“, sagt man in diesen Kreisen und behauptet, dass Washington mit diesem „Manöver“ die europäische Exportwirtschaft destabilisieren wolle.
ETWA zeitgleich mit dem OECD-Abkommen trat erstmals eine Nichtregierungsorganisation (NGO) in Erscheinung, die sich (in Anlehnung an amnesty international) Transparency International nannte (siehe Kasten). In die Medien kam die Organisation mit ihrer Veröffentlichung des „Korruptionsindex“, einer Aufzählung und Rangliste der von Korruption besonders betroffenen Länder. Dieser Index stellt, wie seine Erfinder selbst zugeben, nicht unbedingt eine wissenschaftliche Klassifizierung dar. Er stützt sich vielmehr auf Meinungsbilder, die auf der „Wahrnehmung“ der Korruption durch bestimmte Personen beruhen und nicht exakt die realen Verhältnisse widerspiegeln müssen, da sich diese ihrer Natur nach einer genauen Kenntnis entziehen.
Sofort nach der Veröffentlichung dieses ersten Korruptionsindex wurde die NGO als Instrument US-amerikanischer Politik kritisiert. Diese Meinung verbreiteten auch einige französische Zeitungen, die damit die Auffassung der französischen Industrie reflektierten und hier insbesondere der Rüstungsindustrie, die ohnehin den Beschlüssen der OECD meist ablehnend gegenübersteht. Ein typisches Beispiel war die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné, die Transparency International als „das trojanische Pferd der Amis“ verhöhnte.3
Während sich die Polemik zwischen den USA und der französischen Industrie ausweitete, veranstaltete Transparency International in der südafrikanischen Stadt Durban im Oktober 1999 eine große Konferenz, die der Organisation internationales Ansehen verschaffte. Während sich Transparency International bis dahin nur als kleine, militante Gruppe dargestellt hatte, war sie nun plötzlich in der Lage, über 1 200 Delegierte aus aller Welt zu versammeln.
Bei den Debatten in Durban kristallisierten sich vor allem zwei Schwerpunkte heraus: Zum einen wurde die Weltbank beschuldigt, die Korruption durch eine bewusst missbräuchliche oder zumindest blinde Verteilung der Entwicklungsgelder zu finanzieren, zum anderen zeigte man ein dezidiertes Interesse an den Abkommen der OECD.
Am 26. Oktober 1999 veröffentlichte die Organisation eine Rangliste der aktiven Bestecherländer. Das Ergebnis kam nicht unerwartet: Frankreich wurde als sehr korruptionsanfällig eingestuft, desgleichen andere europäische Länder. Die USA kamen weit besser weg. Die internationale Presse reagierte empört und verlangte drastische Maßnahmen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass manche OECD-Mitgliedsländer – und insbesondere Frankreich – die Antikorruptionsabkommen der OECD noch immer nicht ratifiziert hatten.
Misstrauische Beobachter vermerkten schon damals die auffallende zeitliche Nähe zwischen der Veröffentlichung der Rangliste und der Konferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle, die im Dezember 1999 stattfinden sollte. Der Gründer von Transparency International, Peter Eigen, machte auch gar keinen Hehl aus seinem Wunsch, die Frage der Korruption auf der Tagesordnung der Welthandelsorganisation zu sehen. Und er empfahl seine Organisation ganz offen für die Rolle eines Weltpolizisten im Kampf gegen die Korruption.
Die Auseinandersetzung zwischen Europäern und US-Amerikanern erreichte nun ihren Höhepunkt. Allerdings sind die Amerikaner, die so heftig die steuerlich begünstigte Unredlichkeit des europäischen Handels anprangern und scharfe Konsequenzen fordern, recht zurückhaltend, was ihre eigenen Subventionen anbelangt. Dies gilt umso mehr, als ausländische Tochterfirmen von Unternehmen, die ihren Sitz in den Unterzeichnerländern des OECD-Abkommens haben, von der Anwendung der Konvention seltsamerweise ausgenommen sind.
Die französische Regierung brauchte am Ende insgesamt zwei Jahre, bis das OECD-Abkommen ratifiziert war. In einem ersten, bereits verzögerten Anlauf brachte die Regierung auf Betreiben gewisser Kreise der Industrie einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des OECD-Abkommens ein, dessen Artikel zwei die Fortsetzung der bislanglegalen Zahlungen von Kommissionen bei bereits bestehenden Verträgen erlaubte.
In den USA heulte man auf und empörte sich über diese Doppelzüngigkeit. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos am 30. Januar 2000 wurde Frankreich von der US-amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright direkt und mit scharfen Worten attackiert: Es sei kaum möglich eine wirksame Botschaft gegen die Korruption zu vermitteln, wenn gewisse Länder ganz offensichtlich von dem Weg abwichen, zu dem sie sich durch die Unterzeichnung des Abkommens verpflichtet hätten.
In einem zweiten Anlauf zog die französische Regierung den umstrittenen Artikel aus dem Gesetzentwurf zurück. Die Nationalversammlung verabschiedete am 29. Februar 2000 den Gesetzestext zur Ratifizierung des Abkommens, das am 21. Juni 2000, also zweieinhalb Jahre nach Unterzeichnung durch den französischen Finanzminister, in Kraft trat.
Die Auseinandersetzung ist damit aber noch nicht zu Ende. Inzwischen hat die Europäische Union bei der WTO durchgesetzt, dass die USA wegen der versteckten Exporthilfen über die FSC, also die Tochterfirmen in den Steueroasen, verurteilt wurden. Am 17. November 2000 ist die EU noch einen Schritt weitergegangen und hat bei der WTO beantragt, Handelssanktionen in Höhe von über vier Milliarden Dollar gegen die USA zu verhängen, weil auch die tags zuvor verabschiedete neue FSC-Gesetzgebung nicht den WTO-Regeln entspricht.4
Ist es realistisch anzunehmen, dass eine internationale politische Instanz die Korruption aufhalten könnte? Wie soll man dem Problem beikommen, wenn in Ländern wie Saudi-Arabien, wo die Stammeskultur noch eine gewisse Rolle spielt, Bestechungsgelder als eine Art Stammesgeschenk angesehen werden? Oder wenn in Russland die Armut zu einer ungeheuren Ausbreitung der großen und kleinen Korruption geführt hat? Kann man sich etwa vorstellen, dass Russland, China oder Saudi-Arabien insgesamt einem Boykott unterworfen werden?
„Es ist allgemein bekannt, dass die Korruption in China ungeheuer verbreitet ist“, sagt Professor Jean Cartier-Bresson, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Reims. „Diese Tatsache aber ändert nichts daran, dass China weiterhin die erste Adresse für ausländische Direktinvestitionen ist. Die massive Korruption in China hält die Leute keineswegs ab, dorthin zu gehen und Geschäfte zu machen.“
Nach Bresson stellt die Korruption in Russland dagegen die potenziellen Investoren vor ein anderes Problem, insofern sie sich in einer instabilen politischen Landschaft bewegen müssen. Eine sozusagen kontrollierte Korruption in einem stabilen Kontext mit zuverlässigen bewährten Gesprächspartnern bedeute für ausländische Unternehmer kein Hindernis, ihre Geschäfte zu tätigen. Störend und abschreckend wirke es dagegen, wenn die Ansprechpartner, die geforderten Bestechungssummen und die Spielregeln zwischen Bestecher und Bestochenem ständig wechseln.
Null Korruption wird es also niemals geben. Doch „je weniger Korruption es gibt, desto besser“, meint der Genfer Staatsanwalt Daniel Bertosa und betont: „Von einer Situation zu träumen, in der man Verhaltensweisen als tragbar oder akzeptabel hinnimmt, die es per definitionem nicht sind, ist entweder Schizophrenie oder Heuchelei.“
Doch manche beginnen bereits nach neuen Auswegen zu suchen, wie der Repräsentant eines großen französischen Exportunternehmens bestätigt, der anonym bleiben möchte. Nach seiner Aussage bestehe ein neuer Trick darin, Tochtergesellschaften in Ländern anzusiedeln, die nicht zur OECD gehören. Damit könne man die „Arbeit“, die bislang von Frankreich aus geleistet wurde, von diesem nicht an OECD-Beschlüsse gebundenen Land aus erledigen.
Diese Aussage wurde im Februar 2000 empirisch bestätigt, als ein Ermittlungsrichter das Verfahren gegen den Generaldirektor der Gesellschaft des Bauunternehmens Dumez-Nigéria einstellte. Der stand im Verdacht, 400 Millionen Francs mit Hilfe von Briefkastenfirmen nach Nigeria transferiert und einen Teil davon an nigerianische Persönlichkeiten gezahlt zu haben.
Das Argument für die Straflosigkeit des Beschuldigten war schlicht und einfach der Hinweis auf die juristische Unabhängigkeit der nigerianischen Tochtergesellschaft von ihrer französischen Mutterfirma. Staatsanwaltschaft und Richter hielten es zwar für „wahrscheinlich“, dass Dumez-Nigéria zum „Umkreis“ von Dumez-France gehörte, hielten diese „Abhängigkeit“ aber für nicht beweisbar.5
dt. Dorothea Schlink-Zykan
* Journalist