12.01.2001

Vivendi schluckt Universal

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Vivendi schluckt Universal

AM 5. Dezember 2000 kamen in Paris fünftausend Aktionäre zu einer großen Party im Louvre zusammen. Es galt, eine fürstliche Verbindung in der Welt der New Economy zu feiern: die Fusion von Vivendi mit Seagram und Canal plus. Die Partner repräsentieren das Erfolgsrezept der Zukunft. Im aberwitzigen Wettbewerb, der sich in der Kultur- und Medienindustrie abspielt, geht es vor allem darum, das Angebot an Dienstleistungen mit einer möglichst breiten Palette an Kommunikationstechnologien zu verknüpfen. Von DAN SCHILLER *

Durch die Fusion von Vivendi mit Seagram und Canal plus verwandelt sich ein Unternehmen der Wasser- und Abfallwirtschaft in einen der weltweit stärksten Multimedia-Anbieter. Bei Canal plus, dem größten europäischen Pay-TV-Unternehmen, hatte Vivendi bereits die Kontrolle übernommen, ebenso bei Cegetel, dem zweitgrößten Telekom-Anbieter in Frankreich, und bei Havas, einem Medienmischkonzern, der in Europa eine führende Rolle in den Bildungsmedien spielt. Nun erwarb Vivendi zum Gesamtpreis von rund 60 Milliarden US-Dollar auch noch die restlichen Anteile von Canal plus sowie den kanadischen Spirituosenhersteller Seagram, dem wiederum zwei Spitzenwerte der US-Medienindustrie gehörten: Universal Films und Universal Music, die größte Plattenfirma der Welt.

Eine neue Generation von internetgestützten Programmen und Dienstleistungen zwingt den Medienbereich, sich grundlegend neu zu formieren. Folglich versucht man, durch Zusammenschluss riesiger Firmengruppen einen einheitlichen und direkten Zugriff auf die breit gefächerten Betriebs- und Vertriebssysteme zu gewinnen. Doch mit welcher Technologie wird man am Ende die gigantischen Bestände an medialen Inhalten zu den Verbrauchern ins Haus bringen? Welche technische Plattform wird sich durchsetzen? Kabelfernsehen? Satellitenempfang? Oder die Telefonleitung? Und welche Zugangswege sollen die Konsumenten benutzen? Digitale Set-Top-Boxen als Ergänzung zum Fernsehapparat? Oder Heimcomputer, oder das Telefon? Und die wichtigste Frage von allen: Soll man versuchen, das World Wide Web an die bestehenden Systeme und Angebote der Medienindustrie anzupassen?

Gegenwärtig geht es den führenden Unternehmen in erster Linie darum, im Rennen zu bleiben. Die größten von ihnen sind dabei bemüht, das Risiko zu streuen, indem sie unter den zahlreichen konkurrierenden Vertriebssystemen jeweils Partnerfirmen finden oder Anteile erwerben, während sie gleichzeitig an der Entwicklung neuer, interaktiver und internetgestützter Dienste arbeiten. Diesbezüglich kommt der Fusion von AOL und Time-Warner besonderes Gewicht zu, deren Zustandekommen nach heftigen kartellrechtlichen Auseinandersetzungen am 14. Dezember 2000 von der US-amerikanischen Kartellbehörde zugestimmt wurde.

Konkurrenten wie Verbraucherschützer gehen davon aus, dass mit diesem Zusammenschluss von Kernbereichen bei der nächsten Generation von Internet-Diensten zu viel Marktmacht bei einem einzigen Unternehmen konzentriert sein wird. Diese Befürchtung ist durchaus begründet. Schließlich geht es bei der Fusion darum, den gewaltigen Unterhaltungs-Fundus von Time-Warner ins World Wide Web zu stellen und ihn den 26 Millionen AOL-Kunden schmackhaft zu machen. Die daraus resultierenden interaktiven Dienste und E-Commerce-Angebote könnte man wiederum den 12 Millionen Haushalten anbieten, die in den USA einen Vertrag mit dem Kabelfernsehen von Time-Warner geschlossen haben. Um die Kritiker zu beschwichtigen, mussten die beiden Unternehmen eine Reihe von Zugeständnissen machen. Zwar können sie ihre Ziele nun nicht mehr so unangefochten verfolgen, etwa indem AOL bei unabhängigen Anbietern von Internet-Diensten Vorzugsbedingungen genießt oder indem die Time-Warner-Programme im eigenen Internet-Angebot exklusiv vertrieben werden. Doch AOL baut seine Strategie des „Anytime, Anywhere“-Zugangs weiter aus. Durch breit gefächerte Kooperationsvereinbarungen mit anderen Firmen will das Unternehmen seinen Kunden ermöglichen, sich jederzeit ins Netz einwählen zu können – aus dem Auto, über das Handy oder die Palmtop-Mikrocomputer, mittels Spielekonsole und über das Telefon-Festnetz, vom PC aus oder über den Fernsehapparat.1

Besonders attraktiv für die Medienkonzerne ist die Entwicklung interaktiver Dienste, auf die jeder Besitzer eines Palmtop-Computers über ein verbessertes Mobilfunknetz zugreifen kann. Die Industrie hofft, das der Absatz solcher Taschencomputer (auch Handheld oder Personal Digital Assistant, PDA, genannt) bis 2002 den Verkauf herkömmlicher PCs übersteigen wird. Zum einen eröffnet sich damit die Möglichkeit, die Kunden tatsächlich unterwegs mit Angeboten auf dem Laufenden zu halten und ihnen – womöglich auf Rechnung von Werbekunden – über ein Netz, das den Standort des einzelnen Teilnehmers jederzeit lokalisieren kann, das nächstgelegene Restaurant, Fachgeschäft, Kino oder was auch immer zu empfehlen. Auf diese Weise hoffen die Firmen, dem Netz eine Eigenschaft zu nehmen, die in ihren Augen schon immer besonders störend war: dass nämlich so viele der dort erhältlichen Informationen kostenlos sind. Auch deshalb verfolgt man mit Interesse die Erfolge von DoCoMo, einer Firma, die aus der ehemals staatlichen japanischen Telefongesellschaft NTT hervorgegangen ist. DoCoMo ist der Anbieter des kostenpflichtigen Internet-Dienstes „I-Mode“, der heute von 15 Millionen Japanern in Anspruch genommen wird. Mit seiner Hilfe kann man Immobilien-Preise, Karaoke-Hits, Kochrezepte, die Resultate von Pferderennen und Zeichentrickfilme abrufen, man kann Reisen buchen, Börsengeschäfte abwickeln, E-Mails verschicken und Videospiele spielen – und dies alles auf dem winzigen Schirm eines Internet-fähigen Telefons.2 Das Abrechnungssystem „Microbilling“ erlaubt es, die Nutzung der Dienste einer Vielzahl so genannter offizieller I-Mode-Anbieter in einer einzigen Telefonrechnung zusammenzuführen (wobei die Rechnung der Benutzer pro Dienst und Monat zwischen einem und drei Dollar beträgt).3

Den Maßstab für die ganze Branche setzt dabei der Anbieter AOL/Time-Warner mit seinen vielgestaltigen Ansätzen im Vertriebsbereich und seinem umfassenden Anspruch, die konventionellen medialen Möglichkeiten mit neuen Angeboten im Netz zu verknüpfen. Bislang ist unter den Multimedia-Unternehmen allein Vivendi Universal in der Lage, diesem neuen Standard voll gerecht zu werden. Vivendi hat bereits erklärt, dass man beabsichtige, „den Kunden Musik, Sport, Filme und Fernsehen, gedruckte Information, Bildung und interaktive Spiele zu bieten, und dies via Satellit, Fernsehen, Festnetz- und Mobiltelefon sowie über das Internet, mit Einwahlmöglichkeit in jeder technischen Form, überall und zu jeder Zeit.“4

Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie ist Vizzavi, ein so genanntes Multi-Access-Portal, also eine Internet-Startseite, auf die man per Handy und anderen Mobilgeräten zugreifen kann, aber auch vom PC aus oder mit Hilfe eines digitalen Fernsehapparats. Vizzavi soll die Startseite für 80 Millionen potenzielle Kunden werden. Die Zahl entspricht dem addierten Kundenstamm von Vivendi, Canal plus und Vodafone Airtouch, dem größten Funknetzbetreiber der Welt. Dabei sind gewaltige Investitionen in die so genannte Technologie der dritten Generation geplant, die multimediale Dienste via Mobilfunk ermöglichen wird. Die Gründung von Vizzavi, dem Gemeinschaftsunternehmen von Vivendi und Vodafone, ist die Gegenleistung dafür, dass Vivendi bei der äußerst kostspieligen unfreundlichen Übernahme des deutschen Telekommunikations- und Technik-Konzerns Mannesmann durch Vodafone den Königsmacher spielte.5

Solche und andere Partnerschaften – zum Beispiel mit der Lagardère-Gruppe6 – bieten Vivendi immense Vorteile auch bei der Programmpolitik und dem Ausbau der Fernsehnetze. Der Zusammenschluss erschließt Universal Films neue Absatzmärkte, während Canal plus zusätzliche Programmbestandteile für seine bestehenden Pay-TV-Kanäle erhält. Darüber hinaus haben die Partner ehrgeizige Pläne: Gemeinsam wollen sie ein Bündel aus interaktiven audiovisuellen Angeboten und E-Commerce schnüren, das (wiederum in Zusammenarbeit mit Lagardère) per Satellit übertragen wird und auf dem Fernsehapparat abgerufen werden kann. Der Vorstandsvorsitzende von Canal plus, der in die Führungsspitze von Vivendi Universal übernommen worden ist, nennt als Planungsziel, dass Canal plus bis 2005 einen monatlichen Online-Umsatz von 100 bis 150 Euro bei jedem der 24 Millionen Abonnenten erreichen soll.

DIE Strategie, die Vivendi verfolgt, birgt durchaus ein gewisses Risiko. Das zeigt sich auch daran, dass zwischen der Ankündigung der Fusion im Juni 2000 und ihrem Vollzug im Dezember desselben Jahres der Börsenwert des Unternehmens deutlich gesunken ist. Niemand weiß, ob sich die Allianz mit Vodafone als solide Basis erweisen wird, und der Einstieg in den wirtschaftlich entscheidenden nordamerikanischen Markt könnte Probleme bereiten. Denn Canal plus und Cegetel zu Anbietern digitaler Hochgeschwindigkeitszugänge aufzurüsten dürfte eine hohe finanzielle Belastung bedeuten. Und es ist vorerst noch völlig ungewiss, ob die Kunden bereit sind, von anderen Portalseiten (vor allem Yahoo) zu Vizzavi zu wechseln. Noch hat Vizzavi jedenfalls nicht viel vorzuweisen: 100 000 Abonnenten bislang, ausschließlich in Frankreich.

Natürlich wird Vivendi alle Hebel in Bewegung setzen, um seine Erfolgschancen trotz aller Risiken möglichst hoch zu halten. Egal, ob der Konzern dabei gewinnt oder scheitert – seine bedeutendsten Folgen hat dieser gigantische Unternehmenszusammenschluss ohnehin nicht auf der Ebene der Kapitallogik, sondern auf der Ebene der Politik.

Während der gesamten Nachkriegsperiode galt in Frankreich die politische Maxime, dass der Staat im Bereich der nationalen Kultur stützend und fördernd einzugreifen habe. Um ein herausragendes Beispiel zu zitieren: Bereits 1994 setzte sich Frankreich erfolgreich dafür ein, audiovisuelle Produkte von den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) auszunehmen, die eine deutliche Reduzierung nationaler Importbeschränkungen und Subventionen in diesem Sektor vorsahen. Diese so genannte Kulturklausel bedeutet, dass Nationalstaaten weiterhin in einer Branche, die inzwischen zum dynamischsten und bedeutendsten Teil der kapitalistischen Wirtschaft geworden ist, den Gesetzen des Marktes mit gezielten Eingriffen, Auflagen und Schutzmaßnahmen entgegentreten dürfen.

Die USA, genauer gesagt die US-Kommunikationsindustrie hat Frankreich wegen dieser Anmaßung mit Vorwürfen überhäuft. Doch diese Politik war nicht nur für Frankreich von entscheidender Bedeutung, sie hat seitdem der ganzen Welt vor Augen geführt, dass man sich der Logik der kapitalistischen Globalisierung nicht zwangsläufig fügen muss. Aber was wird nun aus dieser Politik, wenn einer der größten Kulturkonzerne sein Hauptquartier in Frankreich aufschlägt?

Eine Antwort lässt sich nur mit Blick auf die allgemeine Entwicklung geben: Überall, nicht nur in Frankreich, sondern zunehmend transnational, wird der Kommunikationssektor zum Kernbereich eines erneuerten Kapitalismus. Der Börsenstart von Vivendi Universal brachte die neu geschaffene Unternehmensgruppe sofort auf Platz vier des CAC-40-Index an der Pariser Börse. Platz eins bis drei halten France Télécom, TotalFina Elf und Alcatel. Drei dieser vier Giganten sind also vorwiegend im Kommunikationsgeschäft tätig. Und alle drei bemühen sich heftig um die Internationalisierung ihrer Unternehmungen. So hat France Télécom bereits angekündigt, für 4 Milliarden US-Dollar eine Mehrheitsbeteiligung an Equant erwerben zu wollen. Dieses in Amsterdam ansässige Unternehmen verfügt über ein gigantisches Datenübertragungsnetz, das in das Global One System von France Télécom integriert werden soll, um dann spezielle Telekommunikationsdienste für etwa 3 700 Großkunden anzubieten, zu denen zwei Drittel der hundert größten Firmen der Welt gehören.7 Alcatel hat schon vor einigen Jahren die Telekommunikationssparte von ITT mit ihren weltweit verstreuten Produktionsstätten erworben, und in jüngster Zeit wurden für weitere 15,5 Milliarden Dollar kanadische und US-amerikanische Internet-Firmen dazugekauft. Bei dieser Gelegenheit hat Alcatel-Chef Serge Tchuruk auch gleich durchgesetzt, dass Englisch im ganzen Unternehmen als offizielle Verkehrssprache gilt.

Jean-Marie Messier, der Vorstandsvorsitzende von Vivendi Universal, ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Tchuruk (der im Übrigen auch im Aufsichtsrat von Vivendi Universal sitzt). Das zeigt schon eine Erklärung, die Messier gegenüber Vertretern der US-Presse abgegeben hat: „Kommen Sie mir nicht mit den uralten Traditionen Frankreichs. Das ist vorbei. Heute gibt es auch in Frankreich eine neue Generation von Geschäftsleuten, die nicht mehr viel zu tun hat mit der alten Vorstellung, dass man hier nur Französisch spricht und die französische Kultur für die bedeutendste der Welt hält. Ich bitte Sie! Auch Frankreich entwickelt sich weiter.“8

Messier, der noch in den Achtzigerjahren in Regierungsdiensten die Privatisierung von französischen Staatsunternehmen abwickelte, ist heute (zusammen mit Steve Case von AOL, Gerald Levin von Time-Warner und Dutzenden anderer Unternehmensführer) eine der bestimmenden Figuren im „Global Business Dialogue on Electronic Commerce“, einem von der Privatwirtschaft dominierten Forum, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Bemühungen um internationale Grundregeln für das Online-Geschäft voranzubringen.

Man kann also getrost der Vermutung zustimmen, die von der Financial Times formuliert wurde: Mit der Gründung von Vivendi Universal wird „der Druck auf die Verteidiger der französischen Nationalkultur wachsen, ihren Kampf gegen die Nivellierung aus den USA aufzugeben.“9

dt. Edgar Peinelt

* Professor an der Universität von Kalifornien, San Diego. Autor von „Digital Capitalism“, Cambridge (MIT Press) 1999.

Fußnoten: 1 Siehe Robert A. Guth und Norihiko Shirouzu, „AOL Talks With Sony And Toyota“, Wall Street Journal, 12. Dezember 2000. 2 Siehe Deborah Solomon, Robert A. Guth und Peer Landers, „A Big Deal For Tiny Screens“, Andrea Petersen und Nicole Harris, „Wireless Webs Vast Promises Still Unkept in US“, Wall Street Journal, 1. Dezember 2000; „I-mode. You mode. Millions in Japan mode“, Wall Street Journal, 1. Dezember 2000. 3 Siehe Robert A. Guth, „Japanese Cell-Phone Service Thrives With Microbilling“, Wall Street Journal, 18. August 2000. 4 Siehe „Vivendi Universal“ auf der Website www.vivendi.com. 5 Siehe David Woodruff, Anita Raghavan und Gautam Naik, „Vodafone, Vivendi Plan Major Internet Alliance“, Wall Street Journal, 31. Januar 2000. 6 Siehe Thomas Kamm, „Frances Lagardere Widens Move Into TV, Wall Street Journal, 10. Januar 2000. 7 Siehe John Tagliabue, „Europeans In Big Deal To Create Data Group, New York Times, 21. November 2000; s. a. Kevin J. Delaney und Gautam Naik, „French Gain New Muscle With Equant“, Wall Street Journal, 21. November 2000. 8 Zit. n. James Bates, „With Vivendi Deal, France May Open Its Borders to Hollywood, Los Angeles Times, 7. Juni 2000. 9 Financial Times, 21. Juni 2000.

Le Monde diplomatique vom 12.01.2001, von DAN SCHILLER